Die Instrumentenform Winkelharfe

Bestimmung1

Schon zu Beginn der Untersuchungen und Bearbeitung des Objektes aus Fritzens/Pirchboden interpretierte Gerhard Tomedi dieses als Hals einer sogenannten Winkelharfe, was er auch so publizierte.2

Diese These verfestigte sich im Verlauf der weiteren Forschungen, nachdem auch die Form einer Lyra angedacht worden war. Allerdings untermauern die am Objekt dokumentierten Nutzungsspuren in Kombination mit dem geschmiedeten Eisenstift und die Tektonik des Geweiharms die Zuweisung zur Gruppe der Harfen.

Das Fundobjekt aus Fritzens/Pirchboden bildet den Hals der Harfe (a).

Die Orientierung des Korpus, der mutmaßlich mit dem geschmiedeten Eisenstift am Fundobjekt fixiert war, wird durch die Orientierung dieses Eisenstifts vorgegeben (b).

Der Winkel zwischen beiden Bauteilen weist nahezu 90 Grad auf. Spuren am Geweih in Kombination mit den Bronzestiften an der Oberseite des Halses können mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Besaitung in Verbindung gebracht werden (c).

Dass eine intentionell abgeflachte Stelle an der Unterseite des vorderen Abschlusses des Halses auf einen Stab zur Stütze hinweist, ist möglich und durch Neufunde von 2021 belegbar (d).

Wahrscheinlich ist auch eine Interpretation der quaderförmigen Objekte mit Liniendekor, Eisenstift und einseitiger Ansatzfläche als Standfüße, die am Korpus angebracht gewesen sein könnten, um das Instrument nach dem Bespielen ablegen zu können. Für diese Zuweisung sind aus dem musikethnologischem Umfeld Beispiele bekannt (e).

Rekonstruktion
Rekonstruktion als Winkelharfe

Definition und Genese

Die von E. M. von Hornbostel und C. Sachs3 aufgestellte Systematik der Musikinstrumente kategorisiert diese nach der akustischen Klangerzeugung sowie der Bauart.

Harfen und Lauten werden der Gruppe der zusammengesetzten Chordophone (Saitenklinger) zugeordnet im Gegensatz zu den einfachen wie Zithern. Bei ersteren sind Saitenhalter und Resonanzkörper separate Einheiten, die in einem unlösbaren Zusammenhang stehen.
Die Gruppe der Harfen untergliedert sich noch einmal in die der Bügelharfen und der Rahmenharfen. Bei den Bügelharfen werden die Gruppen Bogenharfe und Winkelharfe unterschieden.

Eine ägyptische Harfe aus dem Louvre (InvNr. N1441) datiert aus dem 8.Jh. v.Chr. und definiert durch die rechtwinklig zueinander stehenden Bauteile aus längsrechteckigem, rohhautbespanntem Resonanzkörper und Saitenhalter ganz klar die Form der Winkelharfe. Hingegen handelt es sich bei einem Instrument aus Theben im British Museum, London (InvNr. EA6382) um eine Bogenharfe, da Hals und Korpus bogenförmig verbunden sind.

 

Schemazeichnung Winkelharfe

Winkelharfen werden im Lexikon der Musikinstrumente von Anthony Baines4 als Instrumente mit geradem, stammähnlichem Hals, der etwa rechtwinkelig aus einem langen Korpus herausragt,  beschrieben.

 

 

Im Gegensatz zu diesen beiden Formen der Gattung Bügelharfe wird die Rahmenharfe generell aus drei miteinander verzapften Bauteilen gebildet. Hals, Korpus und Säule bilden eine konstruktive, tektonische Einheit mit dem Ziel, das Instrument zu stabilisieren und eine höhere Saitenspannung zu ermöglichen. Dies wiederum beeinflusst u.a. die Stimmbarkeit der Saiten des Instrumentes.

Das rechts abgebildete Instrument ist der Nachbau einer mittelalterlichen kleinen normannischen Form, die spätestens ab dem Hochmittelalter im gesamten europäischen Raum verbreitet war.
(Foto: Michael Schick, priv.)

 


Baines unterteilt den Typus der Winkelharfe in vertikale und horizontale Formen, die beim Bespielen unterschiedlich gehalten werden. Zur vertikalen Form, die der Spieler aufrecht vor der Brust hält,  zählen aus dem archäologischen Umfeld u.a. ägyptische Harfenfunde. Eine Darstellung auf einer sumerischen Keramikplatte (1900 v. Chr.) befindet sich im Louvre, Paris.5
Bei der horizontalen Form liegt der Korpus horizontal mit nach oben ragendem Hals vor dem Musiker. Diese Form ist z.B. aus assyrischen Darstellungen bekannt.6

Die ikonographischen Belege für Harfen spannen den Bogen über die gesamte Antike.
Die älteste der drei erwähnten Harfenformen ist nach Bo Lawergren7 die Bogenharfe. Der topographische Rahmen erstreckt sich von Ägypten und Mesopotamien über den Iran bis nach Indien.
Ab ca. 2000 v.Chr. wird die Bogenharfe in Mesopotamien und im Iran, wenig später auch in Ägypten von der Winkelharfe abgelöst. Aus dem mesopotamischen Raum ist eine Fülle von bildlichen Quellen zur horizontalen und vertikalen Form der Winkelharfe bekannt.
Im Großraum „Hellenistic World“ setzt Lawergren den Nachweis der Winkelharfe ab ca. 500 v.Chr. an, laut ihm hat es davor hier keine Bogenharfen gegeben. Die Nutzung in Griechenland, Rom und den angrenzenden Bereichen zeigt unterschiedlichste Formen bis hin zu relativ großen Winkelharfen. Vereinzelt treten an diesen dünne Stäbe auf, möglicherweise aus Gründen der Stabilisierung, was vermutlich zur Entwicklung des letzten Harfentyps geführt hat.
Die Rahmenharfe ist die jüngste Vertreterin der Gattung und begegnet laut Lawergren erst um 1000 n.Chr., verdrängt aber in Folge in vielen Regionen alle anderen Formen.
Die letzten Exemplare der Winkelharfe sind nach Lawergren in Istanbul Ende des 16.Jh. gefertigt worden, danach stirbt die Form in Europa großräumig aus.  

Das Fritzener Objekt datiert in eine Zeitspange, in der die Form der Winkelharfe in vielen topographischen Regionen die Bogenharfe schon länger abgelöst hat. Die Instrumentenform war, bezogen auf die Zeitschiene von Bo Lawergren, schon voll ausgeformt und gut bekannt.

Zur Rekonstruktion der Fritzener Winkelharfe wurden historische Vorbilder herangezogen, auf die in "Erstellung des Nachbaus" detaillierter eingegangen wird. 


1 Aus lizenzrechtlichen Gründen werden alle Objekte, die sich in Museen befinden oder in Publikationen besprochen und als Fotos oder Grafik abgebildet sind, nur beschrieben und zitiert.

2 Gerhard Tomedi, Zur vorgeschichtlichen Musik in Alttirol und im Südalpenraum, in: Hgb. Kurt Drexel und Monika Fink, Musikgeschichte Tirols Band 1, Von den Anfängen bis zur Frühen Neuzeit, Schlernschriften 315, 31, Abb. 19

3 E.M. von Hornbostel – C. Sachs, Systematik der Musikinstrumente, in: S. Schulz, Die Altai Harfe – Eine Rekonstruktion, Bonn 2012, Diagramm Abb.1, 148

4 Anthony Baines, Lexikon der Musikinstrument, Stuttgart 2010, 122-128

5 Nele Ziegler, Antike Welt, Sonderheft Klang der Antike, (https://de.scribd.com/document/460299835/Antike-Welt-1-20) 

6 Bo Lawergren, Angular harps through the ages. A causal history, in: Studien zur Musikarchäologie VI, Orient Archäologie Band 22, Hrsg. A.A.Both, R. Eichmann, E. Hickmann, L.C. Koch, Rahden 2008, 276 Fig. 8a-c.
Musiker mit horizontal gespielten Winkelharfen, die Prozessionen anführen. Reliefs aus assyrischen Palästen. Abbildungen a-c aus den Palästen in Nimrud, Ashurnasirpal II, ca. 870 v.Chr., Niniveh, Sennacherib, 700 v.Chr. und Palast Niniveh, Ashurnasirpal, 650 v.Chr.

7 Eine stark gekürzte Genese der historischen Entwicklung der Winkelharfe zeigt das Spannungsfeld aus topographischer und zeitlicher Sicht, in der sich die Entwicklung der drei Formen Winkel-, Bogen-, und Rahmenharfe bewegt und in die sich der Fund aus Fritzens einzugliedert.
Bo Lawergren, Angular harps through the ages. A causal history, in: Studien zur Musikarchäologie VI, Orient Archäologie Band 22, Hrsg. A.A.Both, R. Eichmann, E. Hickmann, L.C. Koch, Rahden 2008, 272, 273 Fig. 2,3 

 

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