Peter Goller
Innsbrucker „Studentenbewegung“ 1967 bis 1974.
Eine knappe Chronologie

Seit Mitte der 1950er Jahre war der – ohnedies an der rechten sozialdemokratischen Linie – orientierte Verband Sozialistischer Studenten nicht mehr im Innsbrucker ÖH-Hauptausschuss vertreten. Hatte der VSStÖ 1949 gegen den bürgerlich-katholischen Wahlblock noch knapp 17 Prozent, das waren 205 Stimmen erreicht, so kam in den restaurativen fünfziger Jahren mit rückläufigen Bildungschancen für Arbeiterkinder das Aus für linke Wahllisten vor Ort. Die Wahl zum Innsbrucker Hochschülerschaftsausschuss ergab etwa 1959 bei einer Beteiligung von fast 70 Prozent der allein wahlberechtigten inländischen StudentInnen 733 Stimmen für den maßgeblich vom CV bestimmten „Wahlblock österreichischer Akademiker“, 262 Stimmen für den Anfang der 1950er Jahre (wieder) zugelassenen „Ring Freiheitlicher Studenten (RFS)“ und bloß 58 Stimmen für den „Verband Sozialistischer Studenten“ sowie ganze 3 Stimmen für den „ kommunistisch geführten Verband demokratischer Studenten“. Der „Wahlblock“ erhielt 10 Mandate im lokalen StudentInnenparlament, der RFS 3.

Den Niedergang des nach der Befreiung vom Faschismus bescheiden und kurz auflebenden sozialistischen Studentenverbandes kommentierten die reaktionären „Tiroler Nachrichten“ im Vorfeld der ÖH-Wahl 1959 in dem Sinn, dass die Universität nun so wie 1934 „sozifrei“ ist: „Dies ist ein Zeichen dafür, dass die studierende Jugend Österreichs weder von offen noch von versteckt marxistischen Gruppen und Grüppchen etwas wissen will und dass der wirklich sozialistische Akademiker auch in Zukunft eine Ausnahmeerscheinung bleiben wird.“ An diesen Verhältnissen änderte sich in Innsbruck 1967 im Vorfeld der „Studentenbewegung“ nichts, die sozialistischen Studierenden erreichten weiter kein Mandat im Hauptausschuss, sie erzielten 143 Stimmen, der RFS 762 und der Wahlblock 1531 Stimmen.

Über Innsbruck hinaus Aufsehen machten Innsbrucker Studenten durch antisemitische Affären, vor allem durch die Schändung des Jüdischen Friedhofs 1961. Ende März 1965 gab es keinerlei Innsbrucker Protestaktionen gegen Taras Borodajkewycz, gegen jenen Borodajkewycz, der schon 1942 auf der Berufungsliste für die Innsbrucker Professur der Neuen Geschichte gestanden war, und der nun im Februar 1965 knapp vor seinen direkt öffentlich neonazistisch antisemitischen Tiraden noch einmal ehrenhalber in der Präambel eines Innsbrucker Vorschlages für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte genannt wurde.

Die Zahl der StudentInnen stieg von 5725 Mitte der sechziger Jahre (1964/65) auf 7344 Anfang der siebziger Jahre (1971/72) und überschritt 1974/75 mit 10040 Studierenden die „Zehntausender-Marke. Ein überaus hoher Anteil bundesdeutscher StudentInnen prägte noch in den sechziger Jahren eine Szene, die in den BRD-Zeitungen die Rede vom „Dr.inns.“ anstachelte.

Die Zahl der Studienabschlüsse stieg von 330 im Jahr 1964/65 sukzessive auf 760 im Jahr 1974/75. Von den 330 Studienabschlüssen 1964/65 entfielen 60 auf Studentinnen, also nicht einmal ein Fünftel. Mehr als die Hälfte der Studentinnen schloss an der Philosophischen Fakultät ab. Zehn Jahre später 1974/75 bot sich immer noch dasselbe Bild.

Insgesamt prägte ein Lehrkörper die Universität, der sein erstes akademisches Kapital in den Jahren des Austrofaschismus und/oder des NS-Faschismus erworben hatte. Symptomatisch für die Verhältnisse waren wegen ihres Einsatzes für das NS-Regime bekannte Rektoren wie der Nationalökonom Ferdinand Ulmer (1963/64) oder der Mediziner Theodor von der Wense (1968/69), der zwar seine frühen „Aktivitäten“ für die NSDAP „seit 15. März 1933, Mitgliedsnummer 1,517.334“, sowie seine Auszeichnung als „verdienter Kämpfer“ nicht bestritten hat, der aber geschickt einen späteren „Austritt“ aus der SS als „Widerstand“ verkaufen konnte.

Dies war möglich, weil über der faschistischen Periode der Universität Innsbruck ein völliger Nebel des Schweigens hing, angesichts der ungebrochenen Kontinuität auch notwendig hängen musste. Die Opfer des NS-Regimes an der Universität waren vollkommen vergessen. Allein von der gesellschaftlichen Lage her bestand nicht das geringste Interesse an einer Erinnerung oder gar Rehabilitation. Auch fortschrittliche Studierende waren über diese knapp 20 Jahre zurückliegenden Zusammenhänge nicht informiert. Sie waren jedenfalls nicht in der Lage sie zu thematisieren. Sie wussten fast nichts von der Vergangenheit eines Ulmer, Wense, von jener des Germanisten Herbert Seidler oder u.v.a.m. von jener des Strafrechtlers Friedrich Nowakowski. Die Habilitation eines rechten Politologen wie Armin Mohler, dem Wiederentdecker der „Konservativen Revolution“, konnte 1967/68 nicht politisch verhindert werden. Jene eines Juristen wie Kurt Rabl scheiterte Ende 1967 nur am Einspruch von außen durch das Dokumentationszentrum des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes. Rabl hatte u.a. 1939 der slowakischen Regierung den „Entwurf einer Verordnung über die Errichtung von Konzentrationslagern“ vorgelegt.

„1968“ war in Innsbruck weiter die Welt der tief „abendländisch“ rückwärtsgewandten, „Grenzlandvolkstum“ orientierten „Mozartpreise“ gestiftet aus den Kanälen der Töpfer-Stiftungen, wo junge Nachwuchswissenschaftler/innen sich billig kaufen ließen.

Es war kein Zufall, dass es keinen Protest gegen die vom „Deutschen Freundeskreis“ unterstützte Verleihung eines Ehrensenator-Titels an den selbst in bürgerlichen BRD-Kreisen berüchtigten süddeutschen NS-Wirtschaftsfunktionär Fritz Kiehn 1966 gab, und auch keinen 1970, als der Leiter des „Studentenwerks Innsbruck“ vom Jahr 1938/39 Hanns Martin Schleyer, der 1940 in der Aula Innsbrucks Studierenden Horst Wessel als Vorbild empfohlen hatte, als nunmehriger, gegen Streikkämpfe scharf machender Kapitän des Bundes deutscher Industrieller buchstäblich an die Universität Innsbruck heimkehrte – anerkannt und gewürdigt als Ehrensenator wegen „der besonderen Verdienste um die von der Universität Innsbruck vertretenen wissenschaftlichen und kulturellen Ziele“. Die „feierliche Investitur“ Schleyers erfolgte im Juni 1970 im großen Rahmen der 300-Jahr-Feier der Universität Innsbruck.

Einige Bewegung in die restaurativ ideologische Erstarrung an der Innsbrucker Universität hatte der Mathematikordinarius Wolfgang Gröbner gebracht, der 1963/64 in zahlreich frequentierten, freidenkerischen „Grenzprobleme-Seminaren“ an die liberale Kulturkampftradition der Jahre um 1870 anknüpfend die Eliminierung der Theologischen Fakultäten aus dem Universitätsverband verlangte. Nach Vorsprache des Bischofs wurde dem international angesehenen Wolfgang Gröbner unter Assistenz der Philosophischen Fakultät die Abhaltung dieser Seminare verboten.

Mitte der 1960er Jahre gab es von ÖH-Seite neben Protesten gegen Studienbedingungen, die schon damals hoffnungslos hinter steigenden Hörerzahlen herhinkten, Aktionen gegen strenge „Heimordnungen“ von vorgestern - wie jene im Internationalen Studentenhaus, die jedem konservativen Mittelschülerinternat Ehre gemacht hätte. Gemeinsam forderten der „Wahlblock“ und der VSStÖ im September 1967 die Aufhebung der Studiengebühren, die Beseitigung der Hochschultaxen, - ein Ziel, das 1972/73 erreicht wurde.

1967/68 kam es zu Verschiebungen im bürgerlichen „ÖVP-Wahlblock“, weg von der CV-Dominanz. Von einer „Arbeitsgemeinschaft Nichtkorporierter Christlicher Studenten (ANCS)“ wurde im Juli 1967 der Ausschluss des Cartellverbandes aus der Wahlgemeinschaft verlangt. Nur als Einzelmitglieder sollten CVer akzeptiert werden. Gleichzeitig kam es auch hier zur Abspaltung einer „Aktion [Innsbruck]“, die sich je nachdem „linksliberal parteiunabhängig“, „linkskatholisch“ „linksbürgerlich“ definierte und kurz mit ein, zwei Mandaten im Hauptausschuss vertreten war. An der „Studentenkoalition“ der ÖVP nahen Fraktion mit dem RFS konnte aber auch die „Aktion“ über „1968“ hinweg in Innsbruck nichts ändern.

Die 1968 aus dem „Wahlblock“ hervor gehende Österreichische Studentenunion (ÖSU) versuchte sich auch in Innsbruck als die „progressive Mitte“ zu positionieren, erhob Mitbestimmungsforderungen, protestierte gegen symbolischen Universitätstraditionalismus, beteiligte sich gelegentlich Trittbrett fahrend an Kampagnen wie jener für die Verkürzung des Bundesheer-Grundwehrdiensts. ÖSU-VertreterInnen machten sich dann Anfang der 70er Jahre lustig über die sommerlichen „Molden-Abendland-Festspiele“ in Alpbach oder auch über das „Kasperletheater“ der Rektorsinauguration. „Modernisierung“ der Hochschulen und annähernde universitätsinterne studentische Drittel-Mitbestimmung waren die zentralen ÖSU-Ziele bis 1975.

Eine fortschrittliche Politisierung von kleinen Teilen der Innsbrucker StudentInnenschaft war 1967 durch den Protest gegen die griechische Militärdiktatur, durch die Solidarisierung mit vom Schah-Regime verfolgten iranischen Studierenden erfolgt. Am 27. April 1967 protestierten rund 150 Studierende, VSStÖler gemeinsam mit griechischen und iranischen Kollegen, im ÖGB-Haus gegen das rechte Militärregime in Athen. Parallel liefen im April 1967 VSStÖ-Aktionen gegen eine Tirol-Rundreise des „Kaisersohns“ Otto Habsburg. Wegen dieser Ablehnung konnte Habsburg seine „paneuropäisch“ übertünchten Monarchie-Konzepte nicht an der Universität selbst vortragen, - ein Teilerfolg.

Ob Adorno, Horkheimer oder Marcuse, also das Bündnis und Zerwürfnis (des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes - SDS) mit der „kritischen Theorie“ breiter studiert wurden, muss offen bleiben. Erst in der späteren Innsbrucker StudentInnenbewegung nach 1968, die schwer in ein Ablaufmodell „antiautoritäre Phase – Neue Linke – Marx-Rezeption – proletarische Wende – K-Gruppen“ zu pressen ist, ist eine solche Wirkung deutlicher geworden. Auf Schlüsselereignisse wie das Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 gibt es aber etwa – so wie schon zuvor beim Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 – keine unmittelbare, dokumentierte lokale Reaktion.

Zweifellos wurde aber die Teilnahme deutscher HochschülerInnen an den Gewerkschafts-Protesten gegen die Notstandsgesetze, das kurze französische Mai 1968-Bündnis von Studierenden mit der Arbeiterklasse, mit dem französischen Generalstreik verfolgt. Öffentliche Solidaritätsaktionen blieben in der „Universitätsprovinz“ jedenfalls aus.

Konstantin Kaiser, 1968 Obmann des VSStÖ in Innsbruck, berichtet im „Standard“ am 5. April 2008, dass die linke Studierendenszene von der Tiroler Staatspolizei auf 40 Leute geschätzt wurde: „Unser inneres Leben war vermutlich aufregender als unsere staatspolizeilich registrierbaren Manifestationen. Der Prager Frühling, die Kulturrevolution in China, die Barrikaden in Paris schienen die Welt in strahlende Rotation versetzt zu haben, ein Ansturm neuer Ideen erfasste uns in vielfacher Verschlingung. Herbert Marcuses Schriften über den ‚Eindimensionalen Menschen’ und die repressive Toleranz, die Frankfurter Schule mit ihren Theorien des ‚Spätkapitalismus’, Fragmente psychoanalytischer Aufklärung überspülten unser bisheriges Wissen und Nachdenken.“

Die „Studentenunruhen“ 1968 gingen an Innsbruck vorüber. So kam es, dass Rektor Theodor von der Wense im Herbst 1968 im Talar sein väterlich gütiges „auch wir waren jung“ unter das Universitätsvolk bringen konnte. Wense, Alter Herr einer Corpsverbindung, schwelgte in Erinnerungen: „Anfang der zwanziger Jahre studierte ich in Jena. Thüringen hatte damals eine kommunistische Regierung (sic!) mit viel russischen Studenten und Studentinnen. Mit denen haben wir dann nächtelang heißt diskutiert, über Fortschritt und Freiheit, über Revolution und Fürstensturz, über Marx und Lenin, oft bis zum Morgengrauen. Herausgekommen ist nie etwas, (…).“ Der Rektor schloss aus seiner Jugenderfahrung für die Gegenwart, dass alle „-ismen“ nichts brächten, eine elegante Wendung auch, um nicht ein Wort von den faschistischen Jahren der Innsbrucker Hochschule konkret sprechen zu müssen.

In der Sache blieb Magnifizenz aber hart: Eine „starre“ Drittelparität kommt nicht in Frage, in Berufungs- und Habilitationskommissionen dürfen Studierende kein Stimmrecht haben, nur eine unverbindliche „verantwortliche Mitbestimmung der Studierenden, soweit sie dazu befähigt sind“, kann in Aussicht genommen werden. Die Universität darf kein „politisches Schulungslager zum Umsturz der gesamten Gesellschaftsordnung“, keine Plattform „für eine kultursoziale Revolution“ werden, das „Schlagwort Demokratisierung“ sei insgesamt gefährlich.

Eine kleine Protestaktion gab es gegen die erstmals im Stadtsaal abgehaltene Amtseinführung doch: Einige VSStÖlerInnen stellten die Inauguration unter dem Adolf-Pichler-Denkmal nach, was die empörte „Tiroler Tageszeitung“ am 18. November 1968 mit Bildbeigabe zur Bemerkung veranlasste: „Adolf Pichler, unter dessen Standbild am Samstag früh ein verlorenes Häuflein sozialistischer Studenten die Inaugurationsfeier persiflierte, schaute gütig auf einige Hochschüler unserer Tage, als sie gerade diesen Platz wählten, um aller Welt kundzutun, wie reif sie wirklich sind.“ Was die TT nicht begriff, der 1848er-Revolutionär Pichler, steter Spötter akademischer Verhältnisse, hätte seine Freude gehabt!

Die politische Stimmung war jedenfalls so, dass der VSStÖ selbst nicht glaubte, unter diesem Namen bei den anstehenden ÖH-Wahlen im Jänner 1969 in Innsbruck reüssieren zu können. Er trat deshalb unter dem harmlos entpolitisierten Namen „LSD – Liste Studentischer Demokratie“ an und erlangte nach fünfzehnjähriger Abwesenheit ein einziges Mandat. An den bekannten Mehrheitsverhältnissen innerhalb der offiziellen Studierendenvertretung änderte sich also nichts.

Die biedere Rede des von der ÖSU gestellten ÖH-Vorsitzenden aus Anlass der Rektorsinauguration von Emerich Coreth SJ spiegelte im November 1969 die Innsbrucker studentenpolitische Realität wider. Bittend um eine möglichst adäquate Drittelparität aber schon dankbar für eine informelle Beteiligung an Senats- und Fakultätssitzungen war gerade dies nach Ansicht des ÖH-Redners Hauptursache dafür, dass im Gegensatz zu Wien keine „radikalen Gruppierungen“ in „schwache Stellen und Lücken der Universitätsstruktur“ eindringen konnten. Dem sei es zu verdanken, dass in Innsbruck im letzten Jahr nur „eine Vorlesungsstunde durch eine studentische Aktion nicht stattgefunden“ hat. Die Innsbrucker Studierenden seien weder „brav“ noch „harmlos“, sondern „kritisch besonnen“! Es war dies übrigens die einzige Rektorsinauguration in Österreich im Herbst 1969, wenngleich wieder im Stadtsaal und diesmal sogar ohne Amtstracht.

Ein wichtiger Politisierungsschub erfolgte über die Kampagne für ein „Volksbegehren gegen das Bundesheer“. Einer vom VSStÖ mit unterstützten „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Informationen“ wurde Ende 1969 ein Stand im Foyer des Hauptgebäudes erlaubt. Schon Ende Jänner 1970 intervenierte aber die Polizeidirektion, weil „universitätsfremde Personen“ - unter ihnen ein „als Kommunist in Innsbruck Bekannter“ – Flugblätter und Broschüren „politischen Inhalts“, also marxistische Bücher verkauften. Dieser Politisierung des Info-Standes wollten weder die ÖH noch „Studentenrektor“ Coreth länger zuschauen. Nachdem am 19. Februar 1970 der mächtige Hochschulsektionschef Walter Brunner wider die „Agitation gegen das Bundesheer auf Hochschulboden“ eingeschritten war, wurde der Stand kurzer Hand geschlossen.

Innerhalb und außerhalb der ÖH-Strukturen bildeten sich seit 1969 Institutsgruppen, die „rein“ studentische Mitsprache in Verwaltung, Lehrgestaltung oder in Berufungsfragen einklagten, nicht selten getragen von „kritischen“ StudentInnen aus dem zerbröselten bürgerlich katholischen „Wahlblock“-Milieu. Oft waren diese „IVlerInnen“ mit Assistentenkreisen verbunden, so am Institut für Germanistik oder an der Pädagogik, wo dann ein Streit um die dem UOG 1975 vorgreifende „Drittelparität“ 1973/74 in einem veritablen Institutskrach und kleinbürgerlichem Gezänk endete. Politisch ernst daran war, dass der für eine sozial gerechte Gesamt-Schulreform wissenschaftlich eintretende Erziehungswissenschaftler Peter Seidl in der Folge von reaktionären Professoren der geisteswissenschaftlichen Fakultät jahrelang an der Habilitation gehindert werden sollte, namentlich vom Althistoriker Franz Hampl, der sich gerne als erprobter Wehrmachtshauptmann darstellte. War Teilen der Wiener Studentenschaft der Philosophieordinarius Erich Heintel ein Angriffspunkt, so den Innsbruckern ein im Westen Österreichs und Richtung Südtirol mächtiger Germanistikprofessor wie Eugen Thurnher. 1970/71 sprachen Flugblätter vom „Fall Thurnher“. Über die harmlose Kritik an einem konservativen Literaturwissenschaftler gelangte das nicht hinaus.

Im Jänner 1971 kandidierte ein linkes StudentInnenbündnis unter dem Namen „Liste sozialistischer Hochschüler“ erfolglos zum Hauptausschuss. Die LSH erreichte kein Mandat. Noch schlechter lag der Anteil der Innsbrucker VSStÖ- und VDS/KSV-Stimmen für den Österreich weiten Zentralausschuss. Diese erfolglose LSH-Kandidatur führte aber 1971 zur Aktivierung eines „Basisgruppenrats Innsbruck“ (BGR), in dem unterschiedliche linke, marxistische, leninistische Strömungen zusammenliefen, der sich maßgeblich auch aus VSStÖlerInnen rekrutierte, nachdem sich die Innsbrucker Sektion 1971 mit der Tiroler Landes-SPÖ überworfen hatte. Beliebteste BGR-Aktionsformen waren der Büchertisch, der Info-Stand und unzählige „Teach In“ über die Jahre 1971 und 1972 hinweg, so „über die klerikale Hausmacht an den Universitäten eines rückständigen Landes. Das Beispiel Innsbruck“, gegen eine „Hochschule der Herrschenden“, „zur Lage der Wissenschaft im Kapitalismus“, aber auch gegen die Mythen der „zweckfreien“ Humboldt-Universität, gegen „Opa Humboldt“. Über die Universität hinausweisend war für Anfang 1972 ein Abend mit dem Marburger Rechtsprofessor Wolfgang Abendroth, dem antifaschistischen Widerstandskämpfer und Historiker der Arbeiterbewegung, geplant. Dieser Vortrag kam nicht zustande. An Stelle dessen wurde ein Teach-In „Freiheit für Angela Davis!“ und eines über den „alten und neuen Faschismus“ abgehalten – mit dem Ergebnis: „Faschismus ist kein Betriebsunfall, sondern eine Form bürgerlicher Herrschaft“. Im Oktober 1972 hielt Bundeskanzler Bruno Kreisky in Innsbruck einen Vortrag. Der BGR reagierte mit einem Teach in über die SPÖ als einer vormals „revolutionären Partei“, die nun als „geschäftsführender Ausschuss der Kapitalisten“ agiert. Neben „Kapital“-Lesekreisen hielt der BGR Veranstaltungen zur italienischen Arbeiterautonomie ab, etwa zur Gruppe „Lotta continua“.

Linke Studentinnen forderten seit Anfang der 1970er Jahre unter dem damaligen Titel „Zum Problem: Emanzipation der Frau“ (so die Frauengruppe im VSStÖ) Assistentinnen- und Forscherinnenstellen, die Beseitigung „patriarchalisch-autoritativer“ Familienmodelle. Sie protestierten gegen das von Frauen abzuliefernde Mehrwert-Plus: „Frauen verdienen bei derselben Tätigkeit 30% weniger. Diese vorenthaltenen 30% fließen dem Arbeitgeber als Reingewinn direkt zu.“ Im Rahmen der entstehenden autonomen Frauenbewegung (u.a. Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft) kämpften sie – aktuell – für die Beseitigung des „§ 144“, also für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.

In den Jahren 1972/73 organisierten sich Gruppen „Kritische Medizin“, „Kritische Psychologie“ oder auch „Kritische Naturwissenschaft“. Letztere machte auf die enge Geschäftsverbindung zwischen dem Institut für organisch-pharmazeutische Chemie und  Hoffmann-La Roche aufmerksam, auf die Innsbrucker „La Roche-Forscherfamilie“ und ihren Beitrag zu den Extraprofiten eines Chemiekonzerns.

Im Herbst 1971 trat der als „milder Reaktionär“ geltende Physiker Josef Kolb, der sich in einem CV internen Streit gegen seinen Bundesbruder, den Klassischen Philologen Robert Muth durchgesetzt hatte, das Rektorsamt an. Seine Inaugurationsrede tauchte Kolb, der über die Mühen der „Hochschulreform“ und der sich abzeichnenden „Drittelparität“ klagte, in ein derartiges Pathos von „universitas magistrorum et scholarium“ und in das Licht einer idyllischen Tiroler civitas academica, dass der BGR mit einem Flugblatt „Worte und Blüten der Magnifizenz Kolb“ reagierte. Kolb hatte das ständische Modell einer harmonischen Universität beschworen, wörtlich gipfelnd im Bild von einer „Universitäts-Gemeinschaft vom ‚Laufbursch Luftikus bis hinauf zum ‚Rektor magnificus’“.

Ende Jänner 1972 verschärfte sich dann die studentenpolitische Auseinandersetzung doppelt. Die Auseinandersetzung mit der „Tiroler Tageszeitung“, dem Leitmedium der lokalen Herrschaftskasten, endete im Sturm auf zwei „TT-Zeitungsautomaten“, wovon einer im Inn landete. In dieser Situation einer  „Anti-Springer-Kampagne“ auf tirolerisch sagte der reaktionäre Chefredakteur Hans Thür einen geplanten Vortrag an der Universität „auf Anraten der Polizei“ lieber kurzfristig ab, hatte sich vor Ort doch schon eine Solidaritätsdemonstration für die wegen des „Automatensturzes“ verhafteten beiden Kommilitonen versammelt. Diese Demo ging in ein „Anti-TT-Teach in“ über.

Am 18. Jänner 1972, nur wenige Tage zuvor, hatte die seit dem Sommer laufende „Anti-Lü“-Kampagne gegen den von der SPÖ eingesetzten, der Welt der „Kameradschaftsbünde“ verpflichteten Verteidigungsminister Karl (Freiherr von) Lütgendorf, der im Hauptgebäude am Innrain einen Vortrag halten sollte, den Höhepunkt erreicht. Lütgendorf konnte den völlig überlaufenen Hörsaal nicht erreichen, da „die Linke Rabatz“ (TT) machte. Von der Hauptstiege über ein Megaphon sprechend wurde der Minister von skandierenden Rufen „Lütgendorf und Militär, faschistisch ist das Bundesheer!“ unterbrochen.

Das Sommersemester 1972 stand im Zeichen der Mobilisierung gegen den Vietnam-Krieg. Zahlreiche Innsbrucker StudentInnen bis hinein in das „linke“ katholische Lager beteiligten sich an einer Anti-Nixon-Demonstration in Salzburg am 20. Mai 1972. Im Umfeld des BGR aber auch der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) entstanden „Indochina“- und „Afrika-Komitees“. In den Jahren 1972 bis 1975 organisierten Innsbrucker Studierende nicht nur zahlreiche Demo-Züge gegen den Vietnam-Krieg, sie agitierten auch für den Sturz der faschistischen Regime in Griechenland, Spanien und Portugal. Sie solidarisierten sich mit der sozialistischen Allende-Regierung in Chile, die am 11. September 1973 von der mit den USA verbündeten Pinochet-Militärdiktatur gestürzt wurde.

Ende 1972 war ein hoher „linker Politisierungsgrad“ erreicht. Rektor Rudolf Bratschitsch, ein Betriebswirt und bekennender Anhänger der „alten“ Ordinarienuniversität, ging deshalb im Herbst gemeinsam mit dem Akademischen Senat repressiv mit gewerberechtlichen, sicherheits- und feuerpolizeilichen Vorgaben, mit Gebührenerhöhungen gegen politische Büchertische, gegen Veranstaltungen in Hörsälen vor. In Zuge dieses „Hörsaalkrieges“ sollte jede linke Agitation, sollten Wandtafeln, Broschüren und Flugblätter aus der Universität verdrängt werden.

Da sich „Rektor Bratschitsch allen demokratischen Forderungen gegenüber stur erwiesen“ hatte, wurde am 14. Februar 1973 das Rektorat besetzt. Die Besetzer – laut ÖH-Aussendung waren dies „ca. 30 Studentinnen und Studenten linker Provenienz“ - verlangten: „Rücknahme der reaktionären Richtlinien für die Vergabe von Hörsälen! Keine Einschränkungen der politischen Freiheiten an der Universität!“ Nach der vage zugesagten Revision der Senatsmaßnahmen brachen die „linksgerichteten Gruppen“, die weiter – so die TT - ihre „Büchlein von Mao, Marx und Lenin“ verkaufen wollten, das dreistündige „sit in“ im Rektorat ab.

Als der Akademische Senat zwei Tage später über eine partielle Rücknahme dieser Maßnahmen beraten sollte, schwang sich der RFS, der in Innsbruck immer noch ÖH-Stimmanteile von um die 20% hatte, als „Saalschutz“ gegen den linken Studentenprotest auf.

Ende 1972 war es zu Differenzen zwischen den linken Strömungen im BGR gekommen. Der BGR ging 1973 in einer rund zwei Jahre sehr aktiven, „maoistisch“ orientierten „Kommunistischen Gruppe Innsbruck (KGI)“ auf, die bei den ÖH-Wahlen im Jänner 1974 mit 326 Stimmen starke 10% Prozent und damit ein Mandat im Hauptausschuss erreichen sollte. Bei der ÖH-Wahl im Mai 1975 ging dieser Sitz wieder verloren.

ÖH- und Universitätspolitik, also der Kampf gegen die „kapitalistische Hochschulreform“ (Verschulung, Schnellstudium, Numerus Clausus, „gegen eine Wissenschaft und Ausbildung im Dienste des Kapitals“) war nur ein Aspekt der KGI-Aktivität. So trug die KGI auch einen im Frühjahr 1973 von der ÖH organisierten Vorlesungsstreik gegen den Baustopp für die Anfang der 1980er Jahre doch fertig gestellten „Geiwi-/Natwi-Türme“ am Innrain mit, sowie Protestaktionen gegen die „Mensa-Preistreiberei“. Seit Herbst 1972 hielt eine aus dem Umfeld des BGR/der KGI stammende Gruppe das leer stehende Universitätsgebäude „Schöpfstraße 24“ unter dem Titel „Gruppe Wohnraumbeschaffung“ aus Protest gegen zunehmende Mietspekulation über ein Jahr besetzt.

Über den zehn Nummern der „Kommunistischen Studentenzeitschrift“ (1973/74) schwebte das über die akademische Welt hinausweisende Motto aus Lenins „Was tun?“ (1902): „Aber wir [bei Lenin richtig: „… ‚wir’ …. – Anm.] müssen, wenn wir fortgeschrittene Demokraten sein wollen, dafür sorgen, dass die Leute, die eigentlich nur mit den Zuständen an der Universität [bei Lenin: „… oder in den Semwstows …“ – Anm.] unzufrieden sind, auf den Gedanken von der Untauglichkeit des gesamten politischen Regimes gestoßen werden.“ [Lenin, Werke 5, Berlin 1978, 442]

Die strikt antisowjetische KGI plante wöchentliche Kaderschulungen. Die Form des „BGR-Teach In“ wurde als zu lose, unverbindlich eingeschätzt. Während der KPÖ nahe „Kommunistische Studentenverband (KSV)“ und auch die trotzkistische „Gruppe Revolutionärer Sozialisten (GRM)“ als „seminarmarxistische“ Plaudergruppen abgelehnt wurden, qualifizierte die KGI den „auf links machenden“ VSStÖ als Anhängsel der reformistischen Kreisky-Sozialdemokratie. Gegen eine geplante VSStÖ-Veranstaltung mit Oskar Negt wurde im Frühjahr 1973 von der KGI mit „ein klägliches Schauspiel: Oskar Negt – Rattenfänger der Sozialdemokratie“ vorgegangen.

Im Frühsommer 1973 solidarisierte sich die KGI mit der von der österreichischen Bischofskonferenz geschlossenen Innsbrucker „Katholischen Hochschulgemeinde (KHG)“ Gab es u.a. wegen der „libertinistischen Sexualaufklärung“ und „antiautoritären Erziehung“ schon einen Konflikt der Amtskirche mit der katholischen Jugendzentrumsbewegung um die von Sigmund Kripp geleitete „MK“ im „Kennedy-Haus“, so wurde die KHG auch aus dem Grund geschlossen, da eine maßgebliche KHG-Gruppierung nicht nur linken Vietnam-, Lateinamerika- oder Afrika-Gruppen Unterschlupf gewährte, sondern selbst Flugblätter im Sinn der Befreiungstheologie herausgab, von denen eines ein Motto aus Frantz Fanons „Die Verdammten dieser Erde“ trug. Am Ende des Sommersemester 1973 wurden die gesperrten KHG-Räume in der Hirn-Straße mit der Forderung, sie für ein selbstverwaltetes Studierendenzentrum zu öffnen, von einem überparteilichen Aktionskomitee für einige Tage vergeblich besetzt.

Insgesamt grenzte sich die KGI von der „kleinbürgerlich rebellischen“ Kulturszenerie ab. An Stelle der Franz Xaver Kroetz- oder Peter Turrini-Stücke mit ihrer bloß subjektiv kleinbürgerlichen Scheinradikalität wurde eine (studentisch) proletarische Kultur propagiert. Die StudentInnen sollen nicht die „Trauergedichte“ Georg Trakls („Grodek“) lesen, sondern die politische Lyrik Pablo Nerudas. Mit großem Einsatz wurde 1973 ein Studierenden- und Arbeiter/innen/kino organisiert, - so der von einem proletarischen Kollektiv (u.a. Bert Brecht) Anfang der 1930er Jahre gedrehte Film „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?“, der solidarisch kämpfende Berliner Arbeiter/innen zeigt, die die individuelle Verzweiflung und (Arbeitslosen-) Verelendung überwunden haben, die die kapitalistische „Verwertungslogik“ zu durchschauen beginnen.

In die kapitalistische „Rationalisierungskrise“ von 1973 hinein, die etwa in der BRD oder in Italien arbeitermilitante Reaktionen hervorrief, gab die KGI die Flugschrift „Arbeitersache“ heraus. Vor den Toren von Swarowski in Wattens und vor den Jenbacher Werken verteilten KGI-AktivistInnen – beobachtet von aufgerüstetem Werkschutz – Flugblätter gegen die zunehmende Akkordhetze, gegen Reallohnkürzungen. Den Betriebsratsobmann der Jenbacher Werke bezeichneten sie im Herbst 1973 als „Arbeiterverräter“ und „Handlanger der Kapitalisten“, wofür die Flugblattverantwortlichen der „Arbeitersache“ vor Gericht wegen Ehrenbeleidigung verurteilt wurden.

Diese „Arbeiter-Aktionen“ mögen isoliert gewesen sein, nichtsdestotrotz sind sie Bleibendes der sich im Kleinbürgerlichen verlaufenden „Studentenbewegung“. Nur wenige haben den nachhaltig qualifizierten solidarischen Kontakt zur ArbeiterInnenklasse geschafft.

Immerhin, 36 Jahre später solidarisierten sich einige Jugendliche, Lehrlinge, SchülerInnen und StudentInnen wieder mit den ArbeiterInnen von Swarowski. Mitten in die vollzogenen und raffiniert angekündigten weiteren Massenentlassungen des Frühjahrs 2009 hinein verfassten sie ein Flugblatt „Lasst Euch nicht wie Lämmer zur Schlachtbank führen! Chefs und Staat waren noch nie auf unserer Seite!“

 

Benützte Literatur und Quellen:

  • im Detail Stefan Geretschläger: Studentische Bewegung in den siebziger Jahren im Spannungsverhältnis der Hochschulreform. Am Beispiel der Kommunistischen Gruppe Innsbruck (1973/74), phil. Diplomarbeit, Innsbruck 1995, alle weitere Literatur ist hier verzeichnet!
  • Zur Vorgeschichte Peter Goller und Gerhard Oberkofler: Universität Innsbruck. Entnazifizierung und Rehabilitation von Nazikadern (1945-1950), hrg. von Wilfried Bader, Angerberg 2003
  • Universitätsarchiv Innsbruck, Sammlung „Flugblätter 1969-1975“.

 

Nach oben scrollen