Panel 13: Gesundheitsstatistiken / Big Data / Prognostik

Nicole Hacksteiner

Abstract

Corona und die Zahlen

Im Rahmen des 13. Panels „Gesundheitsstatistiken/Big Data/Prognostik“ der Tagung „Corona verstehen. Die Pandemie aus der Sicht der Geistes- und Kulturwissenschaften“ wurde ein interdisziplinärer Blick auf dieses hochaktuelle Thema geworfen. Auch Wolfgang Meixner, der dieses Panel moderierte, betonte eingangs, dass neben Virologen vor allem auch Statistiker und Prognostiker in Diskussionen zu Wort kämen. Dass Statistiken nicht nur in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften, sondern auch in der Medizingeschichte eine nicht unbedeutende Rolle spielen, bewies Michael Pammer (Linz) in seinem Vortrag „Die Daten zur Epidemiologie im 19. Jahrhundert“, in dem er vor allem auf die Quellenlage in Österreich-Ungarn einging. Pammer verwendete für seine Forschung hauptsächlich Mortalitätsstatistiken, die auf die Totenbeschau zurückgehen und relevanten Daten zu den Personen und jeweiligen Todesursachen enthalten. Diese gibt es auch in aggregierter Form, aufgearbeitet von der k. k. Statistischen Zentralkommission und nach den häufigsten Krankheiten sortiert. Zum Schluss seiner Präsentation erläuterte Michael Pammer die Individualdatenverwendung, dabei werden für jedes Haus eines Gebietes die gesamten Masernfälle pro Haus erfasst, damit kann man den zeitlichen Verlauf bei Masernausbrüchen erfassen. Diese Methode wandte Pammer bei seinen Untersuchungen zu den Masernausbrüchen 1894 in Linz an.

Einen anderen Blickwinkel auf die Corona-Pandemie bot der Soziologe Carlos Watzka (Linz) im zweiten Vortrag „(Falsch-)Information, Emotion und Reaktion in Zeiten der Epidemie – Erkenntnismöglichkeiten der mentalitätsgeschichtlichen und wissenssoziologischen Forschung“. Watzka beschäftigte sich darin eingehend mit dem Phänomen des „Emotionszentrismus“, d. h., dass es bei kollektiven Gefährdungslagen, wie beispielsweise Pandemien, zu einer realitätsverzerrenden Umdeutung der Situation durch Menschen kommen kann, um die Lage besser begreifen zu können. In diesen Bedrohungslagen kommt es daher zu mentalen Prozessen, in denen nach „problem- oder emotionszentrierten Bewältigungsstrategien“ gesucht wird. In der problemzentrierten Strategie suchen Menschen vor allem nach Lösungen, in der emotionszentrierten nach Ablenkung durch Konzentration auf andere Themen oder Handlungen. Dadurch kann es auch zu nicht konstruktiven psychischen Abwehrmechanismen nach Freud kommen, dazu zählen die Verleugnung (man nimmt es wahr, aber nicht an), die Verneinung (Gefühle werden ausgeblendet), die Verschiebung (negative Emotionen wie Aggression richtet sich auf andere Gegenstände, z.B. Feinde) und die Projektion (Gefühlslage wird den wahrgenommenen Feinden zugeschrieben). Durch diese Abwehrmechanismen kann es zu Derealisation, Depression, Angststörung und paranoische Störungen und zur Entstehung alternativer Weltsichten kommen, was wiederum zu einem falschen Umgang mit der Pandemie führe. Im dritten Vortrag „Der „R-Faktor“: Epidemiologie als virale Sozialwissenschaft“ befasst sich der Philosoph Andreas Oberprantacher (Innsbruck) mit der genealogischen Verbindung zwischen Epidemiologie und Sozialwissenschaft. Argumente seines Vortrages waren, dass epidemiologische Gegenmaßnahmen wie „social distancing“ das Bild von sozialen Kontakten prägen und dass die Reproduktionszahl als entscheidungsrelevant angesehen würde, andere Faktoren würden dagegen kaum zur Kenntnis genommen. Der letzte Vortragende des Panels, Peter Willeit (Innsbruck), bot in seinem Vortrag „Epidemiologische Studien zu Covid-19 und was wir davon ableiten“ einen epidemiologischen Blick auf die Pandemie. Er sprach über alle Schritte, die für eine epidemiologische Studie nötig sind, beginnend mit der Datenerfassung. Im Falle von Covid-19 werde in Österreich, so Willeit, das AGES Dashboard täglich aktualisiert, mithilfe dieser Daten dann mathematische Modellierungen vorgenommen, die Prognosen zuließen. Willeit erklärte zudem einen Teil der Studien, an denen aktuell in Österreich gearbeitet wird, dazu zählen die „Ischgl-Studie“ als Lokalstudie sowie die „Gurgel-Studie“ an Schulen als österreichweites Beispiel.

Meiner Meinung nach war jeder Vortrag für sich äußerst interessant, allerdings ist das Zusammenführen des Themas leider nicht ganz gelungen, was wohl an den sehr unterschiedlichen Professionen der Vortragenden liegen mag. Dieses Panel hat aber gezeigt, dass statistische Methoden in vielen Disziplinen einen hohen Stellenwert einnehmen und nicht zuletzt auch für Historiker*innen ein reiches und fruchtbares Betätigungsfeld darstellen.

(Nicole Hacksteiner)

Zurück zur Übersicht


Nach oben scrollen