Projekte

 Laufzeit:

Projektleitung:
Ass. Prof. Mag. Dr. Barbara Hausmair
 Barbara.Hausmair@uibk.ac.at

Projektpartnerinnen:
Oberösterreichische Landes-Kultur GmbH (Dr.in Jutta Leskovar)
Selbstständige Wissenschaftlerinnen:
Dr.in Martina Reitberger (Feldforschung), Jennifer Portschy, MA (OSteoarchäologie)

Das Gräberfeld von Micheldorf - Am Stein/OÖ:
Neue Einblicke in eine frühmittelalterliche Kontaktzone zwischen Baiern, Awarischem Reich und Karantanien

Seit 2022 untersuchen die Universität Innsbruck und die OÖ Landeskultur GmbH gemeinsam das Gräberfeld von Micheldorf-Am Stein in Oberösterreich (Abb. 1) – ein Gräberfeld des 8. und 9. Jahrhunderts n. Chr., das 2016 bei Bauarbeiten entdeckt und anschließend von der Archäologiefirma Archeonova teilweise ausgegraben wurde.

Die Grabbeigaben aus der 2016er-Kampagne wurden von Studierenden der Universitäten Innsbruck und Wien ausgewertet. Seit 2022 setzen das UIBK und die OÖLK die Feldforschung im Rahmen von Lehrgrabungen fort (Abb. 2).

 

Abb. 1. Fundstellen

Abb. 1 Die drei frühmittelalterlichen Gräberfelder im Raum Micheldorf, OÖ: Am Stein – Kremsdorf – Georgenberg
(B. Hausmair, Hintergrund: DOP © DORIS Land OÖ).

Abb. 2. Action 107

Abb. 2 Studierende während der Lehrgrabung im Sommer 2022
(M. Reitberger/OÖLKG).

Erste Einblicke in das Gräberfeld Micheldorf-Am Stein 

Abb. 3. Plan

Abb. 3 Plan des Gräberfeldes Micheldorf-Am Stein (B. Hausmair).

Bei Kampagnen 2016 und 2022 konnte die Ausdehnung des Gräberfeldes im NW und SO festgestellt werden sowie 44 Bestattungen geborgen und 10 weitere Grabschächte oberflächlich dokumentierte werden (Abb. 3). Es handelt sich durchwegs um Körperbestattungen in Einzelgräbern, teilweise mit moderaten Grabbeigaben, v.a. in Form von einfachen Messern und Schmuckstücken aus Draht und Pressblech, die Ähnlichkeiten mit Objekten aus dem Mitteldonaugebiet und den Ostalpen aufweisen (Abb. 4 und 5).

 

Abb. 4. Mixschaubild

Abb. 4 Grabbeigaben aus Bestattungen der Notgrabungen 2016
(N. Riedmann and A. Blaickner/UIBK).

 

Abb. 5. Textil

Abb. 5 Reste von Textilien auf der Rückseite einer Pressblechfibel
(A. Blaickner, M. Pomaro and B. Hausmair/UIBK).


Abb. 6. Grab 31

Abb. 6 Kindergrab 31 mit Schmuckbeigaben (N. Riedmann/UIBK).



 

Auffallend im Hinblick auf die Demographie ist der mit fast 50% hohe Anteil subadulter Individuen unter den Bestatteten, insbesondere Kleinkinder, die aber in gleicher Weise wie der Rest der Gemeinschaft beigesetzt wurden (Abb. 6).

 

Die innere Struktur des Friedhofs zeigt mindestens zwei verschiedene Grabgruppen, die sich durch ihre Ausrichtung der Grabschächte bzw. Bestattungen deutlich unterscheiden lassen (Abb. 3). Die nördliche Gruppe orientiert sich in einer Nordwest-Südost-Achse am Verlauf der nahe vorbeifließenden Krems, während die südliche Grabgruppe von Südwest nach Nordost in Richtung Georgenberg ausgerichtet ist (Abb. 7). Eine diagonale Struktur, die den Friedhof zwischen den beiden Grabgruppen durchschneidet, stellt möglicherweise einen ehemaligen Weg dar, der durch das Gräberfeld führte. Um diese Interpretation zu bestätigen, sind jedoch weitere archäologische Untersuchungen erforderlich.



Ob die Ursachen für die Gruppierungen in chronologischen, sozialen oder kulturellen Unterschieden der Bestatteten zu suchen sind, werden die laufenden Auswertungen der Funde und der menschlichen Überreste sowie weitere Grabungen zeigen, denn aktuell ist noch nicht das gesamte Gräberfeld erfasst worden.



 

Abb. 7. Drohne

Abb. 7 Drohnenaufnahme der Grabung 2022 (P. Resch/ÖBB).

Lokale und überregionale Bedeutung des Bestattungsplatzes 

Von wissenschaftlicher Relevanz ist das Gräberfeld Micheldorf-Am Stein nicht nur aufgrund seiner internen Strukturierung, sondern auch aufgrund seiner regionalen Einbettung. Das Kremstal ist ein Brennpunkt der Frühmittelalterforschung in Oberösterreich. Im Jahr 777 u.Z. gründete der Baiernherzog Tassilo III. das Stift Kremsmünster. Es sollte als Stützpunkt für die Einrichtung der kirchlichen Organisation dienen, und für die Ausweitung der bairischen Herrschaft über die Menschen, die östlich der Traun siedelten. Laut der Gründungsurkunde des Stiftes befand sich hier eine „Slawendekanie“ geführt von einem „Župan“. Recht viel verrät der frühmittelalterliche Text im Grunde aber nicht über die Menschen, die hier im frühen Mittelalter leben. Wir haben heute nur eine vage Vorstellung davon, dass die Gebiete zwischen Traun und dem mittleren Niederösterreich nach dem Ende des römischen Reiches eine geopolitische Pufferzone wurden. Westlich davon entstand im Frühmittelalter das bairische Herzogtum und das fränkische Reich, im Osten das Awarische Reich, etwas später südlich in den Alpen das Herzogtum Karantanien.

Wie sich Gesellschaft und Siedlungen zwischen diesen Herrschaftsgebieten in der späten Merowinger- und frühen Karolingerzeit entwickelten, erzählen die Schriftquellen aber so gut wie nicht. Besonders das obere Kremstal hat sich hier zu einem Schwerpunkt für die Forschung entwickelt, denn im Raum des heutigen Micheldorf sind nicht nur mehrere (spät)antike Fundstellen bekannt, sondern nun auch drei frühmittelalterliche Bestattungsplätze (Abb. 1): das Gräberfeld Micheldorf Kremsdorf mit über 70 Gräbern des 8. und 9. Jahrhunderts, die vielfältige kulturelle Kontakte nach Süd, Ost und West aufzeigen; das Gräberfeld Micheldorf-Georgenberg, das ca. in der Mitte des 9. Jahrhunderts als vermutlich erster Kirchenfriedhof am Georgenberg angelegt wurde, und eventuell die Nachfolgegeneration der in Kremsdorf bestatteten Menschen darstellt; und nun das Gräberfeld Micheldorf-Am Stein am Fuße des Georgenbergs.

Das Gräberfeld Micheldorf-Am Stein wirft neue Fragen zu frühmittelalterlichen Gesellschafts- und Siedlungsstrukturen im Oberen Kremstal auf, etwa zur Größe von Gemeinden, zu Gesundheit und Demographie oder zu kulturellen Entwicklungen im Micheldorfer Raum, z.B. im Hinblick auf Christianisierungsprozesse und die Konsolidierung kirchlicher Infrastruktur in der Karolingerzeit. Es liefert aber auch neue Erkenntnisse über die überregionale Bedeutung des südöstlichen Oberösterreichs als kulturelle Grenz- und Kontaktzone im frühen Mittelalter.

Forschungskooperation

Im Rahmen des ERC Synergy Projekt HistoGenes (Nr. 856453) unter der Leitung von Prof. Walther Pohl (Österreichischen Akademie der Wissenschaften) wird aktuell die Bevölkerungsgeschichte des östlichen Mittelalters interdisziplinär durch die Kombination archäologischer, anthropologischer und historischer Ansätze mit neuen Methoden der Archäogenetik untersucht. Da Oberösterreich im frühen Mittelalter eine wichtige Pufferzone zwischen west- und osteuropäischen Kulturen darstellte, werden 25 Individuen aus dem Gräberfeld von Micheldorf-Am Stein in die ERC-Studie einbezogen, um die genetische Zusammensetzung der Gemeinschaft sowohl intern als auch im Verhältnis zu anderen europäischen Gebieten zu untersuchen.

Ausgewählte Grabbeigaben aus Micheldorf-Am Stein werden im Rahmen des FWF-geförderten Projekts CHRONOCU (Leitung. Dr. habil. Marianne Mödlinger/Universität Innsbruck) analysiert, in dem Voltammetrie immobilisierter Partikel (VIMP) als neue Methode zur Datierung von Bronzen aus archäologischen Kontexten entwickelt wird.

Projektbezogene Lehre und Arbeiten von Studierenden

  • Vergleichende Analysen zu Textilfunden aus karolingerzeitlichen Gräberfeldern Oberösterreichs (Milana Radumilo, MA Arbeit, Betreuerinnen: Barbara Hausmair, Ulrike Töchterle)
  •  Lehrgrabungen im Gräbergeld Micheldorf-Am Stein (BA und MA Lehrgrabungen, LV-Leitung: Barbara Hausmair, seit Sommersemester 2022)
  • AG Analyse frühmittelalterlicher Grabfunde aus Oberösterreich: Micheldorf 2016 (MA Arbeitsgemeinschaft, LV-Leitung: Barbara Hausmair, Wintersemester 2021/22)
  • SE Ausgewählte Fragen zu Kult und Ritual: Todesräume - Bestattungsstrukturen in den historischen Archäologien (BA Seminar, LV-Leitung: Barbara Hausmair, Wintersemester 2020/21)
  • Einführungsvorlesung Ur- und Frühgeschichte, Mittelalter- und Neuzeitarchäologie/Einheit zur Frühmittelalterarchäologie (BA Vorlesung, Session-Leitung: Barbara Hausmair, jedes Semester)
  • (BA lecture, teacher: Barbara Hausmair, every semester)

Danksagung

Wir bedanken uns bei den Eigentümer*innen und dem Pächter des Grundstücks, auf dem das Gräberfeld liegt, für die Erlaubnis unsere Feldforschung zu betreiben, bei der Gemeinde Micheldorf für die Unterstützung unserer Forschung, und bei der Firma Archeonova (W. Klimesch), die Notgrabungen 2016 durchgeführt hat.

Literatur

Hausmair, B. 2009. ‘Langsax und Gürtel. Archäologische Hinweise zu kulturhistorischen Prozessen im frühmittelalterlichen Ostalpenraum’. Sonius 5: 5–6.

———. 2016. ‘Micheldorf/Kremsdorf – Frühmittelalter zwischen Baiovaria und Karantanien’. In Frühmittelalter in Oberösterreich. Inventare aus den Sammlungen des Oberösterreichischen Landesmuseums, edited by J. Leskovar, 11–189. Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 40. Linz: OÖLM.

———. 2022. ‘Neue Einblicke ins frühmittelalterliche Kremstal: das Gräberfeld von Micheldorf-Am Stein’. Sonius 31: 3–6.

———. 2022. ‘Some remarks on society and settlement dynamics in the early medieval Alpine foothills of north-western Noricum’. Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 38: 89–106.

Klimesch, W. and M. Reitberger-Klimesch. 2017. ‘KG Mittermicheldorf, MG Micheldorf in Oberösterreich [Frühmittelalter, Gräberfeld]’. Fundberichte aus Österreich 55/2016: 397–98.

Leskovar, J. ed. 2016. Frühmittelalter in Oberösterreich. Inventare aus den Sammlungen des Oberösterreichischen Landesmuseums. Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 40. Linz: OÖLM.

Szameit, E. 1994. ‘Merowingisch-karantanisch-awarische Beziehungen im Spiegel archäologischer Bodenfunde des 8. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Frage nach den Wurzeln frühmittelalterlicher Kulturerscheinungen im Ostalpenraum’. Neues aus Alt-Villach 31: 7–24.

Tovornik, V. 1980. ‘Das Gräberfeld der karantanisch-köttlacher Kultur auf dem Georgenberg bei Micheldorf, pol. Bezirk Kirchdorf/Krems’. In Baiern und Slawen in Oberösterreich. Probleme der Landnahme und Besiedelung. Symposion 16. November 1978, edited by K. Holter, 81–132. Schriftenreihe des OÖ. Musealvereins - Gesellschaft für Landeskunde 10. Linz: Traun.

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