Umritte und Leonhardifahrten


Der hl. Leonhard zählt neben dem hl. Eligius, dem hl. Georg und dem hl. Stephan zu den Pferdepatronen. Leonhard wird besonders in Bayern als Viehparton, ja als "bayerischer Herrgott" verehrt. Der Legende zufolge wirkte der Heilige um das Jahr 500 am Hofe des Merowingerkönigs Chlodwig. Als Dank für die Geburtshilfe, die er der Königin geleistet hatte, soll er sich das Recht zur Amnestie von Gefangenen ausbedungen haben. Dadurch wurde er auch zum Schutzheiligen der Gefangenen und schwangeren Frauen. Viele seiner Kirchen wurden zu Wallfahrtsstätten für freigelassene Gefangene. Einige seiner Kirchen sind noch heute von Eisenketten umgürtet, die aus dem Eisen verschiedener Votivgaben (u.a. Gefangenenketten) zusammen geschmiedet wurden. In Südtirol gibt es heute noch solche Kettenkirchen in Oberinn, Unterfennberg und Kollmann.

Der hl. Leonhard mit König Chlodwig und dessen Frau. Links die Gefangenen. Handcholorierter Holzschnitt aus Nürnbern, 1488

Der hl. Leonhard mit König Chlodwig und dessen Frau. Links die Gefangenen.
Handcholorierter Holzschnitt aus Nürnbern, 1488


Die Sitte der Umgürtung von Heiligtümern ist bereits aus der Antike überliefert und im östlichen Mittelemeerraum weit verbreitet. Eng mit ihr ist auch die magisch-religiöse Kultform des Umreitens und Umschreitens einer Kultstätte verbunden. Zahlreich sind die Belege aus früheren Jahrhunderten, in denen vom Umreiten einer Stephans- oder Leonhardskirche die Rede ist, um die Pferde vor Krankheiten und Unglücksfällen zu schützen. Als Termin dieser Kulthandlung bot sich das Jahresfest der Heiligen (Stephan: 2. Sept.; Leonhard: 6. Nov.) an, und der daher abgeleitete Brauch des Stephani- oder Leonhardiritts war somit orts- und zeitdeterminiert.

Noch im 18. Jahrhundert erfreute sich Leonhard, nicht zuletzt durch die barocke Volksfrömmigkeit, großer Beliebtheit. Durch die weitestgehende Eliminierung des Pferdes aus der Landwirtschaft, begannen auch die Umritte auszusterben. Wo sie erhalten blieben, wurde der kultisch-religiöse Charakter vom folkloristischen abgelöst. Dies ist besonders bei den großen Leonhardiritten Bayerns (z.B. Bad Tölz) der Fall.

In Tirol soll einst sogar Erzherzog Sigmund der Münzreiche mit seinem Gesinde jährlich zur Leonhardikirche in Mühlau gezogen sein, um seine Rösser segnen zu lassen. In St. Leonhard bei Brixen wurde der Ritt bis 1870 ausgeübt. Weiters sind alte Leonhardiritte aus Kollmann, Thiersee und Kundl überliefert, sie starben aber noch im 19. Jahrhundert aus. In Thiersee war der ursprüngliche Brauch um 1850 abgekommen und in den 1920er Jahren wiedereingeführt worden. In der Folge kam es auch in Niederndorf und Scheffau zur Einführung von Leonhardiritten. In Gerlos wird ein Stephaniritt, also ein Ritt am Stephanitag, durchgeführt. Ursprünglich scheint es hier aber auch ein Leonhardiritt gewesen zu sein, da der hl. Leonhard der Kirchenpatron von Gerlos (Zillertal) ist. Man hat sich die Verlegung des Brauchtermins aus der Verletzungsgefahr für die Pferde auf gefrorenem, aber nicht schneebedecktem Boden am Leonharditag, zu erklären versucht.

Generell scheinen Umritte auch in den letzten Jahrzehnten beliebte Formen neugegründeter Bräuche zu sein. In Kundl wurde der Ritt 1963 wiedereingeführt, zunächst nicht aus touristischen Gründen, sondern als Fund-Rising-Event zur Finanzierung der Restaurierungsarbeiten an der Leonhardskirche. 1974 wurde in Vils ein Martini-Ritt mit Feldmesse am 10. November eingeführt und vor wenigen Jahren fand auch der erste Axamer Leonhardiritt statt.

 


Literatur:
Haider Friedrich, Tiroler Brauch im Jahreslauf, Innsbruck 1985, 364 f., 444.
Kapfhammer Günther, Brauchtum in den Alpenländern, Ein lexikalischer Führer durch den Jahreslauf, München 1977, 163.
Kretzenbacher Leopold, Die Ketten um die Leonhardskirchen im Ostalpenraume, Kulturhistorische Beiträge zur Frage der Gürtung von Kultobjekten in der religiösen Volkskultur Europas, in: Kultur und Volk, Wien 1954, 165-202. (= Veröff. d. Österr. Museums f. Volkskunde, 5)
Petzoldt Leander, Volkstümliche Feste, Ein Führer zu Volksfesten, Märkten und Messen in Deutschland, München 1983, 358 ff.

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