11.11.2020: Tagung Laïcité

Podiumsdiskussion: „Laïcité: Ist die Trennung von Staat und Religion, wie sie in Frankreich gelebt wird, ein Modell für Europa?“

Liberté, Égalité, Fraternité, Laïcité? 

Zu einer Podiumsdiskussion: „Laïcité: Ist die Trennung von Staat und Religion, wie sie in Frankreich gelebt wird, ein Modell für Europa?“ luden am 11.11.2020 der Frankreich-Schwerpunkt, die Katholisch-Theologische Fakultät und das Zentrum für interreligiöse Studien der UIBK ein. Die virtuelle Veranstaltung fand großen Anklang beim interessierten Publikum.

In ihrer Begrüßung beschrieb die Leiterin des Frankreich-Schwerpunkts, Prof. Eva Lavric, die Laïcité als „eine sehr französischen Besonderheit, die neben Liberté, Égalité, Fraternité als viertes Prinzip der Republik in der politischen Kultur Frankreichs eine für uns nicht immer verständliche und nach­vollziehbare Rolle spielt.“

Wie war es zu der Idee dieser Veranstaltung gekommen? Am Anfang stand, wie so oft, eine Studierende: Mag. Petra Juen, die ihre Diplomarbeit über die Laïcité an Frankreichs Schulen geschrieben hatte, wie sie sie während ihres Sprachassistenz­jahres in Bordeaux hautnah erlebt hatte. Für diese Arbeit hatte Petra Juen den Frankreich-Preis 2018 bekommen, und bei der Verleihung dieses Preises hatte sich, bei Wein und Brötchen, zwischen ihrer Betreuerin, Prof. Martina Kraml, Prof. Eva Lavric vom Frankreich-Schwerpunkt und dem Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, Prof. Josef Quitterer, ein Gespräch ergeben, bei dem die Idee der Veranstaltung geboren wurde.

Als Gastvortragende konnte Frau Prof. Sylvie Le Grand gewonnen werden, eine Germanistin von der Universität Paris Nanterre, die als Zivilisationistin schon etliche Publikationen zur Laïcité, oft vergleichend zwischen Frankreich und Deutschland, herausgebracht hat.

Die Diskussion brachte sehr vielfältige Beiträge aus der Perspektive der verschiedensten Disziplinen; als Modera­torin fungierte Frau Prof. Dr. Brigitte Mazohl vom Institut für Geschichts­wissen­schaften und Europäischer Ethnologie.

Einen wichtigen Impuls gab die schon erwähnte Mag. Petra Juen, inzwischen Mitarbeiterin und Dissertantin am Institut für Praktische Theologie im Bereich Religionspädagogik. Sie berichtete folgende Beobachtung: In einer Deutschstunde an einer Schule in Bordeaux hatte die Lehrerin ganz nebenbei ihre Religionszugehörigkeit erwähnt. In der letzten Reihe diskutierten daraufhin zwei Schülerinnen heftig darüber, ob sie das überhaupt tun dürfe: Die eine meinte, das widerspreche dem Prinzip der Laïcité, also der religiösen Neutralität des Staates; die andere entgegnete, die Lehrerin dürfe sehr wohl ihr religiösies Bekenntnis preisgeben, sie dürfe allerdings auf keinen Fall die SchülerInnen missionieren.

Als zweite Rednerin betonte Prof. Sylvie Le Grand die Vielschichtigkeit des Begriffs „Laïcité“, der seit seiner Prägung im 19. Jahrhundert (Troisième République) vor allem eine neutrale Haltung des Staates gegenüber sämtlichen Religionsgemeinschaften bezeichnete, die sich insbesondere in Institutionen wie der Schule konkretisieren sollte. Es gehe also um einen sekulären Staat im Gegensatz zu dem lange mit der Monarchie assoziierten Klerikalismus. Das bedeutete damals bei machen Politikern durchaus eine dezidiert antireligiöse Haltung. Die meisten, insbesondere der für die Schulreform verantwortliche Jules Ferry, sahen im Prinzip der Laïcité aber vor allem eine Freiheit und Gleichheit für Personen verschiedener Religionsbekenntnisse. Heute sei es nicht mehr katholische Kirche, die eine Gegenposition zur Laïcité einnehme, sondern in Frage stehe viel häufiger der Islam, wenn z.B. über das Verbot religiöser Symbole (Kleidung…) in der Schule und in anderen Institutionen diskutiert werde.

Der nächste Redner war Prof. Dr. Anton Siebenrock vom Institut für Systematische Theologie, Koordinator des Forschungsschwerpunkts „Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung“. Er betonte, dass die katholische Kirche in Frankreich die Laïcité inzwischen internalisiert und beim Zweiten Vatikanischen Konzil die Anerkennung der Religionsfreiheit als Verfassungsrecht vertreten habe. Die Sekularität des Staates sei eine der größten Errungenschaften des Westens; im Sinne Karl Rahners betonte er: „Ich als Katholik kann für meine Freiheit nur eintreten, wenn ich gleichzeitig für die Freiheit aller anderen eintrete. Wenn das der Kern der Laïcité ist, bin ich dafür!“

Schließlich kam der der bekannte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Anton Pelinka zu Wort, der nach Professuren an der Universität Innsbruck und an der Central European University in Budapest nun an dem von ihm gegründeten Institut für Konfliktforschung in Wien und als Universitätsrat an der UIBK wirkt. Er unterschied zwischen der rechtlichen Trennung von Kirche und Staat einerseits und der mehr oder weniger großen Bedeutung des Religiösen in der Politik andererseits: In staatsrechtlicher Hinsicht sei die Laïcité sowohl in Europa als auch in den USA weitestgehend verwirklicht, im Alltagsleben und im politischen Diskurs gebe es aber große Unterschiede, da in den USA religiöse Motivationen in der Politik eine bedeutende Rolle spielen.

In der darauffolgenden Diskussion mit reger Publikumsbeteiligung ging es auch um die Rolle des Islam und das Modell des konfessionellen Staates, wie es in der arabischen Welt verbreitet ist. Eine Stellungnahme dazu kam von Mag. Dr. Zekirija Sejdini, dem Leiter des Instituts für Islamische Theologie und Religions­pädagogik an der UIBK: Er erinnerte daran, dass Einschränkungen wie das Konversionsverbot und Diskriminierungen religiöser Minderheiten in der Regel mit einem diktatorischen Regime einhergingen, das Menschenrechte generell – nicht nur in religiöser Hinsicht – missachte.

Die Schlussrunde der PodiumsteilnehmerInnen brachte einen überraschenden Konsens durch eine von Prof. Sylvie Le Grand eingebrachte und von Prof. Anton Pelinka aufgegriffene Dimension: Die Gastvortragende beschrieb die Besonderheit der französischen Laïcité damit, dass um sie so viel Aufhebens gemacht und dass sie so verkrampft gelebt werde. Sie appellierte an mehr Gelassenheit und einen lockereren Umgang mit Ausnahmen. Prof. Pelinka brachte daraufhin das Beispiel der Sikhs in Großbritannien, einer religiösen Minderheit, die sich durch strenge Kleidervorschriften, u.a. einem Turbanzwang für Männer, auszeichne. Trotzdem seien die Sikh eine der Stützen der britischen Armee und Polizei, weil für sie bei der Kopfbedeckung ganz einfach, mit britischer Gelassenheit, eine Ausnahme gemacht werde…

Text: Eva Lavric

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