Wer sich impft, ist kein Homo Oeconomicus.

Würde sich ein Homo Oeconomicus einer Impfung unterziehen, deren Sinn es wäre, Herdenimmunität zu erreichen?

Wintersemester 2020: Felix Mölk

Im folgenden Blogeintrag wird angedeutet, dass sich ein rational handelndes, nutzenmaximierendes Individuum bestimmten Impfungen entziehen sollte. Dafür werden wir ein Gedankenexperiment anhand einer potentiellen Corona-Impfung durchführen. 

Impfung

Was ist ein Homo Oeconomicus? 

„Der Homo Oeconomicus bezeichnet einen (fiktiven) Akteur, der eigeninteressiert (a) und rational (b) handelt, seinen eigenen Nutzen maximiert (c), auf Restriktionen reagiert (d), feststehende Präferenzen hat (e) und über (vollständige) Information verfügt (f).“ (Franz, Seite 4)  

Das Gedankenexperiment

Stellen wir uns ein Österreich vor, in dem durch eine Corona-Impfung Herdenimmunität erzielt werden soll. Dafür müssten mindestens 70% der Bevölkerung geimpft werden. Diese Zahl wurde willkürlich gewählt, da es sich hierbei nur um ein Gedankenexperiment handelt. Jeder Einwohner Österreichs würde um die Teilnahme an diesem Impfprogramm gebeten, verpflichtend wäre dies jedoch nicht. 

Um nun zu erläutern, weshalb sich ein Homo Oeconomicus keiner Corona-Impfung unterziehen würde, betrachten wir zunächst ein spieltheoretisches Phänomen: Das Gefangenendilemma.

Das Gefangendilemma

Zwei Verdächtige werden in getrennten Räumen verhört. Die Polizei bietet ihnen jeweils einen Deal an, wenn sie einzeln gestehen sollten. Schweigen beide, so gehen sie nur kurz ins Gefängnis. Gestehen beide, so müssen sie lange ins Gefängnis. Im Fall, dass nur einer gesteht, muss er gar nicht hinter Gitter, dafür der andere noch länger.

Dominante Strategien & Nash Gleichgewicht

Eine dominante Strategie ist eine optimale Handlung, die für einen Spieler unabhängig vom Verhalten anderer zu einer höchstmöglichen Auszahlung führt (vgl. Varian, Seite 580).

Ein Nash-Gleichgewicht wird erreicht, wenn die Entscheidungen aller optimal hinsichtlich der gegebenen Entscheidungen der jeweils anderen Teilnehmer getroffen wurden. Wenn also kein Beteiligter nach Einsicht aller gefällten Entscheidungen seine eigene Wahl ändern würde, während die übrigen Teilnehmer weiterhin gleich handeln (vgl. Varian, Seite 581).

Handlungen eines Homo Oeconomicus beim Gefangenendilemma?

Setzt man einen Homo Oeconomicus einem derartigen Gefangenendilemma aus, so wird er immer gestehen, da diese Entscheidung eine dominante Strategie darstellt, unabhängig von der Alternative, für die sich sein Gegenüber entscheidet.

Was bedeutet das für die Impfung?

Ein ähnliches Phänomen wäre auch beim Herdenimmunisierungsversuch durch die Impfung beobachtbar, denn hier stellt sich das „nicht Impfen“ als eine dominante Strategie für den Homo Oeconomicus heraus. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Entstehen einer möglichen Herdenimmunität nicht direkt von der Impfung des Einzelnen abhängt. Die Tatsache, ob er sich impfen lässt, hat keinen Einfluss auf seinen positiven Nutzen, der hier durch den Zustand der Herdenimmunität ausgedrückt wird, jedoch spart er sich die damit einhergehenden Kosten. Diese können finanzielle Kosten aber auch gesundheitliche Risiken durch potentielle Nebenwirkungen sein.  Als Konsequenz der eben angeführten Überlegungen würde er die genannte dominante Strategie wählen, d.h. sich nicht impfen lassen. 

Doch worin liegt nun das Problem dieser Strategie?

Wie man beim Gefangenendilemma erkennen kann, liefert das Nash-Gleichgewicht, das sich durch die Entscheidung aller Beteiligten für deren jeweilige dominante Strategie einstellt, nicht das soziale Wohlfahrtsoptimum. In unserem Beispiel stellt das Nash-Gleichgewicht ein Szenario dar, in dem sich niemand impfen lässt. Folglich bestünde auch keine Möglichkeit, Herdenimmunität zu erreichen. Damit wäre der langfristige Lösungsversuch, der eine Impfung vieler vorsieht, gescheitert und man würde in der aktuellen Krisensituation verbleiben.

Kann Herdenimmunität also nicht durch freiwillige Impfungen erreicht werden?

Doch. Wie man am Beispiel der Poliomyelitis, die unter anderem Kinderlähmung verursachen kann, erkennen kann, ist es möglich, durch eine Impfung den Zustand der Herdenimmunität herzustellen. So gehört Europa seit 2002 zu den Regionen, in denen Poliomyelitis bis heute ausgerottet ist (vgl. BMASGK Seite 86), trotz der Tatsache, dass beispielsweise in Österreich – einem Teil von Europa – keine Impfpflicht besteht (vgl. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz). Folglich ist eine Impflicht nicht zwingend erforderlich für das Erreichen von Herdenimmunität.

Literaturverzeichnis

Franz, S. (2004). Grundlagen des ökonomischen Ansatzes: Das Erklärungskonzept des Homo Oeconomicus (pp. 1568-1574). Univ., Department of Macroeconomics. Seite 4

Varian, H. R., & Buchegger, R. (2011). Grundzüge der Mikroökonomik (Vol. 8). München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH. Seite 580 f.

BMASGK (2020). Impfplan Österreich 2020. Wien. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BMASGK). Seite 86

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2020). Empfohlene Impfungen in den ersten beiden Lebensjahren. Abgerufen am 09.11.2020, von https://www.oesterreich.gv.at/themen/familie_und_partnerschaft/geburt/3/Seite.080400.h tml#:~:text=In%20%C3%96sterreich%20besteht%20keine%20Impfpflicht,die%20Pflege%20u nd%20Erziehung%20obliegt

Abb: Koch, A. (2020). Abgerufen am 09.11.2020, von https://pixabay.com/de/illustrations/welt-spritze-impfung-impfstoff-5690325/. 

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