Abschlussdiskussion

Abstract

Abschlussdiskussion                                                           

In der Abschlussdiskussion der virtuellen Tagung „Corona verstehen“ – moderiert von Elisabeth Dietrich-Daum und Dirk Rupnow (beide Innsbruck) – sollte der Versuch eines Resümees vorgenommen werden. Zu Gast waren Patrick Kupper, Prof. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Innsbruck), Malte Thießen, Leiter des Instituts für westfälische Regionalgeschichte beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Münster) sowie apl. Prof. für Neuere und Neueste Geschichte (Oldenburg), und Cornelia Lass-Flörl, Direktorin des Instituts für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie (Innsbruck).

Malte Thießen wurde gebeten, einen Bezug der aktuellen zu vergangenen Gesundheitskrisen herzustellen, Cornelia Lass-Flörl sollte demgegenüber die gegenwärtige Situation aus Sicht der Mediziner*innen verdeutlichen und Patrick Kupper Überlegungen für eine künftige Krisenbewältigung anstellen. Bereits zu Beginn der Abschlussdiskussion wurde klar, dass das angedachte Ziel eines Resümees in dieser virtuellen Form nur schwerlich erreicht werden kann und der gegenseitige Austausch in diesem Format nicht wie angedacht funktioniert.

Der allgemeine Konsens in der Diskussion war, dass es noch zu früh sei, um abschließende oder gültige Urteile, sei es über das Virus selbst oder über den angemessenen Umgang damit, abzugeben, die Wissenschaft aber permanent aufgefordert würde, exakte und belastbare Ergebnisse abzuliefern. Ein gutes Beispiel sind die „Corona“-Maßnahmen, deren laufende Bewertung in der Öffentlichkeit stattfindet und die von der Wissenschaft argumentiert werden sollen, obwohl auch sie nicht immer auf evidenzbasierte Ergebnisse zurückgreifen kann. Auch Medizinhistoriker*innen werden aufgefordert, historische Vergleiche und Analogien abzugeben, obwohl auch sie mitunter zu wenige Informationen haben, um das Gewünschte zu liefern. 

Bei der Frage, ob die Gesellschaft denn lernfähig sei, ließen sich in der Diskussion klar die verschiedenen Sichtweisen der Diskussionsteilnehmer*innen feststellen. Sowohl Patrick Kupper als auch Malte Thießen gingen prinzipiell von einer lernfähigen Gesellschaft aus. So wies Thießen etwa darauf hin, dass in der heutigen Zeit eine so große Zahl an Grippetoten wie damals bei der Spanischen Grippe von der Gesellschaft nicht mehr so hingenommen werden würde, wie das noch in der Vergangenheit der Fall war. Die Risikowahrnehmung hat sich aus historischer Sicht deutlich verändert.  Kupper argumentierte, dass wir durch soziales Lernen, sprich dadurch, dass wir miteinander sprechen und unsere Erfahrungen austauschen, permanent dazulernen und somit auch die Gesellschaft lernfähig sei. Cornelia Lass-Flörl hingegen argumentierte, dass es aus medizinischer Sicht unklar sei, ob wir aus der gegenwärtigen Situation tatsächlich etwas für die Zukunft lernen könnten, denn wir wissen nicht, welche Mikrobe als nächste eine Pandemie auslösen würde. 

Ein wichtiges Themenfeld in der Diskussion war der Umgang der Medien mit der Corona Pandemie und die daraus resultierenden Konsequenzen, die sich daraus für die Historiker*innen der kommenden Generationen ergeben würden. Im Zentrum stand die Frage des Wahrheitsgehalts von Nachrichten. Es wurde festgehalten, dass, egal welche Quellen Historiker*innen benutzen, es ja immer nur darum gehen kann, wie die Quellen verwendet werden. Quellenkritik und Transparenz seien immer von Nöten.

Aus der Sicht der Medizin muss der Wahrheitsgehalt in der medialen Berichterstattung aber sehr wohl problematisiert werden. Ganz eindeutig äußerte sich Cornelia Lass-Flörl dahingehend, dass die Arbeitsweise der Medien verbesserungswürdig sei. Es müsse besser recherchiert und intensiver hinterfragt werden. Lass-Flörl gehört zu den Top-1-Prozent der meistzitierten Mediziner*innen weltweit und hat auf Grund ihrer eigenen Erfahrung nun beschlossen, zu gewissen Themen der Corona-Politik – wie Massentests oder die Öffnung der Skigebiete – nicht mehr öffentlich Stellung nehmen. Die Experten sollen, so die Medizinerin, sich dauernd zu neuen Entwicklungen in der Corona-Politik äußern, was sie einen ungemeinen Zeit- und Mediendruck aussetzt. Die folgende Berichterstattung ist Lass-Flörl zufolge dann allerdings sehr einseitig. Die Journalisten bringen zu Papier, was sie für die Quintessenz der Aussage halten, was nicht selten zu Fehlinterpretationen führe. Hier wird klar, dass der Umgang mit den Medien sehr schwierig, aber auch wichtig ist, denn sie sind das öffentliche Sprachrohr zwischen den Experten und der breiten Öffentlichkeit.

Die Abschlussdiskussion der virtuellen Tagung Corona verstehen war aufgrund der Gäste, die alle eine sehr klare und nachvollziehbare Position vertraten und der Konzentration auf einige wichtige Standpunkte sehr gewinnbringend. Besonders interessant waren für mich die Ausführungen von Cornelia Lass-Flörl, die den medizinischen Standpunkt klar und verständlich für Laien darstellen konnte. Zudem entstand der Eindruck, dass sie, besonders beim Thema Medien, nicht nur als Expertin sprach, sondern auch als Mensch, der ehrlich seine ganz persönliche Erfahrung und auch Enttäuschung in dieser Situation zu Ausdruck brachte. Und klar wurde, wir sind alle Menschen, die mitten in dieser Pandemie versuchen, dieses Thema wissenschaftlich aufzuarbeiten und zu verstehen, sei es, um als medizinische Expert*innen der Politik Ratschläge zu erteilen oder um die Geschehnisse für spätere Generationen verständlich zu machen.

(Veronika Klein)

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