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2.3 Girards Theorie vor dem Anspruch eines personalen Offenbarungsverständnisses

Offenbarung besteht somit nach Girard in einer unerfindlichen und langfristig extrem folgenreichen Aufdeckung (und damit Überwindung) jener verborgenen, negativen Kräfte, welche die menschliche Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Wird diese Sicht einem Offenbarungsverständnis als personale Selbstmitteilung gerecht? Diese Frage wurde von Kritikern verneint. Markwart Herzog kritisierte an Girards Theorie, sie sei einem instruktionstheoretischen Offenbarungsbegriff verhaftet: Gegenstand der Offenbarung sei die Information über die verborgen gewalttätigen Strukturen menschlicher Institutionen.(15) Wenn das stimmte, würde sich diese Offenbarung allerdings durch ihre vollzogene Mitteilung überflüssig machen. Dagegen sind die mimetischen Mechanismen aber dermaßen subtil, daß sie auch nach ihrer Aufdeckung in der subtileren Form neuer Pervertierung auftreten können.(16) Wegen ihrer tiefen Verwurzelung in den menschlichen Strukturen fällt die konfliktuelle Mimesis mit ihrer Ausgrenzungstendenz gerade jenen, die meinen, sie erfolgreich vor sich auf den Begriff gebracht zu haben, allzuleicht in den Rücken.

Damit ist ein weiterer Einwand noch nicht zurückgewiesen, nach dem Offenbarung bei Girard ausschließlich negativ-kritisch verfaßt sei, nämlich als bloße Aufdeckung, ohne daß damit eine heilvolle Alternative erschlossen wäre. Wenn aber erstens ­ nach Girards Annahme ­ alle menschlichen Institutionen dank verschleierter Gewalt bestehen, zweitens ­ ebenso nach Girards Annahme ­ die Aufdeckung ihrer Wirkmechanismen dieselben unwirksam macht und drittens ­ nach allgemeiner Evidenz ­ die Menschheit ohne Institutionen nicht bestehen kann, dann wirkt die als Aufdeckung begriffene Offenbarung nicht nur kritisch, sondern unvermeidlich zerstörerisch auf die Menschheit. Dostojewskijs Großinquisitor bekäme mit Girards Theorie ein neues, stärkeres Argument für seine Verstoßung des wiederkommenden Messias.

Um solche Konsequenzen zu vermeiden, muß Offenbarung in ihrem Kern als positiv-heilbringend begriffen werden. Für ein solches Offenbarungsverständnis im Rahmen der Theorie Girards führt der Ansatz bei einer guten Mimesis weiter: Jesus Christus ist in einem reinen Begehren so sehr auf den gütigen Gott ausgerichtet, daß darin der Kern seines Wesen besteht; so lenkt er unsere rivalisierend gebundene mimetische Begierde in einer solchen Unmittelbarkeit auf Gott, daß wir dadurch eine neue, gewaltfreie und nicht ausgrenzende gemeinschaftliche Existenz gewinnen können. Während Jesus derart mit seinem lehrenden und tathaft bezeugenden Leben zum befreienden Vorbild wird, behält sein Tod jene aufdeckend-aufsprengende Bedeutung gegenüber der kollektiv verstockten Sünde, die sich in einer Girardschen Analyse deutlich herausarbeiten läßt. Ein solcher positiver Offenbarungsbegriff klingt bei Girard bereits an und wurde von Raymund Schwager weiter ausgeführt.(17) Auch zur Soteriologie Karl Rahners ergibt sich von hier aus ein ausbaufähiger Anschluß.(18)

Weil in einer mimetischen Theologie Begierde und Nachahmung keine bloß äußerlichen Vollzüge sind, sondern den personalen Wesenskern des Menschen konstituieren, ist der eben skizzierte Ansatz offen für ein Verständnis von Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes. Zugleich ermöglicht dieses Offenbarungsverständnis von Anfang an eine ausgewogene Christologie, die das lehrende und bezeugende Leben Jesu ebenso ernst nimmt wie seinen heilswirkenden Kreuzestod. Der gemeinschaftsbildende Zug von Jesu Offenbarungstätigkeit und damit der christlichen Glaubensexistenz ist bereits vom Ansatz weg an die gebührende zentrale Stelle gerückt.

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