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Alexandra Weiss

 

Protest - Transformation - Geschlecht.

Zur Veränderung zivilgesellschaftlichen Protests und die Politisierung von Geschlechterverhältnissen

 

 

 

Im Zusammenhang mit der neoliberalen Transformation von Staat, Ökonomie und Gesellschaft kommt es auch zu einer Veränderung von gesellschaftlichen Grundwerten. Die Politologin Jane Jenson (1997) etwa verbindet diese Diagnose mit der Differenzierung verschiedener „Staatsbürgerschaftsregime“. Das paradigmatische Staatsbürgerschaftsregime des Fordismus ist dabei an Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Einschluss orientiert. Diese Vorstellungen über gesellschaftliche Werte im Fordismus ergaben sich aber nicht nur aus staatlichem Handeln sondern wurde auch von gesellschaftlichen Akteuren, wie den sozialen Bewegungen, konzeptualisiert und eingesetzt.

Dies ermöglichte es u.a. der Frauenbewegung – unter Berufung auf diese Prinzipien – ihre Forderungen als StaatsbürgerInnen an den Staat zu richten. Wenngleich das fordistische Modell als explizit männliches Modell identifiziert wird, so liefert es doch Ansatzpunkte, Gleichheit und Gerechtigkeit nicht nur auf das Klassenverhältnis anzuwenden, sondern eine Feminisierung des Gehalts von bürgerlichen, politischen und sozialen Rechten einzuleiten.

Beginnend mit der Krise des Fordismus Ende der 1970er / Anfang der 1980er Jahre wurde Gleichheit als zentraler gesellschaftlicher Grundwert zunehmend unterminiert und durch ein individualistisches Freiheitskonzept ersetzt. Der postfordistische Staat de-legitimiert in diesem Sinn Forderungen nach Gleichheit und Gerechtigkeit und gibt seine Verantwortung dafür nach und nach auf.

Dies wirkte sich nicht zuletzt auf das Handeln gesellschaftlicher Akteure aus. Seit den 1990er Jahren wird von einem NGO-Boom (Non-Gouvernmental-Organisations) gesprochen – es kommt in gewisser Weise zu einer Ablösung der Protestform „soziale Bewegung“ durch die Protestform „NGO“. Auch wenn NGOs an sich kein neues Phänomen sind, so hat sich doch ihre gesellschaftliche Funktion in einem sich wandelnden Kontext – der Globalisierung – verändert. Der Nationalstaat gibt im Zuge des Globalisierungsprozesses nicht nur einen Teil seiner Souveränität ab, er verändert seine Architektur, so u.a. Alex Demirovic (1998). Entscheidungskompetenzen werden an supranationale und lokale Instanzen abgegeben. Im Zuge dieses Prozesses werden NGOs in politische Planungs-, Entscheidungs- und Implementierungsprozesse einbezogen.

NGOs arbeiten – im Unterschied zu sozialen Bewegungen – eng mit staatlichen Institutionen zusammen und müssen sich von daher der Logik des politischen Systems anpassen. In diesem Zusammenhang findet eine „Re-Traditionalisierung“ des Politikbegriffes statt. Im Zuge der Professionalisierung, die für ein Agieren auf internationalem politischen Parkett notwendig ist, verlieren NGOs aber oft ihre kritische und selbstorganisatorische Bedeutung. Sie desartikulieren den Protest in eine Vielzahl von Aushandlungs- und Implementierungsprozesse und nehmen dem Protest damit die politische Sprengkraft. Was vehement gefordert wird, wird am „grünen Tisch“ verhandelbar. NGOs wird in diesem Zusammenhang zwar eine kritische Bedeutung gegenüber dem bürokratischen Zentralismus und den politischen Eliten zugestanden, systemverändernd wirken sie jedoch nicht – sie sind keine Bewegung demokratischer Selbstermächtigung (mehr).

In diesem Kontext wird die Frage nach herrschaftlichen, patriarchalen Strukturen im politischen System kaum noch gestellt (vgl. Ruppert 2000). Das deutet darauf hin, dass die „Ganzheitlichkeit“ in der Politik zivilgesellschaftlicher AkteurInnen durch Anpassungsleistungen im politischen System verloren geht.

Die Politisierung herrschaftlicher Verhältnisse ist vor diesem Hintergrund schwieriger geworden. Während im Fordismus das Recht einer Gruppe in ein Recht für alle Gruppen – auf der Basis seiner Prinzipien – ausgedehnt werden konnte, ist gesellschaftliche Fragmentierung im Postfordismus nicht mehr skandalisierbar, wird sie doch mit individueller Verantwortung und einer „natürlichen“ Gesellschaftsordnung verbunden.

 

 

 

Literatur:

Demirovic, Alex (1998): NGOs und die Transformation des Staates, in: Kurswechsel, Heft 4/1998. Wer MACHT Politik? Politische Subjekte, Akteure und Handlungsträger, S. 26-33.

Jenson, Jane (1997). Die Reinstitutionalisierung der Staatsbürgerschaft, in: Steffen Becker/Thomas Sablowski/Wilhelm Schumm (Hg.): Jenseits der Nationalökonomie? Weltwirtschaft und Nationalstaat zwischen Globalisierung und Regionalisierung, Berlin, 232-247.

Ruppert, Uta (2000): Global Governance: Das Ende der Illusionen oder ein neues Ideal internationaler Frauenpolitik?, in: Barbara Holland-Cunz/Uta Ruppert (Hg.): Frauenpolitische Chancen globaler Politik. Verhandlungsverfahren im internationalen Kontext, Opladen, S.45-66.

 

 

 

 

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