Forschungsperspektiven und -inhalte
1998 legte der Salzburger Schriftsteller, Essayist und Kritiker Karl-Markus Gauß ein Buch vor mit dem Titel Ins unentdeckte Österreich. Nachrufe und Attacken. Darin hält er den Verklärern wie den Verächtern Österreichs einen ausgeprägten Hang zur Geschichtslosigkeit bzw. zur Geschichtsverleugnung vor. Die Zeile des Österreich-Gedichts von Gerhard Fritsch, „ein Landstrich von dem die Geschichte Abschied genommen hat“[1] wird nach Gauß zum Land, das von seiner Geschichte Abschied genommen hat. Gauß hatte auf die markanten Wendepunkte der österreichischen Entwicklung, nämlich die Causa Waldheim und den EU-Beitritt mit zwei Pamphleten reagiert. Während das Schweigen über die Zeit des Nationalsozialismus mittlerweile gebrochen sei, dauere das Schweigen über die letzten Jahrzehnte der Habsburger-Monarchie an. Gauß geht es hier um das verspielte Erbe und das verratene Vermächtnis der österreichisch-ungarischen Monarchie. Sein Befund deckt sich mit den jüngst erschienenen Thesen des amerikanischen Historikers Pieter M. Judson, der an den bislang gängigen Deutungen des Habsburgerreiches rüttelt.
Die Forschung hat sich in den vergangenen dreißig Jahren intensiv mit dem Habsburgerreich und seinem Erbe auseinandergesetzt und dabei eingefahrene Ansichten z.T. gründlich revidiert. In groß angelegten Forschungsprojekten wurden etwa die Wiener Moderne, postkoloniale Strukturen der Habsburger-Monarchie und die Konstruktionen von Identitäten im Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts untersucht. Das DK „Austrian Studies“ knüpft hier an und versucht den mit „Österreich“ bezeichneten Kulturraum, der jedoch nicht zwangsläufig mit der heutigen Republik deckungsgleich ist, einerseits räumlich mehrdimensional (europäisch, mitteleuropäisch, national und regional) sowie andererseits aus bewusst unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen heraus zu fassen.
Das Forschungsfeld „Austrian Studies“ soll im DK interdisziplinär betrachtet werden. Beteiligt ist eine Vielzahl von Fächern aus fünf Fakultäten der Universität Innsbruck: Geschichtswissenschaften, Literaturwissenschaften, Philosophie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Architektur, Geographie und Rechtswissenschaft. Kohärenz wird thematisch und durch die regelmäßige Zusammenarbeit von Lehrenden wie KollegatInnen in unterschiedlichen Formaten hergestellt.
Das DK ist eng angebunden an den Forschungsschwerpunkt „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“, die Forschungszentren „Digital Humanities“, „Europakonzeptionen“ und „Migration und Globalisierung“. Sein Ziel ist es, DoktorandInnen optimale Rahmenbedingungen während der Arbeit an ihrer Dissertation zu bieten, interdisziplinären Austausch sicherzustellen und die internationale Vernetzung aller Beteiligten, v. a. aber der DoktorandInnen, zu fördern. Außerdem soll das DK die Zusammenarbeit von WissenschaftlerInnen vor Ort verstärken und gezielt spezifische Kompetenzen am Standort Innsbruck nach außen sichtbar machen.
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[1] Gerhard Fritsch (1989): Österreich. In: Lächelnd über seine Bestatter. Österreich. Lesebuch. Von 1900 bis heute. Hrsg. v. Ulrich Weinzierl, München, S. 359-361.