Panel 2: Transnationale Politische Gewalt

Stefan Andreas Artner, Simon Gruber, Thomas B. Rabanser, Martina Rohrer
Panel 2

Panel 2: Transnationale Politische Gewalt: Österreich und der Paramilitarismus in der Zwischenkriegszeit

Donnerstag, 16. April 2020, 09.00 bis 10.30 Uhr, Virtueller Konferenzraum 2
Chair: Adrian Hänni (Zürich)

Daniel Ranftl (Wien): Von Flüchtlingen und Freiwilligen: Deutschösterreicher in den Freikorps der Weimarer Republik

Florian Wenninger (Wien): „Ein Brückenkopf des Deutschtums in Südost?“ Die Schwarze Reichswehr in Österreich (1919–1922)

Ibolya Murber (Budapest): Ein Instrument ungarischer Außenpolitik? Die österreichischen Heimwehren als Akteure in transnationalen rechtsradikalen Netzwerken in den späten 1920er-Jahren

Abstracts

 

Kommentare

Die Rote Angst, die die Rechte eint

Im Rahmen des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 trugen in Panel 2 „Transnationale Politische Gewalt: Österreich und der Paramilitarismus in der Zwischenkriegszeit“ die Vortragenden Daniel Ranftl (Wien), Florian Wenninger (Wien) und Ibolya Murber (Budapest) unter dem Chair von Adrian Hänni (Zürich) ihre Forschungen zu den transnationalen Beziehungen von paramilitärischen Verbänden im Europa der Zwischenkriegszeit vor.

Ein in den Vorträgen hervorgehebener Aspekt für das Entstehen rechtsradikaler paramilitärischer Verbände in den Verliererstaaten des Ersten Weltkriegs war die Angst vor der „Bolschewistischen Revolution“. Doch betonten die Referenten Florian Wenninger und Ibolya Murber in der auf die Referate folgende Frage, „inwieweit die ‚Bolschewistische Gefahr‘ eine reale Gefahr war“, dass diese 1919 – wie das Entstehen der Räterepubliken in Bayern und Ungarn zeigt – zwar greifbar war, doch bereits ab der zweiten Hälfte des Jahres 1919, als jene Räterepubliken niedergeschlagen waren, eine bolschewistische Revolution keine reale Gefahr mehr darstellte. Vielmehr führten die beiden Referenten die Gründung der rechtsradikalen paramilitärischen Verbände auf das Hochspielen der Gefahr durch die Arbeiterbewegung, die ab Mitte 1919 keine bolschewistischen Revolutionstendenzen mehr aufwies, und damit auf eine imaginierte Gefahr zurück. Jene übersteigerte Angst vor einer bolschewistischen Revolution wurde in den Verliererstaaten des Ersten Weltkriegs auf einen gemeinsamen Nenner gebracht; trotz im Detail divergierender Interessen der einzelnen paramilitärischen Organisationen führte jene Angst, die auch von den führenden politischen Eliten in den mitteleuropäischen Nationen geteilt wurde, zu den transnationalen Verbindungen der rechten paramilitärischen Gruppierungen.

Das Entstehen ebenjener Gruppierungen als Reaktion auf eine hochgespielte Gefahr in den 1920er Jahren weist Parallelen zur heutigen Zeit auf. Auch heute entstehen im rechtsradikalen Milieu transnational agierende Gruppierungen, die sich zum Teil als Reaktion auf eine zunehmende Emotionalisierung der Migration für die Gesellschaften der einzelnen europäischen Nationen bewaffnen. Ohne expliziten Verweis der Referenten auf jene Parallelen kann aus deren Vorträgen eine Mahnung für die heutige Zeit herausgelesen werden, sodass die Errungenschaften einer friedlichen europäischen Nachkriegsordnung nicht erneut durch nationalistische rechte Gruppierungen gestört wird, die den Weg für autoritäre Regime ebnen. So sollten auch Lehrpersonen diese Entwicklungen beim Unterricht im Hinterkopf behalten und deren Schülern ein verantwortungsbewusstes politisches Verständnis lehren.

(Stefan Andreas Artner)

 

Panel 2 des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 beschäftigte sich mit dem Thema Paramilitarismus und dessen transnationalen politischen Verflechtungen in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg. Vortragender Daniel Ranftl setzte sich mit Verbindungen Österreichs zu den deutschen rechtsextremen Organisationen (Freikorps) auseinander. Florian Wenninger berichtete über die Organisation Kanzler (ORKA), einer bayrischen rechtsextremen Gruppierung. Dieser Aspekt des Panels wird im Rahmen dieses Kommentars genauer beleuchtet. Abschließend referierte die ungarische Historikerin Ibolya Murber über die transnationalen rechtsradikalen Verflechtungen Österreichs mit Ungarn und Italien in den späten 1920er Jahren.

Florian Wenninger zeigte zunächst auf, dass latente Gewalt bereits 1919/1920 im System der rechtsextremen Organisationen verankert war und davon ausgehend mit dem Ziel verbreitet wurde, eine global organisierte Bürgerwehr aufzustellen. Vorgestellt wurde vor allem die Organisation Kanzler (ORKA), die von Rudolf Kanzler in Bayern gegründet wurde und aus der Orgesch (Organisation Escherich) hervorging. Nach dem gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsch war die ORKA die vorherrschende Untergrundorganisation in München. Das Ziel der ORKA war es, den lokal organisierten Milizen (Heimwehrgruppen) in Österreich zu einem breit organisierten Netzwerk zu verhelfen. Die Frage, warum die ORKA Österreich in finanziellen und logistischen Angelegenheiten unterstützte, ist in der Wissenschaft umstritten; die naheliegendste These ist, dass die ORKA den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich forcieren wollte. Zu den wichtigsten Tätigkeiten der ORKA zählten vor allem der Import und Exporthandel von Waffen in und außerhalb Österreichs. Florian Wenninger merkte an, dass die ORKA vor allem in den Jahren 1919 bis 1920 in allen österreichischen Gebieten über zahlreiche Verbindungen verfügte, die die lokalen Heimwehren durch finanzielle und materielle Unterstützung in Form von Waffen aufbauten und zu einem großen Netzwerk zusammenfassten.

Dieser Aspekt wird in der Schule oft vernachlässigt; es wird nur peripher dargestellt, wie es zu diesem enormen Anstieg an rechtsextremen Gruppen kam und durch welche Vorgänge sich diese Milizen zu einer staatlich organisierten Vereinigung entwickelten, die Gewaltausübung als legitimes Mittel ansahen. Am Beispiel der meist unbekannten und wenig erforschten ORKA lässt sich schnell und einfach darstellen, wie diese Organisationen in Österreich zu Geld, Waffen und Anhängern kamen. Damit kann das Thema „Paramilitarismus“ an diesem Beispiel auch gut didaktisch aufbereitet werden. So wäre beispielsweise eine Gruppenarbeit/Stationenbetrieb denkbar, wo die Schüler den Aufstieg der Heimwehren mithilfe der ORKA untersuchen, wobei die Aspekte „Waffenimport bzw. -export“, „latente Gewaltausübung“, „finanzielle Unterstützung“ und „die linke Gefahr“ untersucht werden können. Die Beschaffung von den wenigen Quellen ist, wie Florian Wenninger in der Diskussion anmerkte, vor allem in der Schule ein nicht zu unterschätzendes Problem. Andererseits sollte es für eine Lehrperson möglich sein, Material zu finden und didaktisch aufzubereiten.

(Simon Gruber)

 

Mit weitgehend unbekannten grenzüberschreitenden Verflechtungen der bayerischen, österreichischen und ungarischen Freiwilligen-Korps und Heimwehren befassten sich unter der Moderation von Chair Adrian Hänni (Zürich) Daniel Ranftl, Florian Wenninger (beide aus Wien) und Ibolya Murber (Budapest) in Panel 2 des 13. Österreichischen Zeitgeschichtetages, der aufgrund der äußeren Umstände erstmals virtuell ausgetragen wurde.

Obwohl es auf den ersten Blick verwunderlich ist, waren die national ausgerichteten Paramilitärs in vielfacher Weise auch über die Grenzen der eigenen Nation hinaus eng verflochten und verwoben; so kamen Österreicher nach Bayern, um den Bolschewismus abzuwehren, und bayrische Nationalisten zogen in Österreich einen florierenden Waffenhandel auf. Besonders bedeutsam jedoch ist die Verflechtung der ungarischen Regierung mit den österreichischen Heimwehren.

Diese begann mit Gemeinsamkeiten von Österreich und Ungarn, gerade in jenem Moment, in dem die Ungarn sich von Österreich zu lösen versuchten. Im November 1918 ging gemeinsam mit der Donaumonarchie auch das alte staatliche Gewaltmonopol des Kaisers unter, während gleichzeitig die neu entstandenen Republiken ihr Gewaltmonopol schwer bis gar nicht etablieren konnten. In Kombination mit einer, zumindest gefühlten, bolschewistischen Gefahr führte dies zu einem Aufschwung von rechten, nationalistischen und revisionistischen Ideen, die die als Schande empfundenen Pariser Vororte-Verträge abwerfen und dadurch verlorene Gebiete zurückgewinnen wollten. Nach seinem Marsch auf Rom 1922 wurde Benito Mussolini Leitfigur dieser Bemühungen. Wie Murber ausführte, kooperierte dabei, getrieben vom Schmerz über den Verlust der sogenannten ungarischen Nebenlanden, auch Ungarn unter Ministerpräsident István Bethlen mit Italien, von wo aus geheime Waffenlieferungen organisiert worden waren. Da diese zwangsläufig über Österreich führten, wäre es für die ungarische Regierung äußerst notwendig gewesen, in Österreich eine genehme Regierung zu haben. Eine direkte Einflussnahme gestaltete sich jedoch unmöglich, weshalb diese über die österreichischen Heimwehren, dem paramilitärischen Arm der politischen Rechten in Österreich, genommen wurde. So wurde der weitere Aufbau gefördert und die Einigung der einzelnen Heimwehrgruppen zu einem Gemeinsamen forciert. Krönung dieses Einigungsprozesses war die Einsetzung von Richard Steidle in das neu geschaffene Amt des Bundesführers der Heimwehren. Mit Beginn der 1930er Jahre wurde unter dem neuen Bundesführer Ernst Rüdiger von Starhemberg der ungarische Einfluss zusehends zugunsten eines italienischen zurückgedrängt und kam schließlich 1932 mit der ersten Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß gänzlich zum Erliegen.

Diese Episode der österreichisch-ungarischen Beziehungen, die heutzutage in der öffentlichen und schulischen Geschichtsauffassung zu sehr vernachlässigt wird, ist bedeutsam, wenn nach den Gründen für das Erstarken der Heimwehren gesucht wird, um ein tieferes Verständnis der österreichischen Zwischenkriegszeit zu erlangen. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Menschen um ihre Arbeit fürchten und einen teils ohnmächtigen Staat erleben, in denen radikale Gruppen erstarken und die Gesellschaft gespalten wird, ist es wichtig, in die Geschichte zurückzublicken, um Fehler nicht zu wiederholen. Dabei zeigt sich, dass die Hintermänner radikaler Gruppen oft im Ausland sind und die Not der Menschen für ihre Zwecke missbrauchen. Oberstes Ziel muss daher sein, diese auszuforschen und ihre Geldflüsse auszutrocknen. Geschieht dies nicht, wiederholt sich die Geschichte mit all ihren Grausamkeiten. Darum ist es wichtig, diese Zusammenhänge aufzuzeigen und die Bevölkerung aufzuklären. In den Schulen, in den Medien, auf der Straße.

(Thomas B. Rabanser)

 

Panel 2 „Transnationale Politische Gewalt: Österreich und der Paramilitarismus in der Zwischenkriegszeit“, das unter der Moderation von Adrian Hänni im Rahmen des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 abgehalten wurde, umfasste Beiträge von Daniel Ranftl, Florian Wenninger und Ibolya Murber. Im Fokus der Präsentationen standen Österreicher, die sich an ausländischen paramilitärischen Formationen beteiligten sowie die Beziehungen von österreichischen Paramilitärs zu ausländischen Akteuren in der Zwischenkriegszeit. Ein wichtiger Aspekt, der alle Vorträge dieses Panels verband, war jener der Transnationalität.

Die Referate boten spannende Einblicke in das Thema der Gewalt in der Zwischenkriegszeit und waren auch für Lehramtstudierende und deren Zukunft von Relevanz. Geforscht wird nicht nur an der Universität, sondern auch im Klassenzimmer, und deshalb waren die Einblicke in die professionelle Forschung besonders interessant. Da Schülerinnen und Schüler einen sensiblen Umgang mit fachspezifischen Begriffen und Konzepten entwickeln sollen, nehmen diese eine wichtige Position im Geschichteunterricht ein. Zum Beispiel erklärte Daniel Ranftl in seinem Vortrag seine Entscheidung für die Verwendung des Begriffs „Deutsch-Österreich“, da dieser in den Quellen in dieser Weise angeführt wird. Weiters veranschaulichte Florian Wenninger den Begriff „Gewalt“ und dessen verschiedenen Bedeutungen in seiner Darstellung der Unterschiede von real ausgeübter und latenter Gewalt. Die Beiträge riefen zudem ins Bewusstsein, dass in einigen Bereichen noch Raum für weitere Forschung besteht und dass beispielsweise die mangelhafte Quellenlage ausschlaggebend dafür sein kann. Unter anderem beschrieb Daniel Ranftl, dass viele Quellen nach 1945 vernichtet wurden und daher nicht mehr geschichtswissenschaftlich analysiert werden können. Dieses Bewusstsein ist auch für Schülerinnen und Schüler von besonderer Bedeutung, denn im Rahmen des Geschichteunterrichts sollen sie Kompetenzen erwerben, um die Vergangenheit anhand von Quellen zu rekonstruieren, Geschichtsdarstellungen zu dekonstruieren und Geschichte als Konstrukt zu verstehen. Um Geschichte begreifen zu können, ist es zudem wichtig, die Interessen auf Ebene der Betroffenen und der Betrachter zu erkennen und zu hinterfragen, da diese das Handeln einzelner Akteure beeinflussen. Insbesondere Ibolya Murbers Vortrag veranschaulichte dies am Beispiel italienischer, ungarischer und österreichischer Akteure rechtsextremer Gewaltnetzwerke der späten 1920er Jahre.

Die gelungenen Beiträge dieses Panels wiesen einerseits auf Schwierigkeiten hin, die zum Beispiel aufgrund spärlicher Quellenlagen entstehen können, und auf Bereiche, die noch besser erforscht werden müssen; andererseits präsentierten sie spannende Erkenntnisse der historischen Forschung. Mit diesem Spannungsfeld soll sich meiner Meinung nach auch guter Geschichteunterricht befassen.

(Martina Rohrer)

 

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