Peter Goller

Streikrecht in Österreich. Streik- und Arbeiterkoalitionsrecht in Österreich 1867-1914. (Langfassung eines Vortrags zur Buchvorstellung von Peter Goller: „… wegen der geringsten Vergehen gegen das Koalitionsrecht!“ Streik- und Arbeiterkoalitionsrecht in Österreich 1867-1914. Aus Texten von Isidor Ingwer und Leo Verkauf (=Studien zu Geschichte und Politik 28, hrg. von Horst Schreiber, Michael-Gaismair-Gesellschaft), StudienVerlag, Innsbruck 2023)

 

Ausgangspunkt: Zur Arbeitskampfdebatte nach 1945

1967 wurde eine Kommission zur Vorbereitung der Kodifikation des Arbeitsrechts eingesetzt. Zu den Ergebnissen dieser 1983 aufgelösten Arbeitsgruppe zählt das von gewerkschaftlichen Linkskräften als wenig mitbestimmungsfreundlich eingeschätzte Arbeitsverfassungsgesetz 1973.[1]

Ende 1967 vergab die Kodifikationskommission zahlreiche Aufträge, auch zu einem Gutachten „Arbeitsverhältnis und Arbeitskampfrecht“, beauftragt war der Linzer Arbeitsrechtsprofessor Rudolf Strasser. Strasser, der Sozialdemokratie zugerechnet, veröffentlichte dieses Gutachten 1972 gemeinsam mit Rudolf Reischauer: „Schaffung eines Arbeitskampfrechts im objektiven Sinne?“, „Richterrecht?“, „Recht der Lehre?“[2]

In der Arbeitsrechtskommission selbst wurde dieses Gutachten nicht diskutiert. Zum Streikrecht wurde hier geschwiegen. Das aus 1870 stammende Koalitionsrecht oder die so genannte „negative Koalitionsfreiheit“ des „Antiterrorgesetzes“ zum „Schutz der Arbeits- und Versammlungsfreiheit“ (1930) war in den Vorentwürfen Thema. Der als Wirtschaftskammer nahe stehend eingeschätzte Wiener Arbeits- und Sozialrechtsprofessor Theodor Tomandl hat 1965 in einer Studie „Streik und Aussperrung als Mittel des Arbeitskampfes“ (S. 401f.) erklärt: „Es wäre daher wohl [nicht nur wegen eines sehr zurückhaltenden Gesetzgebers, sondern auch angesichts einer zögerlichen Rechtsprechung] eine unbegründete Annahme, wollte man in Österreich eine umfassende Regelung des Arbeitskampfrechtes durch den Gesetzgeber in absehbarer Zeit erwarten.“

Von Seite des ÖGB bestand kein Interesse an einer systematisch kodifizierten Normierung des Streiks. Eine solche könnte allenfalls zu restriktiveren Bestimmungen zu Lasten der Arbeiter, der Gewerkschaften führen. 1959 erklärt der Gewerkschafts-Kongress: „Dem Koalitionsrecht eng verwandt ist das Streikrecht. Der Streik ist die wirksamste Waffe der Gewerkschaften. Die österreichische Rechtsordnung steht diesem Recht neutral gegenüber. Der ÖGB bejaht diese Neutralität und lehnt jede Reglementierung des Streikrechtes ab. Das Streikrisiko und die darauf begründete Verantwortung [, die sich aus den allgemeinen Normen des bürgerlichen Rechts (ua. Schadenersatzrecht), Strafrecht, etc. ergibt – Anm.] sind die wirksamste Reglementierung.“

Unter anderen hat Hans Floretta, Mitte der 1950er Jahre bei Franz Gschnitzer in Innsbruck habilitiert, dann Arbeiterkammerdirektor und Arbeitsrechtsprofessor in Salzburg, 1967 der ÖGB-Position folgend formuliert, dass „jede gesetzliche Regelung des Arbeitskampfes, welche tatbestandsmäßige Merkmale fixiert, die über die schon bisher in Geltung stehenden Einschränkungen, wie insbesondere die Sittenwidrigkeit hinausgehen“, in der Regel „zu einer Schmälerung der praktischen Anwendbarkeit und Wirksamkeit des Streiks“ führen und den Arbeitskampf in die Sphäre der „ultima ratio“ abschieben. Der Status quo ist deshalb vorzuziehen: „Nach herrschender Meinung in Österreich befindet sich der Arbeitskampf im Bereich des Unverbotenen; es besteht also Arbeitskampffreiheit und kein subjektives Recht zum Arbeitskampf. Rechtswidrig wird der Arbeitskampf erst, wenn er sittenwidrig wird. Der Staat stellt sich gegenüber dem Arbeitskampf völlig neutral; er stellt nach § 2 Koalitionsgesetz seinen Arm zur Durchsetzung von Arbeitskampfabreden nicht zur Verfügung, indem er sie für nichtig erklärt. Die Gewerkschaften sind auch de lege ferenda gegen eine gesetzliche Regelung. Sie wollen auch kein subjektives Streikrecht; sie wollen sogar, dass das individuelle Streikrisiko bestehen bleibt.“

Hans Floretta wies nach, dass die angedachte Streikrechtsregelung zur Verschiebung der Kampfparität zulasten der Arbeitenden führt: „In kaum einem der Vorschläge de lege ferenda fehlt auch zum Beispiel ausdrücklich oder implizit das Verbot von Sympathiestreiks. Wären diese unmöglich, so könnten kleine Gewerkschaften ohne den notwendigen Rückhalt mächtiger Gruppen gar nicht zum Arbeitskampf antreten. Ein anderes Beispiel wäre das eventuelle Verbot von Demonstrationsstreiks, die – soweit sie nicht ohnehin von der geltenden Rechtsordnung verpönt sind, wie politische Druckstreiks – meines Erachtens aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht verboten werden können. Und zwar ergibt sich aus Art. 11 Abs. 1 Menschenrechtskonvention (‚zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden‘) die Arbeitskampffreiheit und aus Abs. 2 die sehr beschränkte Eingriffsmöglichkeit des Staates in diese Arbeitskampffreiheit.“[3]

So verwies auch der Chef des Bundesverfassungsdienstes Edwin Loebenstein am 17. April 1970 in einer Sitzung des Kollegiums zur Reform der Grund- und Freiheitsrechte auf den Umstand, dass der österreichische Gewerkschaftsbund – einer Streikrechtsfestschreibung – dadurch repressive Einschränkungen befürchtend – ablehnend gegenübersteht: „Der Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes wiederum habe sich auf dem Arbeiterkammertag in Innsbruck gegen eine rechtliche Regelung des Streiks ausgesprochen.“ Das Grundrechtskollegium habe zu klären, ob der Streik [verfassungs-] gesetzlich näher zu bestimmen ist, oder ob man weiter „von der Auffassung ausgehen soll, dass der Streik eine autonome Erscheinung der Gesellschaft ist, der gegenüber sich die staatliche Rechtsordnung neutral zu verhalten habe“.[4]

Trotz allem schönen Schein der „Sozialpartnerschaft“ war aber Mitte der 1960er Jahre eine heftige (rechts-) politische Debatte über das Streikrecht entbrannt. Anlass war der so genannte „Bananen-Prozess“: Streikende hatten das Ausladen von dann rasch verdorbenen Bananen verweigert: Lag angesichts dieser von Streikposten unterbundenen „Notstandsarbeit“ eine zivilrechtliche Haftung des ÖGB, also Haftung einer juristischen Person „für ihre Organe und Repräsentanten“ vor? Der zu Gunsten des ÖGB entscheidende Oberste Gerichtshof verneinte dies, worauf massive professorale Urteilsschelte einsetzte. In Gewerkschaftskreisen stieß vor allem die Beteiligung von Hans Carl Nipperdey an der österreichischen „Bananenprozess“-Debatte auf Widerstand, jenes Nipperdey, der in der BRD zu Anfang der 1950er Jahre in der Frage des politischen Streiks (Mitbestimmungsrecht, „Zeitungsstreik“) – u.a. unter heftigem Widerspruch von Wolfgang Abendroth, dem Marburger „Partisanenprofessor im Land der Mitläufer“[5] – zu Ungunsten der Gewerkschaften Stellung bezogen hatte: „Zutreffend wurde ihm vom westdeutschen Arbeitsrechtler Professor [Thilo] Ramm vorgehalten, dass die von ihm entwickelten Thesen im faschistischen Recht wurzeln.“[6]

In einiger österreichischer Literatur wurde der Streik – etwa von Franz Bydlinski oder Theodor Tomandl – nur im Ausnahmefall als „ultima ratio“ akzeptiert und der zu geringe Schutz der „negativen Koalitionsfreiheit“ oder gar eine Verschiebung der Arbeitskampfparität zu Lasten der Kapitalseite beklagt, das Weitergelten von Streikverboten (Streikpatent 1914 Beamte betreffend) oder ein Fortwirken von Straftatbeständen deklariert,[7] sowie unter Kritik des „Systems der Arbeitskampffreiheit“ eine „deutlichere rechtliche Bewertung des Arbeitskampfes“ eingefordert.[8]

Die von H.C. Nipperdey in seiner doppelten Rolle als Kölner Arbeitsrechtsprofessor und als Präsident des deutschen Bundesarbeitsgerichts entwickelte „Theorie der Sozialadäquanz“ stieß in Österreich politisch auf Interesse, rechtsdogmatisch aber auf wenig Zuspruch. Nach Nipperdey ist ein Streik – abgesehen davon, dass er unter dem begrenzenden Regime der Sittenwidrigkeitsklausel steht, nur dann sozial adäquat, wenn er sich gegen den sozialen Widerpart, also einen Partner im Sinn des Kollektivvertrags richtet – Sympathiestreiks wären demgemäß unzulässig –, wenn es sich um den Kampf eines kollektivvertragsfähigen Vereins handelt – demnach wären wilde Streiks rechtswidrig. Das Arbeitskampfziel muss ein durch Kollektivvertrag regelbares sein. Der Kampf darf sich nicht gegen hoheitlich staatliche Einrichtungen (Regierung, Parlament) richten. Politische Streiks sind deshalb nicht legitim. Der Kampf darf im Sinn einer als weitreichend angenommenen „Friedenspflicht“ und strikter Verhältnismäßigkeit nur als letztes Mittel (ultima ratio) geführt werden. Öffentliche Sicherheit gewährleistende, Leben und Gesundheit garantierende, sowie Produktionsanlagen sichernde Notstandsarbeiten seien auch von Streikenden durchzuführen.

Deutliche Kritik am Nipperdey-Modell formulierten 1982 die Grazer Arbeitsrechtler Walter Schwarz und Günther Löschnigg. Nach diesen ist der „wilde Streik nicht schlechthin rechtswidrig.“ Auch „die Beschränkung des Arbeitskampfs auf kollektivvertraglich regelbare Ziele ist abzulehnen.“ Auch das von der Priorität des Schlichtungsrechts ausgehende „ultima-ratio Prinzip“ lehnen Schwarz und Löschnigg ab, zumal es dem Arbeitskampf u.a. das Überraschungsmoment nimmt. Die Grazer Autoren beklagen auch die „Häufung von Generalklauseln im Rahmen der Thesen des Bundesarbeitsgerichts“: „Der Rekurs auf das Gemeinwohl, die Fairness des Arbeitskampfs und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eröffnen der Judikatur ein Feld des Ermessens, das freier Rechtsfindung sehr nahekommt.“[9]

 

Seit den 1890er Jahren: Isidor Ingwer und Leo Verkauf über das Koalitions-, Arbeitskampf-/Streikrecht

Von der Gegenwart aus stellt sich die Frage nach der Entwicklung von Streik- und Koalitionsrecht seit der Konstituierung einer politischen (sozialistischen) Arbeiterbewegung – die verschiedenen Phasen der „Konstituierung der Arbeiterklasse“ (Handwerksgesellen, Dienstboten, fabrikmäßige kapitalistische Lohnarbeiterschaft, …) an sich widerspiegelnd. Der Blick führt zurück zu den sozialen Kämpfen knapp vor der, in der bzw. nach der Revolution von 1848, zu den Koalitionsverboten im österreichischen Strafrecht (1768, 1787) oder zu den „schweren Polizeiübertretungen“ im Strafgesetzbuch 1803 (§ 229).[10]

Er führt zurück zur Geschichte des Widerstands seit dem 18. Jahrhundert in seinen verschiedenen Formen als („archaische“) Sozialrebellion, als Sozial-, Hungerrevolte, als Bauernaufstand, als Maschinen stürmerischer Protest, etwa die Streikrevolte der Kattunarbeiter in Prag-Smichow 1844, die „Praterschlacht“ der Wiener Erdarbeiter im August 1848. Radikal syndikalistische Streikformen (Arbeiter-Spontaneismus) bleiben gerade in den (böhmisch-mährischen) Bergbaurevieren bis 1914 präsent.[11]

Besonders ausgebeutete, verelendete Arbeiterschichten hielten auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Form des militanten Widerstands fest, so in den 1890er Jahren: 1890 wurde ein von Arbeiterwut getragener Streik der Glasschleifer des Tannwalder Bezirks niedergeschlagen, ausgebrochen nachdem zugesagte Lohnerhöhungen zurückgezogen worden waren. Der Lohn für strapaziöse, oft 14- bis 17-stündige Arbeit betrug 25 kr. bis 30 kr., die Akkordlöhne waren seit Mitte der 1880er Jahre um die Hälfte gesunken: „In allen Schleifmühlen war nach jener Versammlung die Arbeit wieder aufgenommen worden und es schien, dass der Streik beendet sei. Plötzlich erklärte eine Firma in Tessendorf, sie könne die erhöhten Löhne nicht zahlen und, wer nicht 40 Perzent nachlasse, könne von ihr keine Arbeit mehr erhalten. Die Firma versicherte, dass die Schleifereien in den benachbarten Orten sich ihr angetragen hätten, die Bestellung durch ihre Arbeiter zu billigeren Löhnen ausführen zu lassen. Nach dem Bekanntwerden dieser Erklärungen bemächtigte sich der Arbeiter eine große Erbitterung; sie zogen nach Albrechtsdorf und Marienberg und zertrümmerten in den dortigen Schleifmühlen alle fertigen Waren.“ Es „kam zu jenen Unruhen, welche das Eingreifen des Militärs nach sich zogen. Die Folgen waren 3 Todte, sehr viele Verwundete und etwa 50 Verhaftungen. (…) Darum zerstörten [die Glasarbeiter] die Maschinen, eine Erscheinung, wie sie zu allen Zeiten und in allen Ländern vorgekommen ist, wo arme, hungernde, unwissende Menschen dem für sie allein sichtbaren Feinde, der Maschine, zuerst begegneten.“ (Arbeiter Zeitung [=AZ] vom 31. Jänner, 7. Februar 1890)[12]

Im Zug von Weberausständen kam es im Frühjahr 1899 in den böhmischen Bezirken Nachod und Trautenau zu heftigem sozialem Widerstand („Nachoder Unruhen“). Knapp 3000 Weber und Weberinnen kämpften um eine 20–30-prozentige Anhebung ihrer Niedriglöhne. Die Arbeiter stürmten Magazine und verteilten Lebensmittel an die Demonstrierenden: „120 Arbeiter wurden gerichtlich abgestraft, und zwar 107 wegen Verbrechen des Diebstahls und boshafter Beschädigung fremden Eigenthums, 13 wegen öffentlicher Gewaltthätigkeit und Verbrechens des Diebstahls.“ 12 Arbeiter wurden wegen Übertretung des Koalitionsgesetzes (§ 3) gerichtlich verurteilt.[13]

 

Leo Verkauf

Leo Verkauf und Isidor Ingwer hatten vorrangig den sich aus dem Koalitionsgesetz 1870 herleitenden „verrechtlichten“, zumeist von (reformistischer) Gewerkschaft unterstützten, organisierten Streik im Blick.

Im vom Prager Staatsrechtler Josef Ulbrich und vom Grazer Statistiker, Verwaltungsrechtler und kurzfristigen Präsidenten der Statistischen Zentralkommission Ernst Mischler 1905 in zweiter Auflage herausgegebenen „Österreichischen Staatswörterbuch“ finden sich unter dem Stichwort „Arbeitsrecht“ mehrere Einträge des gewerkschaftlichen Rechtsberaters Leo Verkauf. Mischler selbst hat den Eintrag „Arbeitsvermittlung/Arbeitsnachweis“ verfasst.

Der Eintrag „Koalitionsrecht“ ist von Karl Lamp verfasst. Lamp, Grazer Privatdozent, dann Czernowitzer und später Innsbrucker Staatsrechtsprofessor, hier 1933 als einer der ersten NS-Sympathisanten vorzeitig in den Ruhestand versetzt, kam im Gegensatz zu Verkauf zu einer der Arbeiterschaft wenig nützlichen Einschätzung des Koalitionsgesetzes. Im Widerspruch zu Verkauf und Ingwer kam Lamp zum  Schluss, dass die Verabredungen nach Koalitionsgesetz 1870, § 2 nicht nur kein Klagerecht bewirken (alternative Formulierungen in den Vorentwürfen waren: „sind rechtsungültig“, „haben keine rechtliche Wirkung“ oder „können weder im Wege der Klage, noch der Einrede geltend gemacht werden“), sondern dass sie nicht einmal Naturalobligationen begründen, sondern „absolut nichtige Rechtsgeschäfte“ sind, - mit in Lamps Einschätzung rigorosen Folgen etwa für Streiks unterstützende Komitees oder gewerkschaftliche Fachvereine, da nach dem Vereinsgesetz 1867 nur jene Vereine zulässig sind, die auf einen rechtlich möglichen Zweck im Sinn des ABGB (§§ 878, 879) ausgerichtet sind: „Da nun nach dem Koalitions-Gesetz Verabredungen von Arbeitern oder Arbeitgebern zur Erreichung des Koalitions-Zweckes für rechtlich ungültig erklärt sind, so kann eine dauernde Koalition ohne andere als diese Zwecke die vereinsgesetzlichen Erfordernisse im Sinne des bezogenen § 4 [Vereinsgesetz] nicht erfüllen und kann die politische Landesstelle derart mangelhafte Satzungen nicht zur Kenntnis nehmen, d.h. die Behörde muß die Bildung eines solchen Vereines als gesetzwidrig untersagen.“[14]

Leo Verkauf, 1892/93 maßgeblich an der Errichtung der Gewerkschaftlichen Zentralkommission für Österreich beteiligt, ab 1897 zu den ersten sozialdemokratischen Reichsratsabgeordneten zählend, später als Sozialversicherungsexperte zunehmend auf Distanz zur Sozialdemokratie, stellte ein gutes Jahrzehnt vorher 1894 – den „Juristensozialisten“ Anton Menger variierend – die Frage: „Entspricht der Strafgesetzentwurf schlechthin den Interessen der Besitzlosen?“

Leo Verkaufs Broschüre über die „bürgerlichen Classen und das Strafrecht. Eine Critik des österr. Strafgesetzentwurfes“ war im sozialdemokratischen Umfeld recht verbreitet, wie etwa eine Anzeige in der Tiroler sozialdemokratischen „Volks-Zeitung“ vom 8. November 1894 zeigt: „Im Rahmen einer Critik des neuen Straf-Gesetzentwurfes, dessen reactionäre Tendenz scharf beleuchtet wird, zeigt der Verfasser, wie die bürgerlichen Classen, getrieben von blindem Eigenthums-Fanatismus und blasser Furcht vor dem aufstrebenden Proletariat, in der Gesetzgebung ihren eigenen Principien und Forderungen ins Gesicht schlagen. Er fordert das classenbewusste Proletariat auf, die Gesetzwerdung dieses reactionären Machwerkes mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern und zu erklären: Dieser Strafgesetzentwurf ist der reactionäre Ausfluss der Uebermacht und des Uebermuthes der bürgerlichen Classen, wir protestiren dagegen, dass ohne uns und gegen uns ein solcher Entwurf Gesetz wird.“ (Volks-Zeitung 8. November 1894)

Das Strafrecht soll gerade angesichts einer massiven Streikwelle in den frühen 1890er Jahren im Weg der Erpressungs- und Nötigungstatbestände effizienter für das Niederhalten von Arbeitskämpfen anwendbar gemacht werden. Die Sanktionierung soll nach Absicht des Strafrechtsentwurfs des Justizministers Friedrich Schönborn von der Bedrohung mit rechtswidriger Zufügung von Nachteilen auf die nicht rechtswidrige Zufügung von Nachteilen ausgeweitet werden: „Oder gar Arbeiter drohen mit Streik. Sie haben ein Recht, bessere Löhne, kürzere Arbeitszeit zu verlangen. Strafbar kann es daher nicht sein, wenn sie mit Streik drohen. Das ist ja nicht Zufügung einer rechtswidrigen Handlung. Da ließe sich eine derartige Formulirung des Nöthigungsbegriffes nicht benützen. Man müsse also sagen: Jede Bedrohung mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen führt zum Delikt der Nöthigung, gleichviel ob sie rechtswidrig ist oder nicht. Ich musste diesen Begriff, der außerordentlich gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, hier erörtern, weil er sich durch eine ganze Reihe von Paragraphen und gerade jene, welche die Arbeiterschaft am intensivsten interessiren, zieht. Sie begreifen, was das heißt, wenn ich zwar das Recht habe, zu drohen mit Vermögensnachtheilen und trotzdem mich einer strafbaren Handlung schuldig machen kann, sobald ich dadurch zu einer Handlung oder Unterlassung zwingen will.“

Ein besonders gefährliches Mittel zur Beschränkung des Koalitionsrechts von 1870 sieht Leo Verkauf ferner im Schubgesetz vom 27. Juli 1871 und im Vagabundengesetz vom 24. Mai 1885: „Das erste Mittel der gegenwärtigen Gesetzgebung zur Erschwerung von Arbeitseinstellungen ist also das Koalitionsgesetz, welches Einschüchterung und Gewalt verbietet. Aber es gibt noch ganz andere Mittel, durch welche Streiks verhindert oder erschwert werden. (…) Sie wissen, bei einer großen Zahl behördlicher Organe gilt der Streikende als ausweislos und als arbeitsscheu. Da ist es so naheliegend, das Vagabundengesetz heranzuziehen und mit Hilfe des Schubgesetzes Konsequenzen zu ziehen, wie sie allerorts gezogen worden sind, wenngleich sie vom Reichsgerichte als entschiedene Gesetzesverletzungen bezeichnet worden sind.“ Leo Verkauf bezog sich 1894 in seiner Kritik der vorliegenden Strafgesetzentwürfe auf den gerade aktuellen „Bericht des ständigen Strafgesetzausschusses über die Regierungsvorlage, betreffend die Einführung eines Strafgesetzes über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen und das dazu gehörige Strafgesetz“.[15]

Schon 1890 war in der „Arbeiter Zeitung“ gegen die geplante Verschärfung des Koalitionsrechts, gegen den Schönborn’schen Entwurf vom 11. April 1889 protestiert worden. Der „Antistreikparagraph“ 145 dieses Entwurfs wurde als neuer Versuch zu einem „Ausnahmsgesetz gegen die Arbeiterklasse“ qualifiziert (Vgl. Das Koalitionsrecht in Gesetz und Anwendung, in: Arbeiter-Zeitung, 17. Jänner 1890). Bereits in der Strafsanktion des § 3 des Koalitionsgesetzes 1870 sahen Isidor Ingwer und Leo Verkauf ein spezielles Sonderstrafrecht gegen Arbeiter. Da etwa das „demonstrative Verstellen der Zugänge“ zu Arbeitsstellen durch koalierte Arbeiter oder „Verrufserklärungen“ („Pfui Streikbrecher!“, „Du wirst schon sehen …“ etc.)  nur selten unter die Normen des Strafgesetzes gegen gewalttätige Eingriffe in die persönliche Freiheit, unter die Erpressungsbestimmung und die Paragraphen zum Schutz der Sicherheit der Ehre (§§ 93, 98, 276 oder 292 StG 1852) subsumierbar waren, werden in § 3 Koalitionsgesetz die „Mittel der Einschüchterung oder Gewalt“ festgeschrieben. Ohne den § 3 KoalG wären viele Streikaktivitäten nämlich sanktionsfrei geblieben.

Ab 1889 gibt es nun Pläne, die Erpressungs-, Drohungs- und Nötigungsbestimmungen des StG auch für den Bereich des Streiks breiter anwendbar zu machen, sowie auf Betreiben der Unternehmerverbände den „Schutz der Arbeitswilligen“ (Streikbrecher), den Schutz der Nichtorganisierten („Koalitionszwang“, „closed shop“, „negative Koalitionsfreiheit“) auszubauen: „Das [Koalitions-] Gesetz entstand im Jahre 1870, als durch das Emporwachsen der Industrie und das mächtige Anschwellen der Arbeiterbewegung das bis dahin in Geltung gewesene Verbot aller Lohnverabredungen unhaltbar geworden war. Es war die große Errungenschaft der ersten Phase der österreichischen Arbeiterbewegung. Sein Inhalt ist nebst der Aufhebung dieses Verbots, die Erklärung der Rechtsungiltigkeit aller Lohnverabredungen und die Androhung von Strafen von 8 Tagen bis 3 Monaten Arrest für Jenen, welcher ‚Mittel der Einschüchterung oder Gewalt‘ anwendet, um Andere zu hindern, Arbeit zu nehmen oder zu geben. Gegen Arbeitgeber wurde das Gesetz in 19 Jahren seines Bestandes niemals angewendet, was ein glänzendes Zeugnis für die Objektivität unserer – Arbeitgeber ist. Hätten diese jemals irgend Jemanden ‚eingeschüchtert‘? Das kam bekanntlich nie vor.

(…) Im neuen Strafgesetz-Entwurf ist unser ‚Koalitionsrecht‘ erheblich avanzirt. Wir haben es nicht mehr unter den ‚Übertretungen‘, sondern im Kapitel ‚Vergehen‘ zu suchen. Sein Schlußsatz lautet nicht mehr Arrest von 8 Tagen bis zu 3 Monaten, sondern – Gefängnis bis zu 6 Monaten. Man sieht, unsere ‚Sozialreform‘ macht ganz respektable Fortschritte.

Aber sehen wir uns diesen ganzen § 149 des neuen Gesetzentwurfes näher an. Er lautet in der Regierungsvorlage (dort § 145):

Wer Andere durch Anwendung und Androhung von Gewalt, Bedrohung mit rechtswidriger Zufügung von Nachtheilen, Beschimpfung, Behinderung in dem rechtmäßigen Gebrauch von Werkzeugen oder Geräthen, oder durch ähnliche Mittel zu bestimmen sucht, an Verabredungen, welche auf Einstellung der Arbeit oder auf Entlassung von Arbeitern oder auf Erhöhung des Preises von Waren gerichtet sind, theilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder wer Andere durch gleiche Mittel an dem Rücktritte von solchen Verabredungen zu hindern sucht, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. (…) Der ganze Paragraph, so wie er dasteht, verbessert durch den ‚arbeiterfreundlichen‘ Strafgesetz-Ausschuss, ist nichts mehr und nichts weniger als ein hartes Ausnahmsgesetz gegen die Arbeiterklasse – oder er ist einfach überflüssig und nichtssagend. Er ist aber vielsagend und nothwendig – für die Besitzenden.“

 

Genosse Salzmann“: Unter einem bringt die „Arbeiter-Zeitung“ im Jänner 1890 ein Beispiel für Maßregelung nach Koalitionsgesetz § 3 mit anschließendem Schubarrest, Aushebelung des „bürgerlichen Rechtsstaats“: „Schon gegen Ende des Streiks ließ sich ein Mitglied des Lohncomités, Genosse Salzmann, leider zu einem Wortwechsel mit einem der wenigen Ausreißer, der sein Wort gebrochen, hinreißen. In der Hitze des Wortgefechtes sagte er ihm: ‚Das wird Dir keine Rosen bringen‘, oder auch (es ist nicht ganz festgestellt): ‚Es wird Dir wieder so gehen, wie damals in der Wichtlgasse‘; dort hatte der Betreffende nämlich einmal Hiebe bekommen. Diese Äußerung war nun gewiss keine wirksame ‚Einschüchterung‘, denn der Betreffende arbeitete weiter; es war nicht einmal eine richtige ‚Bedrohung‘, sondern eine mehr oder minder richtige Prophezeiung, die übrigens freilich nicht am Platze war.

Ein ‚gesetzliebender‘ Meister zeigte die Sache an; für den 12. December, man merke das Datum, war Gen. Salzmann zum Polizeikommissariat Ottakring zur ‚Auskunftleistung‘ vorgeladen, wurde aber sofort in Haft genommen, angeblich, weil er ein ‚gefährlicher Agitator‘ sei. Der Energie seines Vertreters, Herrn Dr. [Moritz] Zweybrück, gelang es durchzusetzen, dass die Verhandlung beim Bezirksgericht Ottakring schon am 14. Dezember stattfand, wobei Gen. Salzmann wegen Übertretung des § 3 des Koalitionsgesetzes zu 14 Tagen Arrest verurtheilt wurde. Der Vertheidiger meldete Berufung an und beantragte die Enthaftung. Dem Antrag wurde nicht stattgegeben, wegen ‚Gefahr der Wiederholung des Deliktes‘. Dr. Zweybrück machte sofort die Beschwerde unter Vorlegung der Akten an das Landesgericht, welches der Beschwerde am 17. Dezember stattgab, so dass der Angeklagte an diesem Tage auf freien Fuß zu stellen war. Das Bezirksgericht entließ ihn auch wirklich um 11 Uhr Vormittags, aber nur um ihn dem Polizeikommissariat zu übergeben, von wo er abends ins Polizeigefangenenhaus übergeführt wurde. Dort hatte er einige Verhöre über seine ‚Agitation‘ zu bestehen und wurde am 19. Dezember zur Appellationsverhandlung ins Landesgericht geführt, bei welcher die 14tägige Strafe in eine 8tägige gemildert wurde; nach der Verhandlung kam er zurück ins Polizeigefangenenhaus.

Am 23. Dezember, nach 11tägiger Haft, wurde er zum Strafantritt zurück ans Bezirksgericht Ottakring spedirt, welches er am 31. Dezember verließ, um – doch davon später. Hier soviel, dass Gen. Salzmann, obwohl das Landesgericht seine Enthaftung verfügte, von der Polizei in Haft gehalten wurde. (…)

Am 31. Dezember hatte Salzmann, wie gesagt, abgebüßt und wurde, in der bei ihm üblichen Weise ‚auf freien Fuß gestellt‘, d.h. er wurde wieder in das Polizeigefangenenhaus überbracht und ihm mitgetheilt, er sei aus Wien und Niederösterreich ‚polizeilich abgeschafft‘. Man fragte ihn, ob er rekurriren wolle; Salzmann hatte aber vor allen ‚Rechtsmitteln‘ eine heilige Scheu bekommen und verzichtete darauf. Eine mündliche Vorstellung des Vertheidigers beim Polizei-Präsidenten blieb erfolglos.

Am Neujahrstage wurde Gen. Salzmann photographirt; am 3. Jänner kam er in den Schubarrest, am 4. Jänner Früh auf den Schubwagen, um nach Jägerndorf gebracht zu werden, wo er zuständig ist. Seine Eltern wohnen in Wien. Auf dem Wege übernachtete er zweimal im Schubarrest: in Olmütz und in Freudenthal. (…) Am 7. Jänner kam Gen. Salzmann endlich in seinem ‚Heimatsorte‘, der für ihn die Fremde ist, an. (…) Dies Alles, weil er einen Kollegen ‚einzuschüchtern versucht hat‘.[16]

 

Isidor Ingwer als Agitationsredner in Tirol um 1895/96

Am 22. Juli 1895 zeigt die 1892 gegründete sozialdemokratische Tiroler „Volks-Zeitung“ an, dass in der „Erstem Wiener Volks-Buchhandlung Ignaz Brand soeben erschienen [ist]: Der sogenannte Arbeits-Vertrag. Eine sozialpolitische Studie. Von Dr. I. Ingwer, 36 Seiten. – Preis 10 kr. – 50 Exemplare fl. 3,50. - Inhalt: 1. Einleitung. 2. Politische Rechtlosigkeit und wirthschaftliche Freiheit. 3. Der Arbeitsvertrag. 4. Rechte u. Pflichten der Hilfsarbeiter. Die Folgen des Vertragsbruches. 6. Das Koalitionsrecht der Arbeiter. 7. Das Arbeitsbuch. 8. Der sogenannte Lehrvertrag. 9. Schluss.“ Ingwer bot: Arbeitsrecht aus der Perspektive der Arbeiterklasse, für die Arbeitenden!

Im Jänner 1896 hält Isidor Ingwer eine Festansprache vor dem „Fachverein der Verkehrsbediensteten Oesterreichs. Ortsgruppe Innsbruck“. Bereits Ende November 1895 hat Ingwer vor einer gut besuchten, von der sozialdemokratischen Ortsgruppe organisierten Volksversammlung in Rankweil in Vorarlberg gesprochen: „Hierauf ergriff Gen. Dr. Ingwer aus Wien als Referent das Wort. Redner schildert in ausführlicher, populärer Weise die Lage des arbeitenden Volkes und wies an der Hand der Statistik den Untergang des Bauern und Kleingewerbetreibenden nach, schilderte die entsetzlich traurige Lage der Arbeiter und das Anwachsen der Arbeitslosen, welche durch die wahnsinnige Productionsweise, sowie die Profitwuth des Unternehmerthums ins Ungeheure anwächst. Uebergehend zur Wahlreform, schildert der Referent das österreichische Wahlunrecht, sowie die politische Rechtlosigkeit des arbeitenden Volkes und bemerkt ferner, daß die gegenwärtige traurige Lage des Proletariats erst dann eine Besserung erfahren wird, bis die Wahlreform erledigt ist, weshalb es sich die Socialdemokratie zu ihrer heiligen Pflicht macht, nicht eher zu ruhen, bis das allgemeine, gleiche und directe Wahlrecht erkämpft ist. (Volks-Zeitung 19. Dezember 1895, 17. Jänner 1896)

Wer war Isidor Ingwer? 1866 in Tarnopol in Galizien als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren trat er nach der Wiener Promotion 1888 in die Brünner Advokaturpraxis ein. Nachdem Ingwer als „äußerst gefährlicher Agitator“ eine Rede vor Brünner Sozialdemokraten mit dem Ruf: „Es lebe die rothe revolutionäre Socialdemokratie!“ beendet hatte, wurde er deshalb wegen des Anpreisens von „durch die Gesetze verbotenen Handlungen“ zu 100 Gulden Geldstrafe (20 Tage Arrest als Ersatzstrafe) verurteilt, da er zum „Hass gegen die bestehenden Einrichtungen, speziell aber gegen die besitzenden Klassen“ mobilisiert habe. In der Folge wurde Ingwer dauernd aus dem Kronland Mähren abgeschafft.

Auch wenn das Reichsgericht das Ausweisungserkenntnis kassierte, nahm Ingwer nun in Wien die Advokatur auf. Mitte der 1890er Jahre trat Ingwer als Anwalt der Streikenden in den scharfen böhmisch-mährischen Bergarbeiterkämpfen auf. Neben seiner Tätigkeit als Anwalt, als Verfasser arbeitsrechtlicher Studien trat Ingwer als Redner in zahlreichen sozialdemokratischen Versammlungen auf. Im innerparteilichen Streit, ob das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht auch mit dem Mittel des politischen Massenstreiks errungen werden sollte, zeigte sich Ingwer als Anhänger des reformistischen Modells. Er war ein Gegner des „anarchistischen“ Generalstreiks.

In den Jahren nach 1900 war Ingwer als ständiger Gewerkschaftsanwalt (der Metallarbeiter), Anwalt vieler Hungerdemonstranten („Exzedenten“) der Wiener „Teuerungskrawalle“ vom September 1911 tätig,[17] aber auch als Anwalt für Sozialdemokraten wie Adelheid Popp, Franz Schuhmeier, Jakob Reumann oder den Eisenbahngewerkschaftler Josef Tomschik, fallweise auch für Victor Adler.

Nach dem 12. Februar 1934 vertrat Ingwer vom Austrofaschismus verfolgte, internierte Parteigenossen. Nach dem „Anschluss“ 1938 aus der Liste der Anwälte gestrichen und enteignet wurde er im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Die katastrophalen hygienischen und sonstigen KZ-Bedingungen überlebte Ingwer nicht einmal ein Monat: Der 19. August 1942 ist als sein Todestag vermerkt.[18]

Isidor Ingwer hat sich immer wieder auf von deutschen Sozialdemokraten zum Streikrecht vorgelegte Schriften zum Koalitionsrecht (von Carl Legien oder von Hugo Haase) gestützt. Eindruck machte auch Augst Bebels große Reichstagsrede „gegen die Zuchthausvorlage, gegen die Vernichtung des Koalitionsrechtes“ (1899).[19]

Zwischen 1906 und 1910 beobachtete Isidor Ingwer im Zusammenhang mit der laufenden Strafrechtsreformdebatte Versuche das Koalitionsrecht, das Koalitionsgesetz von 1870 massiv zu verschlechtern, es insgesamt dem Strafrecht zu überantworten. Vor allem im nicht publizierten Lammasch-Hoegel-Entwurf sah Ingwer einen Angriff auf das Kampfrecht der Arbeiterklasse durch überzogene Ausdehnung der Straftatbestände verborgen, sodass etwa alle Solidaritäts-, Sympathie- oder Abwehrstreiks strenger Sanktionierung verfielen. Während in den Entwürfen keinerlei Strafmaßnahmen gegen alltägliche „Lohnprellerei“ und gegen die Gefährdung der Gesundheit mangels Arbeitsschutzmaßnahmen vorgesehen waren, sollen „kontraktbrüchige Arbeiter“, Streiks ankündigende Aktivisten drakonischer bestraft werden. Hinter den Entwürfen steht nach Ingwer das Bemühen der unternehmerischen „Scharfmacher“, den Arbeitern „das Koalitionsrecht zu rauben“. Streikaufrufe sollen auch vermehrt den Tatbestand der „Aufwiegelei“ erfüllen. Die passive Resistenz soll ebenfalls mit Hilfe der neuen StG-Entwürfe leichter gebrochen werden können.[20]

Einige Beispiele aus Ingwers anwaltlichem und rechtsliterarischem Einsatz für streikende Arbeiter verdeutlichen seine Aktivität:

  • Abstrafungen nach der Kontraktbruchregelung des § 85 der 1885 novellierten Gewerbeordnung[21] zählten neben jenen des § 3 Koalitionsgesetz zu den häufigsten Maßregelungen. Isidor Ingwer zählte 1912 die gewerbebehördliche Strafbarkeit des Kontraktbruchs, also vor allem jene des Austritts aus dem Arbeitsverhältnis aus Anlass eines Streiks ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, neben dem Arbeitsbuch (§ 80 Gewerbeordnungsnovelle 1885) zu einer der zentralen „Fesseln des Koalitionsrechtes“. Ingwer unterstützte den von den sozialdemokratischen Reichsratsabgeordneten und Gewerkschaftlern Johann Smitka und Anton Schrammel 1909/10 eingebrachten sowie von Julius Ofner unterstützten Antrag auf Abschaffung dieser „asymmetrisch“ auf die Arbeiterschaft begrenzten Strafbarkeit. Nach rechtsstaatlichen Kriterien soll es keinen Weg vom allein zivilrechtlich relevanten Vertragsbruch zum Strafrecht geben. Die Schadenersatzansprüche gegen Streikende und deren Verbände waren nämlich durchaus nicht harmlos, wie Ingwer 1912 beobachtet: „Viele von Ihnen werden sich denken: Schließlich und endlich kann es uns gleichgültig sein, wenn Arbeiter zur Zahlung von ein paar tausend Kronen verurteilt werden, sie haben nichts und man wird bei ihnen auch nichts finden. Das ist nicht wahr. Es sind mir gerade in meiner Praxis Fälle vorgekommen, die sich besonders schwierig gestaltet haben. Während eines Streiks der Brauereiarbeiter hat sich folgender Fall ereignet: Es hat sich da um Brauer gehandelt, die außerhalb Wiens arbeiten. Nun ist Ihnen bekannt, dass auf dem Lande kleine Grundbesitzer, kleine Häusler, die als Landwirte oder als Hausbesitzer nicht so viel verdienen, als sie zu ihrem Unterhalt brauchen, genötigt sind, in Fabriken zu arbeiten. Gerade bei diesem Streik der Brauereiarbeiter ist es vorgekommen, dass unter diesen Arbeitern viele kleine Besitzer waren, darunter Leute, die ursprünglich gar nicht der Organisation angehört haben und die nur durch die mächtige Streikbewegung mitgerissen wurden, sich freiwillig dem Streik angeschlossen und so während des Streiks der Organisation große Dienste geleistet haben. Diese Leute wurden nun auf Schadenersatz geklagt, weil die Maische dadurch, dass die Arbeiter die Arbeit eingestellt haben, verdorben wurde, und so ein Schade von Tausenden von Kronen erwachsen ist. Diese Leute wurden auch verurteilt. Nun waren sie der Gefahr ausgesetzt, dass sie ihr kleines Besitztum verlieren. (…) Das ist aber nicht nur bei dem Streik der Brauereiarbeiter vorgekommen. Erst im vergangenen Jahre war in Böhmen ein Streik der Textilarbeiter, bei dem die Unternehmer ebenfalls auf Ersatz eines Schadens, den sie mit vielen Tausenden von Kronen bezifferten, geklagt haben. Es wurde eine Unmasse von Arbeitern geklagt und es wurde nach dem berühmten Muster der Versuch gemacht, die Organisation zu packen; es wurde daher auch die Union der Textilarbeiter als Mitschuldige belangt, weil sie den Kontraktbruch angeblich veranlasst haben soll.“ In diesem Fall vergeblich!

 

  • Arbeitsbücher als „Merkmal der Sklaverei“: Unter einem verlangte Ingwer die Abschaffung der Arbeitsbücher, der „Steckbriefe“ gegen die Sklaven des Kapitalismus, der „Fußkette der polizeilicher Legitimation“. Das Arbeitsbuch degradiert den Proleten gerade im Streikzusammenhang „zu einem Paria“, da sie in den Arbeitsbüchern nicht nur mit geheimen Zeichen als Sozialisten markiert werden, sondern auch als Streikteilnehmer. Arbeiter, die seit 1890 für die Bewegung des 1. Mai agitiert haben, werden nicht nur über „schwarze Listen“, sondern auch dadurch gebrandmarkt, dass das Entlassungsdatum in Buchstabenform „erster Mai“ in das Arbeitsbuch eingetragen wird oder direkt: „Wegen Streik entlassen!“ für unzulässig, das andere für zulässig.“ Arbeitsbuch und Kontraktbruchregelung wurden erst im Jänner 1919 in den ersten Tagen der Republik beseitigt.
  • Isidor hatte u.v.a.m. konkret den Ausstand der Sensenschmiede 1908 im Blick: Für diesen Streik von 1200 Sensenschmieden, der sich über mehrere Wochen der ersten Jahreshälfte 1908 hinzog, erfolgten allein gut 800 Abstrafungen wegen Kontraktbruchs. Die an Standorten wie Waidhofen an der Ybbs, Amstetten, Mürzzuschlag, Steyr, Klagenfurt, Wolfsberg oder Jenbach streikenden Sensenarbeiter verlangten 30–40-prozentige Lohnerhöhung und eine Arbeitszeitverkürzung um 30 Prozent. Allein am Standort Jenbach wurden von 130 streikenden Sensenschmieden knapp 50 wegen verschiedener Vergehen, u.a. hatten sie den systematisch angeworbenen Streikbrechern eine „Katzenmusik“ bereitet, verurteilt. Die Bezirkshauptmannschaft Schwaz machte Ende Jänner abmahnend kund, dass die Jenbacher Arbeiterschaft „die Bestimmungen des Par. 85 G.O.“ einzuhalten habe, „wonach ein Hilfsarbeiter, der das Arbeitsverhältnis ohne gesetzlich zulässigen Grund verlässt, sich einer Übertretung der Gewerbeordnung schuldig macht und nach den Bestimmungen derselben zu bestrafen ist. Außerdem ist der Gewerbeinhaber berechtigt, den Ersatz des hierdurch erlittenen Schadens zu begehren. Weiters wird auf den Par. 3 des Coalitionsgesetzes vom 7. April 1870 RGBl. Nr. 43 aufmerksam gemacht. Die Arbeiterschaft wird sohin aufgefordert, sich jeder Demonstrationen, Überfälle und sonstiger Ausschreitungen, wie auch insbesondere der Überredungen, Bedrohungen und Einschüchterungen zu enthalten, widrigenfalls die Sicherheitsorgane einschreiten müssten.“[22]
  • Isidor Ingwer als Anwalt im Bergarbeiterstreik 1896: Provoziert durch die „Entlassung bezw. Kündigung einiger agitatorischer und excessiver Arbeiter“ streikten im Frühjahr im Bezirk Mährisch-Ostrau mit begrenztem Erfolg über 28 Tage ca. 18.000 Bergarbeiter für 10-25% Lohnerhöhung, für wöchentliche Lohnauszahlung und für die Wiederaufnahme der Entlassenen. In Reaktion auf den Streikausbruch wurde „ein Bataillon vom Infanterieregiment Kaiser Franz Josef I. aus Troppau“ in das Karwin-Ostrauer Revier verlegt. Militärstreifen führten streikende Maschinisten zwangsverpflichtet vor. Mehrere Bergarbeiter wurden im Weg des § 3 Koalitionsgesetz diszipliniert. Streikagitation wurde presserechtlich unterbunden: „Wegen Übertretung des Koalitionsgesetzes wurden zwei junge Burschen verhaftet. (…) In Karwin treiben Soldaten und Gendarmen die Streikenden zur Arbeit. (…) In Mährisch-Ostrau sind sieben Arbeiter wegen Übertretung des 23 Preß-Gesetzes [vom 17. Dezember 1862, RGBl. 6/1863] angeklagt, weil sie die bekannten Zettel mit der Inschrift: ‚Wir verlangen die wöchentlichen Auszahlungen, da die monatlichen schädlich sind‘, unter ihren Mitarbeitern verbreiteten, beziehungsweise sie ihnen zum Unterschreiben vorlegten. Die Werkleitungen drohten den Angeklagten überdies mit Entlassung, falls sie verurtheilt werden.“ (AZ 5. März 1896) Weiters kamen die üblichen vereins- und versammlungsrechtlichen Sanktionen zum Tragen. Fast alle Versammlungen, die für die Streikmoral unabdingbar waren, wurden untersagt: „In Mährisch-Ostrau wurden gestern und heute mehrere Versammlungen verboten, angeblich weil sie ‚nicht gesetzmäßig einberufen‘ waren. Wir wissen noch nicht, worin die ‚Ungesetzmäßigkeit‘ der Einberufung gelegen sein soll, und ob die Behörden wirklich genöthigt waren, das bisschen Versammlungsrecht im Streikgebiet, diese einzige Waffe der Arbeiter, zu beschneiden. Es scheint jedoch, dass diese Versammlungsverbote durchaus kein Zufall sind, sondern andeuten, dass man den Arbeitern das Versammlungsrecht überhaupt nehmen will. Wie man uns aus Mährisch-Ostrau berichtet, wurden die Obmänner der Vereine ‚Prokop‘ und ‚Gerechtigkeit‘ zur Polizei zitirt und ihnen nahegelegt, sich die Anzeigen von Versammlungen zu ersparen, da es der Behörde unlieb wäre, wenn sie sie verbieten müsste.“ (AZ 8. März 1896) In die wenigen genehmigten Versammlungen drangen „ganz ungesetzlicherweise“ Gendarmen ein, um Arbeiter zu verhaften. Streikaktivisten wurden nicht nur im Gerichtsweg kaltgestellt, sondern auch durch Entlassung, so vor allem Mitglieder von Streikkomitees: „Durch Entlassung der Vertrauensmänner wollen die Grubenpaschas die Organisation zerstören oder wenigstens schwächen, die Wiederaufnahme der Entlassenen bleibt daher die wichtigste Forderung der Streikenden.“ (AZ 22. März 1896) Ingwer reist in das Streikgebiet: „Inzwischen wird gegen die Streikenden trotz ihres musterhaften Verhaltens die Abschreckungsmethode fortwährend angewendet. Am Freitag hat der Bezirksrichter von Freistadt zwei Arbeiterinnen, welche einen Bergarbeiter davon abhalten wollten, die Arbeit aufzunehmen, wegen Übertretung des § 3 des Koalitionsgesetzes zu zwei Monaten (!!) Arrest verurtheilt und beschlossen, sie in Haft zu behalten. Gestern intervenirte Dr. [Isidor] Ingwer beim Bezirksrichter dafür, dass die Frauen enthaftet werden, weil ihnen sonst die Möglichkeit, die Berufung anzumelden, benommen wird. Da diese Intervention erfolglos blieb, wurde an den Justizminister telegraphirt, der wahrscheinlich auch noch nicht gehört haben dürfte, dass jemand für Übertretung des Koalitionsgesetzes zwei Monate Arrest bekommen hat. Bis zur Stunde ist jedoch noch keine Verfügung des Justizministers bekannt geworden.“ (AZ 11. März 1896) Isidor Ingwer sah als in das Streikgebiet entsandter gewerkschaftlicher Rechtsvertreter die tägliche systematische Behördenschikane. Er sah in der Entlassung der Vertrauensleute nicht nur den Angriff auf das Koalitionsrecht, sondern auf die Existenz von Arbeiterorganisationen schlechthin: „Eine große Anzahl von Frauen und mehrere Arbeiter wurden verhaftet. Die Versammlungen sind fortgesetzt gut besucht. Fast sämmtliche Bruderladenälteste, Vereinsvorstände, Vertrauensmänner und Streikcomitémitglieder wurden im ganzen Revier entlassen und erhielten Wohnungskündigungen. Die Erbitterung wächst unaufhörlich. Materielle Hilfe ist dringend nöthig.“ (AZ 12. März 1896) Isidor Ingwer vertritt vor dem Bezirksgericht mehrere Arbeiterfrauen: „Das bloße Stehenbleiben auf der Straße, ‚Ansammeln‘ von drei bis vier Personen bedeutet nach [Richteransicht] schon die Übertretung des § 3 des Koalitionsgesetzes, weil ‚die Zeiten jetzt sehr unruhig sind‘. Mit dem größten Gleichmuthe verdonnert [der Richter] die Frauen wegen ‚Übertretung des Koalitionsgesetzes‘ zu Arreststrafen in der Dauer von zwei Monaten. Gestern saß [ein Bezirksrichter] über elf Frauen zu Gericht; fünf davon wurden freigesprochen, weil ihnen nicht einmal nachgewiesen werden konnte, dass sie auf der Straße stehengeblieben seien, fünf erhielten Arreststrafen von drei bis acht Tagen und die Bergmannsgattin Aubrecht vier Wochen Arrest. Dem Antrage des Vertheidigers Dr. Ingwer auf Enthaftung der Aubrecht wurde nicht stattgegeben, weil ‚die Zeiten noch immer unruhig sind‘. (…) Die Zahl der Verurtheilten – namentlich beim Freistädter Bezirksgerichte – steigt ins Unendliche; bis jetzt wurde uns die Verurtheilung von 15 Männern und 14 Frauen gemeldet mit einem Strafausmaße von sechsundzwanzig Monaten und vierzehn Tagen. (…) So wurde heute eine Frau, Mutter von zwei Kindern, nur deswegen von Gendarmen aus ihrer Wohnung geholt und nach Oderberg geschafft, weil sie einer Nachbarin im Gespräch Vorwürfe machte, dass deren Mann in die Arbeit geht.“ (AZ 14., 15. März 1896)
  • Isidor Ingwer und die Anwendung des „Prügelpatents“ 1854 gegen Streikposten: Mit Hilfe der von Isidor Ingwer eingehend beschriebenen polizeilichen „Prügelpatent“-Willkür, also gestützt auf eine berüchtigte Polizei-Verordnung aus dem Jahre 1854, wurden Streikaktivisten alltäglich im kurzen Weg ausgeschaltet, so während eines kleinen Wiener Werkstattstreiks im März 1894: „Bemerkenswerth ist aber das Verhalten der Polizei zu demselben. [Der Unternehmer] steht den größten Theil des Tages vor dem Hausthor. Lässt sich einer von den Streikenden erblicken, so fordert er den nächstbesten Wachmann auf, ihn zu arretiren, was derselbe auch gehorsamst thut. (…) Das Neubauer Bezirks-Kommissariat scheint überhaupt ganz eigenthümliche Begriffe von unserem Koalitionsrecht zu haben. So wurde ein Genosse verhaftet, blos weil er einige Male vor dem Geschäfte des Herrn Popper auf und abging. Er wurde wegen Nichtfolgeleistung einer polizeilichen Anordnung ‚auf kurzem Wege‘, d.h. auf Grund der Verordnung vom Jahre 1854 zu 24 Stunden Arrest verdonnert.“ (AZ 13. März 1894) Gegen streikende Arbeiter sehen Leo Verkauf und Isidor Ingwer das ganze Arsenal willkürlich administrativer und polizeilicher Maßnahmen in Stellung gebracht, so neben einem Erlass zur streikbrechenden Militärassistenz, also dem Einsatz von fachkundigen Soldaten, vor allem das so genannte „Prügelpatent“, die kaiserliche Verordnung vom 20. April 1854, „wodurch eine Vorschrift für die Vollstreckung der Verfügungen und Erkenntnisse der landesfürstlichen politischen und polizeilichen Behörden erlassen wird“ (RGBl. Nr. 96/1854). Auf dieser Grundlage wurden Streikposten etwa wegen „Passagenverstellens“ von Wachorganen im kurzen Weg arretiert. Ingwer vergleicht diese Vorgangsweise mit dem „Groben-Unfug-Paragraphen“ im deutschen Strafrecht. Ganz abgesehen davon, dass ein Streik ohne Streikposten wie ein Krieg ohne Wachtposten sei, geht Ingwer davon aus, dass ein derartig freihändiges, täglich geübtes polizeiliches Verbotsrecht nicht einmal durch das „Prügelpatent“ gedeckt ist. Auch nach dem „Prügelpatent“ kann die Polizei nicht frei erfunden willkürlich Verbote verhängen, sondern nur solche die gesetzlich gedeckt sind, etwa zwecks Sicherung des zügigen Straßenverkehrs, nicht aber zum Entfernen von Streikposten, die das öffentliche Passieren in keiner Weise behindern. Ingwer hält 1908 gemeinsam mit seinem Kanzleipartner Isidor Rosner über Streikposten, Streikbrecher fest: „Wie ein Krieg ohne Wachtposten, so ist ein Streik ohne Streikposten nicht denkbar. Das ganze Koalitionsgesetz wäre nicht einen Schuss Pulver wert, wenn die Arbeiter nicht das Recht hätten, Streikposten aufzustellen. Die Streikposten haben eine mehrfache Bedeutung: sie haben vor allem zu überwachen, was im Betriebe geschieht, ob gearbeitet wird oder nicht; sie haben ankommende Personen, die arbeiten wollen und nicht wissen, dass in der Fabrik gestreikt wird, darüber aufzuklären; sie haben den Streikbrecher anzusprechen, und ihm zu sagen, dass es im Interesse der Arbeiterschaft liege, dass in dem betreffenden Betriebe nicht gearbeitet werde. Man darf zwar den Streikbrecher nicht bedrohen oder einzuschüchtern suchen, aber man darf ihm erklären, warum die Arbeiter streiken und man darf ihn darüber belehren, dass sie nicht mutwillig in den Ausstand getreten sind. Es kommen oft ganze Züge voll mit Leuten, die Streikbrecherdienste verrichten sollen, ohne dass sie es wüssten, dass in dem betreffenden Betriebe gestreikt wird. Diesen Leuten muss man mitteilen, um was es sich handelt. (…) Weder das deutsche noch das österreichische Gesetz verbietet das Streikpostenstehen. Was aber nicht verboten ist, ist gestattet. (…) In Österreich hat sich kein Gericht gefunden, das jemanden wegen Streikpostenstehens verurteilt hätte. Da kam nun die Polizei und sprach nach berüchtigtem Muster: Man darf nicht Streikpostenstehen, weil man Leute belästigen könnte. Wenn nun die Posten trotz Aufforderung des Wachmannes nicht weggehen, kommt die berühmte kaiserliche Verordnung vom Jahre 1854, nach der man wegen Nichtfolgeleistens eingesperrt werden kann.“ (Ingwer-Rosner II, 297–299) Was im deutschen Strafrecht der „Grobe Unfug“ (§ 360) ist, das ist für Österreich das „Prügelpatent“ aus 1854: „Das deutsche Gesetz verbietet ebenso wenig wie das österreichische das Aufstellen von Streikposten, und es kann das auch nicht verbieten, denn ein derartiges Verbot wäre nichts mehr und nichts weniger als die vollständige Aufhebung der Koalitionsfreiheit. Was aber nicht verboten ist, ist gestattet; es ist also selbstverständlich, dass das Streikpostenstehen gestattet ist. Aber in Deutschland war es den Unternehmern und ihrem Justizgesinde sehr unangenehm, dass die Streikposten den Arbeitern ermöglichen, einen Streik ordentlich und eventuell erfolgreich durchzuführen. Sie haben daher lange mit heißem Bemühen gesucht und endlich, da das Gesetz ihnen keine Handhabe geboten hat, zum berüchtigten Groben-Unfug-Paragraphen Zuflucht genommen. Dieser Paragraph ist bekanntlich das Mädchen für alles der deutschen Reaktion.“ In Österreich wird analog der deutschen „Grober-Unfug“-Praxis willkürlich auf das „Prügelpatent“ von 1854 zurückgegriffen, um Streikposten schikanieren zu können. Ingwer zitierte einige Fälle, in denen er als Arbeiteranwalt aufgetreten war: „Trotz dem klaren Wortlaut des Gesetzes, trotz seiner Entstehungsgeschichte wurde aber der § 7 schon unzähligemal missbraucht. Der Anfang wurde im Jahr 1906 während eines Streiks der Metallarbeiter in Maria-Enzersdorf gemacht. Ich kann hier selbstverständlich nicht alle Missbräuche aufzählen, weil ich, wenn ich das tun wollte, eine Enzyklopädie schreiben müsste. Ich führe nur Beispiele an: Der Arbeiter Josef W. wurde zu einer 48stündigen Arreststrafe verurteilt, weil er, als er am 20. März in der Neugasse in Mödling von einem Gendarmen aufgefordert wurde, den Platz, an dem er Streikposten stand, zu verlassen, der Aufforderung nicht Folge leistete. Der Arbeiter Josef W. wurde auf Grund des folgenden Tatbestandes der Übertretung des § 7 schuldig erkannt: Er stand mit zwei Kameraden hinter der Schnellpressenfabrik, in der der Streik ausgebrochen war; da kam ein Wachmann auf ihn zu und befahl ihm, augenblicklich den Platz zu verlassen. Auf die Frage des Arbeiters nach dem Grunde der Aufforderung antwortete der Wachmann: ‚Wegen Auflaufs.‘ Der Arbeiter machte den Wachmann darauf aufmerksam, dass bei dem ruhigen Dastehen von drei Personen von einem Auflauf keine Rede sein könne, worauf der Wachmann entgegnete: ‚Also wollen Sie oder nicht?‘ Ehe der Arbeiter noch Zeit hatte, dieser sonderbaren Aufforderung Folge zu leisten, erklärte ihn der Wachmann für arretiert.“ Ein weiteres Beispiel von unzähligen: „Der Arbeiter Anton K. wurde nach Inhalt des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 31. März 1906, Z. 918/54 zu einer Arreststrafe in der Dauer von 48 Stunden auf Grund des folgenden Tatbestandes verurteilt: Er stand mit einigen Personen in der Nordpolgasse in Mödling, als Streikbrecher herankamen. Da näherte sich ihm ein Gendarm und erklärte, dass er und die anderen nicht fortgehen dürfen, bevor sich die Streikbrecher entfernt haben. Keiner widersetzte sich dieser Anordnung, als der Gendarm den Verurteilten nach seinem Namen befragte. Als dieser den Grund der Frage kennen lernen wollte, erklärte ihn der Gendarm für arretiert.“ Oder ebenfalls 1906: „Aber das sind nicht die krassesten Fälle. Die Belästigungen gingen so weit, dass man einzelnen Streikenden den Aufenthalt im Parke, der sich in der Nähe des Maria-Enzersdorfer Bahnhofes befindet, nicht gestattete. Es wurde sogar Personen, die man für Streikposten hielt, verboten, sich auf eine in der Nähe des Bahnhofes befindliche Bank zu setzen. Am 5. März 1906 wurde aber diesem System die Krone aufgesetzt. Der Schlosser N., der mit zwei anderen Arbeitern auf einer seinem Vater gehörigen Bank vor dem in der Südbahnstraße gelegenen Hause seines Vaters saß, wurde aufgefordert, das Trottoir zu verlassen, worauf N. mit den anderen zwei Arbeitern die Bank auf den Acker seines Vaters stellte, um sich auf den seinem Vater gehörigen Grund und Boden zu setzen. Darauf wurde er wegen Nichtfolgeleistung verhaftet. Als auch dieser Streich gelungen war, wurde nicht nur den Streikposten, sondern allen Streikenden verboten, mehr als zweimal am Tage auf den Wegen, die zur Fabrik führen, zu gehen.“ (Ingwer 1909, 65f.) Die österreichische Justiz verhängt unzählige Strafen gegen friedliche Streikposten, wie Ingwer nach dem Studium der Wiener Strafregister feststellt – zahlreiche Verwaltungsstrafen und Arretierungen wegen „Passagenverstellens“, wegen Nicht-Entfernung vom Trottoir, obwohl nur ruhig und einzeln dort gestanden, Polizeistrafen, die willkürlich verhängt und dann oft, aber zu spät gerichtlich behoben werden, so etwa nach einem Glasarbeiterstreik in Wien 1907:  „Der Arbeiter [und Streikposten – Anm.] Karl F. wurde vom Polizeikommissariat Ottakring zu drei Tagen Arrest verurteilt, und verhalten, die Strafe sofort abzubüßen. Dann wurde er dem Bezirksgericht Josefstadt in Strafsachen überstellt, das ihn im Urteil vom 31. Dezember 1907, …, freisprach. Der Arbeiter Mathias K. wurde von der Polizei für drei Tage eingesperrt und dann dem Bezirksgericht Josefstadt überstellt und im Urteil vom 28. Oktober 1907, …, wegen Einmengung in eine Amtshandlung bloß zu einer Geldstrafe von 5 Kr. verurteilt. Bei Gericht bekommt der Mann eine Geldstrafe von 5 Kr., bei der Polizei eine Arreststrafe in der Dauer von drei Tagen.“ Eine von Ingwer mit initiierte parlamentarische Anfrage der Sozialdemokratie wegen der ständigen Polizei-Willkürmaßnahmen gegen Streikposten blieb 1908 ergebnislos. Einige weitere Beispiele von behördlichen Schikanen gegen Streikposten, so nach einem Ausstand von Schlossern: „Anfang 1908 brach in der Fabrik der Firma Heinrich S. in Wien ein Streik aus. Die dort aufgestellten Streikposten wurden verhaftet und gestraft. So wurde der Werkzeugschlosser Josef B. vom Polizeikommissariat Landstraße (…) verurteilt, weil der Sicherheitswachmann unter Diensteid folgende Meldung erstattete: ‚B. ging vor der Fabrik heute vormittags auf und ab und ging auf einzelne Arbeitsuchende zu und machte sie aufmerksam, dass hier gestreikt wird; ich mahnte ihn ab und drohte ihm, wenn er es nochmals tue, so werde er arretiert. Als er es trotzdem wieder tat, arretierte ich ihn.‘ Von demselben Polizeikommissariat wurde auf Grund der Meldung desselben Sicherheitswachmannes der Arbeiter Franz Sch. bestraft (…). Die Meldung lautet: ‚Heute nachmittags zirka 3 Uhr beanständete ich den Nebengenannten, weil er vor dem Eingang in das Fabriklokal Heinrich S. Aufstellung nahm und den die Fabrik aufsuchenden Arbeitswilligen zurief: ‚In der Fabrik Heinrich S. wird gestreikt!‘“ Usw. (Ingwer 1909, 67f.)
  • Beschlagnahme von gewerkschaftlichen Streik-, Widerstandsfondsa. wegen Unterstützung nach § 85 Gewerbeordnung rechtswidrig ausgetretener Arbeiter, also wegen eines nach bürgerlichem Recht unerlaubten Zwecks, folglich Auslagerung in so genannte „freie Organisationen“, Verwahrung durch Vertrauensleute. Der erfahrene Buchdruckergewerkschafter und ehemalige Arbeiterradikale Karl Höger klagte am 2. Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie im Juni 1891: „Jede Organisation soll ferner daran denken, Widerstandsfonds zu schaffen. Aber dabei möchte ich Ihnen empfehlen, daß Sie sich davor hüten, daß Sie diese Widerstandsfonds in den Cassen Ihrer Gewerkschaften verwalten, sondern möchte Ihnen rathen, daß Sie sie einem redlichen und ehrenwerthen Genossen, den Sie kennen, zur Aufbewahrung übergeben: diese Widerstandsfonds wären aber von den Genossen genau zu controliren. Und zwar aus dem einfachen Grunde empfehle ich Ihnen dies auch bei den Gewerkschaften, denn wenn Sie heute daran gehen einen Widerstandsfonds zu schaffen und Sie ihn in den Cassen der Gewerkschaften aufbewahren würden, so könnte es der Behörde recht leicht einfallen, so bald sie Wind bekommen hat, wie hoch der Fonds ist, und die Behörde erhält von Allem Wind, daß sie mit dem Siegel kommt, die Casse petschirt und den Fonds wegnimmt, wenn man ihn nicht früher an einen anderen Platz gelegt hat.“ (Verhandlungen des zweiten österreichischen socialdemokratischen Parteitages, abgehalten zu Wien am 28., 29. und 30 Juni 1891, Wien 1891, 60)

 

Einige Tiroler Beispiele für die von Isidor Ingwer beobachtete Streikrepression (Koalitionsgesetz, Vereins-, Versammlungsauflösungen, Kontraktbruch, Arbeitsbuch, „Prügelpatent“, Erpressung, Abschiebung/Abschaffung, „Schutz der Arbeitswilligen“/Streikbrecher, Aussperrung)[23]

 

In Tirol, wo erst 1875 in Innsbruck ein sozialdemokratisch ausgerichteter Arbeiterbildungsverein gegründet werden konnte, streikten im Juli 1872 die Schuhmachergehilfen über eine Woche mit teilweisem Erfolg für die Anhebung der sehr niedrigen Löhne um 25–40%. Unmittelbar nach Kampfbeginn wurde das neunköpfige Streikkomitee in vorbeugende Untersuchungshaft genommen und nach § 3 Koalitionsgesetz zu einigen Tagen Arrest verurteilt.

Hinzuweisen ist u.v.a.m. auf einen scharfen Arbeitskonflikt der Tabakarbeiter/-innen in Sacco 1885: „Drei Arbeiterinnen wurden als Rädelsführerinnen in Haft genommen. Gegen sie wurde nach Paragraph 3 des Koalitionsgesetzes vom 7. April 1870 (Gewaltanwendungsparagraph) ermittelt, sie mussten jedoch nach einigen Tagen wieder in Freiheit gesetzt werden. Zwei Männer wurden ebenfalls inhaftiert.“

 

Wie ist das Streikgeschehen in einer erst im Ansatz industrialisierten, kleingewerblich und agrarisch geprägten Region wie Tirol?

Die Gewerkschaftskommission meldete 1905 für Tirol und Vorarlberg 5044 organisierte Arbeiter. Bei 71.379 Beschäftigten war dies ein Organisationsgrad von 7 Prozent, gleich wie in Galizien oder Oberösterreich. Geringer war der Anteil nur in der Bukowina oder Dalmatien. Bei einer österreichweiten Organisationsquote von 14 Prozent lag sie in Wien mit 30%, in Niederösterreich mit 13% und in Böhmen mit 11% am höchsten. (Die Gewerkschaft vom 25. Mai 1906)

Wenige, aber doch auch markante Tiroler Streikaktionen führten zu vielfältigen Disziplinierungen, so nach einem 35-tägigen Bauarbeiterstreik in Bozen im August 1900. Etwa 1000 Maurer kämpften entschlossen, aber erfolglos für die Abschaffung der Akkordarbeit und die Kürzung der Arbeitszeit an Samstagen und vor hohen Festtagen: „6 Arretierungen, 4 Verhaftungen, 1 Abschiebung, 6 gerichtliche Abstrafungen wegen Übertretung des Coalitionsgesetzes.“

Im Mai 1903 weitete sich ein kleiner einzelbetrieblicher Schneiderstreik in Innsbruck aus. „Die Gewerkschaft“ berichtet hierüber: „Da sich Streikbrecher, die dem Katholischen Gesellenverein in Wien angehörten, einfanden, so wurden die Ausständigen vom Unternehmer ausgesperrt, was durch Wochen hindurch größere Demonstrationen zur Folge hatte. Vor dem Innsbrucker Bezirksgerichte hatten sich dieserhalb erst kürzlich sechzehn Angeklagte wegen Übertretung des Koalitionsgesetzes, beziehungsweise Wachebeleidigungen zu verantworten. Acht Angeklagte wurden von einem bis zu vierzehn Tagen Arrest verurteilt.“ (Die Gewerkschaft vom 12. Februar 1904)

Im Frühjahr 1906 mündete eine Ausstandsbewegung von 135 Innsbrucker Malern in einen dreizehnwöchigen Arbeitskampf, der von einer einmonatigen Offensivaussperrung („Crimmitschauer Muster“) eingeleitet worden war. Im Rechenschaftsbericht der Tiroler Gewerkschaften für 1906 wird festgehalten: „Gleich zu Beginn des Jahres (1906) setzten die Scharfmacher unter den Malermeistern mit einer Aktion gegen ihre organisierten Gehilfen ein.“ Die Forderung nach dem Neunstundentag lehnten sie ab, boten nur kleine Lohnerhöhungen an: „Als die Gehilfen nicht ohneweiteres darauf eingingen, wurde das Lohnkomitee gemaßregelt und auf eine schwarze Liste gesetzt, wobei sich die Meister gegenseitig verpflichteten, keinen der Gehilfen bei einer Konventionalstrafe von 200 Kr. innerhalb von zwei Jahren zu beschäftigen. Als diese Maßregel die Gehilfen nicht einschüchterte, erfolgte die Aussperrung aller 120 Gehilfen.“ Auch in einem gleichzeitigen Lohnkampf der Tischler erklärte der Unternehmerverband: „Innsbruck wird die erste Stadt sein, in der der Arbeitgeberverband eine Probe seiner Stärke geben wird.“ Während des Arbeitskampfes der Maler und Tischler wurden 5 Streikende „wegen Auflaufs“ gerichtlich verurteilt, drei Arbeiter verhaftet. (Die Gewerkschaft vom 8. März 1907)

Bemerkenswert war wegen der Streikdauer ein dreißigwöchiger Lohnkampf von Innsbrucker Schuhmachergesellen von April bis November 1907. Eine Demonstration wurde polizeilich unterbunden. Im Herbst 1907 berichtet „Die Gewerkschaft“ von zahlreichen Tiroler Lohnkonflikten, von Abwehrstreiks gegen sich verschlechternde Tarifkündigungen, von der Lohnagitation der Grubenarbeiter bei Perlmoos in Häring, der Zementarbeiter in Kirchbichl oder von einem Ausstand der Bäcker in Hall, der an Streikbrechern scheitert: „Der Streik der Bäcker in Hall, die unter den gleichen Umständen und mit denselben Forderungen wie ihre Kollegen in Innsbruck in den Streik traten, endete mit einem Misserfolge. Die Ursache liegt in dem Umstande, dass sich so viele Streikbrecher fanden, dass die Betriebe aufrecht erhalten werden konnten. Die Haller Bäckereien sind auch derzeit sämtlich von Streikbrechern besetzt.“ (Die Gewerkschaft vom 11. Oktober 1907)

Anfang Juni 1909 traten in Meran über 600 Bauarbeiter, Maurer, 70 Maler und 90 Tischler vom 1. Juni 1909 an in den Lohnkampf. Während der Streik der Ersteren nach einer Woche, jener der Maler nach zwei Monaten endete, zog sich der relativ erfolgreiche Ausstand der Tischler für Minimaltarife und Neunstundenschicht unter zahlreichen Zusammenstößen über 142 Tage und fünf Monate hin, mit „35 Versammlungen, 10 Arretierungen, 7 Verhaftungen und 7 gerichtlichen Verurteilungen“.

Die Tischlereibesitzer, die – wie oft – hinter dem Streik bloß von außen kommende „sozialdemokratische Agitatoren“ sahen, planten eine generelle Aussperrung, drohten den Streikenden eine Dauersperre für den Raum Meran an. Die Anwerbung von Streikbrechern verlief schleppend. Gendarmeriestreifen versuchten, jene Vertrauensmänner aus dem Verkehr zu ziehen, die am Bahnhof von Meran den „Zuzug auswärtiger Arbeitswilliger unterbinden“ wollten. Der Bezirkshauptmann klagte: Streikposten „entfalteten eine rege Agitation am Bahnhof, um die ankommenden Arbeiter vom Streik in Kenntnis zu setzen. Tatsächlich gelang es den Streikenden mit den der organisierten Arbeiterschaft bekanntlich in hohem Grad zur Verfügung stehenden Mitteln, den Zuzug auswärtiger Arbeiter zu verhindern.“ Der Bezirkshauptmann stellte sich den Meistern für den „Schutz der Arbeitswilligen“ zur persönlichen Verfügung, „während ich andererseits den Vertrauensmann der Arbeiter für vorkommende Ausschreitungen persönlich verantwortlich zu machen für gut befand“. Beim Bezirksgericht gingen zahlreiche Anzeigen „gegen exzedierende Arbeiter“ ein.

1910 führte ein radikalsozialistisch („syndikalistisch“) dominierter Arbeitskampf der Schuhmacher in Trient zu mehreren Zusammenstößen mit Streikbrechern. Von auswärts wurde Gendarmerie „concentriert“. Gegen 18 Arbeiter wurden Strafverfahren eingeleitet, fünf Urteile sind in den Statthaltereipräsidialakten dokumentiert: wegen Übertretung des § 3 Koalitionsgesetz, weil Streikende einen Botengänger bedroht hatten, weil sie zwei Kollegen beschimpfend unter Gewaltandrohung zur Arbeitseinstellung aufgefordert hatten, weil sie eine Mutter bedrängt hatten, ihr Sohn möge sich dem Streik anschließen. Ein Arbeiter hat nach § 411 StG und § 3 Koalitionsgesetz zwei Wochen wegen einer Attacke auf einen Streikbrecher ausgefasst.

Für das Berichtsjahr 1910 klagte das Vorarlberger Gewerkschaftssekretariat über eine restriktive Streikjudikatur: „Auch an gerichtlichen Verfolgungen hat es nicht gefehlt. Wegen der geringsten Vergehen gegen das Koalitionsrecht (Sprechen mit Arbeitswilligen!) wurden Streikende wiederholt zu zwei bis vierzehn Tagen Arrest verurteilt. Dagegen durfte der Industriellenbund unter Androhung von Konventionalstrafen Arbeitgeber, die dem Bund gar nicht angehörten, zwingen, Arbeiter, die den Streikenden angehörten, zu entlassen, ohne dass der Staatsanwalt darin etwas Strafbares erblickte.“ (Die Gewerkschaft vom 14. April 1911)

Ein an der Jahreswende 1913/14 über zwei Monate anhaltender österreichweiter Streik der Buchdrucker führte auch in Tirol und Vorarlberg zu Massenkündigungen und Aussperrungen. Nach Zusammenstößen mit Streikbrechen und „gelb Arbeiterfriedlichen“[24] wurden mehrere Arbeiter verhaftet.

Im Frühjahr 1914 klagte das Tiroler Gewerkschaftssekretariat: „Anlässlich der Lohnkämpfe hat sich – wie schon so oft, auch in diesem Jahre – insbesondere in Innsbruck wieder gezeigt, dass die Behörde das Koalitionsrecht der Arbeiter nicht gleich wertet, wie das der Unternehmer. Die Polizeibehörde ist im Strafenverhängen über die Arbeiter rasch bei der Hand, selbst wenn kein Vergehen vorliegt. (…) Insoweit Vereine im christlichsozialen oder nationalen Sinne bestehen, sind sie für die Arbeiter gefährlicher, als selbst die Unternehmerorganisationen, weil es zumeist Streikbrecherorganisationen sind.“ (Die Gewerkschaft vom 10. März 1914).

 

Noch einmal zurück in die Jahre unmittelbar nach dem sozialdemokratischen Tiroler Gründungsparteitag in Telfs im Herbst 1890: Auch politische Aktivisten wurden nach Mustern verurteilt, die der Verurteilung von Gewerkschaftlern ähneln: Johann Coufal (1848-1896), Tischlergehilfe, aus Mähren stammender erfolgreicher Tiroler und Vorarlberger Arbeiteragitator wurde behördlich überwacht und wiederholt angeklagt, Im Sommer 1893 wurde Johann Coufal nach fast vierwöchiger Untersuchungshaft von einem Richtersenat in Feldkirch zu 14 Tagen Arrest und zur Tragung der Prozesskosten verurteilt. Die „Volkszeitung“ gibt am 22. Juli 1893 die Anklageschrift von Staatsanwalt Max Sander wider. Die Anklage lautete auf Verbrechen der Majestätsbeleidigung, Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und Vergehen nach §§ 300, 302 und 303 des Strafgesetzes: „Die k.k. Staatsanwaltschaft hier erhebt vor dem k.k. Kreisgerichte daselbst, als dem gemäß der §§ 13 und 51 StPO zuständigen Gerichtshofe I. Instanz gegen Johann Coufal, 46 Jahre alt, lediger Tischlergehilfe von Teschetitz, Bezirkshauptmannschaft Olmütz in Mähren, des Lesens und Schreibens kundig, vermögenslos, einmal wegen Uebertretung des Vereinsgesetzes vorbestraft (1868) die Anklage, derselbe habe dadurch:

  1. Daß er in der von ihm in der Versammlung des politischen Vereins für Vorarlberg am 4. Juni d. Js. im Gasthause zum ‚Engel‘ in Götzis gehaltenen Rede durch die öffentlich und vor vielen Leuten vorgebrachte schmähende Auslassung: ‚dass die Lage nicht besser werde, bis der Arbeiter die Mitglieder des Reichsrathes, welche heute alle bezahlte Creaturen (oder dergleichen) seien, beseitigt habe, - bis wir den Reichsrath zum Teufel jagen‘, - den Reichsrath namentlich ohne Anführung bestimmter Thatsachen der verächtlichen Eigenschaften der Charakter- und Gesinnungslosigkeit und Untauglichkeit zieh, sowie dem öffentlichen Spotte aussetzte, und
  2. daß er am 11. Juni d.J. in Bregenz wiederholt öffentlich und vor vielen Leuten zu den unsittlichen und durch die Gesetze verbotenen Handlungen, welche den Inbegriff der Ziele der internationalen revolutionären Sozialdemokratie bilden, aneiferte und dieselben anpries, indem er: a) seine bei dem Gartenfeste des Arbeiter-Bildungs-Vereines in Bregenz im dortigen Bavariakeller gehaltene Rede mit dem Toaste schloß: ‚Es lebe die internationale revolutionäre Sozialdemokratie!‘ und b) Abends vor dem Bahnhofe die zum Gartenfeste erschienenen auswärtigen Vereine mit dem Zurufe verabschiedete: ‚Die Sozialisten und Revolutionäre leben hoch, hoch, hoch!‘

ad I. Die Uebertretung gegen die Sicherheit der Ehre im Sinne des § 491 StG und des Art. V des Ges. vom 17. Dezember 1862, Nr. 8 RGBl. s. 1863 und

ad II. Das Vergehen gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung im Sinne des § 305 StG begangen, wofür die Strafe mit Berücksichtigung der Vorschrift des § 267 nach § 305 StG einzutreten hat. (…).“

Ende März 1894 wird die Redaktion der vorübergehend in Dornbirn erscheinenden, von Coufal redigierten „Volks-Zeitung“ durchsucht, eine Nummer zur Gänze konfisziert. Am 30. März 1894 „erschienen in der Redaction die Herren Staatsanwalt Sander und der Untersuchungsrichter Kelz in Begleitung von 2 Gendarmen und wiesen dem Redacteur Coufal einen Hausdurchsuchungsbefehl vor und suchten nach Manuscripten. Nachdem sie mehreres mitnahmen, wurde vom Herrn Untersuchungsrichter ein Protokoll aufgenommen. Dann wurde Gen. Coufal das Gelöbnis abgenommen, dass er ohne Wissen des Gerichtes Dornbirn nicht verlasse, unter dieser Bedingung bleibt er auf freiem Fuße, – denn die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn die Voruntersuchung wegen der Vergehen im Sinne der §§ 300, 302, 303, 491, 492, 493, und Art. V d. Gesetzes vom 17. Dezember 1862 beantragt. Am 5. April brachte der Kerkermeister des Bezirksgerichtes Dornbirn dem Gen. Coufal eine Vorladung vor den Untersuchungsrichter in Feldkirch zu einer Vernehmung, in das Spital, wo Genosse Coufal gegenwärtig in ärztlicher Pflege sich befindet, da sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlimmert hatte.“

 

Im Sommer 1894 wurde der arbeiterradikale (Streik)-Agitator Alois Treibenreif (1836 in Bozen geboren), seit den 1870er Jahren von der Polizei quer durch alle Kronländer verfolgter Aktivist, in Meran als „ein thätiger Agitator und ‚Wühler‘ verhaftet. Sein Meister hatte ihn entlassen müssen, „denn die miserable schwarze Pfaffensippe hätte den Meister materiell ruiniert.“ In der Folge wurde Treibenreif als „arbeitsscheu“ und wegen „Aufreizung gegen einzelne Classen und Stände“ (§ 302 StG) aus Meran ausgewiesen. Der in die Gegend von Innsbruck und Hall verdrängte Treibenreif legte vergeblich Berufung ein. Die Berufung gegen das Abschaffungserkenntnis wurde im Dezember 1894 abgewiesen, abgedruckt in der „Volks Zeitung“: „Ausweisbestätigung. Wie wir seinerzeit berichteten, wurde Gen. Treibenreif im Juli d.Js. aus Meran ausgewiesen. Gegen die Ausweisung wurde Recurs erhoben an die k.k. Statthalterei, auf welche folgende Erledigung erfolgte: ‚Z. 16.587. An Alois Treibenreif, Tischlergehilfe in Innsbruck. Mit hohem Erlasse vom 2.d.Mts. Z. 29.044 fand die k.k. Statthalterei Ihrem Recurse gegen das h.ä. Erkenntnis vom 13. Juli d.Js. Zl. 8878, mit welchem Sie für immer aus dem politischen Bezirke Meran abgeschafft worden sind, keine Folge gegeben, nachdem Sie durch nahezu ein halbes Jahr aus Arbeitsscheue beschäftigungslos waren und während dieser Zeit wiederholt die öffentliche Mildthätigkeit in Anspruch genommen haben, somit die Voraussetzungen des § 2 bezw. § 1a des Gesetzes vom 27. Juli 1871 RGBl. Nr. 88 für die Abschaffung gegeben sind.[25]

Gegen diese h. Entscheidung ist nach § 7 lit. c) ein weiterer Recurs nicht zulässig. Hievon setze ich Sie unter Rückschluss ihres Arbeitsbuches hiemit mit dem Bemerken in Kenntnis, dass im Falle der verbotswidrigen Rückkehr in das Ausweisungsgebiet die Folgen der Uebertretung des § 324 Allg. Straf-Gesetz im Betretungsfalle eintreten würde. Meran, am 9. December 1894. Der k.k. Bezirkshauptmann: Unterschrift unleserlich.‘

 

Weitere Beispiele aus der „Volks-Zeitung“ (VZ)

aus VZ 1893 August 12. Bericht über den Streik der Setzer in der Bregenzer Buchdruckerei Flatz. Zuzugswarnungen wurden oft als „Einschüchterung“, also als Verstoß gegen § 3 Koalitionsgesetz qualifiziert.  

Bregenz, 8. August. Gestern Mittag stellten in der Buchdruckerei A. Flatz sämmtliche Setzer die Arbeit ein, wofür sie heute wegen Kontraktbruch zu je 14 Tagen Arrest . . . verurtheilt wurden. Den Anlaß zu dieser Arbeitseinstellung gab die Entlassung eines Setzers, wobei „Herr“ Flatz die dadurch ausfallende Arbeit den anderen Setzern aufbürden wollte (…) Vor Zuzug wird gewarnt. Alle Parteiblätter werden um Aufnahme ersucht.

 

aus VZ 1893 August 26. Stadtverweise für die streikenden Setzer der Buchdruckerei Flatz.

Bregenz, 22. August. Die vier Genossen, Herinek, Stejskal, Bergs und Götz, die Opfer der polizeilichen Maßregelung nach der Arbeitsniederlegung in der Buchdruckerei Flatz, wurden heute nach Abkürzung ihrer 14tägigen Arreststrafe als Beigabe noch mit dem Stadtverweise beehrt und mußten Bregenz binnen wenigen Stunden verlassen. Und dies alles, weil sie sich „erfrechten“, menschenwürdige Behandlung zu verlangen. Es lebe die Freiheit!

 

aus VZ 1894 März 24. Nach der Konfiskation zweite Auflage. Streik der Bozner Kleidermacher.

Achtung Kleidermacher! Die Kleidermacher in Bozen (Südtirol) sind in den Streik getreten, nachdem sich die Herren Meister sich nicht entschließen konnten, die Forderungen der Arbeiter, zehnstündige Arbeitszeit und Einführung des Taglohnes, zu bewilligen. Unterstützung der Strikenden [sic!] ist nothwendig und Zuzug strengstens fernzuhalten. Geldsendungen sind zu richten an Josef Wallensteiner, Kleidermacher, Kapuzinergaße Nr. 8 II., Bozen.

 

aus VZ 1895 Juni 14. Streik der Maurer und Handlanger in Meran.

Meran. Nachdem die Herren Baumeister die Forderung der 10stündigen Arbeitszeit abgelehnt haben, sind die Maurer und Handlanger in Meran (600 an der Zahl) in Streik getreten. Genossen! Unsere Pflicht ist es unsere Brüder kräftigst zu unterstützen, damit wir ihnen helfen den Sieg zu erringen. Zuzug ist strengstens fernzuhalten. Unterstützungen sind zu senden an Johann Mayr, Schuhmacher bei Herrn Isidor Schlögl in Meran. Die Beiträge werden in der Volkszeitung ausgewiesen. Franz Steinwendtner, Landes-Vertrauensmann.

 

aus VZ 1895 Juni 14. Arretierung eines Bregenzer Genossen wegen Teilnahme an der Feier des 1. Mai.

Das „unbefugte“ Feiern des 1. Mai – nicht strafbar. In Reichenberg verlangte ein Fabrikant von der politischen Behörde die Bestrafung „seiner“ Arbeiter, welche ohne seine Erlaubnis den 1. Mai gefeiert haben. Die Bezirkshauptmannschaft Reichenberg wies das Begehren des Fabrikanten ab. In der betreffenden Zuschrift der Bezirkshauptmannschaft heißt es unter anderem: „Diesem Ansuchen finde ich – soweit durch dasselbe die Bestrafung der Arbeiter wegen unbefugten Verlassens der Arbeit am 1. Mai verlangt wird – keine Folge zu geben, weil es sich in diesem Falle nicht um einen vorzeitigen dauernden Austritt aus der Arbeit – welchen allein der § 85 der Gewerbeordnung im Auge haben kann – sondern blos um ein willkürliches Ausbleiben von der Arbeit auf eine kürzere Zeit handelt, auf welches sich wohl die Folgen des § 85 G.-O. beziehen, was am besten daraus hervorgeht, dass sich in dem letzteren § blos auf den § 82a G.O. nicht aber auf den § 82 G.O. berufen wird. Etc. Der k.k. Bezirkshauptmann. Czerny m.p.“ Und in Bregenz hat der Herr Oberpolizei-Commissär Gran-Ruaz den Genossen Lorenz auf drei Tage ins Loch gesteckt, weil er „unbefugt“ den 1. Mai gefeiert hat. Der Commissär meinte, wenn er wollte, er könnte ihn auch drei Monate lang einsperren. Solche Vorkommnisse sind kaum danach angethan, die Achtung vor den Gesetzen und den Glauben auf die Unfehlbarkeit der Bureaukratie zu erwecken.

 

aus VZ 1895 August 16. Berichte über den Maurerstreik in Meran sowie der Versammlung und des Streiks der Maler und Anstreicher, die den 10-stündigen Arbeitstag fordern.

Meran. Zum Maurerstreik ist nachzutragen, daß wegen Abrathung von der Arbeit die beiden Maurer und Genossen Georg Moser und Fiori zu 12 Stunden Arrest verurtheilt wurden, welches Urtheil in zweiter Instanz bestätigt wurde, sie haben ihre Strafe bereits abgesessen.

 

aus VZ 1895 Dezember 5. In Meran werden streikende Arbeiter nachträglich gemaßregelt

Meran. Die Bewegung hier schreitet immer vorwärts. Das gibt nun sogar der „Burggräfler“ zu, und das will viel sagen. In einer Jereminade an die Gewerbetreibenden macht er auf das Umsichgreifen des Socialismus aufmerksam und gibt seiner Freude darüber Ausdruck, daß der Gewerbeverein Merans eine Versammlung einberufen hat, um in dieser Stellung gegen die Ausbreitung des Socialismus zu nehmen und angeblich wegen eines in der Volkszeitung erschienenen, die Gewerbetreibenden Merans verhöhnenden Artikels. Aus diesem Grunde ist es auch schon zu Maßregelungen gekommen. So entließ die Malerfirma Falch und Ohrwalder plötzlich einen Arbeiter mit dem Bemerken, er sei die Seele des Malerstreiks gewesen.

 

aus VZ 1896 Juli 17. Die Meraner Tischlergehilfen streiken für die Einführung des 10-stündigen Arbeitstages.

Meran. Tischlerstreik. Die Tischlergehilfen Merans stellten am 27. Juni an die Meister die Forderungen um Einführung des zehnstündigen Maximal-Arbeitstages, Bewilligung eines Minimallohnes von 1 fl. 50 kr. per Tag und Abschaffung von Kost und Logie beim Meister sowie der Accordarbeit. Nachdem die Arbeitgeber sämmtliche Forderungen schroff ablehnten, sahen sich die Collegen veranlaßt, in den Streik zu treten. Es sind dies 70 Collegen, von denen 12 Familienväter sind. Indem die Noth nach Arbeitskräften eine große und die Einigkeit unter den Collegen eine gute ist, hoffen wir auch, daß wir durch die Unterstützung aller zielbewussten Collegen zum Ziele gelangen werden. Zuzug von Tischlergehilfen nach Meran ist streng ferne zu halten und Unterstützung ist nothwendig. – Sitz des Lohn-Comités ist Café Paris, 1. Stock. In dessen Vertretung mit Brudergruß Theodor Hackenberg, Obmann.

 

aus VZ 1896 Juli 17. Polizeiaufgebot in Meran aufgrund des Tischlerstreiks. Die Namen der Streikenden werden notiert und trotz Entscheidung des obersten Gerichtshofs, dass die Abschiebung streikender Arbeiter ungesetzlich ist, wird ihnen mit Abschiebung gedroht.

Zum Tischlerstreik in Meran wird uns aus verläßlicher Quelle nachträglich berichtet: Seit gestern 4 Uhr Früh gehen Gendarmen mit aufgepflanzten Gewehren und Polizei die ganze Stadt und Umgebung abpatroullieren und notieren einzelne Namen ganz ohne jede Veranlassung. Der Bezirkshauptmann hat sich den Meistern gegenüber geäußert, daß er mit allen Mitteln gegen uns Streikende vorgehen wird. Der Polizeicommissär hat seine Leute von einer Werkstätte zur anderen geschickt, die Namen sämmtlicher Streikenden aufzunotieren und schrieb sich bei der Krankenkasse die Namen sämmtlicher Tischlergehilfen heraus. Als Sonntags die entlassenen Collegen ihre Bücher bei ihm unterfertigen ließen, schrie er sie an, sie mögen aber jetzt schauen, daß sie von Meran fortkommen und äußerte sich, wer binnen 3 Tagen nicht beweisen könne, daß er in Beschäftigung stehe, von hier ausgewiesen würde. Noch ist es kaum acht Tage, daß der oberste Gerichtshof entschieden hat, daß die Abschiebung streikender Arbeiter ungesetzlich ist, aber die Herren Bezirkshauptmänner scheinen sich um die Gesetze den Teufel zu scheren, sobald es gilt gegen Arbeiter vorzugehen, die sich vom Unternehmerthum nicht immerdar wollen ausbeuten lassen. Wir wollen indes hoffen, daß die Landesbehörde eine offenkundige Rechtsverletzung nicht dulden und die Ausführung dieser Drohung dieses Bezirkshauptmannes verhindern wird.

 

aus VZ 1896 August 7. Weiter zum Tischler- und Tapeziererstreik in Meran. Gegen die Streikenden wird von Behördenseite mit § 3 des Koalitionsgesetzes 1870 vorgegangen. Ein Teil der Tischlergehilfen arbeitet wieder in jenen Werkstätten, in denen die Forderungen (teilweise) erfüllt wurden. Die Streikeinheit ist gefährdet.

Zum Tischler- und Tapeziererstreik in Meran. Anknüpfend an den Bericht über den Tischlerstreik in Nummer 14 der „Volks-Zeitung“ müssen wir über die Situation dieses Streiks dieser beiden Branchen nachstehend weiter berichten, um unsern Lesern zu zeigen, mit welcher Zähigkeit und Ausdauer und unter welchen Chicanen der Kampf gegen die hartgesottenen Arbeitgeber geführt werden muß. Von den 76 im Ausstand getretenen Tischlern standen vorige Woche noch 26 in Streik. Von den übrigen schnürte ein Theil bald nach Ausbruch des Streiks das Bündel und griff zum Wanderstab; der andere Theil nahm in denjenigen Werkstätten die Arbeit auf, wo die Forderungen der Gehilfen bewilligt wurden. Im ganzen sind dies elf Werkstätten, die übrigen 22 stehen noch leer und sind 60-70 Arbeitsplätze zu besetzen. Die Situation ist eine günstige für die Streikenden und ist begründete Aussicht vorhanden, daß der Streik bald zu Ende geht.

Währenddem die Tischler imstande sind, sich der zureisenden Streikbrecher zu erwehren und dieselben nach einer Unterstützung zur Weiterreise zu bewegen, haben die streikenden Tapezierer infolge der Zugereisten und von auswärts bezogenen Streikbrecher einen schweren Stand.

Diesem Umstande, daß die Streikbrecher nicht alle werden, (…) verdanken auch die Tapezierermeister ihren „heroischen“ Muth, sich gegen die Streikenden zu coaliren und die Aussperrung derselben anzustreben. Und thatsächlich sollen die drei größten Firmen mit Streikbrechern arbeiten, weshalb es diesen Herren ein leichtes war, die übrigen kleinen Geschäftsinhaber zu der Erklärung zu bewegen, daß von den Streikenden keiner mehr in Arbeit genommen werden darf. Doch, noch ist nicht aller Tage Abend; die organisirte Arbeiterschaft weiß, welcher Werth solchen „Erklärungen“ beizumessen ist. (…) Von den Gehilfen stehen 36 im Streik, die übrigen sind abgereist.

Was die Haltung der Behörden gegenüber den Streikenden betrifft (seien es nun Tischler oder Tapezierer) muß constatirt werden, daß es besonders der Polizeicommissär ist, der das Gesetz mit Füßen tritt – wenige Ausnahmen abgerechnet – und meint, wozu ihm der § 3 des Coalitionsgesetzes eine beliebige Handhabe bietet. Selbstverständlich leben wir in Oesterreich – einem Rechtsstaate – wo schneidige Polizeicommissäre und Beamte eine Verwarnung von competenter Stelle nicht zu fürchten brauchen, sobald es sich um „Arbeiterpack“ handelt. (…) So wurden die vorige Woche zahlreiche Verhaftungen vorgenommen und deren Grundlosigkeit bei den Gerichtsverhandlungen dadurch konstatirt, indem die Richter in den meisten Fällen mit einem Freispruche vorgehen mußten. Der Obmann des Lohncomités der Tischler wurde am 24. Juli abends gegen 9 Uhr ebenfalls verhaftet, jedoch am nächsten Tag vom Richter freigesprochen; im Uebrigen sind mehrere Verurtheilungen von Tapezierern als auch von Tischlern wegen angeblicher Uebertretung des § 3 des Koalitionsgesetzes von 8-14 Tagen vorgekommen. (…)

Werthe Collegen! Genossen und Genossinnen! Im harten Kampfe stehen 60 Tapezierergehilfen in Meran gegen die Arbeitgeber. Die Organisation der Meister, die beschlossen haben, keinen der streikenden Gehilfen mehr anzustellen, zeigen von der Hartnäckigkeit, mit der auf beiden Seiten gekämpft wird. Die ausständigen Collegen, die gerechte Forderungen gestellt haben, und durchschnittlich in einem internationalen Weltcurorte pro Jahr nur 28 Wochen mit 11 fl. Lohn beschäftiget waren, bedürfen, um während der Arbeitslosigkeit vor Mangel geschützt zu sein, der thatkräftigen Unterstützung ihrer Collegen, ihrer Genossen und Genossinnen, wenn der Sieg gelingen soll. Vergessen die Collegen nicht, daß auch sie früher oder später der Hilfe und der Unterstützung bedürfen. Eine Hauptbedingung, den Zuzug fern zu halten, gereicht zu unserem Ziele. Geldsendungen sind zu richten: an die Landescentrale unter Johann Scheich, Innstraße Nr. 79, II. Stock.

 

aus VZ 1895 Februar 21. Untersagte Eisenbahnerversammlung in Bregenz. (zwar nicht im Streikzusammenhang, aber analog).

Aus dem Bruder-Organ der „Eisenbahner“ entnehmen wir über die Vorgänge im Paschalikgebiete Bregenz folgendes: Gewaltact eines Polizisten. Am Dienstag, den 5. Februar 1895, Abends 8 Uhr, sollte in Forster’s Restauration in Bregenz eine öffentliche Vereinsversammlung des Fachvereines der Eisenbahnbediensteten der k.k. Staatsbahnen stattfinden und unser Genosse Tomschik in derselben über die Lage der Eisenbahnbediensteten, Zweck- und Nutzen der Eisenbahner-Fachorganisationen referieren. Die Versammlung war den leitenden Personen des Bahnamtes sehr unangenehm und haben dieselben, wie man bestimmt weiß, sich geäußert, diese Versammlung darf unter keiner Bedingung stattfinden. Man hat auch jedenfalls dementsprechend die geeigneten Schritte gethan und siehe da, am Abend der Versammlung wurde dem Genossen Tomschik vom Regierungsvertreter folgendes Schriftstück überreicht: „Nr. 1904. An Josef Tomschik, Obmann des Fach- und Unterstützungsvereines der Eisenbahnbediensteten der österr. Staatsbetriebe Wien, derzeit in Bregenz. Mit Bezug auf die von Ihnen erstattete und dem Schriftführer Carl Vostatek mit unterfertigte Anzeige d.praes. 4. Februar 1895 Z. 1904, über die am 5. Februar 1895 in Bregenz stattfindende öffentliche Vereinsversammlung, wird Ihnen eröffnet, dass ich die Abhaltung dieser Versammlung auf Grund des § 2 des Gesetzes vom 15. November 1867, R.G.Bl. Nr. 135 und § 21 des Ges. vom 15. November 1867, R.G.Bl. Nr. 134 zu untersagen finde, und zwar, weil die Anzeige über die allgemein zugängliche Versammlung nicht rechtzeitig erstattet worden ist und ferner, weil die behördlichen Nachweisungen, dass dieser Verein, welcher nicht im Amtsbezirke dieser k.k. Bezirkshauptmannschaft als Vereinsbehörde seinen Sitz hat, dermalen zu Recht besteht, dass die Einschreiter derzeit Obmann bezw. Schriftführer dieses Vereines sind, und auch ein behördlich bestätigtes Exemplar der Statuten des angeblichen Vereines, welche zur Beurtheilung des statutenmäßigen Wirkungskreises desselben nothwendig sind, nicht beigebracht wurden. Gegen diesen Bescheid steht Ihnen im Sinne des § 18 des erstcitirten Gesetzes der Recurs an die hohe k.k. Statthalterei in Innsbruck 8 Tage im hierämtlichen Wege offen. k.k. Bezirkshauptmannschaft Bregenz, 5. Februar 1895. Der k.k. Hofrath: St. Julien.“ (…) [Die Polizei untersagte die Versammlung schon vor Einlangen des Bescheides. Anm.] Den Anwesenden, welche zahlreich erschienen waren, wurde von Gen. Josef Tomschik erklärt, dass wegen Unkenntnis des Gesetzes seitens des Herrn Bezirkshauptmannes die Versammlung nicht abgehalten werden kann und das Schriftstück in unserem Fachblatte zur geeigneten Besprechung gelangen wird, darüber schien der Oberkommissär Gran-Ruaz sehr erbost, denn er rief den Gen. Tomschik auf die Seite, nahm dessen Nationale auf und schrie: „Sie sind mir ein unbekannter Mann, wenn Sie nicht ruhig sind, lasse ich Sie abführen.“ Nachdem die Versammlung nicht stattfinden konnte, lud Gen. Filzer eine Anzahl Genossen zu einer § 2-Versammlung ein, so auch den Gen. Tomschik. Alle gesetzlichen Verpflichtungen wurden dabei strenge eingehalten und in dieser Besprechung dem Genossen Tomschik das Wort ertheilt. Kaum hatte dieser 10 Minuten gesprochen, als sich die Thür öffnete und ein Gendarm mit aufgepflanztem Bajonett erschien und sofort auf den Gen. Tomschik zugieng und ihn im Namen des Gesetzes aufforderte, auf die Bezirkshauptmannschaft mitzukommen. Draußen wartete der zweite Gendarm. Auf der Bezirkshauptmannschaft angelangt, schrie ihn der höfliche Obercommissär Granz-Ruaz an: „Ich werde Ihnen zeigen, hier nach Bregenz herzukommen und zu schimpfen; weisen Sie sich aus, geben Sie mir Ihre Papiere, Sie sind ein höchst politisch gefährlicher Mensch!“ (…) [Tomschik droht die Verhaftung, ihm wird vor allem auch vorgeworfen, dass er sich „in der Gesellschaft der beiden, hier als pononcirte Socialdemokraten bekannten Filzer und Fussenegger“ bewegt hat!][26]

 

 


[1] Nach Eduard Rabofsky: Zum neuen Arbeitsverfassungsgesetz (1974), jetzt in derselbe: Wider die Restauration im Recht. Ausgewählte Aufsätze und Artikel, Wien 1991, 98-115.

[2] Vgl. Rudolf Strasser - Rudolf Reischauer: Der Arbeitskampf. Eine rechtsdogmatische und rechtspolitische Studie, Wien 1972, 12-14. Vgl. Peter Goller: Ein neues Arbeitsgesetzbuch für Österreich?, in derselbe: Die Innsbrucker Juristenfakultät im 20. Jahrhundert, Innsbruck 2022, 127-179.

[3] Vgl. Hans Floretta: Zentrale Probleme der Kodifikation des österreichischen Arbeitsrechtes, in: Festschrift für Hans Schmitz I, hrg. von Theo Mayer-Maly u.a., Wien-München 1967, 43-54, hier 50f.

[4] Universitätsarchiv Innsbruck, Nachlass Hans Klecatsky, „Grundrechtsreformprotokolle 1963ff.“

[5] Vgl. den aus dem sozialistisch antifaschistischen Widerstand herkommenden Wolfgang Abendroth: Der politische Streik (1954), in derselbe: Arbeiterklasse, Staat und Verfassung. Materialien zur Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie der Bundesrepublik, Köln 1975 und u.a. auch Wolfgang Abendroth: Die Berechtigung gewerkschaftlicher Demonstrationen für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft (DGB-Rechtsgutachten 1952/53), in derselbe: Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied 1967, 203-230.

[6] Vgl. die „Beiträge zur Gewerkschaftshaftung im Arbeitskampf“ in einem dem „Bananenprozess“ gewidmeten Heft der „Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht“ 1 (1966), 161-188.

[7] Rudolf Strasser verwies in „Arbeitskampf und Strafrecht“ in: Das Recht der Arbeit, 1964, 313-321 auf den Versuch, die Straflosigkeit des Streiks an sich im Zug der laufenden Strafrechtsreform zu relativieren, doch (wieder) eine Strafbarkeit des Streiks etwa mit Blick auf § 98 StG (Erpressung) anzunehmen. 1957/58 waren in den „Juristischen Blättern“ bzw. in der „Österreichischen Juristen-Zeitung“ Beiträge erschienen, die belegen wollten, „dass der wirtschaftliche Streik unter bestimmten Voraussetzungen nach § 98 StG strafbar sei und dass aus der Aufhebung des § 481 StG [durch das Koalitionsgesetz im Jahr 1870] nicht auf die Straflosigkeit des Streiks geschlossen werden könne“. Nach dem Kommentar „Strafgesetzbuch (StGB) samt ausgewählten Nebengesetzen, hrg. von Ernst Eugen Fabrizy u.a., Manz, 14. Auflage, Wien 2022, 351“ tangiert die 1974 erfolgte Neufassung des Nötigungs-Paragraphen 105 – gemäß expliziter Erklärung des parlamentarischen Justizausschusses – den Streik als „legales Mittel des Arbeitskampfes“ nicht. 

[8] Zur Streikrechtsjudikatur der Ersten Republik, zum Begriff des Streiks und den „guten Sitten“, zur zivilrechtlichen Zulässigkeit des Streiks, zu zulässigen Streikzielen, zu Streik und Strafrecht, zum Streik und die Entlassung wegen Vertragsbruchs, zur Rechtfertigung des Streiks durch das Koalitionsrecht, zum Weiterbestand des Arbeitsverhältnisses, zum Lohnanspruch und zu Schadenersatzansprüchen grundlegend Winfried Wagner: Der Streik vor den Gerichten der Ersten Republik, in: Das Recht der Arbeit 154 (1980), 121-135.

[9] Vgl. Walter Schwarz – Günther Löschnigg: Arbeitsrecht, Wien 1982, 556-558. Zur Kritik an Nipperdey vgl. in der Nachfolge von Wolfgang Abendroth unter den Fragen nach „Friedenspflicht?“, „Verbot des sog. wilden Streiks?“, „Verbot des sogenannten politischen Streiks?“ (etwa Arbeitsniederlegung für eine bessere Betriebsverfassung) Wolfgang Däubler: Das Arbeitsrecht. Von der Kinderarbeit zur Betriebsverfassung. Ein Leitfaden für Arbeitnehmer, Reinbek 1976, 133-147 oder Wolfgang Däubler (Hrg.): Arbeitskampfrecht, Baden-Baden 1984, 36-40. Neuerdings u.a. Andreas Mair: Arbeitskampf und Arbeitsrecht. Zum Antagonismus von kollektivem Kampf und individualrechtlicher Bindung und dessen Auflösung auf Basis des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, jur. Dissertation, Innsbruck 2006. Lehrbuchliteratur zum geltenden österreichischen Arbeitskampfrecht neben Walter Schwarz – Günther Löschnigg: Arbeitsrecht, Wien 1982, 546–566 Rudolf Strasser: Kollektives Arbeitsrecht (Arbeitsverfassungsrecht). [=Floretta – Spielbüchler – Strasser, Arbeitsrecht II], 3. Auflage, Wien 1990, 163–215; Franz Marhold: Kollektivarbeitsrecht (=Mayer Maly – Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht II), Wien 1991, 95–111 oder Gert-Peter Reissner: Lern- und Übungsbuch Arbeitsrecht, 4. Auflage, Wien 2011, 485–498.

[10] „Gesetzbuch ueber Verbrechen und schwere Polizey-Uibertretungen [3. September 1803]. Zweyter Theil. Von den schweren Polizey-Uibertretungen und dem Verfahren bei denselben, § 229. Bei Verabredungen der Handwerksgesellen, um sich durch gemeinschaftliche Weigerung zu Arbeiten, oder durch andere Mittel einen höheren Tag- oder Wochenlohn, oder andere Bedingungen von ihren Meistern zu erzwingen, sind die Rädelsführer mit, durch Fasten und Züchtigung verschärftem Arreste von drey Tagen zu einer Woche zu bestrafen; und nachdem sie entweder Eingeborne oder Ausländer sind, aus der Provinz, oder den sämmtlichen Erbländern abzuschaffen.“

[11] Vgl.  Wolfgang Häusler: Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848, Wien-München 1979, 108-110, 301-330. Wolfgang Maderthaner: Arbeitskonflikte und Konfliktlösungsstrategien in industriell entwickelten Gesellschaften, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Band 1/2 (1990), 53-74. – Neben der älteren Gewerkschaftsgeschichte von Julius Deutsch oder Fritz Klenner vgl. Franz Traxler: Evolution gewerkschaftlicher Interessenvertretung. Entwicklungslogik und Organisationsdynamik gewerkschaftlichen Handelns, Wien-Frankfurt 1982. - Gerhard Meißl: Gewerkschaft und industrielle Arbeitsbeziehungen 1889-1914, in: Sozialdemokratie und Habsburgerstaat, hrg. von Wolfgang Maderthaner, Wien 1988, 53-77. - Margarete Grandner: Die Entwicklung der Gewerkschaften Österreichs vor 1914, in: Arbeiterbewegung in Österreich und Ungarn, hrg. von Wolfgang Maderthaner, Wien 1986,195-215.

[12] Vgl. Der Hungerstreik der Glasarbeiter im Isergebirge, in: Die Gewerkschaft vom 8. Mai 1903. Zu ähnlich eskalierenden Kampfverläufen, zur Lage und zum Kampf der Wiener Tramwaykutscher (1888/89) und der Wiener Ziegelarbeiter (1895) vgl. Wolfgang Maderthaner – Lutz Musner: Die Anarchie in der Vorstadt. Das andere Wien um 1900, Wien 1999, 142-144, 167-173.

[13] Die Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Österreich, Jahrgang 1899, Streik-Nummer 119, 133, 140.

[14] Vgl. Karl Lamp: in: Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes I, hrg. von Ernst Mischler und Josef Ulbrich, zweite, wesentlich umgearbeitete Auflage, Wien 1905, 187-191.

[15] 709 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses. XI. Session 1893 (6. Juli 1893), S. 33f., 171.

[16] „Antistreikparagraph“ § 145 in der Regierungsvorlage vom 11. April 1889, vgl. 822 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses X. Session 1889. Zur Geschichte der Schönbornschen StG-Entwürfe vgl. Hugo Hoegel: Gesamtreform des österreichischen Strafrechtes (einschließlich des Preßrechtes), Leipzig 1909, VI: „Auch der sodann am 11. April 1889 vom Justizminister Dr. Friedrich Grafen Schönborn eingebrachte Entwurf stand auf der gleichen Grundlage [wie jener von 1881] und wurde über denselben schon am 18. Dezember 1889 vom Ausschusse Bericht erstattet. Auch diesmal machte die am 23. Januar 1891 erfolgte Auflösung des Hauses weiteren Beratungen ein Ende. Über den von demselben Justizminister am 30. Juni 1891 überreichten Entwurf berichtete der Ausschuss am 6. Juli 1893.“

[17] Gegen die Urteile der in schnellen Massenprozessen abgeurteilten Demonstranten des 17. September 1911 vgl. den Artikel „Iustitia militans“ in „Das Recht. Volkstümliche Zeitschrift für österreichisches Rechtsleben“ 10 Jg. Nr. 8 vom 15. Oktober 1911, hrg. von Isidor Ingwer und Isidor Rosner.

[18] Vgl. Ilse Reiter Zatloukal: Isidor Ingwer (1866-1942): „einer unserer Besten“, in: Gelebtes Recht: 29 Juristenporträts, hrg. von Gerhard Strejcek, Wien 2012, 170-192.

[19] August Bebel: Gegen die Zuchthausvorlage, gegen die Vernichtung des Koalitionsrechtes! Rede im Deutschen Reichstag zum Gesetzentwurf über den Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse, 19. Juni 1899, in derselbe: Ausgewählte Schriften 4, München 1995, 402-437. Zur Streik(rechts)geschichte in Deutschland nach 1848 vgl. u.a. „Streikprojekt Uni Bielefeld 1987“ - Lothar Machtan: Streiks im frühen deutschen Kaiserreich, Frankfurt 1983. - Jürgen Schmidt: Brüder, Bürger und Genossen. Die deutsche Arbeiterbewegung zwischen Klassenkampf und Bürgergesellschaft 1830-1870, Bonn 2018, 477-528 oder bis hin zum Ruhrbergarbeiterstreik 1889 Klaus Tenfelde: Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr, Bonn-Bad Godesberg 1977, 397-597.

[20] Vgl. Isidor Ingwer: Zur Reform unseres Strafgesetzes, in: Der Kampf. Sozialdemokratische Monatsschrift 2 (1908/09), 65-70 und Isidor Ingwer: Der neue Strafgesetzentwurf und die Arbeiter [Referat auf dem Gewerkschaftskongress], in: Arbeiter-Zeitung 15. November 1910. Vgl. weiter Vorentwurf zu einem österreichischen Strafgesetzbuch (Stand: September 1909), abgedruckt in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 30 (1910), 303-419. Vgl. zur Geschichte der Strafrechtsreform ab 1902 u.a. Theodor Rittler: Lammasch als Strafrechtslehrer, in: Heinrich Lammasch. Seine Aufzeichnungen, sein Wirken und seine Politik, hrg. von Marga Lammasch, Wien-Leipzig 1922, 106-117 und zu den Vorentwürfen 1909 und der Regierungsvorlage von 1912, die im Sommer 1913 aber nur mehr das Herrenhaus passieren konnte, Theodor Rittler: Die Regierungsvorlagen zur Reform des Strafrechtes, in: Österreichische Zeitschrift für Strafrecht 3 (1912), 326-341 und gestützt auf die Strafrechts-Regierungsvorlagen 1912 und den Bericht des Justizausschusses - 90-95 und 167 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses, XXI. Session 1913 - Alexander Löffler: Die  Arbeiten der Kommission des Herrenhauses für Justizgegenstände über die Gesetzesvorlagen zur Reform des Strafrechtes, in: Österreichische Zeitschrift für Strafrecht 4 (1913), 117-128.

[21] Gesetz vom 8. März 1885 betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung (RGBl. 22/1885), womit an die Stelle des VI. Hauptstückes der Gewerbeordnung vom 20. Dezember 1859 neue Bestimmungen treten, u.a. § 85: „Vorzeitiger Austritt. Wenn ein Hilfsarbeiter den Gewerbsinhaber ohne gesetzlich zulässigen Grund (§§ 82a und 101) vorzeitig verläßt, so macht er sich einer Übertretung der Gewerbeordnung schuldig, und ist nach den Bestimmungen der letzteren zu bestrafen. Überdies ist der Gewerbsinhaber berechtiget, den Hilfsarbeiter durch die Behörde zur Rückkehr in die Arbeit für die noch fehlende Zeit zu verhalten und Ersatz des erlittenen Schadens zu begehren.“ Erst mit der Gewerbeordnungsnovelle 1885 wurde auch der § 77 der Gewerbeordnung 1859 (RGBl. 227/1859) kassiert, der trotz Aufhebung des § 481 StGB 1852 durch das Koalitionsgesetz 1870 weiter in Geltung stand: „§ 77 Es ist den Gehilfen verboten, willkürliche Feiertage und sogenannte blaue Montage zu halten, ohne Einwilligung des Dienstgebers für eigene Rechnung oder für fremde Arbeitgeber zu arbeiten, und unter sich Verabredungen zu treffen, um durch gemeinschaftliche Arbeitsverweigerung oder durch andere Mittel von ihrem Dienstherrn Bedingungen zu erzwingen (§ 481 des Strafgesetzbuches).“

[22] Für den Streik in Jenbach zitiert nach Werner Hanni: Zur Geschichte der Arbeitskämpfe in Tirol und Vorarlberg 1870–1919, phil. Diss., Innsbruck 1983, 259–265, 538. Andreas Resch: Die alpenländische Sensenindustrie um 1900. Industrialisierung am Beispiel des Redtenbacherwerks in Scharnstein, Oberösterreich, Wien 1995, 201-242. Weitere Arbeitskämpfe vgl. Metallerleben. 100 Jahre Gewerkschaft Metall – Bergbau – Energie, hrg. von Sigrid Augeneder, Wolfgang Maderthaner und Reinhard Mittersteiner, Wien 1990, 144f.

[23] Vgl. Werner Hanni: Zur Geschichte der Arbeitskämpfe in Tirol und Vorarlberg 1870–1918, phil. Diss., Innsbruck 1983. Weiter Gerhard Oberkofler: Die Tiroler Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis zum Ende des 2. Weltkrieges, Wien 1979 (2. Auflage 1986), 91–122, weiter Horst Schreiber: Die Geschichte der Tiroler Arbeiterbewegung im Überblick, in: Sozialdemokratie in Tirol. Die Anfänge, hrg. von Rainer Hofmann und Horst Schreiber, Innsbruck 2003, 15–56 und Reinhard Mittersteiner: „Fremdhässige“, Handwerker & Genossen. Die Entstehung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Vorarlberg, Bregenz 1994. Vgl. auch Joachim Gatterer: Die sozialistische und kommunistische Arbeiterbewegung in Tirol und Südtirol 1890–1991, 2 Bände, phil. Diss., Innsbruck 2017; Andrea Sommerauer: Auf den Spuren der ArbeiterInnenbewegung 1890-1945. Ein Stadtführer durch Innsbruck, phil. Diplomarbeit, Innsbruck 1992.  – Für Salzburg etwa Ingrid Bauer (Hrg.): Von der alten Solidarität zur neuen sozialen Frage. 100 Jahre Sozialdemokratie [in Salzburg], Wien-Zürich 1988, 25 [1868], 35 [1872], 37 [1879], 45-47, 48 [1899]. – Zu Niederösterreich Karl Flanner: Die Anfänge der Wiener Neustädter Arbeiterbewegung 1865-68, Wien 1975; Silvia Hahn: Große Hallen – Enge Räume. Handwerk, Industrie und Arbeiterschaft in Wiener Neustadt im 18. und 19. Jahrhundert, in: Aufbruch in der Provinz. Niederösterreichische Arbeiter im 19. Jahrhundert, Wien 1989, 7-152. Zum Streik der Feilenarbeiter von Furthof/St. Aegyd 1869, 1899 vgl. Wolfgang Maderthaner – Gerald Sprengnagel: Klassenbildung auf dem Land. Die Feilenhauer von Furthof, in ebenda, 153-213. Zu Streikkämpfen der Land- und Forstarbeiter vgl. Siegfried Mattl: Probleme agrarischer Gewerkschaftspolitik. Der österreichische Land- und Forstarbeiterverband und die Landarbeiterbewegung 1919 bis 1925, in: Neuere Studien zur Geschichte der Arbeiterbewegung I, hrg. von Helmut Konrad und Wolfgang Maderthaner, Wien 1984, 173-211. Vgl. zu elementaren Protestformen auch Josef Ehmer: Rote Fahnen – Blauer Montag. Soziale Bedingungen von Aktions- und Organisationsformen der frühen Wiener Arbeiterbewegung, in: Wahrnehmungsformen und Protestverhalten. Studien zur Lage der Unterschichten im 18. und 19. Jahrhundert, Frankfurt 1979, 143-174.

[24] Zu den von Industriellenbünden geförderten „sozialfriedlichen“, den „Terror“ der Sozialdemokratie bekämpfenden „Gelben“ vgl. die von der „Hauptstelle industrieller Arbeitgeber-Organisationen“ 1909 in Wien herausgegebene Propagandabroschüre: „Die gelbe Bewegung“.

[25] Gesetz vom 27. Juli 1871, in Betreff der Regelung der polizeilichen Abschaffung und des Schubwesens, RGBl. 88/1871; Gesetz vom 10. Mai 1873, womit polizeistrafrechtliche Bestimmungen wider Arbeitsscheue und Landstreicher erlassen werden, RGBl. 108/1873; Gesetz vom 24. Mai 1885, womit strafrechtliche Bestimmungen in Betreff der Zulässigkeit der Anhaltung in Zwangsarbeits- oder Besserungsanstalten getroffen werden, RGBl. 89/1885. Vgl. dazu der einflussreiche Strafrechtsreformer Hugo Hoegel: Straffälligkeit aus Arbeitsscheu in Österreich, in: [Grünhuts] Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 25 (1898), 623-728; 26 (1899), 215-238 [hier 230-232 zur Unterscheidung der Begriffe „Ausweisung“, „Abschaffung“, „Abschiebung“]; 719-738 und 27 (1900), 192-234, hier zu diversen sozial disziplinierenden „Korrekturmaßnahmen“ jenseits von und vermeidend Gefängnisstrafen (Zwangsarbeitshäuser, gelinder Arbeitsvermittlung), gegen den „Müßiggang“ und 199 Hoegel von diesem Standpunkt aus verachtend über Streikende auch unter dem Begriff der sozialen „Liederlichkeit“: „Eine besondere Art von Müßiggang, welche nicht selten bittere Armuth über große Mengen von Menschen herbeiführt, besteht in den massenhaften, freiwilligen Arbeitseinstellungen (Strikes) zur Ertrotzung von Vortheilen. Sei es, dass höherer Arbeitslohn, sei es, dass Verkürzung der Arbeitszeit, sei es endlich, dass Abstellung sonstiger Beschwerden den Gegenstand des Verlangens bildet, nur allzusehr sind erfahrungsgemäß die weniger gebildeten Classen von Arbeitern dazu geneigt, den Widerstand der Lohnherren durch gemeinsame Einstellung aller Arbeit erzwingen zu wollen. Unter vorübergehender Entbehrung ihres Lohnes hoffen sie durch Stillstand der Maschinen, Unmöglichkeit von Vertragseinhaltung usw. den Unternehmern Schaden zuzufügen, dass dieselben sich zur Nachgiebigkeit entschließen. Wenn dies nun nicht in kurzer Zeit gelingt, so gerathen nothwendig die Arbeiter allmälig in bittere Noth, und leicht können sie durch Aufzehrung ihrer Ersparnisse und Verkauf ihrer sämmtlichen Geräthschaften für immer der Dürftigkeit verfallen. Das ganze Verfahren ist aber ein umso verderblicheres, als der Einzelne von seinen Genossen mit Gewalt zum Anschlusse und zur Ausdauer genöthigt zu werden pflegt, und weil nicht selten die zur Wiederaufnahme der Arbeit Geneigten gar nicht mehr angenommen werden, sei es zur Strafe, sei es, weil ihre Plätze durch anderwärts Herbeigerufene, wohl selbst durch Maschinen besetzt sind.“  

[26] Vgl. u.a. die von Friedrich Tezner für das „Österreichische Staatswörterbuch“ (hrg. von Ernst Mischler und Josef Ulbrich“, Band 4, Wien 1909, 712-722 und 746-753) verfassten Artikel über „Vereinsrecht“ und „Versammlungsrecht“, dort 198-201 auch ein Eintrag über das „Schubwesen“.

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