Das Sustainability Dilemma

Mehr als sieben von zehn befragten einer umfangreichen Studie mit über 20.000 Probant:innen in 30 Ländern stimmen zu, dass wir mit dem Vernachlässigen der Umwelt zukünftige Generationen im Stich lassen (Townend/ Skinner, 2021).

Sommersemester 2022: Joe Lippert und Elias Loewit

 

Die Klimakrise kann mittlerweile als allgemein anerkanntes Problem betrachtet werden. Mehr als sieben von zehn befragten einer umfangreichen Studie mit über 20.000 Probant:innen in 30 Ländern stimmen zu, dass wir mit dem Vernachlässigen der Umwelt zukünftige Generationen im Stich lassen (Townend/ Skinner, 2021). Ebenfalls sind wir uns einig, dass neben Politik und Wirtschaft auch alle Privatpersonen in der Verantwortung sind, klimafreundliche Maßnahmen zu treffen (ebd.).

Der Großteil der Befragten stimmt demnach zu, dass gehandelt werden muss und sieht sich auch selbst in der Pflicht Maßnahmen zu ergreifen. Den Proband:innen ist zudem bekannt, dass klimafreundliches Verhalten ihren derzeitigen Lebensstil einschränken wird (Towened/ Skinner, 2021). Sei es der Verzicht auf Flugreisen und exzessiven Fleischkonsum oder der Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Personennahverkehr, es müssen Einschnitte im täglichen Leben vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang geben annähernd 70 Prozent der Studienteilnehmer:innen an, dass sie gut informiert sind und wissen welche Maßnahmen sie zum Klimaschutz ergreifen müssen.

Obwohl die deutliche Mehrheit sich zum Handeln entschlossen präsentiert und auch angibt, um die Maßnahmen zum Klimaschutz Bescheid zu wissen, entspricht das Verhalten nicht den Aussagen in den Umfragen. Trotz des Bewusstseins um die Klimaschädlichkeit, sind die Flugreisen in den sieben Jahren vor der COVID-19 Pandemie (2012-2019) um annähernd 40 Prozent gestiegen (Eurostat, 2022). Der Fleischkonsum ist zwar im Jahre 2020 um drei Prozent gesunken (AMA, 2021), jedoch liegt die pro Kopf konsumierte Menge mit 60,5 kg/Jahr noch immer über dem dreifachen Wert, welchen wir für eine nachhaltige Lebensweise erreichen müssten (Parlasca/ Qaim, 2022).

Dass sich die Menschen im Bezug auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht so verhalten, wie sie es angeben bzw. wie sie sich gerne verhalten würden, hat in der Wissenschaft eine breite Debatte ausgelöst. Der Spalt zwischen Vorgeben und Handeln, besser bekannt als Say-Do-Gap, ist mittlerweile ein bekannter Ausdruck in der Verhaltensforschung rund um die Nachhaltigkeit. Ebenfalls etabliert sich der Begriff des Sustainability Dilemmas in der Literatur zu diesem Thema. Das Dilemma besteht dabei zwischen dem klimafreundlichen Verhalten, welches den Lebensstil einschränkt und dem klimaschädlichen Verhalten, welches ein schlechtes Gewissen verursacht. In diesem Zusammenhang werden alle möglichen verhaltenswissenschaftlichen Begründungen untersucht, warum man sich trotz einer breiten Wissensbasis für klimaschädliche Verhaltensweisen entscheidet.

Gegenstand der Untersuchung sind dabei meist unterschiedliche Verhaltensanomalien im Englischen auch als Bias bekannt. Diese definieren sich als verbreitete Denkfehler, welche uns von rationalem Handeln abhalten. Dabei sind sich Wissenschaftler einig, dass es in diesem Fall eine Kombination aus vielen Bias ist, welche die Menschheit von klimafreundlichem Handeln abhält. Die erste Erklärung für das Phänomen des Say-Do-Gap ist im Single Action Bias zu finden. Dabei handelt es sich um den Effekt, dass uns eine einzelne gute Tat bereits unser Gewissen beruhigt und somit mehrere schlechte Taten ausgleicht (Carstens, 2020). Des Weiteren ist man oft befangen im Present Bias. Der Nutzen aus der heutigen Autofahrt, Flugreise oder dem Fleischkonsum wiegt höher als der Nutzen in der Zukunft (Lee, 2021). Verbunden ist der Bias oft mit einem „Temporal Discounting“ sprich einem abzinsen über die Zeit. Soll heißen man entscheidet sich heute bewusst für eine klimaschädliche Alternative und nimmt sich vor, sein Verhalten in Zukunft zu ändern. Auch die Verantwortungsdiffussion, besser bekannt als Zuschauereffekt, ist eine Erklärung für das Träge verhalten (Carstens, 2020). Viele Menschen leben einen klimaschädlichen Lebensstil, was es für das Individuum schwierig macht auszubrechen und sein Verhalten anzupassen.

Die oben genannten sind einige wenige Möglichkeiten um das paradoxe Verhalten rund um die Nachhaltigkeit zu erklären. Im Grunde ist das Sustainability Dilemma ein ständiger Kampf zwischen unseren Gewohnheiten bzw. unseren Bedürfnissen und unserem Gewissen. Wenn man also all die Gründe für das Say-Do-Gap zusammenfassen möchte, so kann man sagen, dass wir uns selbst im Weg zu einem nachhaltigen Leben stehen. Es wird eine der größten Herausforderungen für die Menschheit des 21. Jahrhunderts, sich selbst zu überwinden und das zu tun, von dem sie bereits seit Jahrzehnten weiß, dass es das richtige ist.

Verweise:

AMA (2021): Pro Kopf Verbrauch. Online unter: https://www.ama.at/marktinformationen/vieh-und-fleisch/konsumverhalten. Zugegriffen am 14.05.2022.

Carstens, Peter (2020): Die Psychologie der Klimakrise: Warum wir nicht tun, was wir für richtig halten. Hamburg: Geo.de. Online unter: https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/23265-rtkl-interview-die-psychologie-der-klimakrise-warum-wir-nicht-tun-was-wir. Zugegriffen am 15.05.2022.

Eurostat (2022): Passagieraufkommen in der Luftfahrt, pro Land (jährliche Datei). Online Datencode: TTR00012.

Lee, Alex 2021: Wasser sparen in der Wasserkrise: Dem Klimawandel mit Wissenschaft begegnen. In: Vontobel. Online unter: https://www.vontobel.com/de-int/impact/wasser-sparen-in-der-wasserkrise-dem-klimawandel-mit-wissenschaft-begegnen-32214/. Zugegriffen am 15.05.2022.

Parlasca, Martin/ Qaim, Martin (2022): Meat Consumption and Sustainability. In: Annual Review of Ressource Economics. Online unter: https://www.annualreviews.org/doi/10.1146/annurev-resource-111820-032340. Zugegriffen am 16.05.2022.

Townend, R./ Skinner G. (2021): Earth Day 2021. Public opinion and action on climate change. Paris: Ipsos. Online unter: https://www.ipsos.com/sites/default/files/ct/news/documents/2021-04/Earth%20Day%202021.pdf. Zugegriffen am 14.05.2022.

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