Forschungsdatenmanagement an wissenschaftlichen Bibliotheken. Zwischen Realität und Vision
Susanne Blumesberger
War der Begriff Forschungsdatenmanagement (FDM) noch vor einigen Jahren im Bibliothekswesen kaum bekannt, kann in wissenschaftlichen Bibliotheken heute kaum gänzlich darauf verzichtet werden. Die Etablierung dieser neuen Aufgabe, die mittlerweile auch im Curriculum der bibliothekarischen Aus- und Weiterbildung fest verankert ist, hat zahlreiche unterschiedliche Auswirkungen, nicht zuletzt auf das Selbstverständnis von Bibliothekar*innen. Die Handlungsfelder im Bereich FDM sind nicht nur schwer voneinander abgrenzbar, sondern auch spannungsreich und je nach Umfeld variabel. FDM-Mitarbeiter*innen sind auch oft in Zwischenbereichen tätig, zum Beispiel zwischen dem Repositorienmanagement und der IT, zwischen Forschenden und Archivar*innen, zwischen Data Stewards und Data Librarians, innerhalb eines großen Netzwerkes oder als Einzelpersonen. Oft sind Personen, die im Bereich FDM arbeiten auch in internationalen Projekten tätig, halten selbst Vorträge auf Kongressen und publizieren ihre Erfahrungen. Mehr als bei „klassischen“ Bibliothekar*innen muss ihre Arbeitszeit so flexibel sein, dass sie bei Fragen von Forscher*innen möglichst rasch reagieren können und Gespräche mit Wissenschaftler*innen evtl. auch zu Zeiten erlaubt, die jenseits des üblichen Rahmen liegt. Das Aufgabenspektrum ist groß, denn es wird erwartet, dass neben bibliothekarischem Grundwissen z. B. auch eine gewisse Affinität zur Technik vorhanden ist. FDM-Manager*innen unterstützen bei der Erstellung von Metadaten oder generieren diese selbst, müssen aber gleichzeitig in der Lage sein, Anforderung an technische Systeme kompetent mit Kolleg*innen aus dem IT-Bereich zu besprechen. Ein kleiner Einblick in Requirements-Engineering ist dabei hilfreich. FDM-Manager*innen sollten natürlich auch mit diversen Policies, zum Beispiel im Bereich Open Access, oder Forschungsdaten vertraut sein, um die jeweiligen Forderungen der Institutionen zu kennen. Gleichzeitig ist es unabdingbar auch die Vorgaben der Förderinstitutionen hinsichtlich Datenmanagement (DMP) und Open Science im Blick zu haben. Grundkenntnisse über juristische Fragen und ethische Diskussionen sind idealerweise ebenso vorhanden. Nicht zuletzt ist es wichtig mit all den Kolleg*innen aus verwandten Bereichen, wie etwa Open Access, Repositorien, Forschungsförderung usw. ständig in Kontakt zu sein. Kommunikative Kompetenz ist eine Eigenschaft, über die FDM-Manager*innen auf jeden Fall verfügen sollten, denn sie haben es mit sehr unterschiedlichen Personen aus dem Universitätsbetrieb zu tun.
Die Technik entwickelt sich stets weiter, damit verändern sich auch die Forschung und parallel dazu auch die Bedürfnisse der Forschenden. Für FDM-Berater*innen bedeutet dies, dass sie sich laufend weiterbilden müssen um am neuesten Stand zu sein. Gleichzeitig ergeben sich bei der Etablierung von Data Stewards und Data Champions neue Schnittstellen und evtl. auch Spezielisierungen. So herausfordernd dieses Berufsfeld auch ist, es eröffnet Bibliothekar*innen und Bibliotheken ein weites Betätigungsfeld und hat großes Entwicklungspotential.
Der Beitrag soll dieses facettenreiche Berufsbild, das sich ständig wandelt, anhand mehrerer Beispiele diskutieren, einen Überblick über die derzeitige Situation geben und zugleich mögliche Zukunftsvisionen entwerfen.
Kurzbiografie
Mag. Dr. Susanne Blumesberger, MSc. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft/Germanistik an der Universität Wien. Seit 2007 an der Universitätsbibliothek Wien und als Lehrbeauftragte an der Universität Wien tätig, ab Juli 2016 Leitung der Abteilung Repositorienmanagement PHAIDRA-Services an der UB Wien.
https://orcid.org/0000-0001-9018-623X
Kontakt: susanne.blumesberger@univie.ac.at
Blumesberger, Susanne: Forschungsdatenmanagement gestern, heute und morgen zwischen FAIR, CARE und EOSC. Ein Praxisbericht der Universität Wien. b.i.t. online, 23 (2020) Nr. 5. S. 500-508, https://www.b-i-t-online.de/heft/2020-05-fachbeitrag-blumesberger.pdf
Blumesberger, Susanne: Repositorien als Tools für ein umfassendes Forschungsdatenmanagement. Am Beispiel von PHAIDRA an der Universitätsbibliothek Wien. Bibliothek Forschung und Praxis. Band 44, Heft 3. De Gruyter 2020, S. 503-511. https://doi.org/10.1515/bfp-2020-2026