Die Öffentlichkeit von Bibliotheken in den USA

Ulrich Johannes Schneider

Im kalifornischen Los Angeles wurde 2022 ein "Radical Librarianship Institute" gegründet. Mit Mitteln der Mellon Foundation und unter Leitung von Robert D. Montoya soll dieses Projekt Bibliotheken helfen, demokratischer zu werden, Wissen und Kommunikation breiter zu streuen sowie mehr Teilhabe zu ermöglichen. Damit sind nicht nur traditionelle Ideale der amerikanischen "Public Library" aufgenommen, es wird auch bibliothekarische Selbstkritik gefördert. So stehen etwa die Bestände der großen sammelnden Bibliotheken auf dem Prüfstand. Erwerbungen der Vergangenheit werden als aggressive Aneignungen analysiert.

Wie die Museen der USA erfahren derzeit die Bibliotheken dort eine starke politische Aufmerksamkeit, die nicht nur ihr tägliches Tun betrifft, sondern auch das, womit sie umgehen, die Literatur. Zensur wird gefordert, wenn Eltern beispielsweise die Harry Potter-Romane als Unterricht in Zauberei aus den Bibliotheken entfernt sehen möchten. Kritik wird zur Selbstkritik, wenn Bibliothekar:innen selbst viele Schriften und Artefakte aus nicht-europäischen Kulturen auf die Rechtmäßigkeit ihres Besitzes befragen. Das geht über Provenienzforschung weit hinaus. Es gibt in den USA Bibliothekar:innen, die sich des "weißen Rassismus" bezichtigen.

Der Vortrag versucht, einige Beispiele und Linien des aktuellen Bemühens in den USA um eine – im weitesten Sinne politisch gemeinte – gerechtere Bibliothekspraxis zu skizzieren, und schließt die Frage an, wie und an welchen Stellen das Bibliothekswesen in Europa sich daran ein Beispiel nehmen kann.

Kurzbiografie

Ulrich Johannes Schneider war 2006-2022 Direktor der UB Leipzig und arbeitet als Professor am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig. Forschungsthemen siehe www.ujschneider.de. 2023 ist er Fellow am IFK in Wien und setzt dort seine Arbeit fort, Bibliotheken historisch wie aktuell als soziale Institutionen zu rekonstruieren.

 

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