PANEL 43
Zeitgeschichte als Gegenwartsgeschichte. Vergessene Aufbrüche in die Zukunft

Chair: Elke Seefried (Augsburg)

Samstag, 18. April 2020, 14:10–15:40, U 3

Die österreichische Zeitgeschichte verhandelt ihre Themenfelder zumeist entlang der politischen Zäsuren. Die Logik der Jubiläen trägt dazu entscheidend bei. Trägt die österreichische Zeitgeschichtsforschung dem Kult der Jahrestage zu stark Rechnung? Leistet diese Ausrichtung einer Rückkehr zur Nationalgeschichte Vorschub? Und welche Forschungsfragen werden damit ausgeblendet? Wird eminent wichtigen Zäsuren jenseits der kanonisierten politischen Systembrüche zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Erfordert die Erforschung der „Genealogien der Gegenwart“ eine von der Jubiläumsgeschichte losgelöste Gegenwartsgeschichte? Wo liegen dafür mögliche Ansatzpunkte?

In diesem Panel werden aus wissensgeschichtlicher Perspektive die 1970er-Jahre neu beleuchtet, vergessene Aufbrüche in die Zukunft aufgezeigt und davon ausgehend Forschungsfragen für eine österreichische Zeitgeschichte als Gegenwartsgeschichte diskutiert.

Zeitgeschichte als Jubiläumsgeschichte. Potentiale und Verengungen

Heidemarie Uhl (Wien)

Die Zeitgeschichtsforschung folgt zunehmend der Logik von – positiven wie auch negativen – Jubiläen. Feier- und Gedenktage, auch Gedenkjahre zu den „runden“ Jubiläen eröffnen windows of opportunity für öffentliche Aufmerksamkeit, finanzielle Ressourcen und damit Ermöglichungsbedingungen für neue Forschungsprojekte. Andererseits verfestigt sich damit die Fokussierung auf die politische Ereignisgeschichte, werden politische Zäsuren immer wieder reproduziert und kanonisiert, geraten gesellschaftliche Transformationen jenseits des Politischen aus dem Blickfeld. Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion von Zeitgeschichte im Zeitalter des Gedächtnisses. Ist die kritische Position, gewissermaßen die DNA der Zeitgeschichte, mittlerweile zum Bestandteil des hegemonialen Dispositivs gesellschaftlicher Selbstvergewisserung geworden?

Der vergessene Aufbruch in die Zukunft. Die 1970er-Jahre als Zäsur in der Gegenwartsgeschichte Österreichs

Johannes Feichtinger (Wien)

Die 1970er-Jahre werden in Österreich auch in der Zeitgeschichte allein als Ära Kreisky kategorisiert. Das verweist auf eine nationalstaatliche Perspektivierung, die der globalen Bedeutung dieses Jahrzehnts und der Bedeutung Österreichs in der nun entstehenden, international vernetzten Wissens- und Wissenschaftsproduktion nicht ausreichend Rechnung trägt. Auch in Österreich fasst in den 1970er-Jahren Big Science Fuß. Damit platziert sich die neutrale Republik erstmals seit 1914 wieder in der internationalen Forschungslandschaft. Wissenschaftler überqueren die Systemgrenzen, Österreich wird durch einen massiven Einsatz von Ressourcen wieder zu einem relevanten Wissenschaftsstandort. Davon zeugen neue Großforschungsinstitute und die Ansiedlung internationaler Organisationen wie die IIASA.

Die Entdeckung der Umwelt. Die Institutionalisierung der Umweltwissenschaften in Österreich in den 1970er-Jahren

Katja Geiger (Wien)

Erstaunlich rasch wurde in Österreich in den 1970er-Jahren das Forschungsfeld Umwelt im Sinne des Schutzes der Lebensgrundlagen aufgegriffen. Erstmals entwickelten Wissenschaftler/innen ein Gegenmodel zu dem unreflektierten Forschungsparadigma der industriellen Modernisierung. Zugleich bedeutete das die Abkehr von der traditionellen national-ideologisch grundierten Vorstellung von Naturschutz. Im Vortrag wird die Institutionalisierung der Umweltforschung mit Schwerpunkt auf die Österreichische Akademie der Wissenschaften und ihre weitere Entwicklung bis hin zu ihrer Deinstitutionalisierung thematisiert.

 

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