Verlust-Aversion im Alltag

Verluste wiegen stärker in unserem Leben als Gewinne.

Wintersemester 2021/22: Florian Daldos und Stefan Gritsch

Diese Verlust-aversion, erstmals beschrieben von Kahneman und Tversky 1979 als Teil der Prospect Theory, ist ein Merkmal, welches den rationalen Homo oeconomicus von uns beeinflussbaren (irrationalen) Menschen unterscheidet: Im Laufe der Zeit haben Psychologen und Verhaltensökonomen festgestellt, dass der Mensch einen Verlust etwa doppelt so stark empfindet als einen Gewinn (Glaser, 2019). Zusätzlich wurde in einer Studie, ebenfalls von Kahneman und Tversky aus dem Jahre 1979, herausgefunden, dass Menschen einen kleineren sicheren Gewinn einem größeren unsicheren Gewinn vorziehen (forschung-und-wissen.de, 2020). Inwieweit dies in unserem alltäglichen Leben eine Rolle spielt (spielen kann), wollen wir nun folgend einige Beispiele nennen.

In den 90-er Jahren zeigte Colin Camerer dieses irrationale Verhalten in einem Experiment mit New Yorker Taxifahrern, welche flexible Löhne anhand ihrer Einnahmen generierten. Anstatt an Tagen mit hoher Nachfrage länger zu arbeiten und dadurch die Tage mit niedrigerer Nachfrage zu kompensieren hatten diese sich ein tägliches Umsatzziel gesetzt und arbeiteten somit an besseren Tagen viel kürzer und an schlechteren Tagen viel länger für das Erreichen des Umsatzziels. Dass jedoch das generieren von Einnahmen an Tagen mit höherer Nachfrage viel einfacher ist, verdrängte der Referenzpunkt des täglichen Umsatzziels und es folgte ein gegensätzliches Verhalten als das erwartete des Homo oeconomicus. (Glaser, 2019)

Ein anderes Beispiel, diesmal direkt aus der Praxis: Vieler Handelsexperten zufolge soll der Niedergang der Baumarktgruppe “Praktiker” auch signifikant von der Rabattpolitik beeinflusst worden sein. Demnach hat die Kette mit ihrer frequentierten “20%-Rabatt auf alles”-Strategie die Kunden angelockt, im Nicht-Rabatt-Zeitraum fühlten sich die Kunden aber durch die normalen Preise bedeutend schlechter gestellt und so wurde in diesem Zeitraum sehr wenig eingekauft und keine Umsätze erzielt. Dabei wurde festgestellt, dass das Zurücknehmen eines Rabattes (auf den Standardpreis) den Verkäufer sehr viel schlechter stellt, als wenn er bei dem Standardpreis geblieben wäre, da die Käufer diese Differenz als Verlust und demnach viel stärker gewertet sehen. (Hecker, 2019)

An der Börse tritt die Verlustversion häufiger bei Privatanlegern auf. Es ist zu erkennen, dass bei einem Kursverlust, bei dem die Aktien rapide fallen, die Anleger weiterhin ihre Anteile halten. Sie hoffen oft unverhältnismäßig lange, dass sich die Aktien zu einem späteren Zeitpunkt wieder erholen werden. Durch diese Fehleinschätzung entstehen große Verluste. Als Reaktion weichen immer mehr Investoren anschließend auf sichere Aktien aus und minimieren dadurch automatisch Ihre Gewinnhöhe. (gewinn.com, 2018)

Der Effekt der Verlustaversion lässt sich auch im Beispiel mit den Urlaubsansprüchen zwischen Deutschland und den USA erkennen. In Deutschland stehen ArbeitnehmerInnen gesetzlich 24 Urlaubstage zu. In den USA sind es lediglich 14 Tage. Die meisten Deutschen wären nicht damit zufrieden, Urlaubstage aufzugeben, um dafür mehr Geld zu verdienen. Umgekehrt wären die meisten Amerikaner nicht damit zufrieden, für mehr Urlaubstage weniger Geld zu bekommen. Somit sind die gesetzlichen Urlaubstage für viele Deutsche der „Status quo“: Eine Verringerung der Urlaubstage würde für sie einen Verlust darstellen. Für amerikanische Bürger/innen stellt ihr Gehalt den „Status quo“ dar: Für sie würde ein verringertes Gehalt einen Verlust darstellen. (forschung-und-wissen.de, 2020)

In Bezug auf die Entscheidungsfähigkeit von Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gibt es noch weitere Beispiele. Öfters werden lukrative Jobangebote nicht angenommen, da eine neue Arbeitsstelle viele Unsicherheiten mit sich bringt oder der alte Job wird nicht gekündigt, da die Angst vorherrscht, dass man den Aufgaben und der Verantwortungen eventuell nicht gewachsen ist. (Kettembeil, 2020)

In Firmen, die über eine eigene Produktion verfügen, sieht man die Verlustaversion besonders an den Produktlinien: Gegen Ablauf des Produktlebenszyklusses beginnt der Umsatz auf das jeweilige Produkt zu sinken, in vielen Unternehmen kommt jedoch der Aufbau einer neuen Fertigungslinie oft viel zu spät, da das Eröffnen einer neuen ein vermeintlich zu großes Risiko birgt. Dies führt zu Umsatzverlust und kann auch zu Wettbewerbsvorteilen der Konkurrenz führen. (targetter.de, 2020)
Seit das Phänomen der Verlustaversion bekannt geworden ist, wird es immer mehr im Marketing und in der Verkaufspsychologie eingesetzt (manchmal auch verzerrt), beispielsweise für Rabatte, Gutscheine, kostenlose Testphasen, in Verbindung mit Social Proof und in vielen anderen Varianten, oft in Verbindung mit Dringlichkeit und Knappheit. Diese hauptsächlich kurzfristig eingesetzten Konzepte können jedoch schnell nach hinten losgehen (wie beispielsweise bei der Rabattaktion von “Praktiker”). Deswegen müssen sie punktuell eingesetzt und nicht als generelle Marketingstrategie verstanden werden, auch bei zu langer und zu intensiver Verwendung stumpft der positive Einfluss davon ab. (ionos.at, 2020)

Literaturverzeichnis

forschung-und-wissen.de, Verlustaversion: Warum empfindet man Verluste stärker als Gewinne. (2020). Abgerufen am 06. Dezember 2021 von https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/psychologie/verlustaversion-warum-empfindet-man-verluste-staerker-als-gewinne-13373689

gewinn.com, Verlustaversion: Wir kaufen bei Gewinn zu früh, begrenzen Verluste zu spät. (2018). Abgerufen am 07. Dezember 2021 von https://www.gewinn.com/geld-und-boerse/anlagetipps/artikel/verlustaversion-wir-verkaufen-bei-gewinn-zu-frueh-begrenzen-verluste-zu-spaet/

Glaser, C. (2019). Risiko im Management. Wiesbaden: Springer Verlag.

Hecker, F. (2019). Crashkurs Service-Exzellenz. Wiesbaden: Springer Verlag.

ionos.at, Verlustaversion: Der Wert des Effekts für das Marketing. (2020). Abgerufen am 07. Dezember 2021 von https://www.ionos.at/digitalguide/online-marketing/verkaufen-im-internet/verlustaversion-im-marketing/

Kettembeil, K. (2020). kettembeil-blog.de, Verlustaversion des Bewerbers. Abgerufen am 07. Dezember 2021 von https://www.kettembeil-blog.de/verlustaversion-des-bewerbers/

targetter.de, Loss Aversion/Verlustaversion bei Führungsentscheidungen. (2020). Abgerufen am 07. Dezember 2021 von https://www.targetter.de/loss-aversion-verlustaversion

Nach oben scrollen