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3. Die Bewertung der Welt und der anderen Religionen

Die christlich-kirchliche Existenz und mit ihr die sie reflektierende Theologie müssen ein angemessenes Verhältnis zur Welt in einer schwer zu bestimmenden Mitte zwischen Angleichung und Distanzierung finden. Nach vielen Jahren, in denen das kirchliche Lehramt eine systematische Abschottung betrieben hatte, wurde für die katholische Kirche das Zweite Vatikanum zum Signal für eine neue Öffnung gegenüber den Anliegen der Welt. Das war dringend notwendig und wurde von vielen als befreiend erlebt, trug aber auch zu einer Identitätskrise der Kirche bei. Die immer deutlicher wahrgenommenen fundamentalen Probleme der Weltzivilisation wecken zudem die Frage, ob das Christentum und mit ihm die christliche Theologie nicht eher Wege aus diesen Krisen bieten könnten, wenn sie sich stärker auf das Evangelium und weniger auf eine Angleichung an die Welt verließen.

Bei dieser Frage geht es weder um die Alternative zwischen progressiv und konservativ, noch um eine Entscheidung zwischen Isolation und Dialogbereitschaft, sondern um die schwierige Wegfindung kirchlicher Existenz als »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« (2. Vat., Lumen Gentium 1) zwischen den Straßengräben einer selbstgerechten Distanzierung und einer sich anbiedernden Angleichung. Kirche und Theologie müssen Salz für die Welt sein, und dieses Salz darf nicht schal werden (vgl. Mt 5,13).

Für diese Wegsuche scheint nun die Theorie Girards die extreme Lösung einer totalen Kontrastierung anzubieten. Sind nicht für sie die Strukturen der Welt von Grund auf durch Gewalt und Täuschung infiziert, während die christliche Offenbarung nach ihrer Sicht den alleinigen Schlüssel zur Aufdeckung und (eventuell) Überwindung besitzt? Bietet diese Theorie nicht einen lockend-gefährlichen Ausweg an für jene, die an einer Identitätskrise der Theologie leiden, ­ allerdings mit der gefährlichen Nebenwirkung einer Preisgabe von Solidarität und Dialogbereitschaft?(19) Eine für die Welt und andere Religionen offene Theologie auf der Grundlage des Zweiten Vatikanums würde damit in unversöhnlichem Gegensatz zu einer Theologie stehen, die sich von der Theorie Girards leiten läßt.

Anderseits wurde an Rahners Konzeption des anonymen Christentums der umgekehrte Einwand gerichtet, ob sie nicht das spezifisch Christliche nivelliere und den Zeugnis- und Missionsauftrag an das Christentum desavouiere. Mit differenzierteren Interpretationen können beide Kritiken abgefangen, sowie eine Annäherung der gegensätzlichen Konzepte erreicht werden.

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