PANEL 22
„Südostdeutsche“ Kulturarbeit auf dem Prüfstand. Kontinuitäten, Netzwerke, Forschungspotentiale

Chair (inkl. Kurzkommentar): Linda Erker (Wien)

09:00–10:30, Virtueller Konferenzraum 2

Ein erheblicher Teil der „südostdeutschen“ Eliten hatte sich zum Nationalsozialismus bekannt oder sich zumindest mit ihm arrangiert. Aufgrund von Fluchtbewegungen sowie Umsiedlungen im und Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg lebte ein großer Teil dieser „Volksdeutschen“ in Deutschland und Österreich. Das 1951 von Publizisten, Geisteswissenschaftlern und Kulturpolitikern in München gegründete Südostdeutsche Kulturwerk (SOKW) hatte zum Ziel, Kultur und Gegenwart dieser Gruppen darzustellen und in der bundesdeutschen Nachkriegsöffentlichkeit bekanntzumachen. Das Spannungsfeld zwischen Entnazifizierung, Rückkehrhoffnung und Integration bildet sich paradigmatisch in den Lebensläufen und Diskursen der Akteure ab und prägte das langfristige Programm dieser Kultureinrichtung. Dieses interdisziplinär konzipierte Panel fragt nach Hindernissen und Forschungspotentialen einer maßgeblich „von innen“ initiierten, verspäteten Aufarbeitung.

Das Südostdeutsche Kulturwerk in München im Kontext der westdeutschen „Vertriebenenkulturarbeit“ nach 1945

Tobias Weger (München)

In welchem gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und geschichtspolitischen Kontext vollzieht sich die Gründung des Südostdeutschen Kulturwerks (SOKW) in München zu Beginn der 1950er-Jahre? Welchen Anteil haben bei dessen Konstituierung Beziehungen, die bereits in die Zeit vor 1945 zurückreichen, und solche, die erst im Umfeld der „Vertriebenen- und Aussiedlerkulturarbeit“ der frühen Bundesrepublik Deutschland entstanden sind? In welchem Verhältnis stehen dabei individuelle Netzwerke und institutionelle Voraussetzungen und Querverbindungen? Welches räumliche Verständnis („südostdeutsch“) und welche fachlichen Paradigmen lagen der Arbeit der Institution zugrunde? Der Vortrag geht diesen und weiteren Fragen nach, mit deren Hilfe die Gründung einer zentralen Forschungs- und Kultureinrichtung für die heterogenen deutschsprachigen Gruppen aus dem östlichen Europa kontextualisiert werden soll.

Vom „gottbegnadeten“ Schriftsteller zum Schriftleiter. Heinrich Zillichs literarisches Netzwerk vor und nach 1945

Enikő Dácz (München)

Der in Siebenbürgen geborene Schriftsteller Heinrich Zillich (1898–1988) konnte ab den 1930er-Jahren im „Dritten Reich“ als Schriftsteller reüssieren, wie zahlreiche Preise und Förderungen belegen. Seine Bücher erreichten bis 1945 eine Gesamtauflage von etwa 1,5 Millionen Exemplaren. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit nahm Zillich an kulturpolitischen Propagandaveranstaltungen wie dem „Weimarer Dichtertreffen“ teil und war in den zeitgenössischen Massenmedien – Zeitungen, Zeitschriften sowie Rundfunk – präsent. Im Fokus des Vortrags stehen Zillichs Korrespondenzen mit prominenten NS-SchriftstellerInnen wie Hans Grimm, Agnes Miegel und Josef Weinheber sowie bekannten Germanisten wie Heinz Kindermann oder dem späteren Innsbrucker Universitätsprofessor Karl Kurt Klein. Es wird nach Kontinuitäten und Brüchen im literarischen Netzwerk Zillichs gefragt, der als ehemaliger „gottbegnadeter“ Schriftsteller nach 1945 zum Vertriebenenfunktionär und Schriftleiter der vom Südostdeutschen Kulturwerk herausgegebenen „Südostdeutschen Vierteljahresblätter“ wurde.

Ein schwieriges Jubiläum. Das Südostdeutsche Kulturwerk 1951–2021

Florian Kührer-Wielach (München)

Seit den 1980er-Jahren und insbesondere seit der „Wende“ von 1989 sind im 1951 von „Volksdeutschen“ aus dem Donau-Karpaten-Raum gegründeten Südostdeutschen Kulturwerk (SOKW) personelle und thematische Neuorientierungen festzustellen. Diese mündeten 2001 in die Gründung des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS, seit 2004 An-Institut der LMU), deren Anlass eine Umstrukturierung der institutionellen Förderlandschaft seitens der deutschen Bundesregierung darstellte. Dem IKGS, als dessen Trägerverein das SOKW noch bis 2012 fungierte, kommt somit eine Verantwortung in der Aufarbeitung der „eigenen“ Geschichte, insbesondere der Jahrzehnte nach der Gründung des SOKW, zu. Die Gründung des SOKW, und in seiner Nachfolge die des IKGS, jährt sich 2021 zum 70. Mal. Dieser Vortrag widmet sich den Problemen und Potentialen, die die Bearbeitung der „eigenen“ Institutsgeschichte mit sich bringt, und fragt nach der Sinnhaftigkeit anlassbezogener Geschichtsaufarbeitung.

 

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