Herfried Hoinkes: Internationales Polarjahr (1957/58)

Während des Internationalen Geophysikalischen Jahres 1957/58 konnte Herfried Hoinkes (1916-1975) das Strahlen-forschungsprogramm der Antarktis-Station „Little America V“ (und auch jenes am Südpol direkt) leiten. Hans Kinzl schreibt 1975, dass Hoinkes die in den Ostalpengletschern erprobte alpine Glazialmeteorologie um die Polarforschung erweitert hat: „Hoinkes hat durch seine Forschungen über die Strahlungs- und Wärmebilanz an der Gletscheroberfläche und über den Massenhaushalt in den Alpen und in der Antarktis neue Bereiche der Glaziologie erschlossen, die nach seiner Auffassung und auch in seinen Arbeiten als ein Teil der Geophysik erscheint.“ (Vgl. Hans Kinzl: Nachruf auf Herfried Hoinkes, in: Zeitschrift für Gletscherkunde und Glazialgeologie 10 (1974), 5-10. Zur Geschichte der österreichischen Gletscherforschung u.v.a.m. Albrecht Penck: Friedrich Simony. Leben und Wirken eines Alpenforschers. Ein Beitrag zur Geschichte der Geographie in Österreich, Wien 1898, 42-49)

Helmut Pichler notiert in seinem für die „Berichte des naturwissenschaftlich medizinischen Vereins Innsbruck“ (63, 1975, 293-297) verfassten Nachruf: Hoinkes‘ wissenschaftliches Werk „umfasst ein weites Spektrum, angefangen von der Synoptischen Meteorologie über die atmosphärische Optik, Klimatologie, Mikrometeorologie, Glazialmeteorologie, Glaziologie, Polarmeteorologie bis zur Eiszeitforschung und Paläoklimatologie“.

Ferdinand Steinhauser, Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und Geophysik in Wien, schreibt 1975 im „Archiv für Meteorologie“ (Serie A, 24, 389-391): Von der synoptischen Meteorologie (Föhnstudien etc.) kommend war Hoinkes‘ „eigentliches Arbeitsgebiet aber die Glazialmeteorologie. (…) 1948 hat Hoinkes ein eigenes langfristiges glazialmeteorologisches Forschungsprogramm am Hintereisferner, Kesselwandferner und Vernagtferner in den Ötztaler Alpen begonnen, das in erweitertem Umfang in den Forschungsprogrammen des internationalen Geophysikalischen Jahres 1957/58 und der Internationalen Hydrologischen Dekade eine Fortsetzung bis in die Gegenwart erfahren hat. Das Hauptziel seines Forschungsprogramms war es, durch Beobachtung aller meteorologischen und hydrologischen Komponenten, die auf den Massenhaushalt und auf den Wärmehaushalt der Gletscher Einfluss haben, quantitative Grundlagen für eine Klärung der komplexen Beziehungen zwischen den Gletscherschwankungen und den Änderungen der meteorologischen Verhältnisse zu schaffen.“

Herfried Hoinkes war 1940 mit einer von Arthur Wagner approbierten Dissertation „Großräumige Untersuchung von Steig- und Fallgebieten des Luftdrucks“ promoviert worden. 1949 mit dann im „Archiv für Meteorologie“ veröffentlichten Studien über die „interdiurnen Änderungen von Druck und Temperatur in der unteren Troposphäre bis 5 km Höhe“ habilitiert konnte Hoinkes 1956 die meteorologische Professur in der Nachfolge von Albert Defant übernehmen.

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Herfried Hoinkes stand in einer großen Schullinie. Die weltweit wirkende Tradition der Innsbrucker meteorologischen Schule (ursprünglich bei der Gründung 1890 als Lehrkanzel „Kosmische Physik“ bezeichnet) ging auf deren Gründungsprofessor Josef Maria Pernter (1848-1908) zurück. Pernter wurde 1890 vorgeschlagen, nachdem der Wiener Physiker Josef Stefan die Qualifikation des aus Südtirol gebürtigen Mitarbeiters der Zentralanstalt bestätigt hatte. Zum nordalpinen Föhn oder zu den klimatischen Verhältnissen auf dem Sonnblick forschend trat Pernter 1897 die Nachfolge seines Lehrers Julius Hann im Ordinariat für Physik der Erde in Wien und in der Direktion der Zentralanstalt für Meteorologie und Geophysik an.

Pernter war ein prominenter Vertreter des politischen Katholizismus und machte etwa auf Heinrich Ficker mehr den Eindruck eines streitbaren Kardinals als den eines Gelehrten. Seinem Freund Hans Malfatti, Professor der Medizinischen Chemie und über Jahre konservativer Tiroler Landtagsabgeordneter, gegenüber erklärte Pernter, jede defensiv „anti-modernistisch“ abwehrende Stellung gegen den unvermeidlichen naturwissenschaftlichen Fortschritt schadet einer erfolgreichen Apologetik christlicher Dogmen. Pernter war deshalb auch kein Anhänger einer neu zu gründenden katholischen Universität Salzburg: Eine solche wird nicht genügend qualifizierte Wissenschaftler gewinnen und so alsbald in die Isolation geraten. Katholische Wissenschaftler müssten vermehrt Lehrstühle an den allgemein staatlichen Universitäten erobern. (Vgl. Wilfried Hofinger (Hrg.): Briefe und Corrspondenz-Karten von Joseph Maria Pernter an seinen Freund Hans Malfatti aus den Jahren 1898 bis 1908, Manuskript 2007)

Mit Wilhelm Trabert (1863-1921) lehrte für einige Jahre ein weiterer Protagonist der „österreichischen Meteorologie“ in Innsbruck. Trabert, 1888 in die Zentralanstalt eingetreten, besonders an den Sonnblick-Forschungen beteiligt, hatte sich 1893 in Wien habilitiert. 1902 unico loco vorgeschlagen lehrte er bis 1909 in Innsbruck und kehrte dann nach Wien zurück. Heinrich Ficker urteilt über seinen Lehrer Trabert: „Dadurch, dass er seinen Schülern als erster die schwer verständlichen Arbeiten von [Max] Margules nahebrachte und wohl als erster Meteorologe ihre weittragende Bedeutung erkannte, ist er der eigentliche Begründer einer wirklichen, bestimmte Lehrmeinungen vertretenden ‚Österreichischen Schule‘ geworden.“ Ficker bezog sich hiermit auf Traberts Arbeit über „die Theorie der täglichen Luftdruckschwankungen von Margules und die tägliche Oszillation der Luftmassen“ (1903). Aus den Innsbrucker Vorlesungen entstand auch Traberts „Lehrbuch der Kosmischen Physik“ (Leipzig-Berlin 1911).

An zwei weitere Gelehrte ist der internationale Ruf der Innsbrucker Meteorologen-Schule geknüpft, an die beiden Trabert-Assistenten Albert Defant (1884-1974) und an Heinrich Ficker (1881-1957). Heinrich (Heinz) Ficker promovierte bei Trabert 1906 mit der Dissertation „Innsbrucker Föhnstudien“. Sein Studienkollege Defant promovierte ebenfalls 1906 mit einer Arbeit über „Gesetzmäßigkeiten in der Verteilung der verschiedenen Tropfengrößen bei Regenfällen“.

Albert Defant, 1909 in Wien habilitiert, lehrte später von 1919 bis 1926 und von 1945 bis 1955 in Innsbruck, zwischenzeitig war er an die Universität Berlin berufen. Er gilt als einer der Begründer der (vor allem auch militärisch [erst für die deutsche Kriegsmarine, dann nach 1945 für die Royal Navy] verwertbaren) Ozeanographie als einer exakt geophysikalischen Wissenschaft.

Heinrich Ficker fühlte sich in seinen Arbeiten stark dem Wirken von Max Margules verpflichtet. 1909 in Innsbruck habilitiert, seit 1911 Professor in Graz wurde Ficker 1922 nach Berlin berufen. Die Wiener Fakultät holte Ficker 1937 zurück. Weltrang hat Ficker mit grundlegenden Arbeiten über die Ausbreitung von Wärme- und Kältewellen, die Teile der von der Norwegischen Meteorologen-Schule um Vilhelm Bjerknes aufgestellten Polarfront- und Zyklonen-Theorie vorwegnahmen, erlangt. (Vgl. Gerhard Oberkofler: Berufungen von Naturwissenschaftlern der Universität Innsbruck an die Universität Berlin, in: Tiroler Heimat 48/49 (1981), 142-149)

Auf das Innsbrucker Katheder von Wilhelm Trabert rückte 1910 Felix Maria Exner nach, den die Fakultät auf Grund eines Gutachtens von Trabert primo loco vor Ficker und Defant vorgeschlagen hatte. Felix Maria Exner (1876-1930) hatte sich 1904 an der Universität Wien unter dem Einfluss von Julius Hann und Max Margules habilitiert. Frühzeitig kommt Exners Lieblingsthema, die Wetteränderung theoretisch zu behandeln und die Prognosetechniken zu verbessern, zur Geltung. Exners Hauptwerk, das Lehrbuch „der dynamischen Meteorologie“ (Leipzig-Berlin 1917) entstand vor seiner Rückberufung an die Universität Wien 1916 in Innsbruck.

Auf Initiative des scheidenden Exner legte die Philosophische Fakultät 1917 für dessen Nachfolge folgende Terna vor: 1. Heinrich Ficker, der aber in Graz bleiben will, 2. Albert Defant, der schlussendlich bis 1926, bis zu seiner Berufung nach Berlin, in Innsbruck lehren wird, und gleichrangig Wilhelm Schmidt, ebenfalls Privatdozent in Wien und Mitarbeiter der Zentralanstalt. Der bedeutende, 1917 in Czernowitz lehrende Victor Conrad wurde aus Gründen des akademischen Antisemitismus übergangen: „Nach Ausscheidung des Herrn Dr. Viktor Conrad, a.o. Prof. der Meteorologie in Czernowitz, der nach seinen wissenschaftlichen Leistungen mit an erster Stelle zu nennen wäre, aber aus Gründen anderer Art bereits in den Vorschlag, der seinerzeit zur Besetzung der Lehrkanzel durch Prof. Exner geführt hatte, nicht aufgenommen worden war, verblieb (…).“ (Vgl. Gerhard Oberkofler und Peter Goller: Von der Lehrkanzel für Kosmische Physik zur Lehrkanzel für Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck. Von Josef Maria Pernter bis Herfried Hoinkes (1890-1975), in: 100 Jahre Institut für Meteorologie und Geophysik an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 1890-1990, Innsbruck 1990, 11-96. Über den 1938 in die USA geflüchteten Viktor Conrad vgl. auch Helmut W. Flügel (Hrg.): Alfred Wegeners vertraulicher Bericht über die Grönland-Expedition 1929, Graz 1980, 8f.: Aus Anlass der Regelung der Nachfolge für Heinrich Ficker merkte das Grazer Professorenkollegium 1922 an: „Prof. Conrad ist Jude und seine Ernennung würde schwerem Widerstand seitens der Grazer Studentenschaft begegnen.“)

 

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