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Ein Blick hinter die Kulissen: Jonas Kolb, Universitätsassistent am Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik

Jonas Kolb arbeitet seit November 2017 als Universitätsassistent am Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik in Innsbruck. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit religiöser Alltagspraxis von MuslimInnen in Österreich, empirischer Islamischer Theologie und interreligiöser Religionspädagogik.

Seit drei Jahren bin ich als Universitätsassistent am Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik der Universität Innsbruck tätig. Um einen Blick hinter die Kulissen und auf meine Arbeitspraxis werfen zu können, möchte ich zunächst einmal meinen Werdegang skizzieren. Dieser ist keineswegs stringenter Natur. Dass ich einmal im Bereich der Islamischen Theologie und Religionspädagogik meine berufliche Zukunft finden würde, war nicht unbedingt vorgezeichnet.

Aufgewachsen in Bayern, in der ebenso beschaulichen wie pittoresken Kleinstadt Nördlingen, zog es mich nach der Schule für das Studium der Politikwissenschaft nach Berlin. Während eines einjährigen Studienaufenthaltes in Ljubljana, Slowenien, reifte der Gedanke, mich in meiner Diplomarbeit mit dem ethnischen Konflikt zwischen deutschsprachiger Bevölkerungsmehrheit und der slowenischsprachigen Minderheit in Kärnten/Koroška zu beschäftigen. Dieses Vorhaben verschlug mich dann nach Österreich. Dass der Aufenthalt von Dauer sein würde, wusste ich damals noch nicht.

Ich begann dann 2009 im Museum bzw. der Gedenkstätte Peršmanhof bei Bad Eisenkappel/Železna Kapla zu arbeiten, das bzw. die sich der lokalen Geschichte der slowenischsprachigen Bevölkerungsminderheit widmet und insbesondere an deren Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert. Im Zuge der Tätigkeit war ich in der musealen Vermittlungsarbeit tätig, führte Besuchsgruppen durch die Ausstellung, machte Workshops mit SchülerInnen und entwickelte didaktische Vermittlungsangebote für Schulklassen. Mein Fokus war folglich sowohl zeitgeschichtlicher als auch pädagogisch-didaktischer Natur.

Parallel dazu absolvierte ich als Stipendiat am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien in der Abteilung Soziologie den Post-Graduate-Studiengang „Sociology of Social Practices“ (2009-2012) und begann, mich im Rahmen meines Promotionsvorhabens neuerlich mit den ethnischen Beziehungen im Südkärntner Raum auseinanderzusetzen, diesmal aber aus einer soziologischen Perspektive. Von besonderem Interesse war für mich, wie Ethnizität oder Zugehörigkeitsgefühle im Verlauf alltäglicher Sozialisationserfahrungen in Familie, in der Freizeit sowie auch in pädagogischen Bildungskontexten hergestellt werden.

Durch meine Tätigkeit als Museumsvermittler erarbeitete ich mir – trotz des Umstands, dass ich als Nichtkärntner, Nichtslowenischsprachiger und Nichtösterreicher vor Ort anfänglich als fremder Outsider galt – im Zuge meiner qualitativen empirischen Forschung detaillierte Binneneinsichten in die ethnischen Beziehungen in Kärnten/Koroška. Dadurch erlangte ich den Status eines Kenners, der mit den Gegebenheiten vor Ort bestens vertraut ist. Meine anfängliche Position als Außenstehender stellte sich dabei keineswegs als Nachteil heraus, sondern erwies sich vielmehr als günstig – insofern nämlich, als beispielsweise Gesprächs- und InterviewpartnerInnen mir gegenüber eine sehr hohe Erklärungsbereitschaft zeigten.

Im Zuge der empirischen Analyse, in denen ich verschiedene Erhebungsmethoden anwendete (Tiefeninterviews, Gruppendiskussionen, teilnehmende Beobachtungen und Dokumentenanalysen), konnte ich herausarbeiten, dass der Schlüssel zum Verständnis des Kärntner Slowenischen im drohenden Verschwinden der slowenischen Sprache liegt. Meine Promotionsschrift reichte ich 2017 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main ein und publizierte diese ein Jahr später unter dem Titel „Präsenz durch Verschwinden“ (transcript Verlag).

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Präsentation des Buches „Präsenz durch Verschwinden“ im Depot in Wien, Juli 2018 (Foto: Martina Weißenböck).

Gleichzeitig zur Forschung im Rahmen meiner Dissertation war ich über fünf Jahre hinweg als Projektmitarbeiter und Soziologe am Institut für Islamische Studien (seit 2017: Institut für Islamisch-Theologische Studien) der Universität Wien in verschiedenen Drittmittelprojekten tätig (2013-2017). Zum einen habe ich in dieser Zeit das Forschungsprojekt „Muslimische Milieus in Österreich“ koordiniert und maßgeblich durchgeführt. Meine Aufgabenbereiche umfassten sowohl die Durchführung empirischer Befragungen (qualitative Leitfadeninterviews sowie standardisierte, quantitative Fragebögen), deren jeweilige Analyse, Interpretation und Auswertung als auch die Verschriftlichung der Ergebnisse. Die Zusammenführung der qualitativen und der quantitativen Erhebung war ebenso Bestandteil meines Aufgabengebiets. Abgeschlossen wurde dieses Forschungsprojekt mit einer umfangreichen Monographie (gemeinsam mit Ednan Aslan und Erol Yildiz) mit dem Titel „Muslimische Diversität. Ein Kompass zur religiösen Alltagspraxis in Österreich“, die 2017 beim Springer Verlag erschienen ist.

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Präsentation des Buches „Muslimische Alltagspraxis. Ein Kompass zur muslimischen Diversität in Österreich“ an der Universität Wien, Juni 2017 (Foto: Eyup Kus).

Während der Arbeit an diesem Forschungsprojekt habe ich zum anderen an der qualitativen empirischen Studie „Imame in Österreich“ mitgewirkt. In bedeutendem Maße war ich hierbei bei der Interpretation, Auswertung und Verschriftlichung der empirischen Daten beteiligt. Bei der Abschlusspublikation, „Imame und Integration“ (2015), ebenso erschienen im Springer Verlag, bin ich Mitautor (neben Ednan Aslan und Evrim Ersan Akkilic).

Weitere Drittmittelerfahrungen erlangte ich in jener Zeit zudem als Projektkoordinator der Studie „Religiosität und Werteorientierungen von muslimischen Flüchtlingen in Österreich“ (2016-2017). Mein Tätigkeitsfeld umfasste sowohl die Ausarbeitung des Forschungsdesigns, die Erstellung eines quantitativen Fragebogens als auch die Organisation und Koordinierung der quantitativen Erhebungen vor Ort.

Mit Beginn meiner Tätigkeiten am Institut für Islamische Studien sammelte ich darüber hinaus Lehrerfahrungen im Masterstudium „Islamische Religionspädagogik“ der Universität Wien. Die Lehrveranstaltungen hatten dabei in der Regel die Begleitung von Masterarbeiten, Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens oder empirische Forschungsmethoden zum Inhalt.

Auch bei der Forschungspraxis in den genannten Drittmittelprojekten blieb mir der Status, das alltägliche Miteinander und die religiöse Alltagspraxis von MuslimInnen von einer Außenperspektive heraus zu beforschen, stets ein treuer Begleiter. Diese Perspektive habe ich seitdem in Form einer sensibilisierten Herangehensweise an religionssoziologische, theologische oder religionspädagogische Fragen verinnerlicht, weiterentwickelt und begleitet meine Forschungspraxis bis heute.

Seit November 2017 bin ich als Universitätsassistent am Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik tätig. Die Mitarbeit im Team am Institut empfinde ich als sehr befruchtend, bereichernd und zielführend. In der Lehre beschäftige ich mich unter anderem mit Forschungsmethoden in Bildungskontexten, mit einer wissenschaftstheoretischen Annäherung an die Islamische Theologie als junge akademische Disziplin in Europa oder mit einem Vergleich differierender Formen islamischer Bildung in europäischen Staaten. Zudem begleite ich Studierende bei der Erstellung von Qualifikationsarbeiten, wie der Bachelor- oder Masterarbeit.

Als besonders zukunftsweisend betrachte ich die Vision, an der Begründung einer empirischen Islamischen Theologie mitzuwirken. In diesem Bereich ist auch meine gegenwärtige Forschung zu verorten, in der ich mich unter anderem mit der Unterschiedlichkeit von Erziehungsvorstellungen, religionspädagogischen Erwartungen und dem differierenden Umgang mit religiöser Bildung durch MuslimInnen in Österreich auseinandersetze. Ein weiteres Forschungsinteresse besteht darin, dass ich mich mit der Diversität der Bindungen an religiöse Organisationsstrukturen befasse und diesbezügliche religionspädagogische Konsequenzen reflektiere.

Abseits davon wirke ich in der Arbeitsgruppe unseres Instituts zu interreligiöser Religionspädagogik mit. Seit Gründung des Instituts beinhaltet die Ausbildung von islamischen ReligionslehrerInnen interreligiöse Bestandteile, die islamische und katholische Studierende gemeinsam absolvieren. Durchgeführt werden diese in Zusammenarbeit mit dem Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät. Die gemeinsame Absolvierung der interreligiösen Bestandteile wurde empirisch begleitet und dokumentiert. Wichtig war dies insbesondere, um aus den gemachten Erfahrungen zum einen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die weitere Zusammenarbeit sowie zum anderen für interreligiöse Kooperationen in Bildungskontexten an anderen Standorten ziehen zu können.

Die Datenerhebung umfasste verschiedene Methoden wie beispielsweise qualitative problemzentrierte Leitfadeninterviews, Gruppengespräche sowie Legearbeiten. Innerhalb der Arbeitsgruppe wurde die Idee gefasst, die Erfahrungen derjenigen, die an den interreligiösen Ausbildungsbestandteilen beteiligt sind, zu beleuchten und Spannungsfelder oder Konfliktherde, die möglicherweise aufgetreten sind, genauer zu untersuchen. Bei der Analyse der empirischen Daten unter diesen Gesichtspunkten und der Verschriftlichung der Forschungsergebnisse wirkte ich maßgeblich mit. Mit dem Buch „Konflikte und Konfliktpotentiale in interreligiösen Bildungsprozessen. Empirisch begleitete Grenzgänge zwischen Schule und Universität“ (Kohlhammer Verlag), das gemeinsam von Martina Kraml, Zekirija Sejdini, Nicole Bauer und mir verfasst wurde und das im April dieses Jahrs erschienen ist, konnten wir dieses Vorhaben erfolgreich abschließen.

Bei der Etablierung der Islamischen Theologie und Religionspädagogik als neuem akademischem Fachbereich mitzuwirken und hierbei gegebenenfalls bei der Weichenstellung für die Zukunft der Disziplin involviert sein zu können, bereitet mir große Freude. An dieser Phase teilzuhaben, erachte ich – wie Khalid El Abdaoui dies bereits in einem früheren Beitrag der Reihe „Hinter den Kulissen“ beschrieben hat – als großes Privileg. Ich sehe es daher als sehr wichtige Aufgabe an, gegenwärtig und auch künftig zur Profilschärfung unseres Instituts beizutragen, meine Forschungsthemen weiter zu vertiefen und auch mit verwandten Fachbereichen verstärkter in Dialog zu treten.

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