Gehirnwäsche
Hans Goller kühlt das Mütchen erhitzter Neurophilosophen

Rezension in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Oktober 2003
von: Christian Geyer

Ein Buch, das nüchtern macht, abkühlt und zurechtrückt: Hans Goller beharrt darauf, das Zusammenspiel von Körper und Geist ein "Rätsel" zu nennen. Damit konterkariert er gewisse Exzesse einer heiß gelaufenen Hirnforschung, die im Stil der Gehirn-Mythologie des neunzehnten Jahrhunderts den Menschen als unfreie neuronale Maschine zeichnet und entsprechende Konsequenzen für die Rechtsprechung und das Erziehungssystem fordert.
Trotz beeindruckender Forschungsergebnisse, so Goller, bleibt unser Wissen über das Gehirn "in einem grundlegenden Sinn unvollständig". gegen das Selbstmißverständnis einer Hirnforschung als philosophischer Deutungsmacht weist Goller auf die Erklärungslücke hin, die zwischen dem bewußten Erleben und seinem vermuteten materiellen Korrelat klafft: "Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie das bewußte Erleben, das uns nur in der Ersten-Person-Perspektive gegeben ist, aus objektiv beschreibbaren Hirnprozessen hervorgeht." Wir wissen zwar, "daß unser bewußtes Erleben aufs Engste mit Gehirnvorgängen verbunden ist, aber dieser Zusammenhang selbst erscheint rätselhaft". Die Hirnforschung, so Goller, könne prinzipiell nicht mehr leisten, als Bewußtseinsphänomene mit neuronalen Prozessen zu korrelieren. Die Frage, wie das Gehirn Bewußtsein hervorbringt, bleibe dabei jedoch notgedrungen unbeantwortet. "Niemand weiß, warum bestimmte Hirnprozesse von bewußten Erlebnissen begleitet sind oder warum wir überhaupt Erlebnisse haben. Warum verläuft nicht die gesamte Informationsverarbeitung im Gehirn unbewußt?" Weder die Existenz noch die Beschaffenheit unseres bewußten Erlebens werde durch eine noch so genaue Beschreibung der neuronalen Aktivität erklärt. Im Vergleich mit den Anmaßungen mancher Neurophilosophen liest sich Gollers fachlich überaus versiertes Buch wie eine Kartographie der Grenzen unseres Verstehens.



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