Panel 9: Objekte und Sammlungen

Veronika Klein, Urban Tscheikner-Gratl

Abstract

Objekte und Sammlungen der Corona-Pandemie

Das Panel 9 der Tagung stand unter dem Motto „Objekte und Sammlungen“. Die Vortragenden Martina Nußbaumer (Wien), Karl Berger und Roland Sila (beide Innsbruck) und Alois Unterkircher (Ingolstadt) setzen sich mit der Frage auseinander, wie man eine Pandemie dokumentieren kann und welche verschiedenen Herangehensweisen es hierfür gibt.

Martina Nußbaumer ist Historikerin und Kulturwissenschaftlerin und seit 2008 als Kuratorin im Wien Museum tätig. Karl C. Berger studierte Volkskunde/Europäische Ethnologie und Politikwissenschaft in Innsbruck und leitet seit 2015 das Tiroler Volkskunstmuseum. Sein Kollege Roland Sila studierte Germanistik in Innsbruck. Seit 2007 ist er als Kustos der Bibliothek des Ferdinandeums tätig und arbeitet als Ausstellungskurator. Alois Unterkircher studierte ebenfalls in Innsbruck Europäische Ethnologie/Volkskunde, Germanistik und Geschichte. Seit 2007 ist er als Sammlungsleiter am Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt tätig.

Den Anfang machte Martina Nußbaumer mit ihren Ausführungen über die Sammlungstätigkeit des Stadtmuseums Wien. Das Museum behandelt die Geschichte der Stadt Wien ab der Römerzeit. Im März 2020, also bereits in der Anfangsphase der Coronakrise, startete das Wienmuseum einen Sammlungsaufruf an die Bevölkerung, Fotos von Dingen einzusenden, die für sie in dieser Zeit von Bedeutung sind. Diese Einsendungen sollten mit einem kurzen erläuternden Kommentar versehen werden. Zusätzlich wurden in einer zweiten Phase physische Objekte gesammelt, die sich zur Konservierung und für eine zukünftige Ausstellung eigneten. Als dritte Phase des Projektes wurden Fotographen beauftragt, die Corona Zeit in Bildern festzuhalten. Nußbaumer betonte die Problematik der Gegenwartssammlung. Die Bewertung der eingereichten Gegenstände sei, so Nußbaumer, sehr schwierig, denn zum einen müssten die Einsendungen nach konservatorischen Gesichtspunkten bewertet werden, also, ob sie auch über Jahre hinweg gelagert werden können, ohne Schaden zu nehmen. Zum anderen sei die Entscheidung, was tatsächlich gesammelt werden soll, eine Momententscheidung, denn für solche Objekte gebe es keinen „Warteraum“. Wenn sie nicht direkt gesammelt werden, sind sie unwiderruflich verschwunden.

Eine andere Herangehensweise, die Objekte der Pandemie zu sammeln, wurde von Berger und Sila von den Tiroler Landesmuseen vorgestellt. Die Tiroler Landesmuseen bilden im Gegensatz zum Wienmuseum die Geschichte einer gesamten Region ab und haben demnach einen größeren Sammlungsradius. Nach dem Sammlungsaufruf des Wienmuseums wurde auch in Innsbruck über einen solchen Schritt beraten. Aus Angst von Einsendungen überflutet zu werden, entschied man sich jedoch dagegen. Auch in Tirol wurde der öffentliche Raum während den beiden Lockdown-Phasen fotographisch festgehalten. Hier konnte festgestellt werden, dass sich der erste und der zweite Lockdown im Spiegel der Öffentlichkeit klar unterscheiden. Im Frühjahr 2020 war die öffentliche Solidarität und der Aufruf, zusammen zu halten, noch stark und im öffentlichen Raum präsent. Im aktuellen zweiten Lockdown sei davon nicht mehr viel zu spüren, so Sila und Berger. Eine Besonderheit der Sammlungen der Tiroler Landesmuseen sei, dass auch das Trentino und Südtirol mitdokumentiert werden. Dies ermögliche eine Betrachtung der Corona Krise aus zwei verschiedenen Blickwinkeln, da sowohl die Corona Politik und auch die mediale Berichterstattung in Italien und Österreich sich zwar ähneln, aber aufgrund von unterschiedlichem Infektionsgeschehen auch unterscheiden.

Der abschließende Vortrag von Alois Unterkircher zeigte die Sammlungstätigkeit eines Spezialmuseums auf. Die gesammelten Objekte mussten auf Grund der Denominierung des Museums einen klaren medizinhistorischen Bezug aufweisen, weshalb man sich für eine Anknüpfung an den Themenkomplex der Seuchengeschichte entschied. Ähnlich wie in Wien wurde auch in Ingolstadt ein Sammlungsaufruf an die Bevölkerung herausgegeben, hier wurde er allerdings auf ein medizinisches Objekt spezifiziert. Die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, ein Selfie mit einer Mund-Nasen-Bedeckung zu schicken – denn diese wird oft als Symbol der Krise angesehen und hat zudem den gewünschten Bezug zur Medizingeschichte. Die Resonanz auf den Aufruf war allerdings sehr enttäuschend. Eine geplante wissenschaftliche Bearbeitung des Themenkomplexes, wie es zunächst vorgesehen war, wird es nun nicht geben können.

Aus studentischer Sicht ist die Betrachtung von Objekten ein sehr spannender Themenkomplex, der allerdings oft in den Hintergrund rückt, da man doch eher mit schriftlichen Quellen in Berührung kommt als mit Objekten als Quellen. Sehr interessant war die Ausführung der verschiedenen Herangehensweisen an das Sammeln von Objekten der Corona-Krise, deren Wirksamkeit allerdings erst in einigen Jahren sichtbar sein wird, wenn es erste Ausstellungen zum Thema Corona gibt.

In Wien wurde bereits ein erstes Projekt verwirklicht. Eine Außen-Ausstellung zeigte Portraits von Menschen, die jeden Tag eine Maske tragen mussten. Diese Bilder wurden allerdings von Gegnern der herrschenden Corona-Politik beschmiert. Interessant finde ich die weitere Vorgehensweise des Wien Museums. Diese beschmierten Portraits sollen nun in eine neue Ausstellung übernommen werden, um auch diesen Aspekt dokumentieren zu können.

Der Vortrag von Alois Unterkircher machte deutlich, dass Forschungsprojekte trotz guter Vorbereitung auch scheitern können, was ein wichtiger Punkt ist, den man sich als Studendierende/r vor Augen halten muss. Interessant bleibt hier zu beobachten, inwieweit die Erfahrungen des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt noch anderweitig genutzt werden und werden können.

Die drei hochspannenden Vorträge haben gezeigt, wie unterschiedlich die Herangehensweisen bei einer Gegenwartssammlung sein können und auch wie schwierig sich diese dann konkret gestalten, nicht zuletzt auch deshalb, weil man ja selbst Teil dieser Zeit ist, was eine objektive Bewertung der zu sammelnden Objekte noch komplizierter macht. Je nachdem, wie sich der geographische beziehungsweise thematische Rahmen des Sammlungsprojekts gestaltet, muss unterschiedlich gesammelt werden, einmal um einer Überflutung mit Objekten entgegen zu wirken und zum andern, um den thematischen Fokus nicht aus dem Auge zu verlieren. 

(Veronika Klein)

Objekte und Sammlungen – die Krise sammeln oder in der Krise sammeln?

Das Panel 9 „Objekte und Sammlungen“ ging der Frage nach, wie man die aktuelle Krisensituation museal aufarbeiten könne oder müsse. Es wurden drei Ansätze von drei verschiedenen Museen aus drei verschiedenen Städten präsentiert.

Den Anfang des Panels machte Martina Nussbaumer, die Kuratorin des Wien Museums. Sie erklärt den Ansatz des Museums, der die Öffentlichkeit miteinbezieht. So wurde ein Aufruf für Bilder, Gegenstände und andere Sammlungen gestartet, um das kollektive Bewusstsein für die Geschichtsträchtigkeit der Pandemie einzufangen und zu stärken. Gleichzeitig wurde eine schriftliche Kontextualisierung der Einreichungen gefordert. Auch Arbeiten von Künstler*innen wurden aufgenommen, die neben dem alltäglichen Zugang der Bevölkerung auch den Zugang der Kunstszene wiedergeben sollten.

Der zweite Einblick in die zukünftige museale Aufarbeitung von Covid-19 führte in die Tiroler Landesmuseen. Hier hatten Karl Berger, Leiter des Volkskunstmuseums Innsbruck und Roland Sila, Leiter der Bibliothek des Landesmuseums Ferdinandeum, das Wort. Sie berichteten über den hiesigen Ansatz, die museale Sammlung, im Gegensatz zu Wien, nicht über die Öffentlichkeit stattfinden zu lassen, sondern nur ausgewählte Objekte in die Sammlungen aufzunehmen. Auch wurde die Frage aufgeworfen, ob es nicht „zu früh“ sei, schon zu sammeln und es nicht sinnvoller wäre, erst mit einem gewissen Abstand an das Sammeln zu gehen.

Im dritten Teil gewährte Alois Unterkircher, Sammlungsleiter des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt, Einblick in dessen Sammlungstätigkeiten. Hier wurde, so Unterkircher, ein partizipatives System gewählt, doch anders wie bei den bisherigen Beispielen wurde nur ein einziger Gegenstand gesammelt: die MNS-Maske. In den Raum gestellt wurde die Frage, ob es denn wirklich sinnvoll sei, eine Ausstellung über die Pandemie während beziehungsweise unmittelbar nach deren Abklingen zu starten, da gerade im zweiten Lockdown eine Müdigkeit der Bevölkerung zu Tage trat. Ich konnte den Vortrag leider, aufgrund Zusammenbruchs meines Netzes nicht zu Ende verfolgen.

Grundlegend wiesen alle drei Vorträge auf das Dilemma der Museen und auch der Geschichtswissenschaften hin: Wie geht man mit einem gerade stattfindenden Ereignis „historisch arbeitend“ um? Auch hier scheint nicht Einigkeit zu herrschen, doch der Ansatz von Martina Nussbaumer wirkte logisch: Man integriert die Bevölkerung, versucht

Zeitzeug*innendokumente und -objekte zu sammeln, um verschiedene Blickwinkel für eine Gesellschaft „Post-Corona“ zu erhalten und das Bild quasi „einzufrieren“. Allein die Menge der Einreichungen und Sichtungen spricht dafür, dass gerade dieses Konzept einen breiten Zuspruch in der Bevölkerung habe. Man „will“ bewahren, was passiert(e).

Der Ansatz des Tiroler Landesmuseums wirkte konträr, aber nicht schlecht: es sollte ein Abstand zwischen dem Ereignis und der Befassung damit gewahrt werden, weil dies eine Betrachtung aus einer gewissen Distanz ermöglicht. Grundsätzlich könnte die Synthese beider Formen interessant sein, nämlich jene, die zwischen Distanz und Nähe oszilliert. Auch ist die Sammlung von MNS im Kontext eines Medizinhistorischen Museums logisch, doch wirkte dieser Ansatz im Gegensatz den anderen Konzepten eher minimalistisch und für meinen Geschmack auch etwas zu eng gefasst. Aber: jeder Ansatz bringt eine neue Facette, aber alle müssen sich mit dem zeitlichen Problem des „Wann“ auseinandersetzen.  

(Urban Tscheikner-Gratl)

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