PANEL 16

Präsenz und Distanz in der universitären Lehre

Chair: Maria Wolf (Innsbruck)

15.30-17.00

Gouvernemedialität und distance learning. Über die Kon-trolle der Kontrolle des Lehrens

Gabriele Sorgo (Salzburg)

Schon lange vor der Pandemie verstärkten sich an österreichischen Bildungsinstitutionen Aufrufe zur zeitgemäßen Lehre mit mehr Online-Tools. Der pandemiebedingte Shutdown gab im Frühjahr 2020 Fachhochschulen und Universitäten das Startsignal für eine große Anzahl an Online-Befragungen unter Lehrenden und Studierenden über den Einsatz digitaler Lehrmittel. Ziel war offensichtlich, ein positives Ergebnis zu dokumentieren. Denn derzeit planen viele Hochschulen z. T. auch aus finanziellen Gründen, Teile der Lehre in Zukunft durch Selbststudium mit Lehr-filmen und zugehörigen digitalen Lernfortschrittmessungen zu ersetzen. Die kritischen Medien-wissenschaften haben für den mehr oder minder sanften Druck zur Selbstführung und Selbstdo-kumentation, den digitale Medien auf die User ausüben, den Begriff der Gouvernemedialität ge-prägt. In Anlehnung an Foucaults Konzept der Gouvernementalität und an die Deleuzsche Be-schreibung der Kontrollgesellschaften umschreibt dieser Begriff die Verschränkung von episte-mischer Gewalt mit epistemischer Blindheit.

Der Vortrag verknüpft diese medienwissenschaftliche Kritik mit pädagogisch-anthropologischen Forschungsergebnissen zur Wirkung von Aufzeichnungstechniken, welche die Nutzer_innen „grammatisieren“ (Bernard Stiegler), d. h. dass sie bestimmten Kommunikations- und Denkstilen zur Durchsetzung verhelfen. Forschungen zur und Reflexion über die Wirkung digitaler Auf-zeichnungstechniken auf Psyche, Wissensformen und Forschungsstile wäre gerade in Zeiten flo-rierender Zoom-Konferenzen nötig. Denn Wissen entsteht aus der Interpretation von Informatio-nen in sozialen Settings, welche digital gestützte Fernlehre streng reglementiert.

Zu befürchten ist, dass eine starke Zunahme digital gestützter Formen des distance learning als Folge der Pandemie in Kombination mit einer der Bologna-Reform verdankten Verschulung der universitären Bildungswege und dem daraus resultierenden Zeitdruck auf Studierende autoritäre Formen der Wissensweitergabe fördert und kritisches Denken einschränkt.

PD Dr. Gabriele Sorgo ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungsforschung der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Forschungsschwerpunkte: Pädagogische und Historische Anthropologie, Konsumanthropologie, Geschlechterforschung.

Doppelte Vermittlung aus der Distanz. Technische Mitspieler in der Lehre

Markus Ohndorf (Innsbruck)

Vermittlungsprozesse sind immer auf das Spiel der Subjekte miteinander in einer spezifischen Situation angewiesen, also auf kommunikative Prozesse, raum-leibliche Haltungen zueinander und Annahmen über Wissen und Wollen des Anderen. Dieses Spiel ist notwendig für die Überbrückung einer Distanz zwischen den Subjekten und notwendig für Verstehen.

Die Regeln zur physischen Distanz während der COVID-19-Pandemie bringen eine neue Distanz in Vermittlungsprozesse: Das soziale Miteinander vor Ort wird zu einem technisch vermittelten sozialen Miteinander in virtuellen Räumen. Aus der raum-leiblichen Präsenz wird bspw. der Blick auf einen zweidimensionalen Bildschirm, der das „Lesen“ des*der Anderen erschwert. Die Arbeit am Bildschirm und der dauerhafte Umgang mit Programmen kann zudem als Weiterführung einer Gamifizierung von unterrichtlichen Prozessen gelesen werden. Der Beitrag folgt diesen beiden Spuren in der Vermittlung: der neuen Sozialform und der Gamifizierung in technisch vermittelter Lehre.

Sabine Krause ist seit 2018 Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Innsbruck. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Doing Theory verbunden mit inklusivem und dekolonialem Denken, Visualisierungen in Subjektivierungs-, Bildungs- und Vermittlungsprozessen sowie Grenzen in (bildungs-)historischer Perspektive.

 

„Wenn Masken fallen und Körper sich vermischen“

Agnieszka Czejkowska (Graz)

Der vorliegende Beitrag widmet sich Bildern und Narrativen der Verunsicherung, die in Zusammenhang mit der COVID-19-Krise aufgerufen werden. In den Blick kommen Strategien, die einerseits individuelle Besonnenheit aktivieren und anderseits gesellschaftliche Stabilisierung gewährleisten sollen. Ihre für die Gestaltung von Bildungsprozessen herausfordernden Implikationen werden diskutiert mit Rückgriff auf psychoanalytische Subjekttheorien, die Praktiken der individuellen Rationalisierung entwerfen, und posthumanistische Subjektkritik.

Agnieszka Czejkowska ist seit 2011 Professorin für Bildungstheorie und Schulforschung an der Universität Graz, wo sie 2012 das Institut für Pädagogische Professionalisierung mit gründete. Sie ist Herausgeberin der Reihe Art & Culture & Education, in denen bildungsästhetischen Ansätzen eine Plattform gegeben wird. Ihr Forschungsschwerpunkt umfasst die Themenkomplexe Differenz, Bildungsphilosophie sowie Macht- und Subjektkritik.


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