„Unfruchtbarmachung" und „freiwillige Entmannung"

Die Innsbrucker Universitäts-Kliniken und die Erbgesundheitsgerichte des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg

Zwei Jahre nach dem „Anschluss" wurden auch in Österreich die in Deutschland bereits seit 1934 bestehenden Erbgesundheitsgerichte eingeführt. Diesen genuin nationalsozialistischen Institutionen oblag die Entscheidung über die Durchführung von Zwangssterilisationen von Personen, die als „erbkrank" kategorisiert wurden. Dieser Art stigmatisiert, sollte verhindert werden, dass die Betroffenen sich fortpflanzen – oder anders ausgedrückt: eine Familie gründen konnten. Gefährdet, diesen Zwangseingriffen unterworfen zu werden, waren jegliche Personen, denen eine „Erbkrankheit" von ärztlicher Seite „attestiert" worden war oder die als „schwere Alkoholiker" eingestuft wurden. Besonders die „Diagnose" des „angeborenen Schwachsinns" bot den gutachtenden Personen reichlich Interpretationsspielraum.

Die Grundlage für diese Zwangsmaßnahmen bildete auf rechtlicher Ebene das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses(GzVeN), das in Deutschland am 14. Juli 1933 erlassen worden und in Österreich am 1. Jänner 1940 in Kraft getreten war. Darin wurde von § 1 die Zwangssterilisation von als „erbkrank" bezeichneten Personen ebenso geregelt wie die Definition der „Erbkrankheiten". 1935 wurde das GzVeN um den § 10a ergänzt, welcher die Möglichkeit zur Erzwingung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zum 6. Monat bei Frauen beinhaltete, die von einem Erbgesundheitsgericht als zu sterilisieren befunden worden waren, sowie um den § 14 Abs. 2, welcher die sogenannte „freiwillige Entmannung" von homosexuellen Männern zum Inhalt hatte. Zur Durchführung dieser Kastrationen, die in der Realität keineswegs auf freiwilliger Basis erfolgten, viel-mehr auf Zwang und Drohung beruhten, war allerdings kein Erbgesundheitsgerichtsbeschluss nötig, sondern lediglich die Befürwortung durch eine/n Amtsarzt/Amtsärztin. Dass der gesamte Themenkomplex allerdings in engem Zusammenhang stand, zeigt nicht nur die dokumentierte teilweise Verhandlung von Anträgen auf „freiwillige Entmannung" vor Erbgesundheitsgerichten im übrigen Österreich, sondern auch die in Tirol praktizierte gemeinsame Verzeichnung beider Arten von Zwangseingriffen.

Im Rahmen des 350-Jahr-Jubiläums der Universität Innsbruck 2019 gilt ein Fokus der (Selbst-) Positionierung der Universität in Bezug auf Gesellschaft und Politik. Die Durchsetzung der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik wäre nicht möglich gewesen, hätten ÄrztInnen, Juristen und WissenschaftlerInnen nicht auf unterschiedlichen Ebenen zusammengearbeitet. Die Rekonstruktion der Stellung der Universität Innsbruck in dieser Konstellation erlaubt Einblicke in die alltägliche Kooperation von Erbgesundheitsgerichtsbarkeit und universitärer Arbeit. Durch die Analyse der Aktenbestände insbesondere des Tiroler sowie des Vorarlberger Landesarchivs können Verbindungen, Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume nachgezeichnet werden. Dabei ist die Vielfältigkeit des Beitrages der Wissenschaften zentral, betraf dieser doch die Meldung von Personen, die als „erbkrank" bezeichnet wurden an die nationalsozialistischen Gesundheitsbehörden ebenso, wie die Durchführung der angeordneten Zwangseingriffe an Universitätskliniken. Auch der Einfluss, der Universitätsangehörigen im Rahmen von Begutachtungen für das Erbgesundheitsgericht zukam, ist zu beachten: immerhin waren derartige medizinische Gutachten von großer Bedeutung bei der Urteilsfindung, also der Entscheidung über eine Zwangssterilisierung.

 

 

 

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