Panel 9: Gedenken

Magdalena Felderer, Mario Gehrmann, Gernot Oberschneider, Michael Prenn, Monika Ruggenthaler
Panel 9

Panel 9: Gedenken

Donnerstag, 16. April 2020, 17.30 bis 19.00 Uhr, Virtueller Konferenzraum 1
Chair: Karin Liebhart (Wien)

Peter Pirker (Wien/Innsbruck): Der Opfermythos. Besichtigung eines dominanten Konzeptes

Richard Hufschmied (Wien): Die Glorifizierung des Todes: die Rituale zum „Heldengedenktag“ im Reichsgau „Groß-Wien“ 1938–1945 

Abstracts

 

Kommentare

Im Rahmen des ersten Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 habe ich das Panel 9 zum Thema Gedenken besucht. Den Chair hatte Karin Liebhart inne, und die Referenten waren Richard Hufschmied mit dem Vortrag Die Glorifizierung des Todes: die Rituale zum „Heldengedenktag“ im Reichsgau „Groß-Wien“ 1938-1945 und Peter Pirker mit seinem Beitrag Der Opfermythos. Besichtigung eines dominanten Konzeptes. Der Vortrag von Verena Lorber zu Jubiläen als neue Forschungsimpulse? Franz Jägerstätter abseits medialer Wahrnehmung entfiel.

Begonnen wurde das Panel mit dem Vortrag von Richard Hufschmied. Dabei wurde anhand von Bildern veranschaulicht, wie sich das Ritual rund um den Heldengedenktag in Wien in den Jahren 1938 bis 1945 veränderte. Er erklärte, dass es sich hierbei um einen altösterreichischen militärischen Tag handelte mit dem Ziel, für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Generalstäben Deutschlands und Österreichs zu sorgen. Anschließend ging Peter Pirker auf den Opfermythos ein. Dabei erörterte er, dass Österreich sich nach dem Zweiten Weltkrieg als erstes Opfer der Nationalsozialisten darstellte. Er stellte klar, dass dies besonders die Exilliteratur prägte. Der Opferbegriff war für die Bildung der österreichischen Nation sehr wichtig, denn so konnte sie sich strategisch von Deutschland entfernen und eine kollektive Identität herstellen. Trotz dieser Selbstviktimisierung wurde beispielsweise 1986 Kurt Waldheim, Diplomat und SA-Mitglied, zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt, der in starkem Kontrast zu dessen Selbstdarstellung ein Mitverantwortlicher, kein Opfer des NS bedeutete.

Auch heute würde ich die kritische Frage stellen, ob der Begriff „Opfer“ im gegenwärtigen österreichischen Kontext sogar noch brisante Aktualität besitzt. Letztens sah ich Vorschauen für historische Dokumentationen im ORF III, die am 2. Mai 2020 gesendet wurden. Es wurden den gesamten Tag historische Dokumentationen zum Zweiten Weltkrieg gezeigt, um das 75-jährige Bestehen der Zweiten Republik zu feiern. In den Trailern wird jedoch von einem „75 Jahre freiem Österreich“ gesprochen, wobei ich induziere, dass damit ein von Deutschland freies Österreich gemeint ist. Aus diesem Grund zweifle ich daran, dass der Opferbegriff in Bezug auf Österreich bereits völlig verschwunden ist.  

(Magdalena Felderer)

 

Von sakrifiziellen und viktimologischen Opfern

Im Rahmen des 13. Österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 in Innsbruck, der aufgrund der grassierenden COVID-19-Pandemie erstmals virtuell abgehalten wurde, fand unter anderem in Panel 9 eine Vortragsreihe zum Thema „Gedenken“ statt, die von Karin Liebhart moderiert wurde. Peter Pirker referierte über den Opfermythos und sprach einige Probleme dieses „dominanten Konzeptes“ an. Richard Hufschmied präsentierte Aspekte des „Heldengedenktages“ und dessen „Glorifizierung des Todes“ von 1938 bis 1945 im Reichsgau „Groß-Wien“.

Peter Pirker zeigte, wie eingangs erwähnt, Probleme des Konzeptes des Opfermythos auf und untermauerte diese mit Beispielen. Unter anderem differenzierte er den Begriff „Opfer“, denn man müsse zwischen einem Opfer, das man selbst erbringt (sakrifiziell) und einem Opfer, zu dem man gemacht wird (viktimologisch), unterscheiden. In der Erinnerungskultur werde nicht zwischen beiden Formen des Opferbegriffs unterschieden, viel mehr werden beide Deutungen miteinander vermischt. Zudem hob er hervor, dass das Opfer als „attraktive Subjektposition“ erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts entstand. Der Opferbegriff habe sich aber im Zuge von Anerkennungs- und Antidiskriminierungskämpfen von sozialen Bewegungen in Europa und den USA verändert. Als weitere Probleme führte Pirker die „Nationsbildung“, die „Glättung von Widersprüchen“ und den „österreichischen Exzeptionalismus“ an.

Dieser Aspekt der Problematik beim „Opferbegriff“ spielt im Kontext der Erinnerung eine wesentliche Rolle, denn durch die Unterscheidung zwischen sakrifiziellen und viktimologischen Opfern ergeben sich für den Geschichts- und Politikunterricht völlig neue Möglichkeiten der kritischen Auseinandersetzung mit Erinnerung und Gedenken.

Durch eine nachträgliche Zuschreibung, ob jemand ein Opfer freiwillig erbringt oder zu einem gemacht wird, verändert sich der Blickwinkel auf diese Person. Dieses Phänomen lässt sich während des NS-Regimes beobachten: Im Ersten Weltkrieg gefallene Soldaten werden zu Helden stilisiert, die die Ehre des Vaterlandes verteidigen wollten und im Zuge dessen eines heldenhaften Todes starben. Im Gegensatz dazu wurden Verräter bereits vor der Exekution diskreditiert, da sie gegen das Wohle des Vaterlandes agiert hätten und dies nur mit dem Tod bestraft werden könne. Die NSDAP brauchte allerdings beide, sowohl sakrifizielle als auch viktimologische Opfer: Die gefallenen Helden stärkten das Zugehörigkeitsgefühl und zeigten, dass ein ehrenwertes Leben im Dienste des Vaterlandes über den Tod hinaus Anerkennung erfuhr. Die Verräter und Gegner des Regimes wurden bereits vor ihrer Exekution diskreditiert und starben als „Volksverräter“ ohne Ehre, was dem Rest der Bevölkerung auch eine klare Botschaft sandte: „Sei dem Regime treu und du kannst zum Helden werden, widersetze dich und du stirbst mit Schimpf und Schande.“

(Mario Gehrmann)

 

Das Panel 9 mit dem Titel „Gedenken“ setzte sich aus zwei Vorträgen zusammen, die von Karin Liebhart moderiert wurden. Peter Pirker (Der Opfermythos. Besichtigung eines dominanten Konzeptes) und Richard Hufschmied (Die Glorifizierung des Todes: die Rituale zum „Heldengedenktag“ im Reichsgau „Groß-Wien“ 1938–1945) referierten zu verschiedenen Aspekten des Themas.

Der Vortrag von Richard Hufschmied thematisierte vor allem die Inszenierung und Aufmachung des „Heldengedenktags“ von 1938 bis 1945 und wie dieser jährlich abgehalten wurde. Als interessanter Aspekt hat sich der Wandel in der Art der Abhaltung der Gedenktage herausgestellt: von in den Anfangsjahren der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich (1938 – 1942) beinahe diktierten Teilnahme der Bevölkerung über die von den Ereignissen um Stalingrad überschatteten Feierlichkeiten des Jahres 1943 bis zum befohlenen Ausschluss der Bevölkerung im Jahr 1944 und der zwanghaften letzten Abhaltung der Feierlichkeiten im März 1945 wenige Wochen vor der Schlacht um Wien. Die Nationalsozialisten waren jedes Jahr bestrebt, die Gedenktage so gut als möglich zu inszenieren und dokumentarisch festzuhalten.

Besonders die aufgenommenen Fotos der Gedenktage, welche in der Präsentation von Hufschmied gezeigt wurden, haben mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe mich gefragt, wie solche Bildquellen heute auf Menschen und besonders SchülerInnen wirken können, vor allem was ihre Andersartigkeit und ihren Wandel von Jahr zu Jahr angeht. Die Fotos unterscheiden sich über die Jahre stark voneinander: von zunächst Menschenmassen mit Hitlergruß zu Feierlichkeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wo nur wenige Soldaten einen Kranz niederlegten. Als zukünftige Lehrperson erscheint es mir wichtig, den SchülerInnen bei der Quellenarbeit den Hintergrund der Quellen näherzubringen und mit ihnen zu erarbeiten, warum man auf der Quelle sieht was man sieht. Als StudentIn macht man sich ohnehin fast schon automatisch Gedanken zu Quellen und stellt Überlegungen zu ihrem Hintergrund an; auch wenn dies nicht direkt angesprochen wurde, hat mich der Vortrag mehr darauf aufmerksam gemacht, dass dies bei SchülerInnen nicht unbedingt von vornherein der Fall sein muss.

Im zweiten Vortrag von Peter Pirker wurde das Konzept des Opfermythos thematisiert. Ein für mich sehr interessanter Aspekt war die Veränderung der Wahrnehmung und des Gedenkens der österreichischen Bevölkerung zum Opfermythos in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute. Pirker hat in seiner Präsentation diesen Gesichtspunkt in Tabellenformat visualisiert und zeitlich in sechs „Layer“ geteilt, welche sehr übersichtlich und informativ einen Überblick über die Entwicklung der Wahrnehmung in der Bevölkerung gaben. In der Tabelle war der Wendepunkt der Selbstwahrnehmung als Opfer hin zum kritischen Hinterfragen dieser Opferdarstellung gut sichtbar.

Mir als Studierender war der Opfermythos und der Wandel, welches dieses Konzept in den letzten 75 Jahren vollzogen hat, nicht unbekannt. Doch hat der Vortrag mir neue Sichtweisen und Denkanstöße besonders bezüglich des kollektiven Erinnerns und Vergessens eines historisch so bedeutsamen Themas in der Gesellschaft eröffnet.

(Gernot Oberschneider)

 

Das im Zuge des 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 abgehaltene und von Karin Liebhart moderierte Panel 9 „Gedenken“, war in zwei Referate gegliedert: „Der Opfermythos. Besichtigung eines dominanten Konzeptes“ von Peter Pirker und „Die Glorifizierung des Todes: die Rituale zum „Heldengedenktag“ im Reichsgau „Groß-Wien“ 1938–1945“ von Richard Hufschmied.

Beide Vorträge konkretisierten, wie zum einen anhand von aktiven Handlungen wie Ritualen gesellschaftlich relevante und identitätsstiftende Erinnerungen symbolisiert werden. Diese wirken sich prägend auf die Bevölkerung und dessen Wahrnehmung von Geschichte sowie auf politische Handlungen (beispielsweise am Österreichischen Heldendenkmal) aus. Zum anderen zeigten die Vortragenden auf, wie die jeweilige Aufbereitung der eigenen Geschichte im Laufe der Jahrzehnte variieren kann und dabei diverse Standpunkte eine unterschiedliche Gewichtung erfahren. Letzterer Aspekt kam vor allem bei Pirker zum Ausdruck, indem er anhand des Opfermythos die über die vergangenen Jahrzehnte seit dem Zweiten Weltkrieg vorherrschende Betrachtungsweise des sakrifiziellen und viktomologischen Erinnerns präsentierte.

Für mein Geschichtestudium und darüber hinaus meine zukünftige berufliche Tätigkeit als Lehrperson konnte ich aus diesem Panel folgende Schlüsse ziehen: Gedenken und Erinnerungsprozesse nehmen nicht nur für fachspezifische Kreise eine große Rolle bei der Thematisierung zeitgeschichtlicher Themen ein; vielmehr wirken sie sich auf die Erinnerungskultur der gesamten Gesellschaft aus und besitzen folglich einen identitätsstiftenden Charakter. Für den Historiker besteht schließlich die Herausforderung darin, erstens die historischen Begebenheiten und die damit verbundenen Intentionen zu untersuchen und in einem weiteren Schritt die daraus resultierenden Folgen kritisch zu hinterfragen. Gelingt es, die verschiedenen Prozesse zu interpretieren, die im Laufe der Geschichte dominante Konzepte des Gedenkens bewirkt haben, können gesellschaftliche, politische und soziale Entwicklungen, deren Auswirkungen bis in die heutige Zeit bemerkbar sind, besser nachvollzogen werden. Für den didaktischen Kontext besteht ein zusätzlicher relevanter Aspekt darin, den Lernenden eine reflektierende Haltung gegenüber der Erinnerungskultur einzunehmen, um als Vorbildfunktion zu fungieren.  

(Michael Prenn)

 

Das Panel 9 mit dem schlichten Titel „Gedenken“ wurde von Karin Liebhart moderiert und beinhaltete zwei thematisch verwandte, jedoch zeitlich unterschiedliche Vorträge. Als erster Vortragender stellte Peter Pirker das Konzept des Opfermythos vor; im Anschluss referierte Richard Hufschmied über die Rituale zum „Heldengedenktag“ in Wien in den Jahren von 1938 bis 1945. Mein Hauptaugenmerk möchte ich nun auf die Quellen und Darstellungen der beiden Vorträge legen, die im Folgenden prägnant skizziert werden.

Der Vortrag von Peter Pirker beinhaltete das Konzept des Opfermythos von Österreich. Er thematisierte dabei die Entstehung und Entwicklung der Opferwahrnehmung der österreichischen Bevölkerung vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die Gegenwart.

Die Entwicklung wurde dabei von dem Vortragenden anhand einer Tabelle, „Layer of Memoralization“, visualisiert. Insgesamt umfasste die Tabelle 70 Jahre, von 1945 bis 2015, und wurde in sechs Abschnitte untergliedert. Die sechs unterschiedlichen „Layer“ helfen dabei, sich einen Überblick über die Entstehung und Verbreitung des Opfermythos zu verschaffen.

Die Tabelle war insofern verständlich und informativ gestaltet, dass ich mir sehr gut vorstellen könnte, sie als Hilfsmittel in meinem Geschichtsunterricht zu integrieren. Dem vorausgehen müsste jedoch eine inhaltliche Einarbeitung des Lehrstoffs in diese Thematik. Danach könnte die Entstehung der Opferwahrnehmung in der österreichischen Gesellschaft und dessen Entwicklung mit den Schülerinnen und Schülern kritisch hinterfragt und analysiert werden.

Richard Hufschmied hingegen thematisierte die Rituale zum „Heldengedenktag“ von 1938 bis 1945. Schon 1938 kam es in Wien zum Gedenken an die im Ersten Weltkrieg gefallen österreichischen „Kriegshelden“ zu einer Kranzniederlegung durch Adolf Hitler. Im Laufe dieser sieben Kriegsjahre wurde der „Heldengedenktag“ mittels neuer Fahnen, Lieder und Feierlichkeiten immer mehr in Österreich etabliert. Diese Gedenkveranstaltungen wurden von den Nationalsozialisten frenetisch inszeniert und festgehalten. Besonders auffallend waren dabei die Unterschiede zwischen den ersten Jahren, die regelrechte Menschenmassen als Publikum umfassten, und dem letzten Jahr, wo nur noch einzelne Soldaten teilnahmen.

Die dabei entstandenen Bildquellen wären bestens dafür geeignet, auch Schülerinnen und Schülern diese Feierlichkeiten zu veranschaulichen. Denn gerade durch Bildmaterialien können historische Ereignisse visualisiert und deren Interesse geweckt werden.

Beide Vorträge setzten sich also mit einer Form des kollektiven Erinnerns und Gedenkens unserer historischen Geschichte auseinander, eine Thematik, die sowohl in unseren Schulen, als auch in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert einnehmen sollte.

(Monika Ruggenthaler)

 

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