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Reinhard Willburger

04. November 2016

  

Reinhard Willburger

  

Das künstlerische Leben Reinhard Willburgers war über weite Strecken eine Suche nach der künstlerischen Form! Anfangs war das ein Ringen mit den Techniken der bildenden Kunst. Nicht aus Faszination an diesen Techniken und dem Material, vielmehr ging es darum, Technik und Form zur Versöhnung zu bringen. Zwar gab er am Anfang dem Zeichnen den Vorzug, aber er griff auch nach Pinsel und Spachtel. Er malte realistisch und abstrakt, mimetisch und aus der Phantasie. Er tauschte den Pinsel gegen den Computer und wechselte in die Musik und in das Genre von Video und Film, mit künstlerischem und dokumentarischem Anspruch.

Begleitet waren alle diese Unternehmungen von einer alarmierenden Unbefriedigtheit. Ein vorläufiges Resümee über dieses Ringen mit der Technik zog eine Ausstellung vor einem Jahrzehnt in der Hofburg, wo er alle seine künstlerischen Explorationen versammelt hatte. Es gab Handarbeiten neben Computerdrucken, Farbe neben der zeichnerischen oder grafischen Linie, Realismus neben Abstraktem.

Die Ausstellung war ein Erfolg und erfuhr gute Rezensionen. Nur der Künstler war unzufrieden und setzte einen Akt realer und geistiger Katharsis. Sie spitzte jene Frage zu, um die es ihm schon immer ging: Wie kann sich der kreative Akt aus den Verstrickungen der verschiedenen künstlerischen Techniken lösen, wie kann er sich gleichermaßen vom Handwerk, wie vom Material befreien? Wie lässt sich der ästhetische Code schlechthin realisieren?
  
Computergrafik

Die Ausstellung war ein Erfolg und erfuhr gute Rezensionen. Nur der Künstler war unzufrieden und setzte einen Akt realer und geistiger Katharsis. Sie spitzte jene Frage zu, um die es ihm schon immer ging: Wie kann sich der kreative Akt aus den Verstrickungen der verschiedenen künstlerischen Techniken lösen, wie kann er sich gleichermaßen vom Handwerk, wie vom Material befreien? Wie lässt sich der ästhetische Code schlechthin realisieren?

Es ist eine faszinierende Frage und sie stößt an die Grenzen nicht nur der Kunst, sondern auch der conditio humana. Geht eine Kunst ohne Form? Kann sich Kunst so weit ästhetisieren, dass sie auf Form und Material verzichten kann?

Man kann die Frage auch anders, anwendungsorientierter, stellen: Was passiert mit einer weißen Fläche, wenn ein Mensch seine Kreativität in diese einschreibt?

Faktisch stößt man bei jeder künstlerischen Tätigkeit zwangsläufig auf Bekanntes: Etwas sieht aus wie Kubismus, Picasso, Braque, Leger; dies erinnert an die barocken Formen Paul Klees, jenes an den Cartesianismus Kandinskys! Wie aber kann man mit einem kreativen Akt – in der Gegenwart gesetzt – dem kulturellen Gedächtnis, dieser drückenden Last einer mehrtausendjährigen Kunstgeschichte entkommen?

Computergrafik

Dass dieser Anspruch scheitern muss, ist offensichtlich. Schon die leere Fläche, noch unberührt von Künstlerhand, ruft automatisch den Wissensspeicher gelehrter kunsthistorischer Bücher über das weiße Quadrat in der Kunst ab.

Das einschneidende Erlebnis, plötzlich vor einem Nichts zu stehen, und dies ausgerechnet vis-á-vis der bunten Vielfalt seines eigenen Œuvres, konfrontierte Willburger mit den Grenzen der künstlerischen Tätigkeit ganz grundsätzlich.

Das Anrennen an diese Grenzen machte den Weg frei zu einem ebenso konsequenten wie eindrucksvollen Neuanfang. Im Jahr 2012 zeigte er im Congress in Innsbruck seine eindrucksvolle Digitalgrafik Serie 1. Willburger eliminierte das Handwerkliche aus seiner Arbeit: kein Pinselstrich, kein haptischer Niederschlag einer krustigen Ölpaste, keine sinnliche Emotion durch den Klang einer Farbe.

Er meidet die Hand wie das sich selbst erzeugende Acheiropoieton im Bilderstreit des Mittelalters, jenes ohne Hand gemalte Bild des Heiligen, aus dem sich die Ikone entwickelte. Aber auch das ist zu weit gegriffen. Er meidet auch jene mystisch-emotionalen Konnotationen, mit denen die Maler des abstrakten Expressionismus in den USA der 70er-Jahre die mittelalterlichen Ikonen zitierten.

 Computergrafik

Willburger verwendet deshalb die Technik der Grafik. Ihr liegt jedoch keine von Hand bearbeitete Holz-, Stein- oder Stahlplatte mehr zugrunde. Sie ist vielmehr eine am Computer erzeugte und digital mit Laser auf Photopapier belichtete Grafik – jeder handwerklichen Spur beraubt. Die Gestaltung der Bilder ist aber nicht gerechnet und gemessen, sondern die Proportionen sind gefühlt und in der Umsetzung folgt eine langwierige und mühevolle Kleinarbeit, die sich in dutzenden Fragen niederschlägt: Bildformat, Rahmung, Gleichgewicht und Symmetrie der Linien, Stärke, Grauwert, Abstände voneinander u.v.a.m.

Dass Reinhard Willburger damit in die Nähe von Konzept- oder konkreter Kunst gerät, ist wieder eine Zuschreibung aus der Kunsttradition, aber ich denke, er ist damit heute versöhnt dank einer gefundenen konsequenten Linie, der ein hohes Maß von Originalität zukommt. Daher darf man auch einen Gedanken von Theo van Doesburg zitieren, der das Anliegen der konkreten Kunst so zusammenfasst: „Das Kunstwerk muss im Geist vollständig konzipiert und gestaltet sein, bevor es ausgeführt wird. Es darf nichts von den formalen Gegebenheiten der Natur, der Sinne und der Gefühle enthalten. Wir wollen Lyrismus, Dramatik, Symbolik usf. ausschalten. [...] Ein Bildelement hat keine andere Bedeutung als sich selbst.“

Computergrafik

Was machen nun Rezipientin und Rezipient mit einer Kunst, die dem künstlerischen Produzenten solch strenge Begrenzungen auferlegt?

Vielleicht liegt der größte Reiz dieser Arbeiten genau in dieser Spannung zwischen dem Wissen, dass es dem Künstler um die Darstellung einer möglichst reinen ästhetischen Form geht auf der einen Seite und dem emotionsvollen ästhetischen Genießen auf der anderen. Auch bei Rezipientin und Rezipienten treffen die Grafiken ja nicht auf eine tabula rasa, sondern auf eine sinnliche Wahrnehmung und ein kulturelles Gedächtnis. Auch Doesburgs Ideal einer reinen l’art pour l’art muss an der Realität scheitern, dass Kunst nicht ohne Rezipienten existiert. Das unterscheidet den überwiegenden Anteil der Kunst in der Geschichte von jenen Anfängen, wo Kunst für abgeschlossene Kult- und Grabräume gemacht wurde. Solch minimalistische Kunst ist nicht nur angetan, das Erlebnis reiner Ästhetik auszulösen, sondern es ist gar nicht anstößig, das künstlerische Angebot mit Gefühlen zu beantworten.

Computergrafik

Das darf auch ein meditatives Gefühl sein, ja es legt sich in einer so reduzierten (manchmal auch seriellen) Arbeit, die man rhythmisch abschreiten kann, sogar nahe: wenn wir beispielsweise die Kunstwerke als beruhigende Fenster auf ein Nichts empfinden, auf eine kathartische Leere, auf eine große Stille, wie sie uns Morton Feldman in seiner emotionsfreien Musik gewährt hat, aus deren Ruhe sich Kraft schöpfen lässt. Die hier angebotene Kunst ist daher geradezu eine geniale Alternative zur lauten Bilderflut der Welt und auch eine gelungene Auflösung der Verstrickungen, in die sich der Künstler über Jahrzehnte hinweg verfangen hatte.

  

bis 2. Dezember
Text: Bernhard Braun

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