Forschungszentrum „Synagoge und Kirchen”

Grundlagen und Fragen zu einheitsstiftenden Faktoren in Judentum und Christentum

Zur Vorgeschichte

Konkret manifestierte sich der Forschungsschwerpunkt bis 2004 in zwei Teilprojekten – mit der Beschäftigung von grundlegenden religiösen Fragen sowohl im Judentum als auch im Christentum sowie in deren Verhältnis zueinander: Gottesdienst, sakrale Vollzüge (Kult, Sakramente, wie z.B. Taufe, Eucharistie), Messias- und Christusverständnis, Bedeutung des Amtes u.a. – unter Berücksichtigung der sich jeweils daraus ergebenden Fragestellungen – zum einen unter biblischer und historischer Rücksicht (ihre Wurzeln und ihre Genese) und zum anderen im Blick auf ihren einheitsstiftenden Gehalt und ihre diesbezügliche Funktion für den ökumenischen Dialog im engeren und weiteren Sinn (sowohl zwischen den christlichen Kirchen als auch zwischen Judentum und Christentum). Seit 2004 sind die beiden Teilprojekte vollständig zu einer Einheit fusioniert.

Ökumenisches Forschungsprojekt (Interkonfessioneller Dialog)

Das bereits seit 1996 bestehende Teilprojekt „Ökumenische Forschung: Dialog der Kirchen“ beschäftigte sich unter bibeltheologischer, systematisch-dogmatischer und -ökumenischer, kirchenrechtlicher und pastoraler Rücksicht zuerst mit der Frage der Zulassung nichtkatholischer Christen zur Kommunion in der Eucharistiefeier der römisch-katholischen Kirche (= erster Teil) und dann mit dem Verhältnis von Taufe und Amt, insbesondere mit dem Papstamt – jeweils mit Blick auf Eucharistiegemeinschaft (= zweiter bis vierter Teil). Das Ziel des Ökumenischen Forschungsprojekts: im Sinne des Vat. II. sichtbare Einheit der Kirchen – verwirklicht in einer gemeinsamen Eucharistiefeier. Das Bemühen um eine Einigung der Kirchen hat gesellschaftspolitische Relevanz (Plausibilität christlicher Verkündigung, gemeinsames Eintreten für grundlegende Werte, wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa). Um dieses Ziel sichtbarer Einheit der Kirchen zu erreichen, waren und sind mehrere Schritte notwendig.

  • Erster Teil (1996 - 1997): Thema: „Die Zulasssung nichtkatholischer Christen zur Kommunion in der römisch-katholischen Kirche“. Abschluss mit einer Petition an die österreichische Bischofskonferenz (Juni 1997). Veröffentlicht in: Ökumenische Rundschau 47/4 (1998) 534-542.
  • Zweiter Teil (1997–2001): Thema: „Konsequenzen für die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften aus der wechselseitigen Anerkennung der Taufe“. Abschluss mit einer Veröffentlichung: Taufe und Eucharistiegemeinschaft. Ökumenische Perspektiven und Probleme. Hg. Silvia Hell / Lothar Lies SJ (ausführliche Rezension dazu in: KNA-ÖKI 31 [30. Juli 2002] 6–11).
    Am 23./24. März 2000: Durchführung eines Symposions – organisiert und abgehalten von Ao.Univ.-Prof. Dr. Silvia Hell / O.Univ.-Prof. Dr. Lothar Lies SJ im Rahmen eines gemeinsamen Fakultätstags von den Kath.-Theol. Fakultäten Innsbruck und Graz, in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich, der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie, dem Katholischen und Evangelischen Bildungswerk Tirol mit dem Titel „Papstamt. Hoffnung, Chance, Ärgernis. Ökumenische Diskussion in einer globalisierten Welt“ – unter Anwesenheit von Repräsentanten von sechs verschiedenen christlichen Kirchen und deren offiziellen kirchlichen Amtsträgern. Die Beiträge wurden in einem eigenen Band veröffentlicht: Papstamt. Hoffnung, Chance, Ärgernis. Ökumenische Diskussion in einer globalisierten Welt. Hg. S. Hell / L. Lies SJ. Innsbruck 2000.
  • Dritter Teil (2001–2004): Thema: „Unterschiedliche amtstheologische Perspektiven und daraus resultierende Konsequenzen für eine mögliche Eucharistiegemeinschaft“. Abschluss mit einer Veröffentlichung: Amt und Eucharistiegemeinschaft. Ökumenische Perspektiven und Probleme. Hg. Silvia Hell / Lothar Lies SJ (2004).
  • Vierter Teil (2004–2007): Thema: „Katholizität“. Untersuchung der jeweiligen konfessionsspezifischen ekklesiologischen Implikationen. Abschluss mit einer Veröffentlichung: Katholizität. Konfessionalismus oder Weltweite? Hg. S. Hell (2007).

Die Heilige Schrift und ihre Wirkungsgeschichte in Frühjudentum und Frühchristentum

Das seit 2003 bestehende Teilprojekt „Die Heilige Schrift und ihre Wirkungsgeschichte in Frühjudentum und Frühchristentum“ nahm als einen ersten Schritt den Themenbereich „Tempel/Tempeltheologie(n)“ aus alt- und neutestamentlicher, frühjüdischer und frühchristlicher Perspektive in Angriff. In diesem Zusammenhang fand im November 2004 an der Fakultät ein dreitägiges Symposion zum Thema „Gottesvolk als Tempel“ statt, an dem sich auch die beiden angesehenen Judaisten Günter Stemberger (Wien) und Johann Maier (Köln / Mittenwald) aktiv beteiligten. Inhaltlich ging es vor allem darum, wo dieses „Volk-Gottes-Verständnis“ seine Wurzeln hat, wie sich das daraus resultierende Selbstverständnis in Judentum und Christentum jeweils verschieden manifestiert und entwickelt und zu welchen Konsequenzen dies schließlich in der gegenseitigen Wahrnehmung geführt hat. Den Hintergrund dazu lieferte folgendes Phänomen: Das endgültige Verschwinden der Institution „Tempel“ im jüdisch-christlichen Kontext nach der Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. hat neben der Neuakzentuierung des synagogalen Lebens im Frühjudentum und der Entwicklung des Kirchenkultes im jungen Christentum auch zu entscheidenden und weitreichenden theologischen Neukonzeptionen auf beiden Seiten geführt. Im rabbinisch-jüdischen Denken kam der Erwählungstheologie eine völlig neue Bedeutung und Qualität zu, im Christentum begann man sich überhaupt mit der Frage des „Volk-Gottes-Seins“ und den damit verbundenen Ansprüchen auseinander zu setzen. Dies hatte auch massive Konsequenzen für die jeweilige Selbstbestimmung und bewusste Abgrenzung vom und zum jeweils Anderen. Viele bis heute relevante Marksteine im christlich-jüdischen Verhältnis haben in dieser Entwicklungsphase ihre eigentlichen Wurzeln; vieles, was dieses Verhältnis immer wieder getrübt und belastet hat, wird nur im Blick auf diese Entwicklungsstufe verständlich und lässt sich auch nur von dieser Erkenntnis aus erneuern und bereinigen. Solches „Volk-Gottes-Bewusstsein“ hat aber noch andere, ebenso weitreichende Konsequenzen. Es führt innerhalb der religiösen Gemeinschaften zu einem starken Subjektsbewusstsein, das die entsprechenden Religionen in der Öffentlichkeit prägt und zu politisch und gesellschaftlich agierenden Gruppen macht. Schlug sich Gläubig- bzw. Religiössein zu den Zeiten des Tempels vor allem in rituellen Kulthandlungen an einem konkreten Ort und zu festen Zeiten nieder, so wurde es im rabbinischen Judentum und im frühen Christentum gleichsam zu einem Habitus, der zu Gruppenbewusstsein und Alltagsreligiosität führte.

Zwangsläufig kam es auch zu Verhältnisbestimmungen, wer nun zum Gottesvolk gehört und wer nicht. Viele, auch aktuelle Konflikte, in denen (auch) Religion eine Rolle zu spielen scheint, bekommen durch diese Mechanismen zusätzliches Konfliktpotenzial. Nur durch klare und nüchterne Realisierung der Ursprünge vieler solcher gesellschaftlicher Probleme in diesem heute selbstverständlich und nebensächlich scheinenden „Volk-Gottes-Bewusstsein“, das Juden- wie Christentum (in der Folge dann natürlich auch den Islam) nach dem Verlust des Jerusalemer Tempels zutiefst neu zu prägen begann, können viele Konflikte neu bewertet und auch von einer ganz anderen Seite aus wirksam angegangen werden. Dazu ist aber eine genauere und bessere Kenntnis dieser theologischen Vorgänge im frühen rabbinischen Judentum und im sich formierenden Christentum notwendig.

Dieser Theologie näher auf die Spur zu kommen, sie offen zu legen und etwaige Konsequenzen anzudenken war das Ziel des Symposions „Gottesvolk als Tempel“. Die Beiträge und Diskussionen wurden in einem von Reinhard Meßner und Andreas Vonach herausgegebenen Symposionsband in der Buchreihe „Synagoge und Kirchen” als Band 1 publiziert.

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