Was kümmern uns Plagiate? Oder: Warum Plagiate für Bibliothek und Wissenschaft (k)ein Problem sind.

Dr. Klaus-Rainer Brintzinger

Karl-Theodor zu Guttenberg war kurzzeitig deutscher Verteidigungsminister, der nicht wegen der epochalen Abschaffung der Wehrpflicht im kollektiven Gedächtnis verankert ist, sondern weil sich 2011 herausstellte, dass seine mit summa cum laude bewertete Dissertation aus Zeitungs- und anderen Quellen zusammenkopiert war. In der Folge musste nicht nur der Minister zu Guttenberg zurücktreten, eine ganze Reihe überwiegend politisch herausragender Persönlichkeiten verloren Amt oder Mandat, nachdem in ihren Dissertationen nicht gekennzeichnete Übereinstimmungen mit fremden Werken nachgewiesen wurden. War die Guttenberg-Dissertation einem Fachkollegen aufgefallen, so hatte sich im Anschluss eine ganz neue Branche gebildet: die Profession der Plagiatsjäger, die motiviert vom Erkenntnis- oder Erwerbsinteresse vornehmlich Dissertationen, aber auch andere Veröffentlichungen auf Textähnlichkeit überprüfen.

Auf der einen Seite wird begrüßt, dass Dissertationen, die nicht den Ansprüchen guter wissenschaftlicher Praxis entsprechen, aufgedeckt werden, auf der anderen Seite stellt sich für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens die Frage, ob eine Dissertation ein Karrierekiller ist.

Zwei Fälle hatten in der jüngsten Zeit der Diskussion neue Dimensionen verliehen:
2021 hatten die von dem österreichischen Plagiatsjäger Stefan Weber erhobenen Vorwürfe gegen die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/ Die Grünen, Annalena Baerbock, die deutsche Bundestagswahl 2021 in erheblicher Weise beeinflusst. Die Plagiatsvorwürfe richteten sich dabei jedoch nicht gegen ein wissenschaftliches Werk, sondern gegen ein von der Politikerin offensichtlich rasch geschriebenes Sachbuch.

Wie hoch das Missbrauchs- und Gefahrenpotential der Plagiatsjägerbranche inzwischen ist, zeigte sich 2022: Der gegen den Münchner Rechtsmediziner Matthias Graw erhobene Vorwurf, für seine Dissertation aus den 1980er Jahren ungekennzeichnet Teile aus einer entlegenen Quelle entnommen zu haben, erwies sich nicht nur als unhaltbar, sondern als eine von langer Hand inszenierte Rufmordkampagne mit eigens dafür gefälschten Quellen.

Für Bibliotheken stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie mit plagiatsverdächtigen Werken umzugehen ist. Manche Bibliotheken glaubten, die Guttenberg-Dissertation aus dem Bestand nehmen zu müssen oder in den Giftschrank zu verbannen. In einer ersten Stellungnahme hatte der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) empfohlen, Dissertationen von Autor:innen, denen der Doktorgrad rechtskräftig entzogen wurde, im Bestand zu lassen, aber im Katalog entsprechend zu kennzeichnen. Doch wann haben Bibliothekar:innen zuvor jemals Urteile über die Qualität oder über die Seriosität eines Werkes in den Metadaten hinterlegt?

Die Sektion für wissenschaftliche Bibliotheken des dbv hatte sich diesen ursprünglichen Empfehlungen nicht angeschlossen und nach intensiver Diskussion einen vorläufigen Kompromiss erzielt: Wird der Doktorgrad wegen einer wissenschaftlichen Verfehlung rechtskräftig entzogen, so soll in den Metadaten der Dissertationsvermerk gelöscht werden.

Die Diskussion ist damit jedoch noch längst nicht zu Ende. Wie erfährt die Bibliothek vom Entzug des Doktorgrades? Wie geht man mit elektronisch veröffentlichten Dissertationen um, was passiert mit Werken, die keine Dissertationen sind und wie gehen Bibliotheken mit Werken um, bei denen die gute wissenschaftliche Praxis verletzt wurde – z.B. durch fehlerhafte Daten – ohne dass ein Plagiat vorliegt? Ist hier überhaupt Handeln von Bibliotheken gefragt?

Daran schließend stellt sich eine weitreichende, grundsätzliche, wissenschaftsethische und erkenntnistheoretische Frage an: Machen Plagiate ein Werk unwahr oder falsch? Oder sind es eher Regelverletzungen? Was sind falsche Werke? Und wie ist damit - auch in Bibliotheken – umzugehen?

In dem Beitrag soll gezeigt werden, wie Bibliotheken gelassen mit diesem Thema umgehen können.

Kurzbiografie

Der Autor ist Vorsitzender der Sektion 4 – wissenschaftliche Universalbibliotheken im dbv und hat die Diskussion um den richtigen Umgang mit Plagiaten in der Sektion, mit wissenschaftlichen Gremien und in der Presse geführt. Im Hauptberuf ist er Direktor der Universitätsbibliothek der LMU München, ehrenamtlich stv. Vorsitzender des VDB, ehemaliges Mitglied des zuständigen Ausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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