PANEL 24
Neue Perspektiven auf Soziale Bewegungen im 20. Jahrhundert

Chair (inkl. Kurzkommentar): Martin Haselwanter (Innsbruck)

Freitag, 17. April 2020, 10:50–12:20, U 1

Das „Umbruchjahr“ 1968 erfuhr 2018 auch in Österreich eine hohe mediale Aufmerksamkeit, obwohl die Lesart dominierte, dass die Proteste von 1968 nicht über eine „heiße Viertelstunde“ (Keller) hinausgekommen waren. Forschungen, die sich auf die „Magie“ dieser „runden Zahl“ konzentrieren, beschäftigen sich meist mit der Hauptstadt Wien und den Aktivitäten von als männlich, inländisch und nicht-behindert markierten Subjekten. Das Motto „nach den Jubiläen“ wird zum Anlass genommen, über dieses Narrativ hinaus zu gehen. Das Panel widmet sich der Zeit nach und vor 1968 im regionalhistorischen Kontext und blickt auf bisher weniger berücksichtigte Aspekte, wie die Rolle von Migration bei der Bewertung und Mobilisierung von Protesten, die Bedeutung transnationaler Netzwerke für regionale Frauenbewegungen und die verschiedenen Etappen der österreichischen Behindertenbewegung.

Der „ausländische Rädelsführer“ im Visier: studentische Proteste und Migration in Innsbruck

Marcel Amoser (Innsbruck)

2018 jährte sich das Jubiläum der „68er“-Bewegung zum fünfzigsten Mal. Die zeithistorische Aufarbeitung der Geschehnisse fokussierte dabei vor allem auf „inländische“ Akteur_innen und ihre Bedeutung für die nationale Geschichte. Die internationale Dimension der Aktionen, gegen den Krieg in Vietnam oder auch gegen den Schah von Persien, deutet aber bereits an, dass bei den Protesten auch Migration eine Rolle spielte. Dies zeigt sich etwa in der Beteiligung von „ausländischen Studierenden“. Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts fungierten Migrant_innen auch als Projektionsfläche für die Wahrnehmung und Bewertung von gesellschaftspolitischem Engagement. Anhand von erstmals ausgehobenen behördlichen Unterlagen, der auflagenstarken „Tiroler Tageszeitung“ und alternativen Printmedien wird der Frage nachgegangen, welchen Einfluss Migration bei der Mobilisierung und bei der Deutung studentischer Proteste um 1968 in Innsbruck hatte.

Geschichte der Behindertenbewegung in Österreich

Volker Schönwiese (Innsbruck)

In der 100-jährigen Geschichte der Bewegung von Menschen mit Behinderungen in Österreich war eine „alte“ Behindertenbewegung von Personen mit körperlichen Einschränkungen seit dem Ersten Weltkrieg in mehrere Gruppierungen geteilt. Die Erfolge dieser Bewegung waren unter den Bedingungen der scheiternden Ersten Republik gering. In der Zeit des Nachkriegs- „Wirtschaftswunders“ wurden systematisch und differenzierend Sondereinrichtungen auf- und ausgebaut. Dagegen protestierten Menschen mit Behinderungen im Rahmen der „neuen“ sozialen Bewegungen und forderten Anerkennungs- und Teilhaberechte ein. Im Gleichklang mit internationalen Entwicklungen gründete sich in den 1970er-Jahren – ausgehend von Initiativen in Innsbruck, Linz und Wien – die „Selbstbestimmt-Leben-Bewegung“ in Österreich. Der Vortrag gibt anhand von bisher kaum berücksichtigten Materialien, u. a. aus dem Dokumentationsarchiv von „bidok“, Einblick in diese Etappen der österreichischen Behindertenbewegung.

Transnationale Verwobenheiten und Vernetzungen der „Neuen“ Frauenbewegung in der mehrsprachigen Grenzregion Südtirol

Andrea Urthaler (Innsbruck)

Wie in vielen anderen Ländern und Regionen der westlichen Welt entwickelte sich ab Beginn der 1970er-Jahre auch in Südtirol eine „Neue Frauenbewegung“. Sie kommt in den Gesamtdarstellungen über die Geschichte Südtirols, wenn überhaupt, lediglich als Additionserzählung zu „1968“ vor. Der Vortrag widmet sich dieser regionalen Frauenbewegung mit Hilfe der sozialen Bewegungsforschung und untersucht sie auf ihre transnationalen Verwobenheiten und Vernetzungen. Als Basis für die Analysen dient ein Mix an Quellen: zeitgenössische Zeitschriften und Zeitungen, Material aus Bewegungsarchiven und Oral History. Im Beitrag sollen wesentliche Entwicklungslinien und Themen dieser sozialen Bewegung nachgezeichnet werden.

 

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