Symbolbild Vorwort

Vorwort

Theologie in der Krise?

Wilhelm Guggenberger

Aufbruch in ein neues Studienjahr Oktober 2022; in einer Zeit, in der das Wort Krise Hochkonjunktur hat. Kürzlich wurde der triste Reigen der bedrängenden Krisenlagen medial um eine erweitert, die vielen in der Gesellschaft als kaum relevante Marginalie erscheinen mag: Den theologischen Fakultäten gehen die Studierenden aus.

Für uns an der Katholisch-Theologischen Fakultät ist das keine Neuigkeit. Wir haben nicht mit katastrophalen Einbrüchen zu kämpfen, wohl aber damit, dass sich unsere Hörer*innen-Zahlen in 20 Jahren halbiert haben. Im Vergleich zum Vorjahr halten sich unsere Grundstudien stabil. Der mit der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen angebotene Lehrgang zu angewandter Ethik wird intensiv nachgefragt, auch der international ausgelegte Master in Philosophy of Religion beginnt anzulaufen. Die Zahl der Dissertant*innen an unserer Fakultät übersteigt noch immer die Hundertergrenze, womit ein Viertel unserer Studierenden Doktorierende aus aller Welt sind. Kaum Interesse besteht am Lehramtsstudium Religion, was allerdings auch daran liegt, dass sich derzeit generell wenige junge Menschen für den Lehrerberuf entscheiden, obwohl die Jobaussichten in der Schule so gut sind wie lange nicht.

Wie aber konnte es so weit kommen? Wo ist die Aufbruchsstimmung geblieben, die im Oktober 1962 die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht nur innerhalb der Katholischen Kirche ausgelöst und damit auch ein enormes Interesse an theologischen Fragen geweckt hat? Kaum jemand vermag darauf eine wirklich schlüssige Antwort zu geben, auch wenn viele Einzelfaktoren benannt werden können. Wir stellen jedenfalls fest, dass eine Reihe von Lehrangeboten unserer Fakultät auch von Studierenden anderer Fächer nachgefragt wird. Fragestellungen und Themen der Philosophie und Theologie sind nicht obsolet, sie werden freilich kaum noch als wesentlicher Teil einer Berufsausbildung wahrgenommen. Wie wir darauf reagieren können, wie wir unsere Kompetenzen weiterhin in den interdisziplinären Diskurs der Wissenschaften einbringen können, das wird uns in den kommenden Jahren intensiv zu beschäftigen haben. Denn an einem zweifeln wir nicht: Prozesse der Transformation, die derzeit von höchster Dringlichkeit sind, können von Offenheit für Transzendenz und die Reflexion darüber nur profitieren, setzt doch jede Transformation die Offenheit für eine Realität jenseits des derzeit Gegebenen notwendig voraus. Die Perspektiven der Theologie braucht es also auch, ja vielleicht besonders in der Krise.

Wilhelm Guggenberger, Dekan 

 

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