Senat

„REKTORAT BESETZT!“

Linke Studierendengruppen an der Universität Innsbruck zu Beginn der 1970er-Jahre

Rund hundert Menschen – darunter vor allem Mitglieder verschiedener linker Studierendengruppen – versammelten sich in den Semesterferien am 16. Februar 1973 vor den Räumen des Akademischen Senats im Hauptgebäude der Universität Innsbruck. Es handelte sich um einen Protest gegen eine neue Hörsaalordnung, die vom Senat am 23. November 1972 beschlossen worden war. Das Foto dokumentiert dieses außergewöhnliche Ereignis, dem bereits zwei Tage zuvor eine spektakuläre zweistündige Rektoratsbesetzung durch ca. zwei Dutzend Aktivist_innen vorausgegangen war. Für die Innsbrucker Universität, an der „1968“ keine größeren Zwischenfälle heraufbeschworen hatte, waren die Vorgänge ein Novum. Die Aktionen signalisierten, dass linkes Gedankengut nun auch an der Universität Innsbruck bei manchen Studierenden angekommen war.

Nachdem die antiautoritäre Studierendenbewegung spätestens 1969 zerfallen und weitreichende gesellschaftliche Veränderungen ausgeblieben waren, wandten sich manche Studierende verstärkt der Lektüre sozialistischer Klassiker zu und debattierten intensiv über die Frage nach der Organisation sowie den potentiellen Träger_innen einer Revolution. Die verschiedenen marxistisch-leninistischen Splittergruppen, die daraus hervorgingen, wirkten weit über die Hotspots der vorgelagerten großen studentischen Proteste hinaus. Vor allem in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre erfuhren sie eine gewisse Blüte. Entweder mit der „Mao-Bibel“ oder auch den Schriften Trotzkis in der Hand sollten theoretisch geschulte und organisierte Kader die notwendige Aufbauarbeit leisten, um eine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen und sich wieder intensiver der Mobilisierung von Arbeiter_innen widmen, lautete der selbstdefinierte und zugleich selbstbewusste Auftrag.

In Innsbruck konstituierte sich 1971 der Basisgruppenrat (BGR), aus dem zwei Jahre später die maoistische Kommunistische Gruppe Innsbruck (KGI) hervorging. Besonders an der Universität erfuhr sie bemerkenswerten Zuspruch. Bei den ÖH-Wahlen im Jänner 1974 erreichte sie sogar zehn Prozent der Stimmen und damit ein Mandat im Hauptausschuss. Aber bereits ab Mai 1974 konzentrierte sich die KGI – nunmehr unter dem Namen „Kommunistische Studentengruppe (KSG)“ – verstärkt auf die agitatorische Arbeit in Betrieben und verlor an Einfluss unter den Studierenden. In Innsbruck zeitweilig ähnlich aktiv war die 1972 entstandene trotzkistische Gruppe Revolutionärer Marxisten (GRM). Darüber hinaus traten aber noch weitere Vereine in Erscheinung, darunter die Demokratische Studentenbewegung (DSB, 1973–1977), die sich mit dem Zusammenhang von Sozialismus, Wissenschaft, Bildung und Gesellschaft beschäftigte, sowie die linkskatholische bzw. linksliberale AKTION Innsbruck, die formal sogar bis 2004 existierte.

Die einzelnen Gruppen veranstalteten an der Universität unter anderem eine Reihe von „Teach-Ins“ und machten auf ihre (unterschiedlichen) ideologischen Positionierungen sowie gesellschaftspolitischen Anliegen über Flugblätter, Wandtafeln und Büchertische aufmerksam. Neben solchen agitatorischen Tätigkeiten sorgten einige Aktivist_innen mit Protesten für Aufsehen. Im Jänner 1972 äußerten zwei später ausgeforschte Studenten ihren Unmut über die einseitige mediale Berichterstattung in der „Tiroler Tageszeitung (TT)“ durch Diebstahl und Sachbeschädigung zweier TT-Automaten am Universitätsgelände. Eine Delegation Innsbrucker Studierender aus dem Umfeld des BGR beteiligte sich im selben Jahr an der Anti-Nixon-Demonstration in Salzburg anlässlich des Besuchs des US-amerikanischen Präsidenten, die in eine Straßenschlacht zwischen Polizei und Demonstrant_innen mündete. Im Jänner 1972 protestierten Dutzende Studierende anlässlich eines Vortrags von SPÖ-Verteidigungsminister Karl Lütgendorf an der Uni Innsbruck. Seit 1971 wurde österreichweit gegen ihn demonstriert, da er in einer öffentlichen Rede vor dem Kameradschaftsbund auf die positive Rolle des Bundesheeres in der Ersten Republik verwiesen und dabei Anti-Bundesheer-Aktivist_innen verbal attackiert hatte. Aufgrund des enormen Andrangs wurde der Vortrag, der eigentlich im Hörsaal 24 im Keller des Hauptgebäudes der Universität hätte stattfinden sollen, ins Stiegenhaus verlegt. Kritische Sprechchöre machten wiederholte Unterbrechungen notwendig.

Die mediale Aufmerksamkeit, welche die Proteste hervorriefen, ließ schließlich die Universitätsleitung aktiv werden. Nachdem sie bereits Ende 1971 eine Bestandserhebung über die Vereine auf akademischem Boden durchgeführt hatte, galt ihre Aufmerksamkeit nun vor allem dem Basisgruppenrat, der sich bei den geschilderten Aktionen besonders exponierte. Rektor Josef Kolb wandte sich am 2. Februar 1972 an die Sicherheitsdirektion für Tirol und bat um Auskunft über die Anmeldung des Vereins, seine Satzungen und Funktionäre. Da es bei den Protesten gegen Lütgendorf laut Rektor zu kleineren Sachschäden gekommen und die „persönliche Sicherheit des Vortragenden und der Teilnehmer gefährdet“ gewesen sei, wurde in der Sitzung des Akademischen Senats vom 17. Februar 1972 eine Kommission eingesetzt. Diese wurde damit beauftragt „Richtlinien für die Benützung von Hörsälen außerhalb der Lehrveranstaltungen“ anzufertigen. Damit sollte ein Instrument geschaffen werden, um den Einfluss linker Studierendengruppen an der Universität zurückzudrängen. Die Hörsaalordnung wurde noch im November desselben Jahres vom Senat beschlossen.

Als der BGR Anfang 1973 von der Neuregelung erfuhr, ortete er einen „Angriff auf die politischen Freiheiten aller Demokraten“ und forderte in einer Protestresolution die Rücknahme der „repressiven Bestimmungen“. Kritisiert wurden unter anderem folgende Punkte: Das Benützungsentgelt für die Hörsäle wurde von fünfzig auf hundert Schilling erhöht und erstmals eine Anmeldefrist (bis spätestens eine Woche vor dem geplanten Termin) eingeführt. Eine Ankündigung durfte erst nach der offiziellen Genehmigung der Veranstaltung durch den Dekan erfolgen und bei „irreführenden“ Angaben bzgl. des Themas konnte eine Veranstaltung auch kurzfristig durch den Rektor untersagt werden. Um den Spielraum für eine politische Betätigung weiter einzuschränken, wurden außerdem eine Wandtafel der Demokratischen Studentenbewegung aus der Eingangshalle der Universität entfernt und der Betrieb von Büchertischen verboten.

Diese groß angelegten Einschränkungen wirkten mobilisierend. Einige Gruppen, die davon unmittelbar betroffen waren, legten ihre ideologischen Differenzen beiseite und formierten eine Aktionseinheit, darunter KGI, AKTION und DSB. Eine Unterstützungserklärung wurde von rund dreihundert Personen unterschrieben. In Anbetracht der aufgeheizten Stimmung schaltete sich auch die ÖH ein und führte Gespräche mit Rektor Bratschitsch. Im Zuge dieser Sitzung am 14. Februar drangen dreißig Aktivist_innen in das Büro des Rektors ein, da sie befürchteten, dass die ÖH – auf den Rücken der Studierenden – an einem „faulen Kompromiss“ arbeite. Der Auftritt brachte einen Teilerfolg: Die beschlagnahmte Wandtafel wurde zurückgegeben und zwei Tage später sollte in einer Sondersitzung des Senats über die Abänderung der Hörsaalordnung debattiert werden. Während dieser Sitzung fanden sich vor dem Senat rund hundert protestierende Student_innen ein, für die Ferienzeit eine beachtliche Zahl.

Aus Sorge vor einer Eskalation hatte vor der Universität die Polizei Posten bezogen und der FPÖ-nahe Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) stellte sich selbst als „Saalschutz“ zur Verfügung. In dieser angespannten Situation sei laut Bericht der „TT“ eine Stinkbombe in den Sitzungssaal geworfen worden, am Tag darauf war zusätzlich von zerbrochenen Fensterscheiben die Rede, auch hätten „unbekannte Täter“ vorübergehend den Strom abgeschaltet. Die Proteste zeigten allerdings keine Wirkung. Der Senat wies die Forderungen der Studierenden zurück. Weil sich Bratschitsch nicht – wie in Folge der Rektoratsbesetzung angekündigt – für eine Rücknahme der Hörsaalordnung eingesetzt hatte, forderte die ÖH den Rektor zum Rücktritt auf, zugleich distanzierte sie sich aber auch von den Aktionen der linken Studierendengruppen.

Eine Woche später, nachdem die ÖH mit Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg persönlich Gespräche geführt hatte, wurden die Hörsaalordnung und das Verbot Wandtafeln aufzustellen doch noch aufgehoben, Reglementierungen aufgrund solcher Vorkommnisse allerdings schon bald wieder im Universitäts-Organisationsgesetz (UOG) von 1975 verankert. Dem Basisgruppenrat, der sich unmittelbar nach und damit wohl beeinflusst von den Geschehnissen rund um die Rücknahme der Hörsaalordnung, zur Kommunistischen Gruppe Innsbruck umbildete, blieb indes der Betrieb ihres Büchertischs mit Verweis auf die Gewerbeordnung untersagt. Er mutierte daraufhin zum Info-Stand, der gegen keine Verbote verstieß. In ihrem Publikationsmedium, der Kommunistischen Studenten Zeitschrift (KSZ), deuteten sie das Vorgehen der Universitätsleitung als Ausdruck eines „allgemeinen repressiven Kurses des bürgerlichen Staates“ gegen „fortschrittliche“ Studierendendgruppen, der in ähnlicher Form an verschiedenen österreichischen Universitäten zu beobachten sei. Ihr „demokratischer Kampf“, den sie als Teil einer größeren Gegenbewegung verstanden, gehe deshalb weiter.

 (Marcel Amoser)

 

Marcel Amoser, Studentischer Protest an der Universität Innsbruck von den 1960ern bis in die 1980er, in: Margret Friedrich/Dirk Rupnow (Hrsg.), Geschichte der Universität Innsbruck 1669–2019. Band II: Aspekte der Universitätsgeschichte, Innsbruck 2019, S. 337–389.

 

Marcel Amoser ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte und arbeitet derzeit an einer Dissertation zu sozialen Bewegungen von den 1960ern bis in die 1980er in Innsbruck.   

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