Trägt die Mehrwertsteuer zur Ungleichheit in Österreich bei?

Fördert das Mehrwertsteuersystem der Europäischen Union und damit auch der einzelnen Staaten die Ungleichheit zwischen der armen und reichen Bevölkerung?

Sommersemester 2021: Lena Ribitsch

Immer wieder hört man von der Ungleichheit beziehungsweise der großen Schere zwischen Arm und Reich. In manchen Ländern ist diese deutlicher zu erkennen als in anderen. In einigen europäischen Ländern behauptet man sogar öfters, dass es keine Ungleichheit aufgrund des guten Sozialsystems geben kann (vgl. Butterwegge, 2020). Doch fördert nicht gerade das Mehrwertsteuersystem der Europäischen Union und damit auch der einzelnen Staaten die Ungleichheit zwischen der armen und reichen Bevölkerung?

Die Ungleichheit der Verteilung des Einkommens ist in den vergangenen Jahren auch in Österreich gestiegen. Die Grafik (Abbildung 1) zeigt, dass der Anteil der unteren drei Einkommensfünftel (1., 2. und 3. Quintil) an der Gesamtlohnsumme seit 1995 kontinuierlich fällt, während die Anteile der obersten Einkommensfünftel (4. und 5. Quintil) weiter steigen. Die obersten 5% stechen dabei besonders heraus, da sie 2010 bereits ein Fünftel der gesamten Lohnsumme erhalten (vgl. Lacina, 2012, S. 53).

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Abbildung 1: Die Verteilung der Bruttobezüge der Arbeiternehmer/innen 1995-2010
(erstellt von Lacina (2012, S. 57) auf Basis der Daten von Statistik Austria: Lohnsteuerstatistik 1995 und 2010)

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Abbildung 2: Die Verteilung der Bruttobezüge der Arbeitnehmer/innen 20191
(Eigene Darstellung; Prozentzahlen sind aus den Daten der STATISTIK AUSTRIA: Lohnsteuerstatistik 2019 berechnet)

Die Mehrwertsteuer – in Österreich auch Umsatzsteuer genannt – ist gleichzeitig eine Objektsteuer, eine Verbrauchssteuer und eine Verkehrssteuer.2 Außerdem ist sie eine indirekte Steuer, das bedeutet, der Steuerschuldner (das Unternehmen) überträgt seine Steuerschuld auf einen Dritten (den Endverbraucher), indem sie auf den Preis aufgeschlagen wird. Das Unternehmen führt die Steuer dann wiederum an das Finanzamt ab (vgl. Doralt, 2019, S. 144).

Aufgrund der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie ist die Mehrwertsteuer in der Europäischen Union weitgehend vereinheitlicht. Der Regelsteuersatz liegt in allen Ländern um die 20% – Österreich 20%, Deutschland 19%, Ungarn 27%, Kroatien 25%, Schweden 25% (vgl. Der Standard, 2015). Außerdem gibt es ermäßigte Steuersätze auf bestimmte Waren (in Österreich 13% und 10%; 10% gelten beispielsweise bei Lebensmittel und Medikamenten) (vgl. Grammelin, 2017).

Mit einer sogenannten Umverteilung versucht der Staat gegen die wachsende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen vorzugehen. Die Lohnsteuer in Österreich hat zum Beispiel ein Nichtbesteuerungsprinzip des Existenzminimums und einen progressiven Steuersatz. Das bedeutet, dass der Grenzsteuersatz mit wachsendem Einkommen ansteigt. Betrachten wir die Lohnsteuer in Verbindung mit den Sozialabgaben, können wir sehen, dass Letztere mit einer Höchstbeitragsgrundlage gedeckelt sind und dadurch die Progression der Lohnsteuer durch die regressive Wirkung der Sozialabgaben kompensiert wird (vgl. Wögerbauer, 2016).

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Abbildung 3: Steuer- und Abgabenstruktur im Vergleich Internationale Vergleiche zeigen, dass die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsabgaben in Österreich besonders hoch sind, wohingegen es nur wenige vermögensbezogene Steuern gibt. Im EU- bzw. OECD3-Schnitt sind die vermögensbezogenen Steuern rund vier Mal so hoch wie in Österreich (Wögerbauer, 2016).

Die Umsatzsteuer – wie auch die Mineralöl- und die Tabaksteuer – hat einen regressiven Steuersatz. Das heißt, dass alle, die diese Waren kaufen, im Verhältnis zur gekauften Menge gleich belastet werden und persönliche Anknüpfungspunkte und die finanzielle Leistungs-fähigkeit der Einzelnen nicht berücksichtig werden können (Lacina, 2012, S. 75). Dies führt dazu, dass einkommensschwächere Haushalte – gemessen an ihrem Einkommen – mehr indirekte Steuern bezahlen (vgl. Wögerbauer, 2016). Die Steuer trifft die unteren zehn Prozent der Gesellschaft deutlich härter als die oberen zehn Prozent, weil man selbst in Krisenzeiten seinen Konsum nur so weit wie nötig reduzieren kann und sie dafür aber einen höheren Teil ihres Einkommen verwenden müssen (vgl. Grammelin, 2017).

Beispielsweise machen die Ausgaben einer Mindestpensionistin oder eines Mindestpensionistens für Nahrung, Kleidung oder Wohnung fast 100% des Einkommens aus, während es bei einem/einer Bankmanger/in nur 50% ausmacht. Umso geringer also das zur Verfügung stehende Einkommen, desto mehr Geld fließt schlussendlich in den Konsum (somit wird auch mehr Umsatzsteuer bezahlt) (Lacina, 2012, S. 75). Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung veröffentlichte zuletzt, dass die ärmere Bevölkerung durchschnittlich 13 Prozent ihres Einkommens verwendet, um die Mehrwertsteuer auf Konsumgüter zu zahlen, bei der reichen Bevölkerung sind es im Vergleich nur vier Prozent (vgl. Grammelin, 2017).

Lösungsansätze für diese große Ungleichheit wären, dass höhere Spitzensteuersätze und/ oder vermögensbezogene Steuern eingeführt werden. Besonders vermögensbezogene Steuern zeichnen eine starke Umverteilungswirkung aus. Mit einer solchen Vermögenssteuer könnte man beispielsweise die hohe Abgabenquote gegenfinanzieren und diese konstant halten. Das könnte zu einer gleichmäßigeren Verteilung führen und die Menschen könnten unabhängig von ihrer sozialen Stellung an der Gesellschaft teilhaben (vgl. Wögerbauer, 2016).
Außerdem könnte man über eine Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer nachdenken – also den ermäßigten Steuersatz abschaffen – und den Regelsteuersatz um ein paar Prozent senken (beispielsweise 16% für alle Waren) (vgl. Grammelin, 2017).

Literaturverzeichnis

Butterwegge, C. (2020). Wachsende Ungleichheit lässt Ökonomen kalt. Abgerufen am 27. April 2021 von Wirtschaftsdienst: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik: https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2020/heft/2/beitrag/wachsende-ungleichheit-laesst-oekonomen-kalt.html

Der Standard. (23. Februar 2015). Mehrwertsteuer: Anstieg in fast allen EU-Ländern. Abgerufen am 26. April 2021 von DER STANDARD: https://www.derstandard.at/story/2000012040362/mehrwertsteuer-anstieg-in-fast-ganzer-eu

Doralt, W. (2019). Steuerrecht 2020 (21. Auflage Ausg.). Wien: MANZ`sche Verlags-und Universitätsbuchhandlung.

Grammelin, C. (27. Dezember 2017). Alle Steuern müssen auf den Tisch. Abgerufen am 26. April 2021 von Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/politik/grosse-koalition-alle-steuern-muessen-auf-den-tisch-1.3804696

Lacina, V. (März 2012). Verteilungspolitik: Wo bleibt die Verteilungsgerechtigkeit? Wirtschaftspolitische Dimension, 1, 51-95.
STATISTIK AUSTRIA. (2. 12 2020). Pressemitteilung 12.385-225/20. (Bundesanstalt Statistik Österreich, Hrsg.) Abgerufen am 30. April 2021 von STATISTIK AUSTRIA: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/wirtschaft/oeffentliche_finanzen_und_steuern/steuerstatistiken/lohnsteuerstatistik/124759.html

Wögerbauer, B. (16. August 2016). Umverteilung durch den Staat in Österreich - Wirkung und Perspektiven. Abgerufen am 26. April 2021 von A&W blog: https://awblog.at/umverteilung-durch-den-staat-in-oesterreich-wirkung-und-perspektiven/

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Lacina, V. (März 2012). Wirtschaftspolitische Dimension. Verteilungspolitik: Wo bleibt die Verteilungsgerechtigkeit?, 1, S. 57, erstellt anhand der Daten der STATISTIK AUSTRIA: Lohnsteuerstatistik 1995 und 2010.

Abbildung 2: Eigene Darstellung mit Daten der STATISTIK AUSTRIA. (2020). Lohnsteuerstatistik 2019. Bundesanstalt Statistik Österreich. Wien: Österreich GmbH. Abgerufen am 30. April 2021 von STATISTIK AUSTRIA:
https://www.statistik.at/web_de/statistiken/wirtschaft/oeffentliche_finanzen_und_steuern/steuerstatistiken/lohnsteuerstatistik/index.html

Abbildung 3: Wögerbauer, B. (16. August 2016). Umverteilung durch den Staat in Österreich - Wirkung und Perspektiven. Abgerufen am April 2021 von A&W blog: https://awblog.at/umverteilung-durch-den-staat-in-oesterreich-wirkung-und-perspektiven/

 

1 Verglichen mit 2019 sieht man, dass die Werte der ersten 4 Quintile minimal angestiegen sind und der Wert des letzten Quintils um ca. 1% gesunken ist. Die Veränderung der Prozentzahlen erfolgte aufgrund verschiedener Steuerreformen – beispielsweise hob man 2009 die Steuerfreigrenze von € 10.000 auf € 11.000 an, 2016 kam ein neuer Steuertarif zur Anwendung und 2019 führte man den Familienbonus Plus ein (vgl. STATISTIK AUSTRIA, 2020).

2 Die Objektsteuer knüpft an einen bestimmten Gegenstand an, die Verbrauchssteuer knüpft an den Verbrauch an und die Verkehrssteuer knüpft an bestimmte Vorgänge des wirtschaftlichen oder rechtlichen Verkehrs an.

3 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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