Die Winkelharfe aus Fritzens-Pirchboden

Rekonstruktion des Instruments

Quellen und Vorlagen

Im Laufe der Forschung kristallisierte sich für die Zuordnung und Interpretation des Fritzener Fundes die Form der Winkelharfe heraus, in die unser Fundobjekt als Halsbereich integrierbar ist. Um dies im Detail abklären zu können, ergab sich die Notwendigkeit eines Nachbaus, da das Originalobjekt aus konservatorischen Gründen für Manipulationen nicht infrage kommt. Was vorerst im Sinne von Susanna Schulz1  als Arbeits- und Experimentiermodell konzipiert war, resultierte letztlich in einem voll funktionsfähigen, bespielbaren Instrument. In diesem Sinne ist der Begriff "Rekonstruktion" oder "Nachbau" zu verstehen, nicht als exakte Kopie einer Vorlage, sondern als logische Interpretation vorhandener Spuren, die final ein brauchbares Ergebnis liefern.

Der Nachbau wurden zum einen an archäologisch geborgenen Fragmenten von Originalinstrumenten ausgerichtet und bezog zum anderen ikonographische Vorlagen mit ein.

Zudem musste allen dokumentierten Beobachtungen und Untersuchungen am Fund Rechnung getragen und diese in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt werden. Denn letztlich kann ein Objekt erst dann als Musikinstrument angesprochen werden, wenn es neben dem Hervorbringen von einzelnen Tönen auch in einer Tonfolge bespielt werden kann

Archäologische Funde ähnlicher Instrumente sind leider sehr spärlich, da nahezu alle Bauteile aus organischem Material bestehen, das sich im Zuge der Bodenlagerung beinah vollständig zersetzt. Ausnahmen bilden wenige Funde bzw. deren Fragmente, die durch ihre Lagerung in konservierendem Umfeld vor der Zersetzung bewahrt geblieben sind. Partien, die aus anorganischem Material bestehen und im Zuge einer archäologischen Ausgrabung geborgen werden, werden zudem meist nicht als Teile eines Musikinstruments erkannt und verschwinden oft unbenannt in Depots, wo sie selten wiederentdeckt werden.

Da aus dem engeren räumlichen Umfeld keine Funde erhalten ist, müssen zeitnahe tektonisch und morphologisch vergleichbare Instrumente aus geographisch entfernteren Bereichen wie Zentralasien,  dem Schwarzmeergebiet und Ägypten herangezogen werden. Den mitunter sehr guten Erhaltungszustand verdanken die drei hier vorgestellten Winkelharfen den klimatischen und mikroklimatischen Bedingungen (Grabkammern) ihrer Fundorte.

Aus dem Kurgan 2 von Pazyrik, Kasachstan, stammt eine einfache Winkelharfe, die in die Zeit von 350 v. Chr. datierbar ist und sich heute in restaurierter Form in der Erimitage in St. Petersburg, Russland, befindet.  Durch die außerordentlich gute Konservierung blieben eine Fülle an organischen Bauteilen erhalten.
Neben  Holzkorpus und Hals lieferten weitere erhaltene Details die Grundlage für eine Rekonstruktion des Objektes durch Lawergren2.  Hierbei befestigte er die Saiten an einem mittig auf dem Resonanzkörper aufliegenden Stab. Am winkelig angesetzen Hals wurden die Saiten mittels Rohhautringen fixiert.


Ein vergleichbares Instrument stammt aus Olbia3 im Schwarzmeergebiet (Ukraine), datierbar um 100 n.Chr.

Als sehr wichtig für die Rekonstruktion stellte sich eine ägyptische Winkelharfe aus dem 8. Jh.v.Chr. aus dem Louvre (InvNr. N1441) heraus, da hier die Rohhautbespannung mit dem darunter liegenden Saitenhalter im Original erhalten sind.

Noch spärlicher als archäologische Funde von Winkelharfen sind ikonographische Beispiele aus dem unmittelbaren geografischen Umfeld. Nur eine einzige Darstellung zeigt mich ziemlicher Sicherheit einen Musiker mit Winkelharfe.
Die 6,5 cm große, dunkel patinierte Bronzefigur4 stammt aus Sesto al Reghena südlich von Pordenone in der Region Friaul-Julisch Venetien, Italien. Die aus der Sammlung Muschietti stammende und heute im Museo Nazionale Concordiese di Portogruaro verwahrte Figurine datiert in das 5. Jh.v.Chr.

 

Die auf einem Klapphocker sitzende Figur hält ein dreieckiges Instrument direkt vor der Brust. Im Museumskatalog 5 wird das Instrument zwar als solches erkannt, aber fälschlich als Syrinx interpretiert. 
Trotz der schematischen Wiedergabe der linken Hand ist jedoch die Darstellung eines Musikers, der die Saiten einer vertikalen Winkelharfe zupft (vgl .auch Baines6) sehr viel wahrscheinlicher als die eines Syrinxspielers, der sein Instrument in einer Spielpause mit gespreizten Fingern vor der Brust querstellt.
Auch die Dimensionen des Instruments könnten mit denen des Fundobjekts korrespondieren. 

Unter Berücksichtigung und Einbeziehung aller Quellen erfolgte eine erste graphischer Visualisierung als vertikale Winkelharfe. Die Dimensionierung des Instrumentes selbst sowie die Ausrichtung der Saiten und die Positionierung des Klangkorpus orientierte sich dabei an den im Verlauf der Dokumentationsarbeiten festgestellten leicht eingetieften Politurbereichen zwischen den Bronzestiften sowie den Kratz- und Schabspuren am Hals.

 


1 Susanna Schulz, Die Altai-Harfe – Eine Rekonstruktion, in: Steppenkrieger. Reiternomaden des 7.-14. Jahrhunderts aus der Mongolei, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung, Bonn 2012, 147-155.

2 O.R. Gurney, Bo Lawergren, Ancient Mesopotamian Terminology for Harps and Sound Holes, in: The Archaeology of early Music Cultures, Third International Meeting oft he ICTM Study Group on Music Archaeology (Hrsg.: E. Hickmann, D.W. Hughes) (Bonn 1988) 175-187 Fig.2

Bo Lawergren, Angular harps through the ages. A causal history, in: Studien zur Musikarchäologie VI, Orient Archäologie Band 22, Hrsg.: A.A.Both, R. Eichmann, E. Hickmann, L.C. Koch, Rahden 2008, 261-281, Fig.9b

4 Gerhard Tomedi, Zur vorgeschichtlichen Musik in Alttirol und im Südalpenraum, in: Musikgeschichte Tirols 1, Schlern Schriften 315, Hrsg. K. Drexel, M. Fink, Innsbruck 2001, 26, Abb. 13

5 Il Museo Nazionale Concordiese di Portogruaro. Itinerario Archeologico die Concordia Sagittaria, a cura di Pierangela Croce Da Villa, Portogruaro 1992, 29, Fig.17

6Anthony Baines, Lexikon der Musikinstrumente, Stuttgart 2010


 

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