Religion—Gewalt—Kommunikation—Weltordnung
Ziel des Forschungszentrums im Rahmen der Theologie als Glaubenswissenschaft

Die Theologie als ausdrücklich wertorientierte und daher normative Wissenschaft weiß sich in besonderer Weise der Wertorientierung der Universität verpflichtet, wie sie im UOG 2002, § 1 zum Ausdruck kommt. Hier wird festgehalten, dass die Wissenschaft zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt beitragen müsse. Auch das Leitbild unserer Universität hält fest, dass sich die LFU den ethischen und sozialen Grundwerten der humanistischen Kulturtradition Europas verpflichtet weiß und daher eine rational begründete ethisch fundierte Weltanschauung fördert. Es heißt dort, dass „die Gesellschaft leistungslähige, nachdenkliche und mutige Universitäten benötigt."

Dieser Verpflichtung möchte das Forschungszentrum durch drei bestimmende Hintergrundoptionen genügen. Weil theologisches Denken stets mit Zustimmung vollzogen wird („cogitare cum assensu") und daher von einer Verbindung von leben, denken und forschen ausgeht, weiß sich das Zentrum der Idee partizipativen Forschens und einem umfassenden Bildungsbegriff auf der Basis einer nicht-reduktiven Anthropologie verpflichtet. In der Tradition von Immanuel Kant plädieren wir für eine immer neu zu suchende Einheit von Vernunft und Moralität als Ausdruck einer Kultur, die zu einer Option der Hoffnung im eigenen Leben ausdrücklich steht, und daher voraussetzungslose Wissenschaft als ideologische Tarnung ansieht und sich selbst vor allem verpflichtet weiß, die eigenen Voraussetzungen so weit als möglich offen zu legen.

Dazu gehört im Kontext der Theologie als Glaubenswissenschaft die Reflexion der eigenen und anderer lebenstragenden Überzeugungen, die als Letztziele des Menschen individuell und gesellschaftlich immer gegeben, aber nicht immer ausdrücklich reflektiert werden. Der Glaube setzt auf eine Lebensmöglichkeit und eine Hoffnungsdimension, die nicht an der Möglichkeit des Menschen und seiner Machbarkeit ihre Grenzen hat. Die Theologie entwickelt und prüft daher eine Rationalitäts- und Wissenschaftsbestimmung, die die Fundamentaloptionen der Menschen vernünftig disputiert und dadurch kritischer Korrektur aussetzt. Innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft ist dieser Versuch von großer Bedeutung.

Der Mensch, so vor allem im Jahresthema 2006-2008, ist ein auf je neue Überschreitung hin offenes Wesen, das im Staunen, Fragen und Zweifeln vor einer je komplexeren und in immer neue Dimensionen hinein sich überschreitende Wirklichkeit gestellt wird. Weil die katholische Theologie an der rationalen Verantwortbarkeit des Glaubens wegen einer letzten Konkordanz von Glauben und Vernunft festhält, kultiviert die Theologie innerhalb der Universität den rationalen Umgang mit lebenstragenden Überzeugungen und schützt daher die Vernunft vor einer Selbstamputation im Sinne bloßer Machbarkeit und Zählbarkeit, die alle anderen Möglichkeiten der menschlichen Welt- und Selbstaussagen letztlich ins Irrationale abdrängen würde. Im Letzten ist die Theologie von einem Vernunftoptimismus bewegt, der eine prinzipielle Erkennbarkeit aller Wirklichkeit postuliert und gerade in dieser weltanschaulichen Vorgabe die Bedingung der Möglichkeit für jede rationale Welterschließung zum Ausdruck bringt.

Das theologische Forschungszentrum RGKW geht davon aus, dass der Tod und die Gewalt nicht die letzte Macht in unserem Dasein darstellen (Grundoption der dramatischen Theologie) und dass eine Verständigung und Begegnung an der Grenze zwischen Menschen aller Kulturen möglich ist (Grundoption der kommunikativen Theologie). Deshalb werden wir von jenen kinder-schweren Fragen umgetrieben, die von jeher die Menschheit bewegen: Was heißt Rationalität? Was ist der Sinn von Wissenschaft, was der Sinn der Universität in einer Zeit, in der das menschliche Können und das menschliche Sollen und Verantworten immer stärker auseinander zu fallen drohen. Was heißt Wissen, auch in Bezug zum letzten Geheimnis unseres Daseins, wenn alles Forschen nie zu einem Ende kommt, und wir immer in Aporien geraten. Wir sind skeptisch gegenüber dem permanenten Verkünden je neuen Fortschrittes, solange immer neue Formen der Tötung gegen die Krankheit Leben erfunden werden und alles dem Diktat der Effizienz und des Kapitals unterworfen wird. Weil die Theologie in der Kultivierung des Wortes „Gott" die Sprache nicht als Instrument, sondern als Ausdruck menschlicher Kultur auffasst, ist unser Forschungszentrum für alle jene Sprachen besonders offen, denen an einer Kultivierung des Humanen gelegen ist. Dabei bringt insbesondere die römisch-katholische Theologie die längste Erfahrungsgeschichte einer Institution in Europa ein; eine Erfahrungsgeschichte, die mit allen Höhen und Abstürzen der Menschheit tief verwickelt ist. Sie bringt aber auch in unsere Landesuniversität die Perspektive einer Weltkirche ein und ist in ihrem Lehren und Forschen ein lebendiges Experiment im Dialog der Kulturen.

Für den Ansatz des theologischen Forschungszentrums RGKW werden in der Wahrnehmung der Gegenwartssituation („Zeichen der Zeit") folgende Optionen bestimmend. In der Wahrnehmung einer „Dialektik der Aufklärung" (Horkheimer/Adorno) sieht sie die gegenwärtige Situation der Menschen als tief gefährdet an, was sich im Lebensgefühl der Gegenwart immer stärker mit apokalyptischen Bildern ausdrückt (auch in ihrer säkularen Form in den Medien). Wir sehen die Rationalität des Menschen vielfach durch Leidenschaften und Begierden bestimmt, so dass Begründungen von Handlungen (auch Wissenschaft!) oft als nachträgliche, ja sekundäre Rechtfertigung erscheinen müssen. Beiden Ansätzen ist eine Aufmerksamkeit auf die Konfliktivität menschlicher Gruppen ebenso eigen, wie eine primäre Option für die Opfer. Daher ist auch „Religion" in all ihren Formen aus der Ambivalenz des Menschlichen nicht ausgenommen, sondern vielfach in sie verstrickt. Daher ist die Suche nach Wegen aus der Gewalt in der Vorgabe der Lehre, des Lebens und der gegenwärtigen Gestalt Jesu Christi für beide Ansätze bestimmend. Während die dramatische Theologie stärker analytisch arbeitet, ist der kommunikativen Theologie eine Konzentration auf die reale Praxis eigen. Von diesen Voraussetzungen her erklärt sich das thematische Rahmenthema 2006-2008 und die grundlegende Ausrichtung des Forschungszentrums:

Das fächer- und institutsübergreifende Forschungszentrum, das auch drei Personen aus anderen Fakultäten aufweist, erforscht die Bedeutung der biblischen Offenbarung und kirchlichen Praxis bezüglich der Problematik von Religion, Kommunikation und Gewalt in der heutigen Welt mit der Intention, um einen Beitrag auf eine kulturelle Wandlung in Richtung friedvollerer Beziehungen leisten zu können. Als vorrangiger Praxisort gilt die Kirche in ihrer gemeindlichen und weltkirchlichen Verfasstheit sowie in ihrem Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen. Im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils hat sich die Kirche stets neu zu einem Zeichen für mögliches Heil in einer globalen und von tiefen Konflikten geprägten Welt zu reformieren. Dies wirft wichtige Fragen auch im Blick auf ihre inneren und äußeren Kommunikationsformen auf. Das Ziel des Forschungsprogramms wird auf drei Ebenen in unterschiedlichen Formen zu erreichen versucht, die sowohl die inneruniversitäre als auch die außeruniversitäre Verbindung der Theologie verdeutlichen.

Die erste Ebene ist die Grundlagenforschung in der Spannung der beiden zentralen Ansätze des Forschungsprogramms: der dramatischen und der kommunikativen Theologie. In den Arbeitsjahren 2007-2010 haben sich deren Zugänge, Möglichkeiten und Grenzen am Arbeitsthema „Handeln Gottes" bewährt und profiliert. Das verlangte neben den gemeinsamen Arbeitseinheiten auch eine Vertiefung der jeweiligen Ansätze in eigenen Studientagen und Kongressen. Der Fakultätsstudientag 2007 mit Prof. Grimm war von diesem Thema geprägt.

Diese Thematik wurde im Herbst 2010 abgeschlossen und wird in nächster Zeit publiziert werden.

Die zweite Ebene ist die Verknüpfung dieser Forschung interfakultär in der Forschungsplattform „Politik - Religion - Kunst" der Universität Innsbruck und dem Projekt „Politik - Religion - Gewalt", das von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft als Arbeitsgemeinschaft gefördert wird. Auf dieser Ebene geht es darum, das Anliegen in einer breiteren wissenschaftlichen Orientierung zu prüfen und zu verankern.

Die dritte Ebene entsteht aus der inneren Verknüpfung von Theologie und Kirche einerseits und der Einheit von Theorie und Praxis, vor allem der praktischen Theologie. Die Anliegen werden einerseits in den Kursen auf der Basis der Themenzentrierten Interaktion (TZI) eingebracht, wie auch von dieser Erfahrung wertvolle Rückfragen an die Ansätze entstehen, andererseits wird durch das theologische Forschungsprogramm das kirchliche Handeln auf verschiedenen Ebenen mit beeinflusst (z.B. Aktivitäten im interreligiösen Dialog). Auf dieser Ebene wird bewusstseinsbildend mit Gruppen gearbeitet. Die Aktivität im Friedensforum Telfs/Stams beinhaltet nicht nur die maßgebliche Konzeption von Tagungen und Kongressen, sondern auch empirische Untersuchungen und Arbeiten im Feld, die im Jahr 2008 in den großen TWIN-Kongress der kommunikativen Theologie „heilig-tabu" eingeflossen sind. Dieses innovative Tagungskonzept verband nicht nur die Erfahrungen verschiedener Kontinente miteinander, sondern arbeitete auch intensiv biographische Erfahrungen und situative Problemstellungen innerhalb der Marktgemeinde Telfs auf. Dieser Kongress verpflichtet die Forschungsgruppe zu einem alternativen Miteinander vor allem mit jenen muslimischen Gruppen, die in intensiver Weise den Weg mitgegangen sind. Andererseits zeigte dieses arbeits- und personenintensive Kongressprogramm die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit auf.

Die „kommunikative Theologie" hat ihren Ansatz in den U.S.A. (Fordham University - New York; v.a. Brad Hinze) vorgestellt und mit amerikanischen KollegInnen eine anhaltende Kooperation installiert. Die Verbindungen der „dramatischen Theologie" mit COV&R, dessen Präsident Dr. Wolfgang Palaver Mitglied von RGKW ist, werden in den internationalen Kongressen und gemeinsamen Publikationen (Bulletin [Schriftleitung: Dr. Wandinger], Zeitschrift und Buchreihen) so intensiv, dass Innsbruck das europäische Zentrum der „mimetischen Theorie" genannt wird. Die methodischen Auseinandersetzungen mit dem Lonergan-Workshop (Boston College, USA) wurden weitergeführt (Kongress, Seminare). Weitere Zusammenarbeit wurde vereinbart (ein Kongress in Innsbruck in Aussicht genommen).

Im Arbeitsjahr 2007/2008 wurde die Arbeit am gemeinsamen Thema „Handeln Gottes" durch verstärkte Einzelbeiträge und Verknüpfungen unter diesen weitergeführt. Unterstützt von WikiUIBK wird der Versuch fortgesetzt, die verschiedenen Ebenen des Zentrums miteinander zu verknüpfen und ein kollektives Forschungstagebuch zu entwickeln. Damit soll die geisteswissenschaftliche Zusammenarbeit gefördert werden, ohne das eigenständige Profil der verschiedenen Ansätze einzuebnen. In dieser Hinsicht stellt unser methodischer Weg ein Neuland dar, weil bislang nur individuelle Forschungstagebücher bekannt sind und die Zukunft der Geisteswissenschaften von einer gelingenden Zusammenarbeit wesentlich abhängig sein wird. Diese Pionierarbeit wird vor allem von Dr. Sandler und Dr. Kraml begleitet. Nach dem Abschluss der zentralen Thematik 2006-2008 soll diese Begleitung einer Begutachtung unterzogen werden.

Von beiden tragenden Ansätzen des Schwerpunktes konnten Drittmittel eingeworben werden. Ein FWF-Antrag wird in diesem Jahr eingereicht werden.

Auch im zu berichtenden Zeitraum hat die „Empiriegruppe innerhalb der praktischen Theologie" eine Reihe renommierter Vertreter vor allem der qualitativen Sozialforschung zu Studientagen an die theologische Fakultät, die für alle Interessierten offen waren, eingeladen. Einige Mitglieder des Forschungzentrums arbeiten intensiv an der Ausarbeitung eines Antrages auf ein NFN beim FWF mit, der in diesem Herbst eingereicht wird.

Text publiziert in: R. Siebenrock – M. Hasitschka – M. Stare, Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung. In: M. Grumiller / T. D. Märk (Hg.), Zukunftsplattform Obergurgl 2008. Forschungskooperationen innerhalb der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Innsbruck 2008, 227-233, hier: 227-230.

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