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Im Fokus

Truth, Trust and Democracy

Inmitten wachsender gesellschaftlicher Spannungen, politischer Unsicherheiten und einer stetigen medialen Reizüberflutung geraten drei zentrale Pfeiler demokratischer Ordnungen zunehmend ins Wanken: Wahrheit, Vertrauen und demokratische Entscheidungsprozesse.
Die interdisziplinäre Vortragsreihe „Truth, Trust and Democracy“ nimmt sich dieser hochaktuellen Problematik an. Sie fragt danach, welchen Stellenwert diese Grundbegriffe heute noch haben – und welche Bedeutung sie für das Selbstverständnis einer freien, offenen und verantwortungsbewussten Gesellschaft besitzen.

Der Aufbau der Reihe

Die Vortragsreihe versammelt renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fächern, wie z. B. aus sozialer Erkenntnistheorie, politischer Philosophie, Ethik, Medien- und Kommunikationstheorie, Geschichtswissenschaft, Soziologie und Anthropologie. In mehreren Abendvorträgen pro Semester werden unterschiedliche Facetten des Themas beleuchtet – von erkenntnistheoretischen Fragen über die Rolle von Medien bis hin zu theologischen Überlegungen zum gesellschaftlichen Vertrauen. Ergänzt werden die Vorträge manchmal durch vertiefende Workshops, in denen einzelne Aspekte diskutiert und reflektiert werden.

Die Veranstaltungsreihe richtet sich an Studierende, Lehrende, Interessierte aus Zivilgesellschaft, Medien und Politik – kurz: an alle, die sich für die Zukunft einer verantwortungsvollen, humanen und demokratischen Gesellschaft engagieren wollen.
Sie wird von Christoph Jäger vom Institut für Christliche Philosophie und Michaela Quast-Neulinger vom Institut für Systematische Theologie gemeinsam organisiert.

Interview mit den Organisatoren Christoph Jäger und Michaela Quast-Neulinger

Was war die Motivation für die Konzeption dieser Vortragsreihe? Warum jetzt und warum genau das Thema Wahrheit, Vertrauen und Demokratie?

Christoph JägerJäger: Populismus, politisch motivierte Lüge, kalkulierte Desinformation und andere Mechanismen einer neuen, sogenannten „Post-Truth-Kultur“ sind derzeit weltweit auf dem Vormarsch. Sie konterkarieren zentrale Errungenschaften der Aufklärung, deren Tradition ich mich als Philosoph und Erkenntnistheoretiker, aber auch als zivilgesellschaftlicher Akteur verpflichtet fühle. Die Kontamination öffentlicher Diskurslandschaften durch Verschwörungstheorien, Fake News und Bullshit untergräbt das Vertrauen in tragende Pfeiler liberaler Demokratie und ihrer Institutionen. In der Vortragsreihe werden diese Phänomene analysiert und wir diskutieren, wie mit ihnen umgegangen werden kann.

Quast-Neulinger: Mein Arbeitsschwerpunkt ist seit langem politische Theologie, das Verhältnis von Politik und Religion. Mit dem Forschungszentrum „Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung“ gibt es in Innsbruck eine lange Tradition in diesem Bereich. Ich bin froh, dass wir mit der Lecture Series ein gemeinsames Zeichen setzen für die Mitverantwortung von uns Theolog:innen und Philosoph:innen für eine demokratische, menschenrechtsbasierte Gestaltung unseres Zusammenlebens.

Welche Rolle sehen Sie für die Philosophie und die Theologie im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs über Desinformation, Vertrauenskrise und demokratische Prozesse?

Jäger: Philosoph:innen erarbeiten Theorien kritisch-rationalen Denkens, von Sinn, Wahrheit und Wahrhaftigkeit und, allgemein, Vernunft. Damit liefern wir Werkzeuge, mit denen verwirrtes und verirrtes Denken und gesellschaftliche Tendenzen zum Autoritarismus entlarvt und analysiert werden können. Theolog:innen können in diesem Zusammenhang speziell die Rolle fehlgeleiteter religiöser Überzeugungen und Agenden untersuchen.

Michaela Quast-NeulingerQuast-Neulinger: Es erschüttert mich zutiefst, dass es christliche Gruppen, Einzelstimmen, globale Netzwerke gibt, die Gewalt gegen Minderheiten oder Andersdenkende als „göttlich gewollt“ legitimieren. Dafür wird z. B. das Zweite Vatikanum gegen den Strich gelesen. Religionsfreiheit gilt dann nicht mehr für alle, sondern nur noch für Katholiken. Wir sind als Theolog:innen dringend gefordert, in sorgfältiger Auseinandersetzung mit Schrift, Tradition, Vernunft und den übrigen „loci theologici“ hier klar Stellung zu beziehen in Wissenschaft, Kirche, Gesellschaft. Nicht alles, was sich „in der Tradition“, „christlich“ oder „katholisch“ nennt, ist es auch.

Welche Erkenntnisse oder Diskussionen aus den bisherigen Gastvorträgen haben Sie persönlich überrascht oder zum Nachdenken angeregt?

Jäger: In Justin McBrayers Vortrag über Fake News in Trumps MAGA-Amerika, aber auch in James Beebes Vortrag über das Verhältnis zwischen Selbstdenken, personaler Autonomie und vernünftigem Vertrauen in Expert:innen wurde einerseits die Bestürzung erkennbar, mit der Kolleg:innen aus den USA die dortigen autokratischen Entwicklungen verfolgen, andererseits aber auch die Entschlossenheit, mit der viele von ihnen diesen entgegentreten. Vielleicht wird man in einigen Jahren die neue Kategorie der Trump-Lüge im Handbuch autoritärer Propaganda finden.

Quast-Neulinger: Mich beschäftigt sehr, wie tief und weit die transnationalen Netzwerke sind, die an der Zerstörung von Vertrauen, Demokratie, Menschenrechten arbeiten. Marietta van der Tol hat dies in ihrem Vortrag verdeutlicht, aber auch Massimo Faggioli. Wie Verfassungen umgedeutet werden, um Minderheiten auszuschalten, Kirchen gefügig gemacht werden oder wo religiöse Akteure bereitwillig mitarbeiten, antidemokratische, illiberale Regime zu errichten. Die Fragen drängen: Waren wir zu naiv? Wie können wir das Gute stärken?

Das Interview mit Christoph Jäger und Michaela Quast-Neulinger führte Federica Malfatti.

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