Zur Ausstellung 
Günter Lierschof

09. November 2018

   

Günter Lierschof

In der Vorbereitung auf diese kurze Einleitung habe ich ein wenig in meinem Archiv gestöbert und bin auf eine Ausstellung gestoßen, die ich für Günter Lierschof vor exakt zehn Jahren in der Hofburg hier in Innsbruck eröffnet habe.

Mit den damaligen Worten möchte ich heute beginnen: „Lierschof legt uns zu seinem runden Geburtstag sozusagen einen großen Bildentwurf eines kosmos humanus vor, der nicht nur erzählen will, sondern durchaus auch normativen Anspruch hat.“ Was Lierschof damals zeigte, waren Stadtbilder, sie waren eher dunkel und düster. Ich sagte damals weiter: „... es schälen sich bedrückende Stadtbilder aus dem Dunkel. Die Einsamkeit dargestellter Menschen ist vielleicht auch die Einsamkeit des Geistes in der Öde einer Jux- und Spaßgesellschaft. Es ist die alte Ambivalenz der Stadt angesprochen, von Ernst und Spaß, von Dunkel und Hell, von erstarrter Konvention und dynamischer Innovation.“

Etwas kurios ist das deshalb, weil wir heute wieder vor Stadtbildern stehen, aber diesmal herrscht keine düstere Stimmung, sondern eine andere, eine lichte, humorvolle, bisweilen ironische.

Bild Günter Lierschof

Zwischen der damaligen und der heutigen Ausstellung liegt jedenfalls ein Erlebnis, das unseren Künstler schwer beeindruckte. Vor einigen Jahren stieg er ohne große Erwartung, mehr zur Zerstreuung und zufällig, in Domodossola aus dem Zug und stieß auf dem Bahnhofsvorplatz auf ein jugendlich verliebtes Paar, das sich völlig selbst genügte und gar nicht bemerkte, wie ein junger Elefant über den Platz schritt und zum Gaudium der Umstehenden an Günter Lierschof zu schnuppern begann.

Der wohlklingende Ort an der Grenze zur Schweiz war, wie seine Recherchen später ergaben, nach dem Krieg eine Hochburg der Partisanen, die den Faschisten eine Zeit lang trotzig die Stirn boten.

BIld Günter Lierschof

Domodossola, dieses unverhoffte Erlebnis zwischen jugendlicher Verliebtheit und der Zuneigung eines Zirkus-Elefanten wurde ihm zu einem Brennglas aller Träume und Begehren, die er in den letzten zehn Jahren in Stunden der Muße und des Überschwanges auf Papier gekritzelt hat, mal sparsam, mal üppig, mal gemäß dem disegno, mal gemäß dem colorire. Alle diese Traumgeschichten hat er für diesen Abend – in kreativem Austausch mit seinem alten Künstlerfreund Peter Blaas – in Rahmen gesetzt, die Passepartouts gestaltet, die Rahmen bemalt, manchmal Geistesblitze auf das Glas geschrieben. Es ist das alte ut pictura poesis (das Bild in der Erzählung und die Erzählung im Bild), das Plutarch dem Chorlyriker und Dichter Simonides von Keos zuschrieb.

 Bild Günter Lierschof

Nun hat, um an meine Eindrücke vor zehn Jahren anzuschließen, der Erzählgestus über seinen kosmos humanus durchaus normativen Anspruch. Es ist ein pessimistisches Menschenbild, das Lierschof ausbreitet. Dass die Welt nicht noch viel schlimmer ist, als sie ohnehin ist, ist – und das ist nun für einen Beuys-Schüler und einem jedenfalls halben, wenn nicht doch ganzen Alt-Achtundsechziger doch ein erstaunliches Fazit – den sozialen Rahmen und Institutionen geschuldet. Und wenn Theodor Adorno bei seinen textlichen Minima Moralia von Reflexionen aus dem beschädigten Leben spricht, resümiert Lierschof seine bildlichen Minima Moralia im Text über Kriegskind und Elefanten-Tanten: „Liebe ist dann das, was in Domodossola über alle Beschädigungen hinweg immer wieder Frieden stiftet.“ 

 Bild Günter Lierschof

Menschen domestizieren Sozialformen und Sozialformen domestizieren Menschen – das scheint das einigermaßen beruhigende Fazit Lierschofs zu sein und auch: in einer Stadt zu träumen, die standhaft gegen rechte Horden geblieben ist, von denen wir zur Zeit wieder mehr denn je umzingelt sind. Sie scheuen das Versöhnende, den Humor, die Kunst und die Liebe und sie scheuen, gebannt vom Blick auf das vermeintlich große Ungemach, die kleinen augenzwinkernden Erzählungen, wie sie Lierschof mit unbändiger Geschwätzigkeit vor uns ausbreitet.

Bild Günter Lierschof

Nicht damit rechnend, dass ich schon nach zehn Jahren wieder ein paar Worte zu Günter Lierschof, den Künstler, sagen sollte, habe ich in der Ausstellung 2008 zum Schluss angemerkt: „Seine Weltkommentierung seiner zweiten drei Dezennien ... führt er uns heute vor und wir dürfen gespannt sein, wie die gereifte Schildbeschreibung Lierschofs aussieht, wenn wir uns hier zu seinem Neunziger wieder einfinden werden.“

Soweit sind wir noch nicht, sondern davon noch weit entfernt. Umso mehr wird sein runder Geburtstag auch diesmal gefeiert mit Wein und ein paar Happen am Buffet.

Bild Günter Lierschof

bis 14. Dezember
Text: Bernhard Braun

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