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1. Nicht ohne das Alte Testament

Das Drama Jesu fängt bei der Tatsache an, daß er als Jude geboren wurde, gelebt hat und gestorben ist. Sein Drama hat konstitutiv etwas mit den geradezu atemberaubenden Transformationen der Tradition dieses Volkes zu tun. Schwager ist einer der wenigen katholischen Dogmatiker, die sich vom Alten Testament und dessen Lebens- und Glaubensnerv leiten lassen. Die Frage, warum angesichts der politischen Katastrophen ­ vor allem jener des Exils ­, angesichts eines eindeutigen Gewalt- und Vernichtungsurteils diese Tradition nicht untergeht, sondern in ihr goldenes Zeitalter eintritt, stellt ihm kein zweitrangiges Problem dar; Schwager erblickt in dieser Frage den privilegierten Zugang zur Gottesproblematik. Die erfahrene, aber auch angetane Gewalt transformiert die Glaubenstradition radikal: Als Gewaltopfer, Gewalttäter und nochmals Gewaltopfer werfen die Juden ihre Frage nach Gott auf und beantworten diese auf unterschiedliche, scheinbar gegensätzliche Art und Weise. Weil sich nun Schwager mit der postmodernen Auflösung der Erzähltraditionen nicht zufrieden gibt, zudem aber auch die kirchliche Einheit beider Testamente nicht zu einem Lippenbekenntnis verkommen lassen will, zeichnet er die Grundlinien des einen Dramas, das sich zwischen Gott und den Menschen abspielt. Und es gehört wohl zur Logik der Dramatik, daß eindeutige Positionen angreifbar bleiben: Wie kaum einer der gegenwärtigen Dogmatiker wird Schwager selbst zu Unrecht der marcionistischen Versuchung verdächtigt.

Die Kategorien René Girards aufgreifend, lieferte Schwager in Brauchen wir einen Sündenbock? einen bibeltheologischen Entwurf, der nicht nur die Notwendigkeit einer neuen Hermeneutik postulierte, sondern diese auch konkret präsentierte. Schwager buchstabiert dort die Problematisierung der Gewalt durch die hebräische Bibel, indem er auf die Verdichtung der Gewalterfahrung im theologischen Kontext hinweist: Jahwe wird als der Gewalttäter par excellence geglaubt. Schrittweise, wird dieser Glaube als Täuschung erkannt, die Gewalt aber radikal in Frage gestellt, indem das Bild eines gewaltfreien Gottes anzeigt wird.(10) Mit der Falsifizierung der Gewaltfrage im Kontext des Gottesbildes wird aber keineswegs die Frage der Gewalt gelöst. Die Tatsache, daß Gewalt kein Prädikat über Gott sein kann, sagt gar nichts aus über die Fähigkeit des Menschen, sich gewaltfrei zu verhalten.

Deswegen ist das Drama Jesu, das Drama seines Lebens und Sterbens in die Geschichte dieser Transformationen eingeschrieben und schreibt selbst die Geschichte der Transformationen weiter fort. Jesus ­ der die Botschaft von einem radikal gewaltfreien Gott verkündet ­, seine Freunde und Feinde, seine Nachfolger und deren Gegner transformieren durch ihr Reden und Tun, durch ihr Leben und Sterben den Glauben an Gott und an die Beziehung Gottes zur Gewalttätigkeit unter den Menschen. Schwager beschäftigt sich mit der Frage nach der Gewalt nicht aus irgendwelchen ethisch-politischen Interessen ­ deswegen ist ihm diese Geschichte keine unendliche ­, sondern wegen der damit verbundenen ­ grundsätzlichen ­ Transformationen des Gottesbildes.(11) Die vielfältigen Impulse der alttestamentlichen Geschichte sind ihm systematisierbar und reduzierbar, auch wenn dies weder begrifflich noch narrativ möglich ist. Über Girards Ansatz hinausgehend, reklamiert er eine programmatische Reduktion der vielfältigen Geschichte des Alten Testamentes in der Geschichte Jesu Christi. Sein Geschick wird somit zur Kurzformel aller partikulären historischen Dramen: Jesus ist der Sündenbock.(12) Welche Akte sind nun in seinem Drama zu unterscheiden?

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