"Neue Unterschicht" - zur Individualisierung und Kulturalisierung sozialer Probleme

Der Begriff der „neuen Unterschicht“ hat in Deutschland schon vor einigen Jahren Eingang in die Debatte um Arbeitslosigkeit und Armut genommen. Entscheidender sei demnach nicht die zunehmende soziale Ungleichheit, Fragen der Umverteilung oder etwa des Zugangs zu Bildung, sondern eine kulturelle Spaltung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der „neuen Unterschicht“. Bisherige (materialistische) Klassen- und Milieutheorien werden damit in der öffentlichen Diskussion in den Hintergrund gedrängt. Die soziale Ungleichheit selbst ist damit kein Problem mehr, sondern vielmehr die Lebensführung der Armen. Politische Mittel, die einzusetzen sind, sind dementsprechend weniger sozialpolitischer als erzieherischer Art. Damit werden aber auch strukturelle Probleme in individuelles Fehlverhalten (und damit auch Schuldzuweisungen) übersetzt und auf die betroffenen Personen abgewälzt.

In Österreich fand der Begriff der „neuen Unterschicht“ bislang (noch) kaum Eingang in den öffentlichen Diskurs über Armut und soziale Ausgrenzung. Starke Tendenzen der Individualisierung der Problematik sozialer Ungleichheit sind aber selbstverständlich auch hier vorhanden und manifestieren sich etwa in „Sozialmissbrauchs“-Debatten und der Rede von der „sozialen Hängematte“.

 

Fabian Kessl: Prof. Dr., Studium der Erziehungswissenschaft und  der Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg, seit 2010 Direktor des Instituts für Soziale Arbeit und Sozialpolitik und seit 2008 Professor für Theorie und Methoden der Sozialen Arbeit an der Fakultät für Bildungswissenschaften, Universität Duisburg-Essen.

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