Franz Carl von Becke: Reichsfinanzminister 1867–1870

Eine österreichische Karriere im Kontext familialer und imperialer Ordnungsmuster

Franz Carl von Becke (1818–1870) war der erste Reichsfinanzminister der österreich-ungarischen Doppelmonarchie. Eckdaten seines Lebens bzw. seiner „Leistungen“ sind in gängigen biographischen Nachschlagewerken rasch, aber nur rudimentär verfügbar. Jüngere Publikationen streifen u.a. seine Rolle als Finanzminister im journalistisch intendierten Werk „Für Kaiser und Republik, Österreichs Finanzminister seit 1848“ (Wolfgang Fritz 2003) oder listen seine Stationen als Konsul in einer wissenschaftlichen Monographie über „Die effektiven Konsuln Österreich(-Ungarns) von 1825–1918“ (Engelbert Deusch 2017). Eine ausführliche wissenschaftliche Auseinandersetzung resp. Biographie liegt nicht vor, diese Lücke soll mit dem Dissertationsprojekt geschlossen werden.

Mithilfe von Konzepten und Methoden der „Neuen Biographik“ sollen Beckes unterschiedliche Rollen und Identitäten herausgearbeitet werden. Er war das Kind eines schlesischen bürgerlichen Vaters und einer tirolerisch-böhmischen Mutter, einer geborenen „von Montag“, hatte also Migrations- und „Mesalliance“-Hintergrund; er war in Böhmen Schüler und Student innerhalb eines höheren Bildungssystems, das noch immer vom josephinischen Geist zur Hervorbringung loyaler Staatsdiener erfüllt war; er war ein der Politik der Habsburgermonarchie verpflichteter, diese aber auch gestaltender Jurist und ein konsularischer Beamter, bereit zur karrierefördernden Migration in Räume der osmanischen Herrschaft. Und er nahm seine letzte Rolle als nobilitierter Finanzminister innerhalb des Spannungsbogens vom familiären Rahmen als liebender Ehemann, Bruder und Onkel bis zum epochalen Rahmen als gestaltender Angehöriger einer Elite im sich wandelnden 19. Jahrhundert ein.

 Anlehnend an das Konzept der imperialen Biographien (Tim Buchen/Malte Rolf 2015), soll einerseits Beckes Werden als Ergebnis imperialer Strukturen der Habsburgermonarchie gezeigt werden, andererseits sein Tun und Handeln als Ergebnis der Identifikation mit diesem Imperium, dessen Ordnung er somit in Wechselwirkung auch gestaltete und veränderte. Innerhalb dieses imperialen Ordnungsrahmens, der in Bezug auf Franz Carl Becke u.a. das Beamtenwesen, die Bildungs-, Handels-, Finanz- und Außenpolitik einschließt, existieren familiale Ordnungsmuster, deren Analyse ein zentrales Anliegen ist. Die Explikation dieses Begriffs umfasst etwa familiäre Strukturen, Beziehungen und Netzwerke, familiale Tradierungsprozesse, Kulturen, Projekte und Modelle, somit genuin soziologische Kategorien, die in ihren möglichen historischen Ausprägungen methodisch über genealogische und familienhistorische Quellen erschlossen werden müssen. Die diesbezügliche Hauptquelle ist ein im Privatbesitz befindliches etwa 200 Seiten umfassendes Konvolut von familiengeschichtlichen Typoskripten und Quellenexzerpten, das vom Staatsbeamten Karl Becke (1859–1939), Neffe und Patenkind des biographierten Subjekts, verfasst wurde. Die darin enthaltenden Überlieferungen, Ego-Dokumente und genealogischen Zusammenhänge werden quellenkritisch überprüft und durch weitere Quellen aus Archiven und zeitgenössischen Publikationen ergänzt.

 Der in Theorie und Methode somit multiperspektivische biographische Zugang (der individualbiographische Ansatz wird um familien- und netzwerkbiographische Ansätze erweitert, historische Theorien werden von soziologischen und psychologischen Theorien unterstützt) bietet die Möglichkeit, nicht nur einen Beitrag zur Elitenforschung des habsburgischen Vielvölkerstaates und zur noch wenig beleuchteten Erforschung von Lebenswegen konsularischer Beamter zu leisten, sondern auch über eine mikrohistorische Herangehensweise Franz Carl Becke und seine Familie als Sonde einzusetzen, über die anschaulich das Zusammenspiel von bildungsbürgerlichem Aufstiegswillen der männlichen Akteure und die Nutzung einflussreicher resp. adeliger Netzwerke von Familienmitgliedern der mütterlichen Linie untersucht werden kann.

 

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