Panel 10: Die langfristige Wirkung von internationalen Abkommen auf nationale Entwicklungen

Sebastian Amann, Carl-Heinz Blaas, Carmen Ebenkofler
Panel 10

Panel 8: Die langfristige Wirkung von internationalen Abkommen auf nationale Entwicklungen – umwelthistorische Perspektiven

Donnerstag, 16. April 2020, 17.30 bis 19.00 Uhr, Virtueller Konferenzraum 2
Chair: Irene Pallua (Innsbruck/Kopenhagen)

Sofie Mittas (Linz): Das ERP und die österreichische Papierlandschaft

Odinn Melsted (Innsbruck): Die Unterzeichnung des UN-Luftreinhalteabkommens 1979 und die „Entschwefelisierung“ des österreichischen Energiesystems

Maria Buck (Innsbruck): „Der Transit, der Verkehr und andere Unannehmlichkeiten“ – Dimensionen der österreichischen Anti-Transit-Proteste

Abstracts

 

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Im Zuge des 13. und 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 fand das umwelthistorisch geprägte Panel 10 statt. Moderiert von Irene Pallua, referierten Sofie Mittas, Odinn Melsted und Maria Buck über „Die langfristige Wirkung von internationalen Abkommen auf nationale Entwicklungen – umwelthistorische Perspektiven“.

Sofie Mittas stellte die österreichische Papierindustrie und speziell Betriebe, die an der Mur angesiedelt waren, als Beispiel für das European Recovery Program vor. Anhand dieser Beispiele veranschaulichte Mittas, durch wen die Investitionen dieses Fonds abgesegnet und mit welchen Hintergedanken diese getätigt wurden. So wurde beispielsweise verstärkt in die Zellstoffproduktion investiert, weil diese auch zur Herstellung von Schnüren oder Sprengstoff und so neben dem wirtschaftlichen auch einem militärischen Nutzen diente. Ein Kartonagefabrikant wurde unterstützt, um Lebensmittel und militärische Güter heimsicher Produktion zu verpacken; neue Geräte wurden angeschafft, Fabriken an das Stromnetz angeschlossen und die Produktionskosten um mehr als die Hälfte gesenkt.

In Italien dagegen wurde auch in den Schwefelabbau investiert und dieser dann nach Österreich exportiert, weil er für die Papierproduktion von Bedeutung war. Hier zeigt sich klar die gesamteuropäische Wirkweise des ERP, die bis heute in der stark vernetzten Wirtschaft Europas ihren Niederschlag findet. Holz und Kohle kamen aus der umliegenden Gegend und wurden oft auch auf der Mur transportiert.

Der Vortrag von Odinn Melsted beschäftigte sich mit der Entschwefelung der Industrie, der gewissermaßen als Fortsetzung zum Vortrag von Sofie Mittas den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Technologien und des Umweltgedankens aufzeigte.

Auch im Vortrag von Maria Buck bildeten Umweltschutz, Wälder und der Warentransport von und nach Italien die Kernthemen ihrer Ausführungen; sie beschäftigte sich vor allem mit dem Transitverkehr über den Brenner und die damit verbundenen Proteste der Bürger in Tirol.

Das Panel veranschaulichte eindrucksvoll, wie WissenschaftlerInnen sich mit einzelnen Teilbereichen eines Themas auseinandersetzen können, ähnliches könnte man aber auch im Zuge eines schulischen Projektes zu Themen wie „Das ERP“ oder „Tirol als Transitland in der europäischen Wirtschaft“ machen.

Die Vortragenden beantworteten in der anschließenden Diskussion unter anderem die Frage, wie bewandert GeschichtswissenschaftlerInnen denn in naturwissenschaftlichen Gefilden sein müssen, um sich mit solchen Themen auseinandersetzen zu können. Daraufhin meinten die ReferentInnen, dass die in der Schule gelernten naturwissenschaftlichen Kenntnisse ausreichen würden und sich die HistorikerInnen in die Komplexität der Technologien nicht weiter vertiefen müssen. Das heißt, dass sich auch SchülerInnen mit umwelthistorischen Themen auseinandersetzen können. Konkret könnte man beispielsweise auf die Ereignisse rund um das Atomkraftwerk Zwentendorf eingehen, die sehr gut die Möglichkeit der Masse aufzeigt, ihre Anliegen durch Protest durchzusetzen.

(Sebastian Amann)

 

Die Frage nach dem Einfluss von internationalen Abkommen auf nationale Entwicklungen wurde beim zehnten Panel des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 thematisiert. Vortragende waren Sofie Mittas über „Das ERP und die österreichische Papierlandschaft“ und Maria Buck zum Thema „,Der Transit, der Verkehr und andere Unannehmlichkeiten‘ – Dimensionen der österreichischen Anti-Transit-Proteste“.

Der dritte Vortragende Odinn Melsted ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck und befasste sich im Rahmen seiner Arbeit mit der Unterzeichnung des UN-Luftreinhalteabkommens von 1979 und die „Entschwefelisierung“ des österreichischen Energiesystems. Inwieweit dieses Abkommen zur Verbesserung der Umwelt beigetragen hat, wurde anhand eines kurzen Überblicks über seine Forschungen ersichtlich.

Mit einem Querschnitt über begünstigende Faktoren, politische Entscheidungen und zivilen Aufschreien stellte er die Ereignisse rund um das UN-Luftreinhalteabkommen vor. Der Begriff „Entschwefelisierung“ wurde hier speziell eingesetzt, um diesen Prozess in der Forschung besser greifbar zu machen.

1979 wurde in Genf das UN‐Luftreinhalteabkommen von 33 UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Österreich unterzeichnete im selber Jahr als einer der ersten Staaten diese Konvention.

Schwefeldioxidemissionen werden bei der Nutzung von fossilen Brennstoffen freigesetzt und in die Atmosphäre ausgestoßen. Diese gehen in der Atmosphäre chemische Verbindungen ein und bilden dadurch schwefelige Säure, bekannt als „saurer Regen“. Die Rückwirkungen der Emission auf den Lebensraum der Menschen ist die Immission. Dieser wirkt sich schädlich auf alle Lebewesen aus. Durch Transmission können diese Schadstoffe oft über weite Distanzen in die Umwelt und auch weit über politische Grenzen hinweg verteilt werden, erklärte der Vortragende. Dieser Umstand macht eine nationale Problemlösung unmöglich. Dies ist ein wichtiger Grund, weswegen es ein internationales Abkommen wie jenes von 1979 benötigte.

Die Bekämpfung von Schwefeldioxiden war schon vor dem UN-Luftreinhalteabkommen thematisiert worden. Schwefelemissionen wurden bereits im frühen industriellen Zeitalter als Problem wahrgenommen. Die industriellen Zentren waren durch die großen Mengen an freigesetzten Schwefeldioxidemissionen besonders gefährdet, erklärte Melsted.

Die Idee der Bekämpfung von Schwefeldioxiden auf internationaler Ebene entstand in den frühen 1960er Jahren im Kontext der UN-Umweltdiplomatie. Skandinavische Forscher lieferten die ersten wissenschaftlichen Studien für eine fundierte wissenschaftliche Debatte. Daraufhin kam es 1972 zur Stockholmer Umweltkonferenz, bei welcher die Schwefelemissionen ein zentrales Thema darstellten.

Gezielt wurden schwefelärmere Energieträger forciert. Kohleheizungen wurden mit anderen Alternativen ausgetauscht. 1979 kam es mit der Genfer Konvention zu einem wichtigen Schritt bei der Bekämpfung von Schwefelemissionen. Die Folge war das Dampfkessel-Emissionsgesetz (DKEG) von 1980/81. Das DKEG setzte der Industrie strenge Regeln für den Umweltschutz vor. Von Interessensvertretern und Kritikern aus der Wirtschaft und Politik (ÖVP) als wirtschaftsfeindlich und arbeitsplatzvernichtend bezeichnet, wurde es trotzdem durchgesetzt. Heizöl musste in den Raffinerien nun entschwefelt werden, bevor es auf den Markt kam.

Auch die sehr emotional geführten Debatten in den 1980er Jahren trugen erheblich zur Umsetzung der Grenzwerte bei. („Zuerst stirbt der Wald, dann der Mensch.“)

Durch eine Vielzahl an Akteuren (Aktivisten, Wissenschaftler, Politiker etc.), welche an der Reduktion der Schwefelemission mitarbeiteten, konnten laut Melsted diese Ziele erreicht werden. Laut Bericht des Umweltamtes ist die Emission von Schwefeldioxiden in den letzten 20 Jahren stark gesunken. Im Vergleich von CO2 kann man kein sinken feststellen, obwohl auch hier mehrere Konventionen dazu beschlossen wurden.

Im Gesamten entstanden die Maßnahmen im Kontext der internationalen Umwelt-Diplomatie, diese mussten aber auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Somit kann man darauf schließen, dass das aktuelle CO2-Problem nur durch internationale Koordination auf nationaler und europäischer Ebene gelöst werden kann und man wichtige Rückschlüsse aus der Entschlüsselung des Prozesses der „Entschwefelisierung“ ziehen könnte.

Melsted skizzierte in seinem Vortrag ausführlich, welche Möglichkeiten die historische Perspektive auf unterschiedliche Maßnahmen und andere Faktoren zur Verbesserung der Umwelt bietet. Somit kann man rückwirkend die Effizienz der gesetzten Maßnahmen überprüfen. Durch die Analyse der Maßnahmen und deren Wirksamkeit im UN-Luftreinhalteabkommen werden Rückschlüsse getroffen, die analog auf das aktuelle Klimaproblem rund um das CO2 und dessen Bekämpfung umgemünzt werden könnten. Das von Melsted behandelte Thema bietet somit einen großen Nutzen für umweltpolitische Entscheidungen und deren sinnvolle Umsetzung für die Zukunft. Die Geschichtswissenschaft kann somit bei stichhaltigen Evidenzverbesserungen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte einen neuen Blickwinkel auf bestehende Forschungsfragen werfen.

(Carl-Heinz Blaas)

 

Panel 22 des 13. und 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 setzte sich mit dem Thema „,Südostdeutsche‘ Kulturarbeit“ auseinander, welches von Experten und Expertinnen dieses Bereiches in einen größeren Kontext gesetzt wurde. Im Vordergrund des gesamten Panels stand jedoch das nächstjährig anstehende Doppeljubiläum dieses Themenschwerpunktes. Jubiliert wird dabei einerseits die Gründung der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft 1931 in Wien und andererseits die 1951 in München eingerichtete Südostdeutsche Kultur- und Forschungsstelle, welche bis heute existiert.

Um nun näher auf die Vorträge einzugehen, so machte Tobias Weger den Anfang mit seinen Ausführungen über das Südostdeutsche Kulturwerk in München im Kontext der westdeutschen „Vertriebenenkulturarbeit“ nach 1945. 2021 feiert dieser Forschungsbereich, wie bereits erwähnt, zwei Jubiläen, weshalb Wegers Beitrag einen starken Gegenwartsbezug aufwies und somit nicht nur als Präsentation eines Zwischenberichtes, sondern auch als ein endgültiges Forschungsergebnis erachtet werden kann. Im Anschluss an Weger legte Enikő Dácz dar, wie der Schriftsteller Heinrich Zillich vor und nach 1945 seine Haltung zum nationalsozialistischen Regime schilderte und sein literarisches Netzwerk ausbaute. Der dritte Vortrag, gehalten von Florian Kührer-Wielach, umrahmte nochmals das im Fokus stehende Doppeljubiläum 2021 und beleuchtete dieses aus diversen Perspektiven. Was gibt es eigentlich zu feiern? Wie geht man mit den nationalsozialistischen Spuren um?

Diese Vortragsreihe führte mir als Geschichtestudentin wieder vor Augen, dass Jubiläen nicht nur einfach als solche angenommen werden sollten, sondern vielmehr eine hervorragende Möglichkeit bieten, um die Geschichte noch einmal aufzuarbeiten und zu hinterfragen. Erst im letzten Jahr hat unsere Universität im Zuge des 350-jährigen Jubiläums dasselbe getan und das viel umstrittene Ehrendenkmal vor dem Hauptgebäude umgestaltet. Durch die Kunstintervention soll ein Statement gegen die ursprünglich eindeutig deutschnationale Ausrichtung des Denkmals gesetzt werden. Es ist wohl der Kern des Geschichtsbewusstseins zu verstehen, dass Geschichte immer perspektivisch ist und es einen Prozess von Brüchen und Kontinuitäten gibt. Geschichte soll immer reflektiert und hinterfragt werden. 

(Carmen Ebenkofler)

 

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