Peter Goller: Der „Deutsche Freundeskreis der Universität Innsbruck“

Nicht einmal zehn Jahre nach der Befreiung wurde 1954 in München schon wieder ein „Deutscher Freundeskreis der Universität Innsbruck“ gegründet. Ziel dieses „Gönnerkreises“ war es, unter dem Titel der steuerlichen Absetzbarkeit ideell materiellen Ein-fluss und Ehrungen zu lukrieren. Unter den Gründungsmitgliedern war auch Hanns Martin Schleyer, der 1938 das NS-Studenten-werk an der Universität Innsbruck geleitet hatte, ehe er in Prag im „Protektorat“ aktiv werden sollte.

Erster Vorsitzender des „Freundeskreises“ war der Münchner Geschäftsmann Max Kessler (Jg. 1894). Unter seinem Vorsitz gingen die „deutschen Freunde“ gleich zur Sache.  Als der konservative österreichische ÖVP-Unterrichtsminister Heinrich Drimmel im Interesse der Integrität der österreichischen Wissenschaft nicht mehr jeden dubiosen Ehrungsantrag der Universität Innsbruck bestätigen wollte, drohte Kessler 1955 unverhohlen mit dem Rückzug aus dem Spendengeschäft, so als wäre der „Anschluss“ noch aufrecht.

Max Kessler wollte nach 1945 mit dem Status eines Opfers politischer Verfolgung durch das NS-Regime reüssieren. Da er aber 1942 nur aus wirtschaftskriminellen Gründen verurteilt worden war, wurde ihm dies vom Bayerischen Landesentschädigungs-amt schon am 4. März 1948 untersagt: „Herr Kessler ist auf Grund dessen nicht berechtigt, sich als politisch Verfolgter zu bezeichnen.“ Die Universität Innsbruck hat jedenfalls 1953 an Max Kessler wieder das zwischenzeitlich aberkannte Doktorat der Staatswissenschaften verliehen!

Kesslers Verbindungen zur Universität Innsbruck führen in die dreißiger Jahre zurück, als er schon enge Kontakte zum früh nazistischen Nationalökonomieprofessor und Innsbrucker Universitätsrektor Adolf Günther pflegte. Kessler konnte 1929 für seinen Geschäftspartner, den Berliner Gaskoksgroßhändler Hans Tiemessen gegen die Geldsumme von 30.000.- Reichsmark ein dessen Geschäfte schmückendes Ehrendoktorat der Universität Innsbruck erhandeln. Auf Antrag Günthers wurde dann auch Kessler im Oktober 1933 Ehrenmitglied der Universität Innsbruck.

1939 wurden Max Kessler und Hans Tiemessen von der Berliner Staatsanwaltschaft wegen „handelsrechtlicher Untreue“ angeklagt. Es bestand unter vielen anderem mehr der Verdacht, dass schon die 1929 im Weg eines bayerischen Oberforst-meisters der Universität Innsbruck unter der Tarnadresse „Gaswerk Innsbruck“ (!) übergebenen 30.000 Reichsmark aus veruntreuten Mitteln stammten.

Mit Kessler und Tiemessen angeklagt war auch eine große Nummer der von Anfang an gegen die Weimarer Verfassung putschenden politischen Rechten, nämlich Friedrich Minoux, ehemals Vertrauensmann von Hugo Stinnes. Die „Arisierungs-gewinne“ eines Minoux wurden in der Anklageschrift erwähnt. Sie bildeten nach nazistischem „Rechtsverständnis“ aber nur insofern einen Anklagepunkt, als Minoux dabei Stellen des NS-Regimes betrogen hatte.

Ein Sprung in das Jahr 1962 und 1966: Die Universität Innsbruck zeichnet den „Wehrwirtschaftsführer“ und „SS-Obersturm-bannführer im persönlichen Stab Reichsführer SS“, den südwestdeutschen Fabrikanten Kiehn gegen erkleckliche Geldsummen erst 1962 mit der Ehrenmitgliedschaft, dann 1966 mit dem Ehrensenator aus. Der Ehrungsantrag selbst ging vom „Deutschen Freundeskreis“ aus. Von Anfang an wussten das Innsbrucker Rektorat und der Akademische Senat Bescheid über Kiehns politische Vergangenheit als eines ranghohen Nazifaschisten. Der Universität war dies schlicht gleichgültig.

Die Heimatstadt Kiehns hat dessen Ehrungen gelöscht. Die Universität Innsbruck führt ihn nach wie vor in den Ehrungslisten, so wie den Hamburger Getreidespekulanten Alfred Töpfer und den späteren Vorsitzenden des „Deutschen Freundeskreises“, den Parteispenden-Skandal umrankten Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch. Einen Teil dieser Ehrungen hat die Universität Innsbruck 2019 in postmoderner („offener und selbstkritischer“) Unverbindlichkeit als aus heutiger Sicht her problematisch erklärt (in wirklich zeitgemäß akademischer Formulierung: „…, die ihr heute nicht mehr angemessen erscheinen“)!

Noch einmal eine Zeitreise in das Jahr 1942/43 und ein Zeitsprung zurück an die Universität Innsbruck und ihren „Freundeskreis“ im Jahr 1963: Friedrich Minoux wird 1942 verurteilt und sitzt in Haft. Er kann eine von ihm einem aus Deutschland geflohenen jüdischen Kaufmann zu einem Spottpreis abgenommene Zellstoff-Fabrik nicht mehr halten. Dem hessischen „Gauwirtschafts-führer“ und Vorstandsmitglied der Dresdner Bank Carl Lüer gelingt es 1943, diese Fabrik weit unter ihrem Wert an Fritz Kiehn weiterzuverkaufen. Lüer und Kiehn verbindet eine lange, auch in den 1960er Jahren anhaltende, gemeinsam in den Innsbrucker „Freundeskreis“ führende Geschäftsbeziehung. (Über diese Vorgänge im Detail Hartmut Berghoff und Claudia Rauh-Kühne: Fritz K. Ein deutsches Leben im 20. Jahrhundert, München 2000)

Deshalb kommt 1963 an der Universität Innsbruck und im „Freundeskreis“ jener Moment, in dem sich alte Nazis gegenseitig als „alte Nazis“ schimpfen, aber allein aus dem Grund, da sie sich wegen ihrer Geschäfte in die Quere kommen: Carl Lüer will Mit-glied des „Deutschen Freundeskreises“ werden. Max Kessler missfällt dies, da Lüer über den Prozess aus 1941/42  ja im Detail Bescheid weiß. Deshalb, nicht weil Lüer ein „Obernazi“ war – so soll ihn Kessler hinter der Kulisse genannt haben – wollte er ihn fernhalten.

Am 13. September 1963 zeigt sich ein Mitglied des „Freundeskreises“ empört darüber, dass Kessler Carl Lüers Mitgliedschaft sabotieren will, da er Enthüllungen des weiter „national“ auftretenden  Bankmanagers Lüer fürchte: „Ich hatte seinerzeit Herrn Prof. Lüer, der ein [Corps-] Bundesbruder und ein alter Bekannter von mir seit 42 Jahren ist, in den Freundeskreis eingeführt, da er sich mit Österreich von jeher besonders verbunden gefühlt hat und gerne auch seinerseits finanzielle Beiträge für die Universität Innsbruck leisten wollte. Er [Lüer] hat damals auch Herrn LOHSE und Herrn KIEHN mit Herrn Dr. Kessler bekannt gemacht und zu ihrer Aufnahme in den Deutschen Freundeskreis beigetragen. Herr Prof. Lüer ist Honorarprofessor der Universität Frankfurt/Main und hält auch häufig Gastvorlesungen an der Handelshochschule in Wien. Herrn Dr. Kessler war er wohl von Anfang an etwas unbequem, da er auch heute noch aus seiner nationalen Gesinnung kein Hehl macht und er zudem über Einzelheiten aus dem damaligen Prozess gegen Herrn Dr. Kessler Bescheid wusste.“ Die Innsbrucker Universitäts-professoren tolerierten dieses erschreckende Treiben in ihrer engsten Umgebung!

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