Der Erinnerung an Adele Stürzl (1892-1944),

der 1944 hingerichteten „Rosa Luxemburg von Kufstein“, gewidmet!

 

Peter Goller

Vergessene Tiroler Arbeiteraktivist/inn/en 1875-1900. Referat aus Anlass der Projektvorstellung „150 Jahre Sozialismus in Tirol. Die Gründungsperiode ab 1874/75“

 

Die Geschichte der sozialistischen Tiroler Arbeiterbewegung einsetzend mit der Gründung des „Arbeitervereins in Innsbruck“ (1875) ist gut aufgearbeitet. Es gibt aus den 1970er Jahren die grundlegende Geschichte der Tiroler Arbeiterbewegung bis 1945, verfasst von Gerhard Oberkofler.

Es gibt die Arbeit von Reinhard Mittersteiner aus 1994, hrg. von der Malin-Gesellschaft, für die Vorarlberger Arbeiterbewegung. Es gibt eine Wiener Dissertation aus 1967 von Notburga Mair. Es gibt für das Trentino die Monographie von Renato Monteleone knapp nach 1970 in italienischer Sprache. Alles Grundlegende findet sich in diesen und weiteren Arbeiten, von denen ich hier noch den Sammelband „Sozialdemokratie in Tirol“ hrg. von Rainer Hofmann, Horst Schreiber aus 2003 erwähne, mit Beiträgen, auch von Andrea Sommerauer (u.a. zur Geschichte der soz. Arbeiterinnenbewegung), und viele andere Arbeiten mehr. Es gibt zahlreiche Arbeiten zum sozialistischen und kommunistischen Widerstand gegen den Austrofaschismus, gegen den NS-Faschismus, so von Friedrich Stepanek oder von Gisela Hormayr.

 

Warum dann ein neues Interesse an der Geschichte der hiesigen ArbeiterInnenbewegung?

Beim Nachlesen in Archivquellen und Zeitungen – vor allem in der „Volks-Zeitung“ ab 1892 - begründet von Ignaz Saska (1858-1896) - ist aufgefallen, dass es abseits der Exponenten auch viele Arbeiteraktivisten gab, die gar nur einmal an einer Stelle schattenhaft auftreten, und dazu oft nicht einmal richtig identifiziert, ohne Vornamen, mit verschriebenen „verhunzten“ Namen: Der in den 1890er Jahren die Vorarlberger soz. Arbeiterbewegung prägende Sozialist, der Tischlergeselle Johann Coufal (1848-1898), wiederholt als revolutionärer Sozialist zu Haftstrafen verurteilt, scheint etwa auch als „Zufal“, „Zufall“ etc. auf.

 

Diese anonymen Sozialdemokraten habe ich für eine Dokumentation so gut wie möglich erfasst, wenn auch bei weitem nicht abgeschlossen. Diese Tiroler „Frühsozialisten“ sollen zumindest eine „blitzartig“ aufleuchtende Biographie (im Sinn von Walter Benjamin) erhalten, oft blieb es bei einem Familiennamen, bei einer einzigen Nennung im Rahmen einer Arbeiteraktion. Hier in der Kürze nur ganz wenige Beispiele:

 

Im Sommer 1875 reichen drei Arbeiter im Zeichen des die Überwindung der kapitalistischen Lohnsklaverei fordernden Neudörfler Programms von 1874 die Statuten für den „Arbeiterverein Innsbruck“ ein: Johann Lang, Vinzenz Löntnig und Karl Kolky.

Von Johann Lang ist bekannt, dass er in „in der Mösleinschen Tischlerei nächst dem Bahnhofe“ arbeitet, von den anderen findet sich derzeit gar keine weitere historische Erinnerungsspur. Ist noch etwas zu finden?

Etwas mehr weiß man von ersten Vorstandsfunktionären des AVI, von den nach Tirol zugewanderten Gesellen Franz Reisch und Hermann Prager oder dem 1931 in hohem Alter in Armut verstorbenen, aus dem Schlesischen stammenden Schuhmacher Karl Beck. Ersterer Reisch war als oberösterreichischer Delegierter in Neudörfl. Der aus Ungarn gebürtige, in einer armen jüdischen Leinwandhausiererfamilie aufgewachsene Schneidergselle Prager ist 1877 in Steyr aktiv und wird als Atzgerdorfer Parteitagsteilnehmer verhaftet. Er zählt später zu den verfolgten Arbeiterradikalen.

In näheres biographisches Licht geraten diese Sozialisten meist nur, wenn sie politischer Repression ausgesetzt sind, sodass das Wissen über sie auch noch von der Polizeiperspektive überlagert und verfälscht ist. So werden 1880/81 der Schneidergeselle Johann Perz und der Schuster Franz Loy wegen verbotener Flugschriftenverteilung zu einigen Tagen Arrest verurteilt und anschließend aus Innsbruck „abgeschafft“. Perz und Loy hatten für Arbeiterschutzgesetze (10 Stundentag, Kinderarbeitsverbote, besseres Koalitions- und Streikrecht, Kranken-, Unfallversicherung etc.) agitiert. Ausnahmsweise haben diesmal aber zwei drangsalierte Arbeiter das Glück, den Rechtsweg beschreiten zu können. Anfang 1881 hebt das Reichsgericht, also das damalige Verfassungsgericht, den Abschiebebescheid der Tiroler Statthalterei auf, nachzulesen in der entsprechenden Rechtssammlung. Das Reichsgericht begründet, es genüge nicht, dass die beiden einer Partei angehören, die das Privateigentum in Frage stellt, man hätte ihnen schon einen individuellen Angriff auf ein bestimmtes Eigentum nachweisen müssen.

Von Johann Perz ist bekannt: „Schneider-Geselle, von Ebenthal, Bezirk Gottschee geb., nach St. Peter, Bezirk Rudolfswerth zuständig, 27 Jahre alt.“ Franz Loy gab 1880 in einem Vernehmungsprotokoll an: „Ich heiße Franz Loy, bin gebürtig von Wiener Neustadt, zuständig nach Ottnang, Bezirk Vöcklabruck in OÖ., d.z. 28 Jahre alt, Schuhmacher von Profession, stehe bei der Schuhmachermeisterin Gertrud Lener (…) hier als Gehilfe in Arbeit; halte mich seit 5 Jahren in Innsbruck auf und bin seit beiläufig 2 Jahren Vorstand des hiesigen Schuhmacher Gehilfen Fachvereines.“ Loy wurde auch vorgeworfen, Zwang im Bereich der Arbeitsvermittlung und Tarifzwang ausgeübt zu haben. Einige Schuhmachermeister verlangten deshalb die Auflösung des Vereins der Gesellen wegen Überschreitung des statutenmäßigen Wirkungskreises.

 

Ein Jahrzehnt später Anfang der 1890er Jahre – knapp nach dem Hainfelder Parteitag der Jahreswende 1888/89 und nach dem Gründungsparteitag der Tiroler Sozialdemokratie im September 1890 in Telfs im Gasthaus Traube – organisieren Wörgler, Rattenberger Sozialdemokraten eine Arbeiterversammlung. Sie verlangen den Achtstundentag, rufen zum Beitritt zur Sozialdemokratie auf. Angeführt von einem Kooperator verlangt die Gemeindevorstehung daraufhin die Entlassung von als besonders tätig und fähig eingeschätzten sozialistischen Arbeitern, als solche galten die Schuhmachergesellen Michael Seyr (Seyer) [aus Reichenau in Oberösterreich] und Josef Prader. Ein kleiner Schuhmachermeister wird gezwungen, die beiden zu kündigen, „widrigenfalls“ ihm selbst das gepachtete Geschäftslokal entzogen wird.

 

In Landeck: Mitte der 1890er – knapp vor dem österreichweiten Verbot der sozialdemokratischen Eisenbahnervereine im Frühjahr 1897 – findet sich eine aktive Sozialistengruppe in Landeck, die jüngst durch eine SP-Geschichte (Manfred Jenewein 2016) in das Licht der Geschichte gerückt wurde, so ihr kämpferischer Exponent Paul Singer (gest. 1911), der über viele Jahre seit 1893/94 im ganzen Oberinntal sozialistisch organisiert hat, den auch seine Entlassung aus dem Bahndienst 1896 nicht brechen konnte. Zum Missfallen der Bezirkshauptmannschaft Landeck sammelt Singer die Eisenbahner nun als Obmann des Arbeitervereins Landeck: „Die [Landecker] Ortsgruppe der socialdemokratischen Eisenbahnbediensteten dürfte schon zu große Erfolge errungen haben, als daß dieselbe leicht eingeschränkt werden könnte.“, stellt die Behörde 1896 widerwillig resignierend fest. Singer hat eine ganz ausgezeichnete Arbeiterbibliothek auf die Füße gestellt, woher ist dies bekannt? Auch wieder aus einem Polizeiprotokoll, das nach der Bibliotheksbeschlagnahme 1897 erstellt wurde: „Robespierre; (…) Thomas More; [Prosper Lissagaray] Pariser Commune 1871; [Friedrich Engels] Ursprung der Familie; [Emil Zola] Germinal; Ferdinand Lassalle; (…) [Josef Dietzgen] Acqisition der Philosophie; … [Josef Dietzgen] Zukunft der Socialdemokratie“, österreichische, deutsche Parteitagsprotokolle. Im nahen Feldkirch, wo zeitgleich die Eisenbahnerbibliothekt beschlagnahmt wird, findet die BH im März 1897 auch „Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850 von Karl Marx; Das Evangelium eines armen Sünders von Wilhelm Weitling; (…) Ökonomische Lehren von Carl Marx [nach Karl Kautsky] und das in Massenauflage verbreitete „Die Frau und der Socialismus von August Bebel“.

 

Über Lienz scheint in Vereinsanzeigen seit den 1890er Jahren gelegentlich auf, dass der Schuhmachermeister Marcher in der Schweizergasse Reise-, Wanderunterstützungen auszahlt. In diesem Fall gelingt es eine kleine Biographie eines vergessenen, aber wichtigen Aktivisten zu erstellen. Marcher errrichtet nicht nur den allgemeinen Arbeiterverein in Lienz, sondern hilft auch mit, eine funktionierende sozialdemokratische, im ganzen Pustertal bis hin nach Franzensfeste wirkende Eisenbahnergruppe aufzubauen, zu der auch der nach Lienz strafversetzte Wilhelm Scheibein zählt.

In Lienz versuchte der klerikale Bezirkshauptmann Graf Schaffgotsch diese Vereine – ohne Erfolg – zu zerstören, indem er im April 1894 mit Festnahmen gegen „sozialistischen Umtriebe“ vorging, da „von Lienz aus der Versuch gemacht wird, die socialistische Propaganda auf das Land hinauszutragen und junge unreife Bauernburschen für die Umsturzideen (…) zu gewinnen“.

Vor allem sollte der Müllergeselle Johann Peter Rendel in Nußdorf-Debant nahe Lienz diszipliniert und von seinen sozialistischen Genossen getrennt werden. Rendel besaß „in seiner Heimatgemeinde Winklern /:Möllthal, Bezirk Spittal:/ ein kleines Anwesen, welches derzeit verpachtet ist“. Er arbeitet als Müller in der Nähe von Lienz in Nussdorf-Debant. Die Bezirkshauptmannschaft wirft Rendel vor, bis zu 30 Genossen um sich gesammelt zu haben.

Rendel ist sehr gebildet und besitzt eine Bibliothek mit den „deutschen Klassikern und moderner Belletristik“. Neben diesen Werken besitzt er auch zahlreiche „socialistische Schriften“. Bei den Lienzer Hausdurchsuchungen fand die Polizei mehrere Ausgaben der „Arbeiterzeitung“, des „Volksfreund“, der „Arbeiterstimme“, weiter: Festschrift des „1. Mai 1891“, „Das Recht auf Faulheit“ (von Paul Lafargue), „Karl Marx vor den Kölner Geschworenen“ oder das „Das Erfurter Programm“ (1892).

Rendels Weg ist noch zu erforschen. Mathias Marcher (1853 in Oberdrauburg, teils in Lienz aufgewachsen, Schuhmacherlehre in Klagenfurt, auf Wanderschaft ua in München, um 1880 in Innsbruck -1926) selbst war nicht der querulatorische „Spinner“, wie man vereinzelte Sozialisten an der Peripherie oft abtut und diskreditiert. Er hatte – wie er selbst sagt – seine „Hochschule“ Anfang der 1880er Jahre im Innsbrucker Arbeiterverein durchlaufen und hier wird er 1881 auch verhaftet, da er die „in Zürich erscheinende revolutionären Zeitung ‚Der Socialdemokrat‘“, konkret das Exemplar vom 26. Juni 1881 besitzt. „Er ist Mitglied des hiesigen Fachvereins der Schuhmacher und Kassier des allgemeinen Arbeitervereines.“

Am 3. Jänner 1927 schreibt die „Volks-Zeitung“: „Hier in diesem Verein fand Genosse Marcher die willkommene Stätte zur Befriedigung seines Wissensdranges, er lernte schreiben und rechnen, nebenbei nahm er lebhaften Anteil an den damals üblichen Diskussionen zur Erweiterung seines Wissens und zur Schulung als Redner [u.a. konspirativ in der Sillschlucht und wurde als hervorragender Agitator in Untersuchungshaft genommen]. Die reichhaltige Bibliothek des Vereines war für ihn eine willkommene Quelle zur Stillung seines Wissensdurstes. Humorvoll und dankbar bemerkte Marcher bei passenden Gelegenheiten des öfteren, der Arbeiterverein Innsbruck sei seine ‚Hochschule‘ gewesen. Es war dies zu jener Zeit (1879 bis 1884), als in Deutschland das Ausnahmsgesetz gegen die Sozialisten wirksam war und in Österreich die sozialistischen Grundsätze als staatsgefährlich erklärt wurden.“ Mitte der 1880er Jahre kehrte Marcher nach Lienz zurück

 

Im so wie Hall oder Wattens „schwarzen“ Schwaz mit seiner Tabakfabrik, streng disziplinierten, für eine Gewerkschaft schwer erreichbaren Tabakarbeiterinnen konnte die sozialistische Arbeiterbewegung nur schwer Fuß fassen. Gewisse Erfolge sind längst vergessenen Aktivist/inn/en zu verdanken:

Nach einer „socialdemokratischen Versammlung in Schwaz“ wird im Dezember 1897 von der Bezirkshauptmannschaft Strafanzeige erstattet: „Als Hauptagitator der sozialistischen Umtriebe in Schwaz fungieren Carl Hatlauf aus Lanzenkirchen Bezirk Wr. Neustadt, Schlosser bei der k.k. Tabakhauptfabrik in Schwaz, und Josef Schweissgut, Regenschirmmacher aus Meran. Der erstere soll bereits aus der Fabrik entlassen sein, während letzterer aus der Marktgemeinde Schwaz ausgewiesen wurde.“

Im Dezember 1897 wurde Hatlauf auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt, indem öffentlich per Zirkular kundgemacht wurde: „Der in der hiesigen k.k. Tabak-Hauptfabrik in Arbeit stehende Schlossergehilfe Carl Hatlauf wird wegen socialistischer Umtriebe entlassen werden. Es ergeht daher an alle Herrn Meister und Arbeitgeber das Ersuchen, den Genannten in eigenem Interesse nicht in Arbeit zu nehmen.“

Ähnlichem Druck ausgesetzt, aber schon etwas erfolgreicher war das Ehepaar Aloisia und Georg Hanselitsch, denen nach und nach sozialistische Aufbauarbeit in Schwaz zu verdanken ist. Als Hanselitsch als Abonnent und Verteiler der Volkszeitung aufgefallen war – Aloisia H. schrieb gelegentlich Artikel für die Volks-Zeitung – wurde Georg Hanselitsch – tätig als Schlosser in der Tabakfabrik –  diszipliniert: „Der Direktor Zimmermann ließ Genossen Hanselitsch holen und hielt ihm eine kleine Standpredigt.“ Dies war noch die geringste der Schikanen. Georg Hanselitsch (1859 in Pettau, Untersteiermark – 1928) und „des umstürzlerischen Schlossers“ Gattin Aloisia H. agitierten gegen Hungerlöhne, gegen 14 Stunden Tagesarbeit. Sie stemmten sich gegen den bürgerlichen Betriebsterror gegen die wenigen „Roten“. Eine Schwazer Genossin, die „rebellische“ Tabakarbeiterin Maria Öhninger (1882-1947) ist in „Hofmann-Schreiber 2003“ biographiert.

 

Über ein knappes 1890er-Jahrzehnt war der Thaurer Gastwirt und Kleinbauer Johann Purner (für die Bauernsache) aktiv. Purner, der „rote Schützenwirt“, war insgesamt ein wichtiger Anlaufpunkt für die Innsbrucker Sozialisten, die öfter große Arbeiterausflüge nach Thaur veranstalteten.

In einer Haller Versammlung erklärte Johann Purner im Dezember 1896 den Militarismus anklagend: „Hierauf spricht der Bauer Purner aus Thaur über die Ursachen des Niedergangs des Bauernstandes, die theils in der veralteten Productionsform, theils in der maßlosen Concurrenz und der billigen Production des Großgrundbesitzes zu suchen sei, über die Schäden des Militarismus, welcher dem Volke jährlich 200 Mill. kostet, und schließt mit der Aufforderung, die Bauern mögen sich organisiren und der Arbeiterbewegung anschließen. Beide Redner ernteten für ihre Ausführungen reichen Beifall.“

 

In Kufstein zählt der junge Schuhmachergeselle Toni Auschnaiter zu den Mitgründern eines sozialistischen Vereins. Er betreibt später eine kleine Schusterwerkstätte. Im August 1894 begeht der Arbeiterverein Kufstein in der Gegenwart von 800 „rothe Abzeichen“ tragenden Teilnehmern aus der Umgebung bis Wörgl, Rattenberg oder Kitzbühel und nach Bayern reichend sein erstes Gründungsfest. Josef Holzhammer sprach, der Ton seiner Rede lautete nach Behördenangabe auf „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“.

Von Behördenseite wurde ein Polizeispitzel zur Überwachung des Festes abgestellt. Mehrere sozialistische Schriften wurden beschlagnahmt. Das Absingen von Arbeiterkampfliedern konnte nicht unterbunden werden, aber das Auftreten einer nahen Gemeindemusik konnte verhindert werden: „An Stelle der Schwoicher Musikkapelle, welche nach Kenntnis von der Tendenz des Festes in letzter Stunde abgesagt hatte, war die Innsbrucker Arbeiter-Musik erschienen.“

Bezirkshauptmann und Kufsteiner Bürgertum fürchten, dass sich die lokale Sozialdemokratie ausdehnen könnte und schlugen deshalb in repressiver Absicht vor, künftig derartige – erfolgreiche – Veranstaltungen zu untersagen: „Die Stimmung in Kufstein ist im allgemeinen gegen den Arbeiter-Fortbildungs-Verein, der wie alle diese Vereine, sozialdemokratische Tendenz bekundet und jedes Mitglied auch Sozialdemokrat ist. Das Bürgerthum will, daß alle derartigen Vereine aufgelöst und die Versammlungen verbothen werden, um die Arbeiterbewegung hintanzuhalten. Das selbstbewußte, mitunter freche Auftreten der sozialistisch gesinnten Arbeiter ist Vielen zum Ärger. Außerdem besteht die Furcht, daß die Sozialdemokratie immer mehr Anhänger auch in Tirol gewinnt, wenn derartige Vereine unter dem Deckmantel der Förderung geistiger und materieller Interessen bestehen und die sozialistisch gesinnten Arbeiter Versammlungen abhalten dürfen.“

 

Wörgl, Kirchbichl, Häring: Noch 1892 meldet die Statthalterei, die Bergarbeiter sind oft „Halbgütler“, pachten von den Bergwerkseigentümern kleine Feldstücke, „besitzen oft ein eigenes Heim mit kleinem Grundbesitz und Viehstand“ und sind „zufrieden“. Im Haller „k.k. aerarischen Salzbergwerk“ mit seinen „4-500 Mann“ sei „eine socialdemokratische Agitation nicht vorhanden“.

Gleiches konnte 1892 auch noch aus der Region Wörgl-Häring-Kirchbichl gemeldet: „Aerarisches Braunkohlenbergbau mit Gruben in Häring und der Aufarbeitung und Verfrachtung in Kirchbichl, 280 bis 300 Arbeiter“ (…) „den Arbeitern sind auch kleine Felder u. Gärten zugewiesen.“ Eine Bruderlade, eine Krankenversicherung werde angeboten. „Schulgeld für Arbeiterkinder zahlt das Werk. Verhalten der Arbeiterschaft musterhaft, socialdemokratische Agitation nicht wahrgenommen.“

Das gilt um 1890 auch für die im Bezirk Kufstein liegenden „acht Cement-Steinbrüche der verschiedenen Cementfabriken“ – ua Perlmoos - mit ca. 1000 fast durchgehend einheimischen Arbeiter, weshalb die Statthalterei für den Tiroler und Vorarlberger Bergbau resümierte: „Bei diesen Verhältnissen erklärt es sich, daß socialdemokratische Propaganda noch nirgends [im Tiroler Bergbau] constatirt wurde, die gegenwärtig noch kein genügend vorbereitetes Terrain finden würde.“

Ab 1900 ändert sich dies. Mit Hilfe der österreichischen Bergarbeiterunion und der Tiroler Landespartei werden (Berg-) Arbeitervereine gegründet. Über einen SP-Pionier der Häringer Arbeiter, den im Sommer 1918 im Armenhaus verstorbenen Johann Koidl berichtet die „Volks-Zeitung“: „Mit Koidl scheidet in Häring der älteste Kämpfer für unsere Sache aus dem Leben. Viele Jahrzehnte war Koidl im Arbeiterverein tätig. Oft hat er in Versammlungen das Wort ergriffen und die Bergarbeiter zur Einigkeit gemahnt. Als in Häring eine Union der Bergarbeiter gegründet wurde, kam der damals schon pensionierte Koidl in die Versammlung und hielt an die Arbeiter eine tapfere Ansprache. Seine Worte haben großen Eindruck gemacht (…) Der Unverstand hat dem alten braven Mann [im Armenhaus] manche trübe Stunde bereitet; so tat man alles, um ihm das Lesen der ‚Volks-Zeitung‘ zu erschweren.“

 

Aus dieser kleinen, aber gut organisierten Häringer Ortsgruppe sollte wie aus jenen im benachbarten Wörgl, Kirchbichl, Kufstein und Kitzbühel der Arbeiterwiderstand gegen den Austrofaschismus und gegen das NS-Regime hervorgehen. So findet sich schon an der Jahrhundertwende 1900 im – von Johann Filzer geprägten - Kitzbühler Arbeiterverein der 1942 in Gestapo-Haft umgekommene Josef Pair (Jg. 1875).

In Wörgl ist der junge Tischler und Bergarbeiter Johann Oberhofer (geb. 1875 in Kastelruth) aktiv, der als Schutzbündler und als ein „Aufwiegler und Rädelsführer“ des 12. Februar 1934 vom Landesgericht Innsbruck im April 1934 zu vierzehn Monaten Kerker (verschärft durch eine Einzelhaft vierteljährig) verurteilt werden sollte.

 

Diese Beispiele beschränken sich auf das Bundesland Tirol, sodass ergänzt nur drei, vier Aktivisten, die unter Mühe sozialistische (Gewerkschafts-) Organisationen im heutigen Südtirol initiierten, angedeutet werden können:

Der dutzendemale innerhalb der Habsburgermonarchie „abgeschaffte“ radikalsozialistische Alois Treibenreif (1836-1903, aus Lajen im Eisacktal gebürtiger Tischler) wird 1894 mit weiteren Genossen aus dem Raum Meran abgeschoben und auch in seinen weiteren Arbeitsstationen, um Arbeit und Existenz gebracht. Alois Treibenreif fordert in gut besuchten Bauarbeiterversammlungen höhere Löhne und die Einführung des 10stündigen Arbeitstages. Treibenreif erinnert an den Kampf der „Brüder Gracchus“ im antiken Rom, an Marx, Lassalle.

In selben Meraner Versammlungen erinnerte der 23 Jahre alte Maler Hans Gritsch an die Revolution von 1848, dass man sich das allgemeine Wahlrecht unter Umständen „mit Gewalt“ holen muss. Außerdem galt Gritsch das Wahlrecht nur als Zwischenziel. Gritsch sprach eindrucksvoll auch gegen den das Volk „aussagenden“ Militarismus und warnte vor den – angesichts neuer Militärtechnik – großen „Schrecken des nächsten Krieges“. Gritsch wird deshalb im Dezember 1893 zu dreimonatigem Arrest verurteilt.

Brachial ging die Bürokratie – unterstützt von Brixner Theologen wie Sigismund Waitz und Aemilian Schöpfer – gegen Sozialisten im Eisacktal, im Pustertal, in Bruneck, vor. Im September 1896 wird aus Bruneck mit behördlicher Genugtuung gemeldet, dass ein Versammlungsvorhaben gescheitert ist. In der Schafwollwaren-Fabrik wollte der aus Zwittau gebürtige Franz Häussler einen Arbeiterverein gründen. Er wurde postwendend aus Bruneck abgeschoben.

Ein weiterer Arbeiter, „Genosse Weber“, wurde als „Rother“ entlassen, da er in einem Dorf nahe Bruneck eine §-2 Versammlung einberufen wollte, um gegen Schundlöhne und gegen eine auch in das Privatleben drangsalierend eingreifende Arbeitsordnung in dieser Fabrik zu protestieren. Der besonders reaktionäre Bezirkshauptmann von Bruneck, ein Graf Huyn, brachte den Entlassenen um seine verbliebenen Rechte: „Genosse Weber wollte nun den Fabrikanten auf Zahlung der vierzehntägigen Kündigungsfrist bei der Bezirkshauptmannschaft klagen. Dort kam er aber an den Richtigen. Der Bezirkshauptmann, ein gewisser Huyn, schnauzte ihn an: ‚Sie sind ein Rother! Ich kenne Sie schon! Wenn ich Fabrikant wäre, ich hätte sie schon längst hinausgeschmissen! Klagen gibt es nicht! Wenn Sie innerhalb von drei Tagen keine Arbeit haben, kommen Sie auf den Schub!‘ (...) Rühmt sich dieser Herr auch unter anderem ganz offen, daß er jede Versammlung der Arbeiter zu verhindern wissen werde. So lange Bruneck besteht, war dort noch keine Arbeiterversammlung, meinte er, und so lange er Bezirkshauptmann sein wird, so lange wird auch keine sein.“

 

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