PANEL 45
Grenzgänger*innen: Il/Loyalitäten in umstrittenen Herrschaftsstrukturen

Chair: Karin Liebhart (Wien)

Samstag, 18. April 2020, 16:00–17:30, HS 2

Umbrüche in hegemonialen politischen Ordnungen gehen stets einher mit der Forderung nach einem Bekenntnis eigener Il/Loyalitäten auf der „untersten“ Ebene von individueller Selbstdarstellung. Der Zwang zur Positionierung vis-à-vis nationalisierter Konzepte von Zugehörigkeiten nimmt – zwischen Entscheidungsfreiheit und Zwang – dabei eine zentrale Rolle im keineswegs linearen Prozess der Legitimation von volatilen Herrschaftsstrukturen ein. Dies zeigt sich besonders in geografisch-politischen Grenzräumen, in denen fluide und multiple Zugehörigkeiten eine besondere Sichtbarkeit aufweisen. Am Beispiel dreier österreichischer Borderlands widmet sich das Panel diesen am Individuum ausgetragenen Ausverhandlungen nationaler Il/Loyalitäten während den „großen“ Umbruchphasen der Zwischenkriegszeit, des Zweiten Weltkriegs und um 1989.

„Geboren [...] unter Oesterreich, gefallen in Lybien, im Wehen der italienischen Fahne“ – Kolonialkrieg als „Schauplatz“ metropolitaner Zugehörigkeitsdiskurse

Markus Wurzer (Graz)

Um die staatliche Souveränität in der 1920 neu gewonnenen Provinz Bozen/Bolzano durchzusetzen und die eigene Herrschaft zu legitimieren, bemühte sich das faschistische Italien den von einer deutschsprachigen Mehrheit bewohnten Grenzraum durch eine rigide Homogenisierungspolitik als „italienisch“ zu markieren. Wehr- und Kriegsdienst stellten zentrale Praktiken dieser Politik dar. Sie rangen den Eingezogenen nämlich nicht nur Loyalitätsbekundungen ab, sondern ließen sich auch für solche instrumentalisieren: Als die ersten Deutschsprachigen in den Kolonialkriegen in Nord- und Ostafrika kämpften und fielen, nutzte das Regime dies als Beleg für die starke Verbundenheit der neuen Provinz mit dem faschistischen Staat. Der Beitrag analysiert nicht nur diese faschistischen Fremdzuschreibungen, sondern geht auch der Frage nach, wie sich deutschsprachige Soldaten in ihren Selbstzeugnissen dazu positionierten.

Ein „Bekenntnis zu Führer und Reich“? Organisierte Mobilität Jugendlicher zwischen Oberkrain und Kärnten als Instrument nationaler Zugehörigkeitsvermittlung

Lisbeth Matzer (Köln)

Mit dem Aufbau der Besatzungsstrukturen in Oberkrain/Gorenjska ab 1941 sollte dieser in deutschnationaler Diktion als „Grenzland“ umkämpfte Raum in den Herrschaftsbereich des NS-Regimes integriert werden. Um die Loyalität der lokalen Bevölkerung gegenüber den neuen Machtverhältnissen zu gewährleisten, wurde neben Anreizen und Drohungen auf breit angelegte (Um-)Erziehungsprogramme gesetzt. Eine zentrale Zielgruppe dieser war die Jugend: Zur längerfristigen Vermittlung und Festigung „deutscher“ Zugehörigkeiten unter den jüngeren Generationen setzte die Hitler-Jugend als Teil des Besatzungsapparates auf die Mobilität junger Menschen zwischen dem CdZ-Gebiet und dem Gau Kärnten. Von diesen Austauschprogrammen – allen voran der Oberkrainer Landdienstvariante – ausgehend, fragt dieser Beitrag im Vergleich mit anderen NS-Besatzungszonen nach spezifisch Kärntnerischen Praktiken und Strategien der Germanisierung junger Menschen und den Auswirkungen dieser auf die Jugendlichen selbst.

Mit Meinatschlag können sie was anfangen, aber nicht mit Malonty“ – Transgressionen am „Eisernen Vorhang“ als Indiz für verlorene Zugehörigkeit

Stefan Benedik (Wien)

Von der Errichtung einer staatssozialistischen Diktatur bis 1989 wurden die Grenzregionen zwischen der Tschechoslowakei und Österreich zu konkreten Sackgassen und diskursiven Projektionsflächen. Umso vehementer reagierte das öffentliche Sprechen auf einzelne österreichische Initiativen, die in den 1980er-Jahren die Überschreitbarkeit der räumlichen, sprachlichen und organisatorischen Grenzen bewiesen und gleichzeitig das diskursive Vakuum der als „ehemals deutsch“ reklamierten Gebiete neu aufluden. In Reflexion musealer Inszenierung solcher Geschichten in der Gegenwart geht der Vortrag dem Spannungsfeld zwischen Interesse und Dämonisierung dieser Überschreitungen nach und stellt die Frage nach dessen Interdependenzen mit Kalter-Kriegs-Rhetorik, der Imagination von Grenzräumen als mehrfach verloren sowie ihrer Signifikanz als Frontlinien, in denen nationale Loyalität oder deren Verlust attestiert wurde und wird.

 

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