Befund des Monats

August 2021

Überraschung auf dem Dachboden – wie sich ein vermeintlicher Betstuhl als Granat-Sortimentskasten entpuppte

 

Da staunte Seppi nicht schlecht, als er einen seit Jahrzehnten auf dem Dachboden gelagerten L-förmigen Holzkasten öffnete, der bis dahin kaum beachtet für eine einfache Kniebank oder einen Betstuhl gehalten worden war (Abb. 1). Der Kasten entpuppte sich als wahre Schatzkiste, die ihm sein Urgroßvater, der Zillertaler Granathändler Josef F. Hofer hinterlassen hat. Er diente als Verpackung und zum Schutz einer aufwendig hergestellten Vitrine aus Holz und Glas, in der ein ganzes Sortiment von rohen und getrommelten Granaten zur Schau gestellt wurde (Abb. 2).

 

Abb. 1

Abb. 1: Die vermeintliche „Kniebank“, in der der Sortimentskasten zum Transport aufbewahrt wurde 1

Abb. 2

Abb. 2: Die Vitrine des Josef F. Hofer zur Präsentation der zum Kauf angebotenen Granatproduktion 2

 

Abb. 3
Abb. 3: Auszug aus den Innsbrucker Nachrichten über die Tiroler Landesausstellung im Jahr 1893 4


Die liebevoll verzierte Vitrine (Abb. 2) trägt die Aufschrift „Produkte aus den Granaten Bergbau des Josef F. Hofer in Zell am Ziller“. Sehr wahrscheinlich wurde sie für die Tiroler Landesausstellung 1893 in Innsbruck angefertigt, wie es aus einem Beitrag in den Innsbrucker Nachrichten vom 11. August 1893 hervorgeht (Abb. 3). Der Katalog der Ausstellung, die im Stile der großen Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts stattfand, führt die regionalen Besonderheiten des Kronlandes Tirol auf, zu denen auch der Granatbergbau im Zillertal gehörte. Im Katalog scheinen unter dem Absatz „Ausstellungshalle A: IV Privat-Berg- und Hüttenwerke“ auf: „14. Josef F. Hofer in Zell a/Ziller. Ausstellung von Producten seines Granaten-Steinbruchs. 15. Andreas Kreidl in Mayrhofen. Ausstellung von Producten seines Granaten-Steinbruchs im Zillertal.“ 3

Bei der ersten in Augenscheinnahme der verstaubten Vitrine zeigten sich unter der noch verschlossenen Glasabdeckung ein ziemliches Durcheinander an Granaten verschiedener Größen und Formen sowie einige Zettel mit Aufschriften wie „Sortirte runde Granaten“ und Sortirte Scharpen“ (Abb. 4). Um die Ordnung wieder herstellen zu können, brauchte es eigens einen Schlüsseldienst, da der Schlüssel für die Vitrine nicht mehr auffindbar war. Die Anfertigung der Vitrine erfolgte offensichtlich unter hohem Zeitdruck: weiße Farbtupfer auf einigen der getrommelten Granate weisen darauf hin, dass die Anstrichfarbe der Holzfächer beim Befüllen mit dem Ausstellungsgut noch nicht ganz trocken war (Abb. 5). Insgesamt enthält der Kasten rund sieben Kilogramm Granat und Gesteinsproben, verteilt auf 66 Fächer. Eingeteilt wurden die Granate im 19. Jahrhundert noch nach „Lötigkeit“. Einem Lot Wiener Handelsgewicht entsprachen 17,5 Gramm. Die Größe der Steine wurde danach bezeichnet, wie viele Steine zusammen ein Lot ergeben. Wurden zum Beispiel 100 Granate einer Größenklasse benötigt um auf ein Lot zu kommen, dann sprach man von „Hundertern“, bei 32 von „Zweiunddreißigern“ und bei 16 von „Sechzehnern“ 5.


Abb. 4

Abb. 4: Erhaltene Reste der Beschriftung des Granat-Sortiments, teilweise mit Fraßspuren 6

Abb. 5

Abb. 5: Nach Größe und Gewicht sortierte getrommelte Granate, mit weißen Farbtupfern von der Anstrichfarbe 7

 

Die getrommelten Granate wurden vor allem an Edelsteinschleifereien in Böhmen geliefert. Die großen Almandine aus den Alpen waren dort begehrt, weil die böhmischen Granate (Pyrop) aus heimischer Produktion nur selten Durchmesser von über fünf Millimetern erreichten („Dreihunderter“ bei durchschnittlich drei Millimetern Durchmesser). Da der fertige Granatschmuck in der Folge als „böhmischer Granat“ in den Handel gelangte, verliert sich hier die Spur des Zillertaler Granats. Im Rahmen des Forschungsprojektes wird diese Spur durch mineralogische Untersuchungen an Rohsteinen und historischen Schmucksteinen wieder aufgenommen.

Josef Hofer, Bianca Zerobin, Roland Köchl, Simon Wagner & Gert Goldenberg

Fortsetzung folgt!


Quellen:

1 Privatbesitz Josef Hofer, Foto: Zerobin

2 Privatbesitz Josef Hofer, Foto: Zerobin

3 Tiroler Landesausstellung 1893: Katalog der Tiroler Landesausstellung, Innsbruck 1893, 60f.

4 Auszug aus den Innsbrucker Nachrichten vom 11. August 1893, 8.

5 Metz, R. (1961): Edelsteinschleiferei in Freiburg und im Schwarzwald und deren Rohstoffe. Lahr 1961, 61.

6 Privatbesitz Josef Hofer, Foto: Goldenberg

7 Privatbesitz Josef Hofer, Foto: Goldenberg

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