Internationalität: Neue Sprachen

In den 1960er Jahren wurden im Rahmen zunehmender Internationalisierung Professuren für neue literatur- und sprachwissenschaftliche Fächer ministeriell genehmigt,

  • eine Professur für Amerikanistik,
  • eine Professur für Slawistik und
  • eine für vergleichende Literaturwissenschaft (Komparatistik).

Erst nach gut einem Jahrzehnt konnten diese Lehrstühle längerfristig besetzt werden. Mehrere Besetzungsvorschläge der Innsbrucker Philosophischen Fakultät waren ins Leere gelaufen.

Die Amerikanistik konnte erst 1973 mit der Berufung von Brigitte Scheer wirksam besetzt werden, nachdem der 1965 ernannte, am New York City College lehrende John Hinz die Universität Innsbruck 1967 ohne Ankündigung verlassen hatte. Ein zweiter Besetzungsvorschlag aus dem 1969 verlief neuerlich im Sand.

Das Fach entwickelte sich aus dem 1956 im Zug einer US-Kulturoffensive gegründeten „Amerika-Institut“, in dessen Rahmen auch aus „ERP-Mitteln“ finanzierte, jährlich wechselnde Fulbright-Lektoren als Gastprofessoren dozierten, bekannt der 1958/59 lehrende Kulturhistoriker George Steiner (Jg. 1929). (Vgl. Klaus Lanzinger [mit Einleitung von Karl Pivec]: Tätigkeit des Amerika-Instituts der Universität Innsbruck 1956-1966, in: Americana-Austriaca. Festschrift des Amerika-Instituts Innsbruck anlässlich seines zehnjährigen Bestehens, Wien 1966, 17-31; Vgl. Susanne Mettauer: The Institutionalization of American Studies at Austrian Universities: The Innsbruck Model, in: Austrian Foreign Policy in Historical Context, hrg. von Günter Bischof, u.a., New Brunswick 2006, 280-304; Arno Heller: Difficult Beginnings – Birth and Growth of American Studies at the University of Innsbruck, in: 50 Years of American Studies in Innsbruck. Past and Future, hrg. von Gudrun Grabher und Claudia Schwarz, Innsbruck 2009, 27-39. Zu den auch als „worldwide cultural imperialism“ eingeschätzten Fulbright-Programmen vgl. Reinhold Wagnleitner: Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 1991)

1968 erstellte die Philosophische Fakultät einen „primo et unico-loco“ Vorschlag für die neue Lehrkanzel der Slawistik, genannt Herbert Peukert (Universität Jena). Das Ministerium forderte aber einen regulären Dreiervorschlag, auf dem sich auch der 1970 aus Graz berufene Herbert Schelesniker finden sollte. In den Jahren nach 1945 waren die slawischen Sprachen über einfache Lektorate vertreten worden, wirksamer war nur die Lehrtätigkeit des für osteuropäische Geschichte und slawische Geschichte habilitierten Privatdozenten (Titularprofessors) Hans Halm (1887-1975). (Vgl. Sigrid Darinka Völkl: Herbert Schelesniker (1926-1991), in: 25 Jahre Institut für Slawistik an der Universität Innsbruck 1970-1995, hrg. von Ingeborg Ohnheiser, Innsbruck 1995, 5-19 und Franz Huter/Gerhard Oberkofler: Nachruf auf Hans Halm (1887-1975), in: Nachrichtenblatt der Universität Innsbruck für das Studienjahr 1974/75, Innsbruck 1975, 139-142)

Über sechs Jahre zog sich die Lehrkanzelfrage „Vergleichende Literaturwissenschaft“ hin. Erst zum Wintersemester 1970/71 konnte sie mit Zoran Konstantinovic (1920-2007) besetzt werden, nachdem zuvor 1964 die Literaturwissenschaftler Horst Rüdiger (Bonn) und Wolfram Mauser (Innsbruck/Freiburg) abgesagt hatten, und nachdem der im zweiten Vorschlag erstgereihte Wilhelm Grenzmann 1967 knapp vor Amtsantritt verstorben war. (Vgl. Zoran Konstantinovic: Grundlagentexte der vergleichenden Literaturwissenschaft aus drei Jahrzehnten, Innsbruck-Wien 2000; Zoran Konstantinovic im Gespräch, hrg. von Martin Sexl, Innsbruck 2009; Gerhard Oberkofler und Peter Goller: Zum Tod des jugoslawischen Patrioten und Literaturwissenschaftlers Zoran Konstantinovic, in: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft in Wien 14/3 (2007), 19f., auch online-ressource!)

 

Zu den an der Universität Innsbruck Mitte der 1960er Jahre schon traditionellen philologischen Fächern ist anzumerken:

  • Im altgermanistischen Fach war 1965 Johannes Erben (Jg. 1925) auf Karl Kurt Klein gefolgt. Klein hatte es 1945 auf der Flucht vor der gegen die Nazifaschisten vorrückenden Roten Armee von der rumänischen Universität Klausenburg nach Tirol verschlagen. 1947 hatte die Fakultät auf Wunsch des emeritierten Josef Schatz vergeblich versucht, ihren ehemaligen Dozenten Leo Jutz aus Graz zurück zu holen. Erst nach anhaltendem fakultätsinternen Widerstand konnte Karl Kurt Klein (1897-1971) im Jahr 1952 von der Supplentur in die reguläre Lehrkanzel einrücken. ( Sigurd Paul Scheichl: 150 Jahre Germanistik in Innsbruck. Streiflichter zu Geschichte und Gegenwart des Instituts für Germanistik [1859-2009], Innsbruck 2009. Aus der Sicht von Klein vgl. Hermine Pilder-Klein: Karl Kurt Klein. Ein Gelehrtenleben im Umbruch der Zeit, Konstanz 1997, 356-397)
  • In der Nachfolge des nach Wien berufenen Moriz Enzinger lehrte seit 1954 Eugen Thurnher (1920-2007) neuere deutsche Sprache und Literatur. Kam der literaturpolitisch konservative Thurnher aus der Ecke der austrofaschistisch katholischen (Vorarlberger) „Vaterländischen Front“, so waren die anderen im Dreiervorschlag des Jahres 1954 Genannten mittlerweile „entnazifizierte“, mehr oder weniger in die NS-Germanistik involvierte Fachvertreter, so neben dem Innsbrucker Herbert Seidler vor allem Erich Trunz und Wilhelm Emrich. Letzterer sollte es so wie Hans Schwerte/Schneider oder Hans Robert Jauß in den 1990er Jahren wegen seiner „Mehrfachbiographie“ zu einem „Fall Emrich“ bringen. ( die Einträge in: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950, hrg. von Christoph König, 3 Bände, Berlin 2003; vgl. auch Lorenz Jäger: Wilhelm Emrich, in: Wissenschaftsgeschichte der Germanistik in Porträts, hrg. von Christoph König, Hans-Harald Müller und Werner Röcke, Berlin 2000, 249-258)
  • In der Klassischen Philologie wurde 1950 der bei Kriegsende1944/45 habilitierte und 1986 emeritierte Robert Muth (1916-2008) Nachfolger des nach Wien berufenen Albin Lesky. Der im CV verankerte Muth wurde zu einem maßgeblichen Protagonisten des politischen Universitätskatholizismus. ( Karlheinz Töchterle: Nachruf auf Robert Muth, in: Gnomon 81 (2009), 573-575, auch online-ressource!) Dem 1958 emeritierten Karl Jax folgte aus Würzburg Wolf Steidle. Nach Steidles Ruf an die Universität Frankfurt folgte 1964 der rund dreißig Jahre später in Innsbruck emeritierte Paul Händel. (Vgl. ausführlich Christine Schissling: Die Geschichte der Klassischen Philologie an der Universität Innsbruck von 1816 bis 1964, phil. Diplomarbeit, Innsbruck 2014)
  • In der allgemeinen (indogermanischen, vergleichenden) Sprachwissenschaft kehrte 1965 mit der Berufung von Wolfgang Meid wieder längerfristig Kontinuität ein. Meids Vorgänger Wolfgang Schmid hatte die Universität Innsbruck nach nur einem Studienjahr Richtung Göttingen verlassen. Schmid seinerseits war Nachfolger von Johann Knobloch (Jg.1919): Der 1951 bei Hermann Ammann habilitierte Knobloch war von Ammanns Tod 1956 bis zur Berufung an die Universität Bonn 1963 Professor für „vergleichende Sprachwissenschaft“. Auf der Homepage des Innsbrucker Instituts ist zu lesen: Knobloch „war ein vorzüglicher Kenner der kaukasischen Sprachen und der Sprachen der Roma. Im Frühjahr 1943 hatte Knobloch, so die Website roma_2000, zehn Tage im burgenländischen ‚Zigeuner-Anhalte- und Zwangsarbeitslager“ Lackenbach zu Studienzwecken verbracht, [um] ‚einen Überblick über die Zigeunerdialekte Burgenlands‘ (Knobloch 1943, S. 1) zu geben. Diese sprachwissenschaftlichen Forschungen waren im Auftrag der SS-Forschungsinstitution ‚Ahnenerbe‘ durchgeführt worden. Die Seite roma_2000 führt weiter an: ‚Inwieweit Johann Knobloch von dem Hintergrund des Forschungsauftrages und von den konzentrations[lager]ähnlichen Zuständen im Lager Lackenbach informiert war, ist nicht bekannt. In einem Interview im Jahre 1990 mit der Literaturwissenschaftlerin Beate Eder stritt er ab, etwas davon gewusst zu haben.‘“ ( Gerhard Oberkofler und Hermann Ölberg: Dokumente zur Geschichte der indogermanischen und allgemeinen Sprachwissenschaft sowie zur altindischen Geschichte (Philologie) und Altertumskunde an der Universität Innsbruck. Von den Anfängen 1861 bis 1945, Innsbruck 1984; vgl. auch Institutsgeschichte auf der Homepage des Instituts für Sprachen und Literaturen der Universität Innsbruck. Bereich: Sprachwissenschaft – und Peter Goller/Georg Tidl: „Der 1. ist Halbjude, der 2. Volljude.“ (Oskar Becker 1950). Aus der akademischen Korrespondenz von Oskar Becker (Bonn) und Hermann Ammann (Innsbruck) 1935-1950, in dieselben: Jubel ohne Ende. Die Universität Innsbruck im März 1938, Wien 2012, 193-203)
  • Die Altorientalistik blieb nach der politischen Enthebung von August Haffner (1869-1941, zu Haffner gesonderter Eintrag in dieser „Online-Reihe“ des Universitätsarchivs!) nach dem „Anschluss“ 1938 fast vier Jahrzehnte unbesetzt. Der 1945 aus Prag geflohene, in nazistische Wissenschaftsvorhaben involviert gewesene Adolf Grohmann brachte sich 1946 vergeblich für die Haffner-Nachfolge in Stellung. Grohmann hat dann den jüngeren Zweig der Orientalistik in Innsbruck bis in die 1960er Jahre als Lehrbeauftragter im Rang eines Honorarprofessors vertreten. Jahrelang hat Karl Oberhuber (1915-1997), Herausgeber des „Sumerischen Lexikons“, die Lehrkanzel im Assistentenrang suppliert, ehe er 1973 zum Professor für „Sprachen und Kulturen des Alten Orients“ ernannt werden sollte. (Vgl. Manfred Schretter: Karl Oberhuber, in: Archiv für Orientforschung 44/45 (1997/98), 585-587, auch online-ressource!)
  • In der Romanistik war nach mehreren Rufabsagen 1952 aus Marburg Alwin Kuhn (1902-1968) als Nachfolger des an die Universität Wien ernannten Josef Brüch berufen worden. Die literaturwissenschaftlich ausgerichtete „Romanistik II“ wurde 1965 mit dem Direktor des deutschen Kulturinstituts in Genua Herbert Frenzel (1913-1968) besetzt. ( Eva Lavric und Paul Videsott (Hrg.): Romanistica Oenipontana. 105 Jahre Romanistik in Innsbruck, Innsbruck 2009, 114- 122, auch online-ressource!)
  • In der Anglistik folgte 1958 Harro Heinz Kühnelt (1923-2008) auf Karl Brunner. Karl Brunner (1887-1965) war 1938 wie der Anglistikdozent Karl Hammerle (1904-1978) vom Nazi-Regime aus dem Lehramt vertrieben worden. ( zu Brunner und Hammerle die Einträge in Anglistenlexikon 1825-1990, hrg. von Gunta Haenicke und Thomas Finkenstaedt, Augsburg 1992, 55f. und 121; dazu auch online-Rubrik „Vertriebene Wissenschaft“ auf der Homepage der Universität Innsbruck!)
  • Die Translationswissenschaften sind erst seit 1990 mit einer eigenen Professur vertreten. Zum 1. März 1990 wurde Annemarie Schmid zur Ordinaria der Übersetzungswissenschaft ernannt. Bis in die 1980er Jahre war das „Institut für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung“ eine administrative, jahrelang von Verwaltungsdirektor Gottfried Reitinger geleitete Studieneinrichtung! Die wissenschaftliche Leitung teilten sich die jeweiligen Inhaber der anglistischen, romanistischen oder slawistischen Professuren. ( Bernadette Obrist und Margit Bürgler: Übersetzer- und Dolmetscherausbildung an den Instituten Innsbruck, Wien, Germersheim, Heidelberg, Leipzig. Ein historischer Vergleich, phil. Diplomarbeit, Innsbruck 2011)

 

Dokumente im Folgenden:

 

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