Tagungsbeschreibung

Ziel der Tagung ist der wissenschaftliche Austausch von Expert*innen aus dem Bereich der Audiovisuellen Übersetzung, die zwar seit dem Beginn der 1990er Jahre verstärkt Gegenstand akademischer Beschäftigung ist, sich in Abhängig­keit von unserem schnelllebigen Medienverhalten aber stetig wandelt. Konkret gilt es, während der zweitägigen Konferenz, neue Formen und aktuelle Tendenzen der Audiovisuellen Über­setzung zu beleuchten. Folgende Fragestellungen sollen den Schwerpunkt der Tagung bilden und durch die Beiträger*innen vorgestellt werden.

Vom semiotischen Standpunkt her gesehen, zählen Film- und Fernsehformate zu den komplexesten Kommunikationsformen, da in ihnen Elemente unterschiedlicher Zeichensysteme – gesprochene und geschriebene Sprache, Musik und Geräusche, Bewegtbild (Kameraeinstellung, Kameraführung, Farbe etc.) – in vielfältiger Weise interagieren und ein kohärentes Ganzes bilden. Die Kopräsenz unterschiedlicher Zeichentypen in Kommunikat wie diesen wird in den unterschiedlichsten Fachkontexten erforscht und erhält dementsprechend auch unterschiedliche Namen: In den Literatur- und Kulturwissenschaften wird verstärkt von ‚Pluri-‘, ‚Multi-‘ oder ‚Intermedialität‘ gesprochen, während die Sprachwissenschaft und vor allem die englischsprachige Semiotik von Multimodalität (multimodality) spricht. In der Translationswissenschaft kursiert auch der mit der traditionellen semiotischen Begrifflichkeit kompatible Terminus der „Polysemiotizität“ (vgl. Gottlieb 1997, 2005; Agnetta 2019). Die Modellierung eines einheitlichen Rasters zur Beschreibung der Interrelationen von Polysemiotizität und Translation mit deutlichem Bezug auf Fernsehformate kann heute noch als Desiderat gelten.

Beim Transfer von Filmen und Serien werden Änderungen an diesen ganzheitlichen Formen vorgenommen, um ihnen in der Zielkultur eine leichtere und breitere Rezeption zu ermöglichen. Beim prinzipiell erhaltenden Kulturtransfer über Sprachgrenzen hinweg sollen i. d. R. lediglich die ausgangssprachlichen durch zielsprachliche Elemente ausgetauscht (Synchronisation) oder um selbige ergänzt werden (Untertitelung). Dies geschieht allerdings nicht ohne Folgen für die anderen involvierten Zeichenressourcen, die neu disponiert, verändert, getilgt und erweitert werden. Der interkulturelle Transfer von Fernsehprodukten kann demnach als Aufbrechen einer ganzheitlichen Form und als Zusammenfügen einiger ursprünglich gegebener und hinzutretender Elemente zu einer neuen Ganzheit konzipiert werden. Er eröffnet auf diese Weise einen Raum, in dem es zwar potenziell Verluste zu verzeichnen, aber auch Potenziale auszuschöpfen gilt. Diesem Forschungsbereich widmen sich die seit den 1990er Jahren vorangetriebenen Audiovisual Translation Studies (AVTS), in denen literatur-, kultur-, medien‑, sprach- und translationswissenschaftliche Schwerpunktsetzungen auszumachen sind. Diese nehmen allerdings nur begrenzt voneinander Notiz. Angestrebt wird mit der Tagung auch der inter- und transdisziplinäre Dialog zum hier interessierenden Phänomen.

Die beiden meistgenannten Verfahren Synchronisation und Untertitelung sind lediglich zwei For­men der Audiovisuellen Übersetzung oder ‚screen translation‘ (Chiaro/Heiss/Bucaria 2008). Gegenwärtig rücken neben diesen auch das Voice-over, das vor allem in do­kumentarischen Formaten und als verbreitetste Transferstrategie in Ländern wie Polen Anwendung findet, und neue und partizipative Formen der Audiovisuellen Übersetzung in den Fokus der Forschung (vgl. hierzu einführend Diaz Cintas/Orero/Remael 2007; Romero Fresco 2013). Ganz kon­kret sind der letztgenannten Kategorie die Untertitelung für Hörgeschädigte und Gehörlo­se (vgl. Mälzer/Schulz/Wünsche i. V.), die live-Untertitelung (vgl. Romero Fresco 2016), die Au­diodeskription für sehgeschädigte und blinde Personen (Hammer/Mälzer/Wünsche 2015) so­wie die Filmverdolmetschung in Zeichensprache zu subsumieren. Trotz der Publikation einiger relevanter Studien auf diesem Gebiet in den letzten anderthalb Jahrzehnten, sind Beiträge zur inklusiven Film- und Fernsehtranslation sowie Ansätze aus dem Bereich der Barrierefreie-Kom­munikationsforschung noch nicht umfassend im Diskurs der Audiovisual Translation Studies verankert.

 

Quellen: Agnetta, Marco (2019): Ästhetische Polysemiotizität und Translation. Glucks Orfeo ed Euridice (1762) im interkulturellen Transfer (= Crossing Semiotic Borders, Bd. 2). Hildesheim: Georg Olms Verlag. | Agnetta, Marco (i. V.): „Kompensation und Redundanz. Zwei Prinzipien der Text-Bild-Beziehung in leicht verständlichen Kom­munikaten“. In: trans-kom. | Chiaro, Delia / Heiss, Christine / Bucaria, Chiara [Hrsg.] (2008): Between Text and Image. Updating Research in Screen Trans­lation. Amsterdam: Benjamins. | Diaz Cintas, Jorge / Orero, Pilar / Remael, Aline [Hrsg.] (2007): Media for All. Subtitling for the Deaf, Audio Description, and Sign Language. Amsterdam: Rodopi. | Gottlieb, Henrik (1997): „Quality Revisted: The Rendering of English Idioms in Danish Television Subtitles vs. Printed Transla­tions“. In: Trosborg, Anna [Hrsg.] (1997): Text Typology and Trans­la­tion (= Benjamins Translation Library, Bd. 26). Am­sterdam / Philadelphia: John Benjamins. S. 309–338. | ders. (2005): „Multidimensional Translation: Semantics turned Semiotics“. In: Proce­eding of the Marie Curie Con­ference Series Multidimensional Translation – MuTra: First Con­ference: ‘Challenges in Multidimensional Translation’. 2.–6. Mai 2005, Saarbrücken. URL: <http://www.euroconferences.info/ proceedings/2005_Proceedings/2005_Gottlieb_Henrik.pdf> (20.02.2021). | Hammer, Philipp / Mälzer, Nathalie / Wünsche, Maria (2015): „Audioeinführungen als Zusatzangebot zur Au­diodeskription“. In: trans-kom 8/1. S. 164–178. URL: http://www.trans‑kom.eu/bd08nr01/trans‑kom_0 8_01_08_Hammer_Maelzer_Wuensche_Audioeinfuehrung.20150717.pdf (20.02.2021). | Jakobson, Roman (1959/1974): „Linguistische Aspekte der Übersetzung”. In: ders. [Hrsg.]: Form und Sinn. München: Will­helm Fink Verlag. S. 154–161. | Mälzer, Nathalie / Schulz, Saskia / Wünsche, Maria (i. V.): Standards für die TV-Untertitelung gehörloser und schwerhöriger Kin­der. Ergebnisse aus zwei empirischen Studien. Berlin: Frank & Timme. | Pavesi, Maria (2005/2014): La traduzione filmica. Aspetti del parlato doppiato dall’inglese all’italiano (= Lingue e letterature Ca­rocci, Bd. 56). Roma: Carocci editore. | Perego, Elisa (2005/2020): La traduzione adiovisiva (= Bussole, Bd. 184). Roma: Carocci editore. | Romero Fresco, Pablo (2013): „Accessible filmmaking: Joining the dots between audiovisual translation, accessibility and film­making“. In: The Journal of Specialised Translation 20. S. 201–223. | ders. (2016): „Accessing communication: The quality of live subtitles in the UK“. In: Language Communication 49. S. 56–69. | Rutelli, Romana (2004): Dal libro allo schermo. Sulle traduzioni intersemiotiche dal testo verbale al cinema (= La Piazza Uni­ver­sale, Bd. 1). Pisa: Edizioni ETS.

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