Projekte und Forschung

Projektnummer: 347096 
Laufzeit: 
01.06.2021-31.01.2022
Finanzierung:
Universität Innsbruck „Early Stage Funding 2021“

Projektleitung: Benjamin Wimmer, MA MSc

Astra3D: Dreidimensionale Formanalysen eisenzeitlicher und römischer Rinderastragale

Hintergrund Astra3D heatmap

In der archäozoologischen Forschung zu den römischen Provinzen erkannte man bereits vor über hundert Jahren unterschiedlich große Rindertypen (Schlosser 1888 in Trixl & Peters 2018). Einigkeit scheint darüber zu bestehen, dass ein kleinerer Typ bereits vorrömisch autochthone Landschläge abbildet, die sich auch noch in römischer Zeit finden. Das Erklärungsspektrum für einen großen bzw. einen intermediären Rindertypus wird dagegen von italischen Hochleistungsimportrindern und römischen Meisterleistungen in der Meliorationszucht und Versorgung der Tiere abgesteckt (Teichert 1973; Teichert 1984; Lauwerier 1988; Benecke 1994; Peters 1994; Peters 1998; Breuer et al. 1999; Pucher 2006b; Pucher 2006c; Frémondeau et al. 2017; Rizzetto et al. 2017; Valenzuela-Lamas & Albarella 2017; Pucher 2018). Basis all dieser Überlegungen sind standardisierte lineare Knochenmaßen (von den Driesch 1976). Jedoch konnten auch morphologische Unterschiede zwischen den postulierten Rindertypen beobachtet werden (Pucher & Schmitzberger 2003; Pucher 2018). Bereits diese qualitative Beschreibung lieferte eine größenunabhängige Variable für die Erforschung unterschiedlicher Rindertypen in den römischen Provinzen.

Osteometrische Daten an Rinderknochen aus späteisenzeitlich-vorrömischen und römischen Kontexten zeigen eine beachtliche Größenzunahme um ca. 5% der Tiere mit Ankunft der Römer (Pucher & Schmitzberger 2003, 66). Für das heutige Österreich wurde diese Veränderung eindrucksvoll von einem Team um Erich Pucher am Naturhistorischen Museum in Wien anhand von laténezeitlichem Material vom Dürrnberg bei Hallein (Pucher 1999; Abd el Karem 2009; Schmitzberger 2012; Saliari et al. 2016) und an diversen römischen Kontexten im Umkreis von Wien aufgezeigt (Riedel 1993; Riedel 2004; Pucher 2006b; Pucher 2018). Außerdem konnte er für nahezu alle Skelettelemente morphologische Charakteristika herausarbeiten, die auf zwei unterschiedliche Rinderschläge schließen lassen (Pucher & Schmitzberger 2003; Pucher 2013; Pucher 2018). Über Form und Größe können Knochen somit einerseits kleineren autochthonen Rindern, ähnlich den heute noch gezüchteten Ennstaler Bergschecken, zugewiesen werden und andererseits massigeren Importrindern, vergleichbar mit Tieren der heutigen mittelitalischen Razza Chianina und Razza Maremmana (Pucher 2006a; Pucher 2006b, Pucher 2013). Während Puchers feinmorphologische Differenzierung erfolgreich auf die in der Archäozoologie lange vernachlässigte typologische Methode zurückgreift, um unterschiedliche Rindervarianten zu fassen (Forstenpointner et al. 2012), wurden diese Unterschiede bisher nicht in quantitative Daten übersetzt – denn die standardisierten Messstrecken der Archäozoologie (von den Driesch 1976) können feinste Abweichungen in der Formausprägung nicht fassen. Jedoch zeigte sich jüngst, dass sich kleinste Formunterschiede mithilfe von quantitativ-statistischen Formanalysen, Geometric Morphometrics, aufspüren lassen. Dies zeigen mehrere Arbeiten an Rollbeinen (Astragalen) von Schafen und Ziegen, an denen die Formanalyse nicht nur die Unterscheidung der beiden Tierarten erlaubt (Haruda 2017). Innerhalb einer Spezies, der Schafe, werden damit sogar unterschiedliche Morphotypen erkennbar, die wohl auf die Präsenz von mehreren Landschlägen oder Tierrassen im Material zurückzuführen sind (Haruda et al. 2019; Pöllath et al. 2018; Pöllath et al. 2019; Colominas et al. 2019). Obwohl die Mittelfußknochen (Metapodien) von Rindern vergleichsweise starken Sexualdimorphismus aufweisen, konnten auch an ihnen Formanalysen vergleichbare Ergebnisse zur Unterscheidung von neuzeitlichen und rezenten Rinderrassen liefern (Fhionnghaile et al. 2015; Csippán 2016; Csippán & Ferenczi 2020). Aufgrund des geringeren Sexualdimorphismus dürften sich Astragale aber sogar noch deutlich besser dafür eignen.

Projektziele

Ziel des beantragten Projektes ist es nun diese qualitativen Beobachtungen mittels 3D-Formanalysen und den Methoden der Geometric Morphometrics (Bookstein 1991; Zelditch et al. 2012) für Rinderastragale aus archäologischen Fundkontexten Österreichs zu quantifizieren, statistisch auszuwerten und die Ergebnisse mit den bereits publizierten linearen Knochenmaßen zu verbinden. Daraus ergeben sich drei Teilziele mit jeweils individuell verwertbaren Ergebnissen:

1) Die Anfertigung von detaillierte dreidimensionale Oberflächenmodelle von Rinderastragalen aus ausgewählten Fundorten Österreichs mittels Streifenlichtscanner (vgl. Niven et al. 2009; Murphy & Seguchi 2019). Die Modelle dienen einerseits als Rohdaten für weitere Analyse, können aber auch außerhalb des beantragten Projektes, als Dokumentation und Visualisierungshilfe eingesetzt werden.

2) Die digitale Einzeichnung von 16 anatomisch homologen Punkten, sog. landmarks, per Einzelknochen, deren Koordinaten das Datenset zur Formanalyse bilden (nach Haruda 2017; vgl. Bookstein 1990; Bockstein 1991; Schlager 2019). Diese Rohdaten können, sofern die Definition der landmarks konsistent bleibt, auch für zukünftige epochenübergreifende und supraregionale Studien (wieder-)verwendet werden.

3) Die Formanalyse der Knochen über die erstellten Koordinatenmatrizes (vgl. Claude 2008; R Core Team 2021). Sie ermöglicht allometrische Analysen im Zusammenhang mit Formveränderungen und Rückschlüsse auf unterschiedliche Rinderrasen im archäologischen Befund. Größen- und Formunterschiede, die mittels Geometric Morphometrics quantifiziert werden, können mit den zahlreichen, bereits publizierten, osteometrischen Daten verknüpft und statistisch evaluiert werden.

Ausgewählte Literatur

Abd el Karem, M., (2009). Die spätlatènezeitlichen Tierknochenfunde des Simonbauerfeldes auf dem Dürrnberg, Salzburg. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Serie A. 110, 133-154.

Benecke, N., (1994). Archäozoologische Studien zur Entwicklung der Haustierhaltung in Mitteleuropa und Südskandinavien von den Anfängen bis zum ausgehenden Mittelalter. Berlin; Akademie Verlag.

Bookstein, F. L., (1990). Introduction to Methods for Landmark Data. In: F. J. Rohlf & F. L. Bookstein, eds. Proceedings of the Michigan Morphometrics Workshop. Ann Arbor, MI: The University of Michigan Museum of Zoology. pp. 215-226.

Bookstein, F. L., (1991). Morphometric Tools for Landmark Data. Geometry and Biology. Cambridge: Cambridge University Press.

Breuer, G., Rehazek, A & Stopp, B., (1999) Größenveränderungen des Hausrindes. Osteometrische Untersuchungen grosser Fundserien aus der Nordschweiz von der Spätlatènezeit bis ins Frühmittelalter am Beispiel von Basel, Augst (Augusta Raurica) und Schleitheim-Brüel. Jahresberichte aus August und Kaiseraugst. 20, 207–228.

Claude, J., (2008). Morphometrics with R. New York: Springer.

Colominas, L., Evin, A., Campmajó, P., Casas, J., Castanyer, P., Carreras, C., Guardia, J., Olesti, O., Pons, E., Tremoleda, J., Palet, J.-M., (2019). Behind the Steps of Ancient Sheep Mobility in Iberia: New Insights from a Geometric Morphometric Approach. Archaeological and Anthropological Sciences. 11, 4971-4982.

Csippán, P., (2016). Cattle Types in the Carpathian Basin in the Late Medieval and Early Modern Ages. Dissertationes Archaeologicae ex Instituto Archaeologico Universitatis de Rolano Eötvös Nominatae, Ser. 3. 4, 179-211.

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von den Driesch, A., (1976). A Guide to the Measurement of Animal Bones from Archaeological Sites. Harvard: Peabody Museum Bulletin 1.

Zelditch, M. L., Swiderski, D. L., Sheets, H. D., (2012). Geometric Morphometrics for Biologists: A Primer. 2nd ed. London: Elsevier.

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