Innsbrucks erste Streetparade – ein Versuch zur "Wiedereroberung des öffentlichen Raumes"

 

 

1. Vorbemerkung.

1989 wurde in Berlin, initiiert von DJ „Dr. Motte“, zum ersten Mal eine „Love Parade“ veranstaltet, die seitdem alljährlich stattfindet und sich zur „größten Party der Welt“ mit lange Zeit kontinuierlich ansteigenden Teilnehmerzahlen entwickelte. Bald folgten ähnliche Paraden in anderen europäischen Städten, u.a. in Zürich, Köln, München und Wien. Der Kulturjournalist Sven Gächter berichtet in einem profil-Artikel [1] von weiteren „Filialen“ des Berliner Unternehmens in Newcastle, Tel Aviv, Kapstadt und Moskau und stellt fest: „Bald wird jede mittlere europäische Großstadt ihre eigene ‚urbane’ Parade haben, und sie wird sich immer weniger von den Pfadfinder- und Blasmusikaufmärschen unterscheiden, mit welchen die Jugend in früheren Zeiten den Alten fröhlich signalisierte, dass sie keinen Grund hatten, sich Sorgen zu machen.“

Ähnlich wie HipHop ist auch Rave nicht mehr ein Phänomen des Undergrounds, sondern längst Bestandteil der Popkultur, wobei industrielle Vermarktungsstrategien wie immer einen besonderen Anteil an derartigen Kommerzialisierungsprozessen haben: Kein Wunder also, dass inzwischen eigene Paraden für Fans des deutschsprachigen Schlagers stattgefunden haben, oder dass sich der Paradentrend, von RTL2 live übertragen, bereits als kompatibel mit der Spaßkultur des Mallorca-„Ballermanns“ erwiesen hat. [2]

Techno-Paraden werden zwar nach wie vor gerne als „Demonstration“ deklariert, aber allein deren Parolen – wie: „reicht euch die Hände, liebt Euch, sucht das Glück“ oder „schafft die Grundlage für eine friedliche und sonnige Zukunft“ – beweisen, dass Pop und allzu deutliche Politisierung aufgrund fehlender Massentauglichkeit nur schwer unter einen Hut – oder hier besser: auf einen gemeinsamen Paradewagen – zu bringen sind. Deshalb werden inzwischen auch Gegen-Paraden veranstaltet, – wie heuer beispielsweise in Wien oder Zürich – deren Ziel eine „Soundpolitisierung“ ist: Der Widerstand der Wiener „Donnerstags-Demos“ gegen die aktuelle Bundesregierung [3] wurde nicht zuletzt auch von DJs der Plattform „Volkstanz“ begleitet, deren Ziel es ist, den Begriff „Volkstanz“ in einem neuen Kontext für sich „nutzbar“ zu machen / sich kreativ anzueignen: „In allen Kulturen der Welt,“ erfährt man auf der DJ-Homepage [4], „ist es Teil der Folklore (z.B. zum Jahreswechsel) die bösen Geister mit Lärm, Getrommel und Geschrei zu vertreiben und mit lauter Musik die Atmosphäre zu reinigen. Diese lang geübte Praxis haben wir in der neuen Volkskultur aufgegriffen, um die bösen Mächte der schwarzblauen Regierung zu vertreiben.“

 

2. „Produktiv und obdachlos“ in Innsbruck.

Doch nun zu Innsbruck: Am 30. Juni 2001 setzte sich um 15.30 ein kleiner Konvoi von Liefer- und Geländewagen, Rad- und Scooterfahrern sowie umfunktionierten Traktoren vom Wiltener Platzl in Richtung Maria-Theresien-Straße in Bewegung: „Diese musikalisch- und lifestyle-orientierte Demonstration soll die ideelle Bandbreite und den kreativen Background der obdachlosen Innsbrucker Szene beleuchten,“ konnte man in einem Flugblatt der „Plattform-Mobile-Kulturinitiativen“ nachlesen. „Am Start“ war neben den Vertretern des „Infoladens Grauzone“ und anderer alternativer Kulturinitiativen (wie etwa der „Workstation“) auch ein wuchtiger Wagen, auf dessen Dach sich die DJs des Innsbrucker HipHop-„Tribes“ beim Auflegen abwechselten.

 

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Streetparade Innsbruck 2001
© Reinhard Bodner, Institut für Europäische Ethnologie / Volkskunde, Innsbruck

 

Auf Leintücher gesprayte Graffitis oder Slogans sollten die Anliegen der verschiedenen Gruppierungen verdeutlichen: „Reclaim the streets!“, „Freie Räume für die freie Szene“ oder auch „Jam da Wef“ (Aufruf zum Widerstand gegen das „World Economic Forum“ im Juli in Salzburg). Auf Aufschriften an den Wägen warb neben Innsbrucker Lokalen (wie dem „Bogen 13“) auch ein lokaler Body-Art und-Piercing-Anbieter für seinen Laden. An den Outfits der Demonstranten fielen T-Shirts mit politischen und/oder witzigen Karikaturen bzw. Slogans (u.a. ein häufiger auftauchendes einheitlich-gelbes mit der Aufschrift „Ordner“) auf, nur vereinzelt fanden sich Anklänge an einen „Hawai“-Partylook. Einige wenige an ihrer Kleidung eindeutig als „Raver“ zu identifizierende Jugendliche beobachteten das Geschehen eher am Rande.

 

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Streetparade Innsbruck 2001
© Reinhard Bodner, Institut für Europäische Ethnologie / Volkskunde, Innsbruck

 

Der Vergleich mit internationalen Paraden sollte nicht angestellt werden: „Der internationale Trend sagte kurzfristig wegen Magengrippe ab und ließ sich in Wien gesund spritzten,“ spöttelten etwa die Kolumnisten „Adabei&Volldaneben“ in der Innsbrucker Wochenzeitung „tip“ über den „Urbanitätsfaktor“ der ersten Innsbrucker Streetparade [5], – doch um einen derartigen Anschluss an einen „internationalen Trend“ dürfte es den Veranstaltern ohnehin nicht gegangen sein: Chris Koubek, Sprecher der „Plattform-Mobile-Kulturinitiativen“, gab mir Auskunft, mit dieser Veranstaltung weniger an das inzwischen globalisierte Love-Parade-Phänomen anknüpfen zu wollen, als beispielsweise an die Tradition jener jamaikanischer Sound-Systeme, denen in der Entstehungsgeschichte von Rap und HipHop eine wesentliche Rolle zugekommen ist. Im Unterschied zu den schwammigen Parolen der Riesen-Rave-Veranstaltungen präsentiere in Innsbruck die alternative Kulturszene ihre Anliegen [6]: Nach dem Konkurs des Veranstaltungszentrums „Utopia“ im Dezember 2000 und der bau- und feuerpolizeilichen Schließung der Ausweichmöglichkeit im Jugendzentrum in der alten „MK“ demonstriere man nun für die Schaffung eines neuen Veranstaltungszentrums für die Szene und die vorher dem „Utopia“ bewilligten Subventionsgelder. Bereits im April 2001 begann auf der Homepage des Radiosenders fm4 eine angeregte Diskussion über die Jugend- und Kulturpolitik der Stadt Innsbruck, in der v.a. das mittlerweile doch zu einem größeren Teil kommerziell orientierte Veranstaltungszentrum „Hafen“ als Alternative abgelehnt wurde [7].

Der Versuch, sich Raum für die eigene Kultur und den eigenen „Style“ anzueignen, steht somit als die vielleicht wesentlichste Motivation hinter dieser Demonstration [8], die sich vielleicht – so kündigt es zumindest das erwähnte Flugblatt an –, in regelmäßigen Abständen veranstaltet, zu einem „Stadtfest für Junge und Junggebliebene, die sich am Puls der Zeit orientieren“ werden könnte. Das (häufig eher knapp gehaltene) Medienecho auf die Veranstaltung kann, v.a. betreffend ihrer Durchschlagskraft als gespalten angesehen werden: „Es war mehr als erfrischend, einmal eine Veranstaltung jenseits von Schützen und Stadtfest auf der Maria-Theresien-Straße zu sehen,“ urteilte die „Unipress" [9] während die spitzzüngigen Kolumnisten des „tip“ sich eher bemüßigt fühlten, „die erste Innsbrucker Spielprozession“ mit „Confetti-Tivi“ und der „Mini-Playback-Show“ zu vergleichen [10]... Die Wahrheit dürfte in einer „Grauzone“ , irgendwo dazwischen liegen; – ein vor dem „Wienerwald“ sitzender älterer Herr hielt sich trotzdem vorsorglich die Ohren zu.

 

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Streetparade Innsbruck 2001
© Reinhard Bodner, Institut für Europäische Ethnologie / Volkskunde, Innsbruck

 


[1] Sven GÄCHTER: Wo geht´s hier zur Party? In: profil 27, 2. Juli 2001, S. 134-137.

[2] Mit der Inszenierung des großen Spaßes auf Mallorca haben sich meines Wissens unsere Kollegen am Münchner Institut für Volkskunde auf einer eigenen Exkursion (u.a. auch in filmischer Form) beschäftigt.

[3] Am Wiener Institut für Europäische Ethnologie beschäftigte sich im Ss 2001 ein eigenes Seminar mit den kulturellen Äußerungsformen des „Widerstands“.

 

[4] http://www.volkstanz.net/faq.html , gelesen am 12. 10. 2001. Die positive „Neubesetzung“ (das „Reclaiming“) eines für unser Fach nicht ganz unbekannt (aber auch nicht ganz unproblematisch) klingenden „Kanons“ (Beispiele: „volkstanz.net“, „Volkstheater-Karawane“, „Graffiti als Volkskunst“, „Rap als subversives VolXlied“, „neue VolXmusik“, „VolXküche“ u.a.m.) würde ich gerne bei Gelegenheit eingehender untersuchen.

 

[5] Adabei und Volldaneben: Pumuckls Spielprozession. In: tip, 26. Jhg., 22/01, S. 8.

 

[6] Telefongespräch mit Chris KOUBEK am 28. 6. 2001. Der Sitz der Plattform befand sich zum Zeitpunkt des Telefonats im „kleinsten Kulturzentrum der Welt“, dem „V.A.K.U.U.M.“-Container in der Klostergasse.

 

[7] Unter den Titeln: There´s no subway in Innsbruck (gelesen am 12.4. 2001) und Kultur in Innsbruck=Saufkultur? (gelesen am 17.4. 2001 auf http://fm4.orf.at .).

 

[8] Zur Aneignung von Raum in der Jugendkultur vgl. Johannes MÜLLER: Kulturanthropologische Jugendforschung. In: ders. (Hrsg.): Jugendkulturen. Recherchen in Frankfurt am Main und London. Kulturanthropologische Notizen, Frankfurt 2000, S. 40 ff.

 

[9] Johannes MÜLLER: produktiv und obdachlos. Über die Leiden der freien Innsbrucker Kulturszene. In: Unipress. Das Monatsmagazin der ÖH Innsbruck, September 2001, S. 26 f.

 

[10] Wie Anm. 4.

 

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